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Volkstümlichkeit als Problem
Zu Hermann Schneider, »Schiller. Werk und Erbe«

Hermann Schneider, Schiller. Werk und Erbe. Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger 1934. X, 116 S.

Um wissenschaftlich »möglichst weiten Kreisen der Leser« nahezukommen – wie Hermann Schneiders »Schiller« es beabsichtigt – braucht es mehr als Wissen. Am besten belehren uns darüber die großen Popularisatoren der modernen Physik. Sie mischen den Leser ins Spiel und geben ihm die Gewißheit, daß er vorwärtsgebracht wird. Diese Gewißheit braucht durchaus nicht am Stoff zu haften – kein Leser wird praktische Verwendung für die Relativitätstheorie haben. Aber etwas anderes kommt ihm zugute: mit dem Wissen eignet er sich ein Denken an, das nicht nur ihm neu ist. Einmal im Leben, und sei es auf kurze Zeit, nimmt er den Standpunkt ein, auf dem die Avantgarde der heutigen Wissenschaft steht. Das ist das Entscheidende.

Man darf sagen, daß jede popularisierende Arbeit verloren ist, die eine solche Fühlung der Laien mit der Vorhut nicht herzustellen vermag. Die Physik verfügt gerade heute über die glänzendsten Popularisatoren – wie Eddington –, weil sie sich in einer Revolution befindet und die Parolen der Avantgarde auf ihrem gesamten Gebiet vernommen werden. Auf der anderen Seite besagt das, daß nicht jedweder Gegenstand des Wissens zu jeder Zeit popularisiert werden kann. Nicht die sachliche Schwierigkeit, sondern das Fehlen der historischen Konstellation bildet unter Umständen das wirkliche Hindernis. Daran können dann natürlich auch Jubiläen nichts ändern.

Hermann Schneider, der in seinen 1933 erschienenen soliden und lesenswerten Studien »Vom Wallenstein zum Demetrius« (siehe »Frankfurter Zeitung«, Literaturblatt vom 29. Juli 1934) bekannte, den Anstoß zu seinen Untersuchungen von dem eigentümlichen »Fremdheitsgefühl« empfangen zu haben, das den heutigen Leser vor Schiller befällt, gedenkt diesmal, zum 175. Geburtstag Schillers »die im Grunde doch dünne Scheidewand« dieses Gefühls niederzulegen. Dabei will er es sich nicht leicht machen. »Mit dem vollendeten, himmelblau bläßlichen Schiller haben uns nun fünf Vierteljahrhunderte lang Festredner, Schulmeister und Familienbücher gelangweilt«, meint er. Dieses summarische Urteil beweist aber nur, daß mit einer gewissen Unbekümmertheit – die ohne Zweifel eine Bedingung populärer Darstellung ist – das Fruchtbare und Interessante am Problem Schiller sich im Augenblick schwer vergegenwärtigen läßt. Fällt doch in jene hundertfünfundzwanzig Jahre gerade diejenige Epoche, die heute bei einer Schiller-Diskussion besondere Beachtung erheischen würde: das große Schiller-Jubiläum von 1859, bei dem die Züge des Schiller-Bildes zum erstenmal aus dem Hintergrund des höfischen Weimar gelöst und in das Licht des deutschen Bürgerlebens gestellt wurden. Damals war Schiller populärer als je zuvor: die Avantgarde des Bürgertums hatte ihm ihre Parole entnommen, und eben darum konnte die bürgerliche Wissenschaft ihn einem breiten Publikum darstellen.

Wenn der Verfasser geringschätzig über diese Epoche hinweggleitet, wenn er die Geschichte von Schillers Ruhm, die nach den interessanten Fingerzeigen in Julian Hirschs »Genesis des Ruhmes« noch immer ein Desideratum der Wissenschaft bleibt, beiseite läßt, so ist das gewiß zu verstehen; denn hätte er es nicht so gehalten, so wäre die Unmittelbarkeit seines Textes gefährdet worden. Nur daß diese leider ins Leere führt. Und das ist gerade da mit Händen zu greifen, wo die Arbeit ihre besten Grundlagen hat – etwa in dem Kapitel über Schillers Dramenstil. Die von außen gesetzte Nötigung, zu populären Angaben über einen »Schiller-Stil« zu kommen, ist natürlich nicht der geeignete Weg, der Bühnengeschichte der einzelnen Schillerschen Dramen, die der Verfasser genau kennt, Aufschlüsse abzugewinnen.

So ist zum Schluß der Wunsch nicht ganz abzuweisen, der Verlag hätte die durch seine eigene Jubelfeier, die mit dem Schiller-Jubiläum zusammenfällt, nahegelegte Schrift über Schiller und Cotta für einen, wenn auch beschränkteren Kreis von Lesern herausgebracht. Man möchte hoffen, daß er es nachholt.


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