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Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegel-Kreis.

Hrsg. von Josef Körner. 2 Bde. Brünn, Wien, Leipzig: Verlag Rudolf M. Rohrer 1936 f. 548 S., 567 S.

Zwei Bände, an die 600 Briefe umfassend, erschließen den Ausgang der frühromantischen Bewegung und die späteren Lebensjahre der von ihr Erfaßten. Den Grundstock der vorliegenden, von Josef Körner publizierten Sammlung bilden Briefe, die A. W. Schlegel in den Jahren zwischen 1804 und 1812 erhalten hat. Fragmentarisch greift die Publikation über diese Epoche hinaus und führt bis an die Schwelle seines 1845 erfolgten Todes. Sie enthält im übrigen eine große Anzahl von Briefen, deren Schreiber A. W. Schlegel selber gewesen ist.

Für die gesamte. Ausgabe sind drei Bände vorgesehen. In der Tat enthalten die beiden vorliegenden nichts als die Dokumente: ihre Erläuterung und Registrierung ist einem dritten Bande vorbehalten. Man wird an einem eigenen Band keinesfalls zuviel haben, um das vorliegende Quellenwerk aufzuschließen. Solange er aussteht, hat eine Anzeige nur vorläufigen Charakter. Wollte sie übrigens wie auch immer beschränkte Stichproben aus einem künftigen Personen- oder Sachregister geben, so würde sie eine geraume Anzahl von Seiten einnehmen. Das Material ist ungemein dicht und wiewohl meist privater Art, äußerst vielschichtig. Einen großen – manchmal leidigen – Raum belegen die Briefe der Sophie Bernhardi, geborenen Tieck. Deren Leitmotiv ist der langjährige Scheidungsprozeß, mit dem eine nicht geringe Anzahl bedeutender Zeitgenossen befaßt worden ist. A. W. Schlegel, durch eine eidliche Aussage Fichtes in den Prozeß verwickelt, erwehrt sich des Philosophen in einem Schreiben, das zu den pittoreskesten Dokumenten der deutschen Briefliteratur gehört.

Dergleichen Arabesken nachzuziehen, die nicht minder verschlungenen der Friedrich Schlegelschen Konversion, der Erziehung der Staelschen Söhne zu verfolgen, wird zunächst dem Herausgeber vorbehalten bleiben. Eine Fülle skurriler, nicht selten gehässiger Randnoten, mit denen die Korrespondenten des Kreises die Vorgänge in anderen literarischen Gruppen des damaligen Deutschland – die Aufführung des Teil, das Erscheinen der Wahlverwandtschaften, die Entwicklung der Goethischen Kunstlehre, schließlich das Abtreten der Großen: Schillers, Kleists, Goethes – begleiten, wird bald in Dissertationen ihren Einzug halten. Die spätere Abdichtung dieses Kreises wirkt niederdrückend; bisweilen führt sie zu schrulligen Formulierungen. »Dichten Sie, schreiben Sie guter theurer Bruder«, so wendet sich die Schwägerin Dorothea an August Wilhelm, »Eure Werke werden die Pyramiden seyn die aus den Trümmern der Zeit allein stehen bleiben, und der Nachwelt zeigen werden: hier hat ein edles Volk gewohnt.« (Brief vom 23. Juli 1809.) Dem Nachwuchs gegenüber bekundet sich diese Abdichtung besonders unglücklich. Die echte Leidenschaft für deutsches Altertum hat Friedrich Schlegel nicht gehindert, ebenso ungereimt wie abschätzig von den Brüdern Grimm zu reden.

Keinesfalls wird man übersehen – das klingt in der zitierten Äußerung Dorotheas an –, daß der größte Teil dieser Dokumente aus der Zeit der napoleonischen Herrschaft stammt. Sie zeigen die Epoche der Entmachtung des deutschen Volkes nicht so durchaus von den Ausstrahlungen deutscher Geistesmacht überblendet, wie es für das auf Weimar allein eingestellte Auge der Fall sein mag. Die Schwierigkeiten der brieflichen Kommunikation im Innern Deutschlands, die in zahlreichen Schreiben berührt werden, geben für sich allein ein Bild von der Desorganisation des bürgerlichen Lebens. Weiter sind da die unmittelbaren Reaktionen auf die Tyrannei; nirgendwo spontaner als bei Friedrich Schlegel. Ein schöner Brief von Clausewitz gehört in den gleichen Zusammenhang. Endlich sind es nicht zuletzt politische Umstände, die sich in der Diaspora der ersten romantischen Schule abzeichnen – einer Diaspora, die diese Jahre in Kontrast zu den Zeiten treten ließ, da die Schule ihre Heerschau in Jena abhielt. Friedrich Tieck, der Bildhauer, hungert in Rom; Friedrich Schlegel führt in Köln einen verzweifelten Existenzkampf, bis er in Wien bei Metternich unterkommt; eine weltbürgerliche Existenz, wie sein Bruder sie auf Schloß Coppet bei Frau v. Stael führte, war außerhalb des Goethischen Bannkreises nur in der Fremde möglich.

Es liegt in der Natur einer solchen Briefsammlung, daß das spezifische Gewicht des Ganzen selten das ihrer Teile ist. Dem ungeachtet sind unter diesen Briefen einzelne von besonderer menschlicher, andere von besonderer geschichtlicher Bedeutung. Wenige lassen sich dem beide vereinenden an die Seite stellen, mit dem August Ludwig Hülsen – der Schüler Fichtes, der Freund Fouqués – im Jahre 1803 auf die eben sich abzeichnende reaktionäre Wendung der Brüder Schlegel reagiert. Er hat es mit ihren Forschungen über das Rittertum zu tun. »Behüte uns der Himmel«, so schreibt er warnend, »daß die alten Burgen nicht wieder aufgebaut werden. Sagt mir, lieben Freunde, wie soll ich Euch darin begreifen. Ich weiß es nicht... Ihr mögt die glänzen[d]ste Seite des Ritterwesens hervorsuchen, sie wird so vielfach wieder verdunkelt, wenn wir es im Ganzen nur betrachten wollen. Friedrich möge nach der Schweitz reisen und unter andern nach Wallis. Die Kinder erzählen ihm noch von den ehemaligen Zwingherrn, indem sie die stolzen Burgen benennen, und das Andenken ihrer Tyrannen erscheint in den Trümmern unverwüstlich. Aber dieser Betrachtung bedarf es gar nicht. Es ist genug daß dies Wesen mit keiner göttlichen Anordnung des Lebens bestehen kann. Viel lieber möchte man auch wünschen, daß der große Haufe, den wir Volk nennen, uns Gelehrte und Ritter sämmtlich auf den Kopf schlüge, weil wir unsre Größe und Vorzüge auf sein Elend allein gründen können. Armenhäuser, Zuchthäuser, Zeughäuser und Waisenhäuser stehen neben den Tempeln, in welchen wir die Gottheit verehren wollen ... Es ist freilich nicht zuförderst Dein Studium gewesen, die gesellschaftlichen Formen auf die ursprüngliche und ewig bleibende zurückzuführen, und in ihnen daher das Nothwendige und Zufällige ... zu unterscheiden. Aber einem Manne von Deiner Kritik liegt diese Betrachtung eben so nahe, als irgend eine literarische Erscheinung ... Sprechen wir vom Menschen so liegt an uns allen qua Philosophen und Künstler durchaus gar nichts; denn das Leben eines einzigen in seinen Anfoderungen an die Gesellschaft – möge er der elendeste auch seyn – ist bei weiten mehr werth, als der höchste Ruhm, den wir als Gelehrte und Ritter uns erklingen und erfechten mögen ... Für eine beobachtende Intelligenz würde in der ungebildetsten Gesellschaft noch immer mehr Göttliches sichtbar werden, als wir durch Künste und Wißenschaften in ihrer höchsten Verfeinerung je darstellen können, wenn irgend ein Sohn der Freiheit ihr Opfer geworden.« (Brief vom 18. Dezember 1803.)

Der Brief gehört zu den seltenen Dokumenten, in denen das Grundmotiv der Aufklärung mit jenem unvergleichlichen Klange vibriert, den es über dem Resonanzboden der Romantik annimmt. Er denunziert die Unmündigkeit des deutschen Bürgertums, die in diesen »Krisenjahren« zum Verhängnis der Frühromantik geworden ist. In der forcierten voltairianischen Haltung von August Wilhelm Schlegel tritt diese Unmündigkeit nur anders zutage als in dem ultramontanen Ausgang von Friedrich Schlegel. Die Zeit ist noch nicht gekommen, da ein deutscher Leser über den literargeschichtlichen Aufschlüssen, über den Bildern der Landschaft oder des Kleinlebens, über den sprachlichen Schönheiten und den Selbstbildnissen, die ihm in diesen Briefen begegnen, ihr geschichtliches Zeugnis vergessen dürfte. Um so dankbarer wird er diesen hochbedeutenden Fund aus dem Schlosse Coppet entgegennehmen.


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