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Max Brod, Franz Kafka. Eine Biographie.

(Erinnerungen und Dokumente.) Prag: Verlag Heinr. Mercy Sohn 1937. 288 S.

Das Buch ist durch den fundamentalen Widerspruch gekennzeichnet, der zwischen der These des Verfassers einerseits, seiner Haltung andererseits obwaltet. Dabei ist die letztere danach angetan, die erstere einigermaßen zu diskreditieren, zu schweigen von den Bedenken, die sich gegen diese sonst erheben. Die These ist, daß Kafka sich auf dem Wege zur Heiligkeit befunden habe (S. 65). Die Haltung des Biographen ihrerseits ist die vollendeter bonhommie. Der Mangel an Distanz ist ihre markanteste Eigentümlichkeit.

Daß sich diese Haltung zu dieser Ansicht des Gegenstandes finden konnte, beraubt das Buch von vornherein seiner Autorität. Wie sie es tat, das illustriert z.B. die Redewendung, mit der (S. 127) »unser Franz« dem Leser auf einem Photo vor Augen geführt wird. Intimität mit den Heiligen hat ihre bestimmte religionsgeschichtliche Signatur; nämlich den Pietismus. Brods Haltung als Biograph ist die pietistische einer ostentativen Intimität; mit anderen Worten die pietätloseste, die sich denken läßt.

Dieser Unreinlichkeit in der Ökonomie des Werkes kommen Gepflogenheiten zugute, die der Verfasser sich in seiner Berufstätigkeit hat erwerben mögen. Jedenfalls ist es kaum möglich, die Spuren journalistischen Schlendrians bis hinein in die Formulierung seiner These zu übersehen: »Die Kategorie der Heiligkeit ... ist überhaupt die einzig richtige, unter der Kafkas Leben und Schaffen betrachtet werden kann.« (S. 65) Ist es nötig, anzumerken, daß Heiligkeit eine dem Leben vorbehaltene Ordnung ist, der das Schaffen unter gar keinen Umständen zugehört? und bedarf es des Hinweises darauf, daß das Prädikat der Heiligkeit außerhalb einer traditionell begründeten Religionsverfassung einfach eine belletristische Floskel ist?

Es fehlt Brod jedes Gefühl für die pragmatische Strenge, die von einer ersten Lebensgeschichte Kafkas zu fordern ist. »Von Luxushotels wußten wir nichts und waren dennoch unbeschwert lustig.« (S. 128) Infolge eines auffallenden Mangels an Takt, an Sinn für Schwellen und Distanzen fließen Feuilletonschablonen in einen Text ein, der durch seinen Gegenstand zu einiger Haltung verpflichtet wäre. Das ist minder der Grund als ein Zeugnis dafür, wie sehr jede originäre Anschauung von Kafkas Leben Brod versagt geblieben ist. Besonders anstößig wird dieses Unvermögen, der Sache selbst gerecht zu werden, wo Brod (S. 242) auf die berühmte testamentarische Verfügung zu sprechen kommt, in der Kafka ihm die Vernichtung seines Nachlasses auferlegt. Hier wenn irgendwo wäre der Ort gewesen, grundsätzliche Aspekte von Kafkas Existenz aufzurollen. (Er war offenbar nicht gewillt, vor der Nachwelt die Verantwortung für ein Werk zu tragen, um dessen Größe er doch wußte.)

Die Frage ist seit Kafkas Tod vielfach erörtert worden; es lag nahe, hier einmal innezuhalten. Allerdings hätte sie für den Biographen die Einkehr bei sich selbst mit sich geführt. Kafka mußte den Nachlaß wohl dem vertrauen, der ihm den letzten Willen nicht würde tun wollen. Und weder der Testator noch auch sein Biograph würden bei solcher Betrachtung der Dinge zu Schaden kommen. Aber sie verlangt die Fähigkeit, die Spannungen zu ermessen, von denen Kafkas Leben durchzogen war.

Daß diese Fähigkeit Brod abgeht, erweisen die Stellen, an denen er unternimmt, Kafkas Werk oder Schreibweise zu erläutern. Es bleibt da bei dilettantischen Ansätzen. Die Sonderbarkeit in Kafkas Wesen und Schreiben ist gewiß nicht, wie Brod meint, eine »scheinbare« und ebenso wenig kommt man den Darstellungen Kafkas mit der Erkenntnis bei, daß sie »nichts als wahr« (S. 68) sind. Derartige Exkurse über Kafkas Werk sind danach angetan, Brods Auslegung seiner Weltanschauung von vorneherein problematisch zu machen. Wenn Brod von Kafka aussagt, daß dieser etwa auf der Linie von Buber gestanden habe (S. 241), so heißt das, den Schmetterling in dem Netz zu suchen, über das er im Hin- und Herflattern seinen Schatten wirft. Die »gleichsam realistisch-jüdische Deutung« (S. 229) des »Schlosses« unterschlägt die abstoßenden und die grauenhaften Züge, mit denen die obere Welt bei Kafka ausgestattet ist, zugunsten einer erbaulichen Auslegung, die gerade dem Zionisten suspekt sein müßte.

Gelegentlich denunziert sich diese Bequemlichkeit, die ihrem Gegenstande so wenig ansteht, selbst einem Leser, der es nicht genau nimmt. Es ist Brod vorbehalten geblieben, die vielschichtige Problematik von Symbol und Allegorie, die ihm für die Auslegung Kafkas erheblich scheint, am Beispiel des »standhaften Zinnsoldaten« zu illustrieren, der ein vollgültiges Symbol darum vorstelle, weil er nicht nur »viel ... in die Unendlichkeit Verlaufendes ausdrückt«, sondern »uns auch mit seinem persönlich detaillierten Schicksal als Zinnsoldat« (S. 237) nahekommt. Man möchte wohl wissen, wie sich das Davidsschild im Lichte einer solchen Symboltheorie ausnimmt.

Ein Gefühl für die Schwäche seiner eigenen Kafka-Interpretation macht Brod gegen die von andern empfindlich. Daß er das nicht so törichte Interesse der Surrealisten an Kafka wie die teilweise bedeutenden Auslegungen der kleinen Prosa durch Werner Kraft mit einer Handbewegung beiseiteschiebt, wirkt nicht angenehm. Darüber hinaus sieht man ihn bemüht, auch die künftige Kafka-Literatur zu entwerten. »So könnte man erklären und erklären (man wird es auch noch tun), doch notwendigerweise ohne Ende.« (S. 69) Der Akzent, der auf der Klammer liegt, fällt ins Ohr. Daß die »vielen privaten akzidentellen Mängel und Leiden Kafkas« zum Verständnis seines Werkes mehr beitragen als theologische Konstruktionen (S. 213), hört man von dem jedenfalls nicht gern, der Entschlossenheit genug besitzt, seine eigene Darstellung Kafkas unter dem Begriff der Heiligkeit vorzunehmen. Die gleiche wegwerfende Gebärde gilt allem, was Brod bei seinem Zusammensein mit Kafka störend vorkommt – der Psychoanalyse ebenso wie der dialektischen Theologie. Sie erlaubt es ihm, Kafkas Schreibweise der »erlogene[n] Exaktheit« Balzacs (S. 69) zu konfrontieren (wobei er nichts anderes als jene durchsichtigen Rodomontaden im Sinn hat, die von Balzacs Werk und seiner Größe gar nicht zu trennen sind).

Das alles stammt nicht aus Kafkas Sinn. Brod verfehlt allzu oft die Fassung, die Gelassenheit, die diesem eigen war. Es gibt keinen Menschen, sagt Joseph de Maistre, den man nicht mit einer maßvollen Meinung für sich gewinnen kann. Brods Buch wirkt nicht gewinnend. Es überschreitet das Maß sowohl in der Art, in welcher er Kafka huldigt, als in der Vertrautheit, mit der dieser von ihm behandelt wird. Beides hat wohl in dem Roman sein Vorspiel, dem seine Freundschaft zu Kafka als Vorwurf diente. Ihm Zitate entnommen zu haben, stellt unter den Mißgriffen dieser Lebensbeschreibung keineswegs den geringsten dar. Daß in diesem Roman – »Zauberreich der Liebe« – Fernerstehende eine Verletzung der Pietät gegen den Verstorbenen sehen konnten, wundert den Verfasser, wie er gesteht. »Wie alles mißverstanden wird, so auch dies ... Man entsann sich nicht, daß Platon sich auf ähnliche, allerdings weit umfassendere Art sein ganzes Leben lang seinen Lehrer und Freund Sokrates als lebendig weiterwirkend, als mitlebenden, mitdenkenden Wegbegleiter dem Tode abgetrotzt hatte, indem er ihn zum Helden fast aller Dialoge machte, die er nach des Sokrates Tod schrieb.« (S. 82)

Es ist wenig Aussicht, daß Brods »Kafka« einmal unter den großen gründenden Dichterbiographien, in der Reihe des Schwabschen Hölderlin, des Franzos'schen Büchner, des Bächtholdschen Keller, wird genannt werden können. Desto denkwürdiger ist sie als Zeugnis einer Freundschaft, die nicht zu den kleinsten Rätseln in Kafkas Leben, gehören dürfte.


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