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Cherry Kearton, Die Insel der fünf Millionen Pinguine.

(Übersetzt von Magda Kahn.) Stuttgart: J. Engelborns Nachf. (1932). 189 S.

In diesen Zeiten kann man sich Leute vorstellen, die, wenn es ihnen gelingt, der Arbeit für einige Tage oder Wochen den Rücken zu kehren, am liebsten auch Ferien vom Mitmenschen nehmen. Denen wird dann in ihrem entlegenen Winkel ein Tierbuch die angenehmste Reiselektüre sein. Da es nicht jedermanns Sache ist, zu Thompsen oder London zu greifen, so werden auch lockerere Bücher wie das vorliegende zu ihrem Recht kommen. Besonders wenn sie stofflich so viel Interesse erwecken können wie die felsige Insel der Südsee, auf welcher Kearton das Leben der Pinguine studierte.

Wer die Pinguine nicht aus einem zoologischen Garten kennt, dem sind sie vielleicht aus dem Brehm ein Begriff, und wer den Brehm nicht gelesen hat, hat doch vielleicht schon von der »Insel der Pinguine« etwas gehört, auf die Anatole France eine seiner bedeutendsten Satiren verlegt hat. Satirisch kann man die sachlichen Aufzeichnungen von Kearton nun zwar nicht nennen; die Komik aber, die diese Tiere durch ihren gleichsam natürlichen Anthropomorphismus für den Menschen haben, kommt bei ihm vollauf zu ihrem Recht. Und zwar auf liebenswürdige Weise. »Mehr als einmal«, so heißt es im Vorwort, »wenn ich meine Pinguine betrachtete und sie, den Kopf schief auf die Seite gelegt, auch ihrerseits gedankenvoll nach mir herschauten, fragte ich mich, ob es der Naturforscher sei, der den Pinguin, eine merkwürdige Vogelart, studierte, oder ob nicht vielmehr sie die Naturforscher seien, die das merkwürdigste aller Geschöpfe – den Menschen – studierten.«

Wie die Insel der Pinguine heißt, verrät der Verfasser nicht. Sie ist eines von den zehntausenden oder den hunderttausenden von Felsenriffen, die zwischen den Küsten Afrikas und Australiens liegen, und der Forscher hat seine Einsamkeit nur mit seiner Frau und einem Jungen vom Kap geteilt, den er als Diener mitnahm. Sonst gibt es da wohl noch einen Leuchtturmwärter – ein Leuchtturm ist auf die Karte der ungenannten Insel eingezeichnet – aber der spielt keine Rolle, im übrigen fehlt dieser Weltabgeschiedenheit, was der Romantiker von ihr am allerersten sich erträumt – die Stille. Die Nacht zumindest ist von ununterbrochenen Schreien der Pinguine und unzähliger anderer Vögel erfüllt. Der Verfasser aber, den wir auf den zahlreichen Fotos, die dem Band beigegeben sind, kennen lernen, macht, wie es sich gehört, mehr den Eindruck eines Trappers als eines Romantikers. Das hat ihn jedoch nicht gehindert, auch einige bildnerisch ganz außergewöhnlich schöne Fotos nach Hause zu bringen. Eins der vollkommensten umspannt den Raum vom Horizonte zum Zenit, wie er mit unermeßlichen Vogelscharen erfüllt ist. Die Pinguine selber aber erscheinen nicht nur in Massen – gleichsam auf Meetings – sondern auch in Porträtstudien, die eines Hoffotografen würdig wären, wie denn Kearton eine ganze Anzahl von Originalen oder Charakterköpfen unter ihnen entdeckt haben will: den Richter, den Landstreicher, Charlie Chaplin, den Cherub und viele andere.

Das Buch enthält eine Fülle von Geschichten, die manchen Leser auf Rätsel in der Tiernatur führen werden. Der Verfasser seinerseits hat sich mehr an die bunte Mannigfaltigkeit der Erscheinung gehalten. Sein Buch ist launig. Vielleicht kommt die Distanz zu den Tieren darüber zu kurz. Aber immer wieder fühlt der Leser sich durch die Naivität und Frische der Betrachtungen entschädigt: »Kennzeichnend für Tiere ist, daß sie es nicht mögen, wenn man über sie lacht... Ich bin jedoch geneigt, die Pinguine für die einzige Ausnahme von dieser Regel zu halten. Wenn man über sie lacht – und wer könnte schließlich umhin, über sie zu lachen? – so legen sie den Kopf auf die Seite und sehen einen an ... Nach einer Weile pflegen sie dann in ihrer jeweiligen Beschäftigung fortzufahren, ab und zu aber blicken sie immer wieder auf, wie um zu sehen, ob ihnen noch immer Huldigungen dargebracht werden.« Was dies betrifft, sind sie mit dem Verfasser bestimmt zufrieden gewesen.


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