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Hundert Jahre Schrifttum um Goethe

Die folgende Bibliographie einiger wichtiger oder kennzeichnender Schriften über Goethe macht wissenschaftliche Ansprüche ebensowenig, als sie solchen genügt. Vielmehr mußte die folgende Auswahl notwendig willkürlich ausfallen. Dies wäre vielleicht unverzeihlich, bestünde ihre Absicht darin, dem Leser, auf welchem Umweg immer, Goethe und sein Werk näherzubringen. Dies ist aber in keiner Weise der Fall, vielmehr obwaltete hier einzig das Bestreben, von der im einzelnen und dem einzelnen nicht mehr übersehbaren Fülle von literarischen Auswirkungen dieses dichterischen Lebens und Wirkens einen Begriff zu geben. Daher waren nicht nur Goethes Werke, Briefe, Gespräche beiseite zu lassen, sondern ebenso die der ihm Nächststehenden und der »Klassiker« überhaupt, dagegen neben gewissen Standardwerken, die die Vergegenwärtigung Goethes oder aber die wissenschaftliche Erforschung seines Werkes zum Ziel haben, vor allem die peripheren Werke mit zu berücksichtigen. Sollte der Laie bei manchen der folgenden Titel nicht auf seine Kosten kommen, so wird dafür hin und wieder der Goetheforscher oder der Kulturhistoriker Anlaß finden, von dem oder jenem Buche Notiz zu nehmen.

 

Denn die Tatsache läßt sich in Deutschland nicht wegleugnen: je mehr über einen Schriftsteller geschrieben wird, um so weniger dringt er in das Bewußtsein der Menge.
Ludwig Geiger: Der Goethekult. Deutsche Revue, September 1901.

 

Aus dem Apparat des Goetheforschers

Über Goethe. Literarische und artistische Nachrichten. Herausgegeben von A. Nicolovius. Leipzig, 1828.

Erster Versuch einer Goethe-Bibliographie mit einem Kompendium der wichtigsten Urteile über Goethe. In der letzteren Hinsicht gestützt auf Varnhagen v. Enses »Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden zum 28. August 1823«. Berlin, 1823.

 

Goethe im Urteile seiner Zeitgenossen.

Zeitungskritiken, Berichte, Notizen über Goethe und seine Werke. Gesammelt und herausgegeben von Julius W. Braun. Eine Ergänzung zu allen Ausgaben von Goethes Werken. Drei Bände. Berlin, 1883-5.

Grundlegendes Quellenwerk für das Studium von Goethes, in ihrer Tiefe gemeinhin überschätzten, Wirkung auf das Deutschland seiner Zeit.

 

Zur Kenntnis der Goethe-Handschriften von Dr. phil. Carl Burkhardt, Geh. Hofrat, Großherzogl. Sächs. Archivdirektor und Herzogl. Sächs. Gemeinschaftl. Archivar. Wien, 1899.

Enthält die Faksimiles von fünfzig Handschriften von Personen, die von Goethe als Schreiber beschäftigt wurden. Wichtiges Werk für die Chronologie der Handschriften.

 

Katalog der Sammlung Kippenberg.

Drei Bände. Leipzig, 1928.

Die Sammlung stellt den reichsten Fonds von Manuskripten Goethes und seines Kreises, Zeichnungen und Bildwerke aller Art dar, der außerhalb des Weimarer Archivs existiert. Der großartig ausgestattete Katalog ist eine Art Kulturgeschichte der oberen Zehntausend des Deutschland um die Wende des 18. Jahrhunderts.

 

Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek.

Ein Verzeichnis der von ihm entliehenen Werke. Bearbeitet von Elise von Keudell. Herausgegeben mit einem Vorwort von Professor Dr. Werner Deetjen. Weimar, 1931.

Kein Werk gibt so wie dieses Titelregister einen Begriff von dem hochqualifizierten Instrumentarium, das für Goethe je länger je mehr notwendige Bedingung seiner dichterischen Arbeiten geworden ist.

 

Chronik von Goethes Leben.

Zusammengestellt von Flodoard Freiherr v. Biedermann. Leipzig.

Versuche zu Zeittafeln des Goetheschen Lebens sind schon vor Biedermann, vor allem von Saupe, unternommen worden. Dem heutigen Leser wird dieses Inselbuch am nächsten liegen. Kein Werk über Goethe hat der Phantasie des Lesenden mehr zu sagen als diese schlichte Zusammenstellung von Namen und Daten.

 

Zur Physiognomie Goethes

Elegie, September 1823. Goethes Reinschrift mit Ulrike v. Levetzows Brief an Goethe und ihrem Jugendbildnis. Herausgegeben von Bernhard Suphan, Weimar. Verlag der Goethe-Gesellschaft, 1900. Schriften der Goethe-Gesellschaft 15. Band.

Die Handschriften, von denen u.a. die der Marienbader Elegie und die des Westöstlichen Divan in vollendeten Nachbildungen der Goethe-Gesellschaft vorliegen (Faksimile der Divan-Handschrift, herausgegeben von Burdach, Wien 1911, Schriften der Goethe-Gesellschaft 26. Band) sind die einzigen uns überkommenen Zeugen von Goethes Ausdrucksbewegung.

 

Goethes äußere Erscheinung.

Literarische und künstlerische Dokumente seiner Zeitgenossen. Herausgegeben von Emil Schäffer. Leipzig, 1914.

Der ikonographische Teil des Buches ist weniger reichhaltig als Schulte-Strathaus. Dennoch hat das Werk durch die reiche Auswahl literarischer Beschreibungen von Goethes Erscheinung seinen Wert behalten.

 

Goethes biographisches Schema in getreuer Nachbildung seiner Handschriften.

Herausgegeben von George Witkowski. Leipzig, 1922.

Faksimile-Reproduktion des Oktavheftes, in welchem Goethe am 11. Oktober 1809 auf einzelnen mit Jahreszahlen überschriebenen Blättern Stichworte zu Dichtung und Wahrheit zu notieren begann. Das Buch gibt einen Einblick in technische Kunstgriffe, wie sie auch sonst bei Goethe begegnen. Wie denn der Dichter, um sich zur Vollendung einer Faustlücke zu bewegen, ein dem Umfang des fehlenden Teils entsprechendes Bündel leeren Papiers seinem Faust-Manuskript einverleibte.

 

Die Bildnisse Goethes.

Herausgegeben von Ernst Schulte-Strathaus. München o. J. (Propyläen-Ausgabe von Goethes sämtlichen Werken. Erstes Supplement. Die Bildnisse Goethes.)

Komplette Ikonographie sämtlicher Bildnisse, zu denen Goethe gesessen hat, beruhend auf den Vorarbeiten von Rollet und Zarncke.

 

Früheste Betrachtungen über Goethe

Goethe aus näherem persönlichen Umgange dargestellt. Ein nachgelassenes Werk von Johannes Falk. Leipzig, 1832.

Enthält lockere Charakteristiken von Goethes Mutter, Goethes Humor etc., dazu Gespräche, besser Interviews mit dem Dichter.

 

Charakter und Privatleben Goethes.

Erste und zweite Mitteilung. In: Bibliothek der ersten Weltkunde. Herausgegeben von H. Malten. 3. Band. 7.-9. Teil. Aarau, 1833.

Übersetzung eines Aufsatzes aus der Edinburger Revue. Lebendige, unbefangene und detaillierte Darstellung mit vorzüglicher Kennzeichnung der imperialen Haltung von Goethes letzter Lebensperiode. Von seinem erhabenen Gipfel herab »hat er die Wogen tausend verschiedener Meinungen aufeinander folgen und zu seinen Füßen sich bekämpfen, hat er mehrere Dichterdynastien sich der Reihe nach entthronen, hat er zwanzig philosophische Systeme der öffentlichen Meinung sich bemächtigen und wieder ins Nichts zusammenstürzen sehen. Er hat ihre Unmacht, die ihn nicht zu erschüttern vermochte, verlacht, weil er, der Patriarch, durch keinen gewagten Schritt den Streichen sich ausgesetzt, unter denen die meisten Reputationen erliegen.«

 

Unterhaltungen zur Schilderung Goethescher Dicht- und Denkweise. Ein Denkmal von Carl Friedrich Göschel. 3 Bände. Schleusingen, 1834-1838.

Göschel war ein religiös gestimmter Hegelianer, und das Buch stellt eine mehr oder weniger lose Aneinanderreihung erbaulicher und ästhetischer Betrachtungen dar, denen gemeinsam ist die Tendenz, Goethe mit dem Glauben zu versöhnen.

 

Über den Goetheschen Briefwechsel. G. G. Gervinus. Leipzig, 1836.

In dieser Schrift macht der Verfasser zum ersten Male die Reserve kenntlich, mit der er als Vertreter des stämmigsten deutschen Liberalismus Goethe gegenübertritt und welche Grundlage seiner sehr kritischen Darstellung Goethes im 5. Bande der »Geschichte der deutschen Dichtung« wurde. Gerade aus seinen Vorbehalten gegen Goethes spätere Weimarer Periode wurde Gervinus der erste, dem das Phänomen von Goethes Altersdichtung in das Blickfeld trat.

 

Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte. Von Karl Gutzkow. Berlin, 1836.

Die Schrift wurde durch Wolfgang Menzels Ausfälle gegen Goethe hervorgerufen. Mit mancherlei politischen Vorbehalten bereitet sie jene Apologie des Dichters unter dem Gesichtspunkt des Genius vor, die später in die Plattitude ausmündete. »Wenn sich die junge Generation an seinem Werke bildete, so konnte sie kein Mittel finden, das so sonnig die Nebel des Augenblicks zerteilte, kein Fahrzeug, das sie über die wogenden Fluten widerspenstiger Angriffe so sicher hinüber führte. Die Zeit der Tendenz kann beginnen, wenn man über das Talent im reinen ist.«

 

Goethe, zu dessen näherem Verständnis. Von C. G. Carus.

Beigegeben ist eine Reihe bisher ungedruckter Briefe Goethes an den Herausgeber. Leipzig, 1843.

Findet den Zugang zu Goethe von der romantischen Naturphilosophie her und steht daher unter den älteren Schriften gewissen Goethe-Interpretationen der Gegenwart, insbesondere den jüngsten Resultaten der Faustforschung, am nächsten. Von Carus zieht sich über Bachofen eine unterirdische Tradition, die mit den unten genannten Versuchen von Klages auf bedeutende Art wiederum auf die Auslegung Goethes zurückführten.

 

Goethe vom menschlichen Standpunkt.

Carl Grün. Darmstadt, 1846.

Der erste Versuch kritischer Stellungnahme zum Goetheschen Humanismus. »Die Goethesche Praxis des Humanismus ... bleibt in der Theorie stecken. Die Praxis wird ästhetisch idealisiert, sie wird nicht praktisch ausgeübt, sie kann es nicht werden.«

 

 

Einige Einzeluntersuchungen

 

Göthes Wilhelm Meister in seinen sozialistischen Elementen entwickelt von Ferdinand Gregorovius. Königsberg, 1849.

Lebendige und selbständige Studie, die unter dem Einfluß der Bewegung von 1848 Goethes politische Haltung kritisch erörtert. »Göthes politische Indifferenz verleitet ihn ... zu der wunderlichsten Illusion und dem abenteuerlichsten Unterfangen, seine sociale Demokratie unter beliebigen staatlichen Formen, mögen sie auch absolutistisch sein, realisieren zu wollen ... Der Dichter vergaß hier, daß aus den sittlichen wie den ideellen Elementen der Gesellschaft erst der Staatsorganismus sich gestaltet und daß der Staat nimmer auf einem entgegengesetzten Principe ruhen kann als das der Gesellschaft, welche er als die oberste Einheit zusammenschließt.«

 

Goethe als Staatsmann.

In: Preußische Jahrbücher 10. Band. Berlin, 1862.

Ausführliche, noch heute grundlegende Studien, deren Verfasser, Adolf Scholl, der Herausgeber von Goethes Briefwechsel mit Frau von Stein ist.

 

Goethes Theaterleitung in Weimar in Episoden und Urkunden dargestellt von Ernst Pasqué. 2 Bände. Leipzig, 1863.

Sehr materialreiche Darstellung der Beziehungen, in denen die wichtigsten weimarischen Schauspieler oder Schauspielgäste zur Hofbühne und zu Goethe gestanden haben.

 

Goethe als Kriegsminister von Adolf Stern.

In: Die Grenzboten, 57. Jahrgang. 1898.

Vorzügliche Monographie, die Goethes zähe diplomatische und schließlich von Erfolg gekrönte Bemühungen darstellen, den weimarischen Heeresetat zu vermindern.

 

Fernand Baldensperger. Goethe en France.

Paris, 1904.

Eines der grundlegenden Werke für die von Baldensperger begründete Richtung der vergleichenden Literaturwissenschaft. Die Auswirkung der Goetheschen Dichtungen wird, mit besonderer Beziehung auf den Werther und auf den Faust, in den verschiedenen Dichterkreisen der Romantiker, Naturalisten und Parnassiens durch das 19. Jahrhundert verfolgt.

 

Goethe als Seelenforscher von Ludwig Klages.

In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1928. Im Auftrag der Verwaltung herausgegeben von Ernst Beutler. Frankfurt a. M.

Versuch, die Lehre des Verfassers vom Unterschiede der Erscheinungswelt von der Welt der Tatsachen für die Deutung der Goetheschen Denkweise, zumal in seinen naturwissenschaftlichen Forschungen, fruchtbar zu machen. Goethe stellt sich als erster »Erscheinungsforscher« dar. In einer Anmerkung gibt dieser Essay eine hochbedeutsame Perspektive auf die Farbenlehre.

 

Zu Goethes Sprache

Goethes Sprache und ihr Geist. Von Dr. E. Joh. Aug. O. L. Lehmann. Berlin, 1852.

Stilistische Analyse der Goetheschen Sprache auf Grund eines genauen Inventars ihrer grammatikalischen Besonderheiten.

 

Zur Sprache des alten Goethe.

Ein Versuch über die Sprache des Einzelnen von Ernst Lewy. Berlin, 1913.

Wie der Verfasser im Vorwort mitteilt, eine abgelehnte Habilitationsschrift. In jedem Falle ein bedeutendes Werk der vergleichenden Schriftwissenschaft, deren Prinzipien auf die Sprache des alten Goethe hier in der Weise angewandt werden, daß deren Verwandtschaft mit den verschiedenen fremden Sprachtypen ans Licht tritt. Nicht selten kann der Autor sich auf die wichtige Studie »Wort und Bedeutung in Goethes Sprache von Ewald A. Boucke«, Berlin 1901, stützen.

 

Goethes Wortschatz.

Ein sprachgeschichtliches Wörterbuch zu Goethes sämtlichen Werken von Prof. Paul Fischer, Geh. Studienrat. Leipzig, 1929.

Standardwerk in zwei Abteilungen. Teil 1) Deutsches Wörterbuch, Teil 2) Fremdwörterbuch. Gibt genauen Einblick in Goethes überwältigend großen Wortschatz.

 

Goethekult

Gedanken über Goethe von Viktor Hehn. Berlin, 1887.

Die Goethehuldigung des römisch gestimmten Kreises um Gregorovius. Der hervorragende Ruf dieses Buches hält einer kritischen Nachprüfung nur in wenigen Kapiteln stand, am wenigsten in dem umfangreichen »Goethe und das Publikum. Eine Literaturgeschichte im Kleinen«. Dieser erste Versuch einer Geschichte der Goethe-Literatur, die wohl das ernsthafteste Desiderat dieses Goethejahres gewesen wäre, wird durch das Ressentiment entstellt, das zumal in der Behandlung Börnes zum Durchbruch kommt.

 

Rudolph Huch: Mehr Goethe.

Leipzig und Berlin, 1899.

Journalistische Variante des Goethekultes, zugleich ein Dokument des Jugendstils in der Literatur. Die Zukunftsperspektive der »einzig noch vorhandenen Kaufmanns- und Soldatenschule« vor Augen, glaubt der Verfasser, das deutsche Volk zu Goethe zurückführen zu können.

 

Goethe-Kalender auf das Jahr 1906.

Zu Weihnachten 1905 herausgegeben von Otto Julius Bierbaum. Leipzig, 1905.

Mit diesem Kalender beginnt die Folge der Goethes Werk und Lebenskreis mehr oder weniger geschmackvoll verzettelnden Publikationen, aus denen der eilige Schöngeist seinen Bedarf an Zitaten und Erbauungssprüchen decken konnte. Es ist der Geist dieser Kalender, zu welchem die bekannten Goethe-Porträts von Carl Bauer das Gegenstück im Monumentalstil darstellen.

 

Dante und Goethe. Dialoge von Daniel Stern (Marie Gräfin d'Agoult).

Übersetzt von ihrer Enkelin Daniela Thode. Heidelberg, 1911.

Führt, wie aus dem Titel ersichtlich, in den mannigfach verzweigten Kreis deutscher Italien- und Goetheschwärmer um Liszt und Wagner. Die Dialoge, die hier zwischen idealen Partnern in blasser, feierlicher Sprache geführt werden, lehnen sich an die Bilderwelt eines Feuerbach an. In diesem Kontext überraschen um so mehr die scharf formulierten Reflexionen, in denen das bittere Lebensschicksal der Verfasserin nachklingt.

 

Das Buch von der Nachfolge Goethes.

Berlin, 1911.

Verfasser ist Eugen Guglia. – Das Werk ist ein Nachzügler der »Lichtstrahlen« oder »Harmonien«, wie sie im Biedermeier aus den Klassikern kompiliert wurden.

 

Goethegegnerschaft

 

Goethe als Mensch und Schriftsteller. Aus dem Englischen bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Friedrich Glover. Braunschweig, 1823.

Das Buch erschien pseudonym. Die Angabe »Aus dem Englischen« ist fingiert. Verfasser ist C. H. G. Köchy. Das Werk enthält im ersten Teil u. a. die apokryphe Dissertation über die Flöhe. Der zweite Teil enthält in 38 Paragraphen Anekdoten aus Goethes Leben, durchsetzt mit höhnischen und obszönen Anspielungen. Bezeichnend das Motto: »Garstiger Mensch, wie erschrecken Sie mich.«

 

Faust. Der Tragödie dritter Theil in drei Akten. Treu im Geiste des zweiten Theiles des Götheschen Faust gedichtet von Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky. Tübingen, 1862.

Der Verfasser Friedrich Theodor Vischer vollstreckt hier in Form der Parodie das Verdikt, das er in theoretischer Form gegen den Faust in seiner »Kritischen Bemerkung über den ersten Teil von Goethes Faust, namentlich den Prolog im Himmel. Von Fr. Vischer. Zürich 1857« ausgesprochen hat. Er schließt mit dem Chorus mysticus:

»Das Abgeschmackteste / Hier wird es geschmeckt / Das Allervertrackteste / Hier ward es bezweckt / Das Unverzeihliche / Hier sei es verzieh'n / Das ewig Langweilige / Zieht uns dahin.«

 

Goethe und kein Ende. Rede bei Antritt des Rectorates der Königl. Friedrich Wilhelms-Universität am 15.10.1892 gehalten von Emil Du Bois-Reymond, Berlin.

Reaktion der mechanistisch-materialistischen Schule gegen den von Helmholtz in der Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft in Weimar 1892 unternommenen Versuch, Goethes naturwissenschaftliche Betrachtungsweise zur Geltung zu bringen. »Vom Darwinismus ... von der Entstehung des Menschen aus dem Chaos, aus dem von Ewigkeit zu Ewigkeit mathematisch bestimmten Spiel der Atome, von dem eisigen Weltende von diesen Bildern, welche unser Geschlecht so unfühlend ins Auge faßt, wie es sich an die Schrecknisse des Eisenbahnfahrens gewöhnte – hätte Goethe sich schaudernd abgewandt.«

 

Goethe. Von P. J. Möbius.

2 Bände. Leipzig, 1903.

Legt die Schablone »Genie und Wahnsinn« an Goethe an, wobei der Verfasser in der Wahl der Belege nicht wählerisch ist. Seinen besonderen Akzent erhält das Buch durch Möbius' Bekenntnis zu den Galischen Methoden.

 

Aus dem Lager der Goethe-Gegner.

Mit einem Anhang. Ungedruckte Briefe an Börne. Von Dr. Michael Holzmann. Berlin, 1904.

Wichtigstes Quellenwerk für die Kenntnis der gegen Goethe gerichteten Angriffe. Enthält Notizen über und Auszüge aus Spaun, Spann, Pustkuchen, Grabbe, Müllner, Glover, Schütz, Menzel, Hengstenberg, Knapp, Görres, Börne. Zu vergleichen Julian Hirsch: Die Genesis des Ruhms, und das inhaltreiche, wenn auch unseriöse Buch: Der unbegabte Goethe. Die Anti-Goethe-Kritik aus der Goethe-Zeit. Wien o. J.

 

 

Okkultisches

 

Fausts Vermächtnis. Geister-, Seelen- und Körperwelt.

Volkstümlich, zur Förderung allgemeiner Bildung, Menschenliebe und Duldsamkeit. Karlsruhe, 1892.

Mystisch-theurgisches Kompendium im Stile der Blavatsky. Verfasser Friedrich Behrends, dessen Bild ein würdiger Herr mit Vollbart, im Sammetjäckchen, Melone auf dem Kopfe, auf einem Plüschsessel vor südlicher Landschaft sich dem Titel gegenüber befindet.

 

Goethes Vermächtnis. Else Frucht.

Zwei Bände. München und Leipzig.

Im Anschluß an die kabbalistische Faustdeutung von Ferdinand August Louvier sucht die Verfasserin nachzuweisen, daß der Schlüssel zu diesem Werke von Goethe in seinem Garten an der Ilm vergraben wurde, wobei das Gartenhaus den Tempel darstellt, unter dem sich der Schlüssel befinde. An zahllosen Stellen des zweiten Bandes entdeckt die Verfasserin Anspielungen auf diesen Tatbestand.

 

Theodor Hammacher: Von den Mysterien.

Phantasien, Lieder und Sprüche mit Weissagungen des Bakis, Hexeneinmaleins und Oberons Goldener Hochzeit.

Die beliebte Geheimniskrämerei hat hier Goethesche Zeilen in Verschen eigener Provenienz verflochten. Spielerei eines Dilettanten, der, wie er sagt, »in Gegenwart und im Umgange mit den Göttern sich anmaßte, von dem Nektar ihrer Tafel zu kosten«.

 

 

Curiosa

 

Der Roman eines Dichterlebens. 1. bis 3. Abteilung. Goethes Jugendjahre. Goethes Männerjahre. Goethes Greisenalter.

Von K. Th. Zianitzka. Drei Bände. Leipzig, i863.

Der erste der Goetheromane, dem später andere gefolgt sind, wie Klara Hofer »Frühling eines deutschen Menschen, die Geschichte des jungen Goethe«, Leipzig, oder Albert Trentini »Goethe, der Roman von seiner Erweckung«, München 1926.

 

Goethe als Feuerwehrmann.

In: Für Feuerwehren von Ludwig Jung, Vorsitzender des Bayerischen Landes-Feuerwehr-Ausschusses. Heft VI. München und Leipzig, 1886.

Goethes Beteiligung an den Löscharbeiten bei einem Weimarer Brandunglück, nach Urkunden.

 

Goethe-Gedenkbuch. Blütenlese aus den Werken des Dichters von Arthur v. Wyl nebst reinen Blättern zum Eintragen selbstgewählter Lieblingsstellen oder solcher von Freundeshand. Nürnberg o. J.

Um 1900. Entfesselt alle Schrecken des Poesiealbums und steigert sie mit Hilfe von Illustrationen Goethescher Dichtung sowie von Ansichtskarten in Buntdruck. Unter den Illustratoren Wold, Friedrich, W.v. Kaulbach u. a.

 

Quid boni periculosive habeat Goethianus über qui affinizitates electivae inscribitur scripsit Henricus Schoen. Lutetiae Parisiorum MDCCCII.

Moralphilosophische Abhandlung, im wesentlichen Kompilation der verschiedenen in der Literatur vorfindlichen Urteile über die »Wahlverwandtschaften«. Mit einem Kapitel über die französische Übersetzung des Werkes: »Goethiis et Interpretum decend genus«.

 

Goethe-Predigten. Von Julius Burggraf weil. Pastor prim. an St. Ansgari in Bremen.

Bearbeitet und herausgegeben von Carl Rösener, Pastor zu St. Andreas in Erfurt. Gießen 1913.

Hier vermählt sich das gestaltlose Goetheideal des Bildungsphilisters mit der auf ihren tiefsten Stand gesunkenen Kanzelberedsamkeit. »So kommt denn herbei, ihr beiden gewaltigsten Gestalten Goethes, Faust und Mephistopheles, gefolgt hernach von Iphigenia und Orestes! Der Geist eures Dichters hat ein Recht auf unsere Kanzel!«

 

Biogenetische Analyse des Faust. In: Adrien Turel: Wiedergeburt der Macht aus dem Können. München, 1921.

Aus einer »Arbeitsgemeinschaft für biogenetische Psychologie« entstandene Faustdeutungen auf freudianischer Grundlage und in feuilletonistischer Form.

 

Intermezzi Scandalosi aus Goethes Leben. Berlin, 1925.

(Privatdruck.)

Enthält Eingaben Goethes an Kreis- und Polizeibehörden in Sachen seiner Dienstboten. Licht auf die hier berührten problematischen Verhältnisse wirft ferner Anton Kippenbergs »Stadelmanns Glück und Ende«, Privatdruck der »Stadelmann-Gesellschaft«. Stadelmann war Diener bei Goethe.

 

 

Das populäre Goethebild

 

Goethes Leben und Schriften.

Von G. H. Lewes. Übersetzt von Dr. Julius Frese. Zwei Bände. Berlin, 1857.

Die erste breite Goethe-Biographie, seinerzeit wirklich einem Bedürfnis entsprechend, da der Verfasser mit Recht sagen konnte: »Die Bücher über Goethe sind zahllos; aber es ist kein einziges darunter, das über die äußeren Verhältnisse, in denen er sich bewegte, den gewünschten Aufschluß gäbe.« Hausbacken, ohne jedes Verständnis für Goethes Altersdichtung.

 

Lessing, Schiller, Goethe, Jean Paul. Vier Denkreden auf deutsche Dichter von Moritz Carrière. Gießen, 1862.

Legt die Schablone fest, nach welcher Goethes Leben zu einem Bestandstück der allgemeinen Bildung wurde, wie die »Sämtlichen Werke« zu dem des Bücherschranks und das Stielersche Bildnis zu dem der guten Stube.

 

Goethe, sein Leben und seine Werke. Von Alexander Baumgartner S. J.

Drei Bände. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Freiburg im Breisgau, 1885–6.

In derber, durch keinerlei Euphemismen beschwerter Sprache setzt sich der Verfasser mit dem auseinander, was ihm vom Standpunkt seiner Konfession und seines Ordens als Goethes sinnliches Heidentum erscheint. Daneben ein Kompendium Weimarer Klatschgeschichten aus der Goethezeit.

 

Goethe. Sein Leben und seine Werke. Von Dr. Albert Bielschowski.

Zwei Bände. München, 1896.

»Es ist ... der milde, geschmackvoll sublimierte Psychologismus dieser Betrachtungsweise, der dem Zeitgeist von 1895 und noch von 1910 sympathisch entgegenkam und diesem Buche seinen starken Erfolg verschaffte«, schreibt Rudolf Unger in seinen »Wandlungen des literarischen Goethebildes seit hundert Jahren«.

 

Goethe, der Mann und das Werk. Von Eduard Engel.

Mit 32 Bildnissen, 8 Abbildungen und 12 Handschriften. 2. Auflage. Berlin, 1912.

Bezeichnet den Tiefstand der populären Goethe-Literatur. Von jener »Selbständigkeit« des Urteils, die das beste Kennzeichen des Banausen ist.

 

Goethe, Geschichte eines Menschen. Von Emil Ludwig.

Volksausgabe in einem Band. Stuttgart und Berlin, 1924.

Das Werk befriedigte bekanntlich die Bedürfnisse des breitesten Publikums. Es ermöglichte dem Leser, wenn nicht sich in Goethe zurecht, so gewiß einen kleinen Goethe in sich selbst vorzufinden.

 

 

Das philosophische Goethebild

 

Goethe und seine Werke. Von Carl Rosenkranz.

Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Königsberg, 1856.

Als erster hat Rosenkranz sich die Aufgabe gesetzt, ein geistiges Gesamtbild Goethes aufzustellen. Sein Buch besteht aus nachträglichen Niederschriften ohne Konzept gehaltener Vorlesungen und ist, wiewohl auf den Grundlinien Hegelscher Philosophie beruhend, lebendig und impulsiv. Der Menge der Nachfolger überlegen schon durch den Grundsatz, »die Beurteilung der Form nie von der Entwicklung des Inhaltes zu trennen«. Und so fließen denn auch die Inhalte nicht nur der Goetheschen Dichtung, sondern der gleichzeitigen Geschichtsschreibung (Niebuhrs), der Religionsphilosophie (Strauß'), des Journalismus (Gutzkows) in sein Werk ein.

 

Herman Grimm: Goethe-Vorlesungen an der Königl. Universität.

Zwei Bände. Berlin, 1877.

Nach Rosenkranz die erste bedeutende Gesamtdarstellung, im wesentlichen bei den Höhepunkten des Goetheschen Schaffens verweilend. Grimm führt eine bilderreiche, dabei aber präzise und originale Sprache. Als letztes der Goethewerke hat es noch Anteil an einer lebendigen Tradition. Grimm war es, dem Marianne von Willemer im hohen Alter als erstem das Geheimnis ihrer Mitverfasserschaft am Divan anvertraute.

 

Houston Stewart Chamberlain: Goethe.

München, 1912.

Unter den Darstellungen, die es mit Goethe als Vorbild zu tun haben, die bemerkenswerteste. In Goethe »erklimmt die uns allen gemeinsame Natur vollbedächtig eine höhere Stufe und legt dort dauernde Grundlagen; hier können und sollen wir alle bauen, auf daß wir höher zu stehen kommen«.

 

Goethe. Von Georg Simmel.

Leipzig, 1913.

Die spannungsreichste und für den Denker spannendste Darstellung, die Goethe gefunden hat. Wenn Franz Mehring als erster das soziologische Material für eine zukünftige Goethe-Darstellung zusammengetragen hat, so finden sich bei Simmel die wertvollsten Hinweise auf deren dialektische Struktur.

 

Max Kommerell: Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik.

Berlin, 1928.

Eine der originalsten und kühnsten Darstellungen von Goethes Person mit besonderer Berücksichtigung seiner freundschaftlichen und gegnerischen Beziehungen zu den Zeitgenossen. Entwirft im Sinne Stefan Georges ein Bild des weimarischen Musenhofes ohne Frauen.

 

Franz Mehring: Zur Literaturgeschichte von Calderon bis Heine.

Herausgegeben von Eduard Fuchs. Mit einer Einleitung von August Thalheimer. Berlin, 1929.

Enthält die ersten Versuche einer Darstellung Goethes vom Standpunkt des historischen Materialismus mit einer Fülle von wertvollen Betrachtungen über die gesellschaftliche Struktur des damaligen deutschen Bürgertumes. In anderer Weise hat Mehrings Versuche fortgesetzt Walter Benjamin in seinem Beitrag »Goethe« in der großen Enzyklopädie des Sowjets.

 

 

Faust im Musterkoffer

Es existiert eine Art Muckertum im Goethekultus, das nicht von Produzierenden, sondern von wirklichen Philistern, vulgo Laien, betrieben wird. Jedes Gespräch wird durch den geweihten Namen beherrscht, jede neue Publikation über Goethe beklatscht – er selbst aber nicht mehr gelesen, weshalb man auch die Werke nicht mehr kennt, die Kenntnis nicht mehr fortbildet. Dies Wesen zerfließt eines Teils in blöde Dummheit, andern Teils wird es wie die religiöse Muckerei als Deckmantel zur Verhüllung von allerlei Menschlichem benutzt, das man nicht merken soll. Zu alledem dient eben die große Universalität des Namens.

Gottfried Keller im Jahre 1884

 

Nichts kann so abgeschmackt und unverfroren sein, daß der historisch Unterrichtete es nicht an eine Erscheinung knüpfen könnte, die zu ihrer Zeit etwas Rechtschaffenes darstellte. In Goethes Jugend beherrschten die »schönen Wissenschaften« die Katheder. Was uns als deutlich unterschieden vor Augen steht, Moralphilosophie, Ästhetik, Soziologie, Geschichte der Literatur, konnte damals gut und gern in einem Kolleg behandelt werden. Wenn uns das rückständig und oberflächlich erscheint, so ist es damals wahrscheinlich Vorbedingung der unbefangenen Auseinandersetzung mit den Gedanken gewesen, die von England und Holland aus durch Shaftesbury und Hemsterhuys herrschend wurden. Mag man im Werther den Nachklang dieser Geistesbewegung finden, so war sie jedenfalls für Goethe mit diesem Werk abgeschlossen. Und je älter er wurde, desto deutlicher tritt bei ihm nicht allein die entschiedenste Abneigung gegen die Schöngeisterei, sondern eine Produktionsweise an den Tag, welche seine Werke ein für allemal jeder empfindsamen, nun gar rhetorischen Betrachtungsweise entrückt. Diese späteren Dichtungen, in denen Goethe dem Lauf seiner Phantasie willentlich Dämme und Stauwerke härtester Realien in den Weg setzte, der westöstliche Diwan, die Wanderjahre, der zweite Teil des Faust, boten denn auch der gewohnten, auf Genuß statt auf produktive Aneignung gerichteten eklektischen Betrachtungsweise so große Schwierigkeiten, daß die Goethe-Literatur der ersten 25 Jahre sie aus dem Spiele ließ. Und das ist nicht der einzige lehrreiche Sachverhalt, der bei einer Betrachtung der bisherigen Goethe-Literatur, ganz besonders aber der Faustliteratur, zu gewinnen gewesen wäre. Damit steht der Leser des neuen Faustkommentars von Eugen Kühnemann Eugen Kühnemann, Goethe. 2 Bde. Leipzig: Insel-Verlag 1930. 524 S., 595 S. vor der ersten Merkwürdigkeit des in jedem Sinne und nicht zum wenigsten seinem Umfange nach monströsen Buches: auf seinen mehr als tausend Seiten keine einzige Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Faustforschung, in seinem Register keinerlei Verweis auf Fischer, auf Witkowski oder Burdach. In der Tat, so vereinfachen sich die Dinge. Dementsprechend heißt es dann wirklich: »Der zweite Teil, der sich auf das klarste in fünf Akte gliedert und damit dem regelrechten Theaterstück näher steht als der erste, bietet sich von vornherein weit mehr als sein Vorgänger dar als das Werk eines durchgehenden und in klarster Bewußtheit durchgeführten Gedankens und Plans. Jeder der fünf Akte ist eine kleine Welt für sich, aber alle gehören sie doch als ein richtiges Planetensystem zu derselben Welt Einer Sonne. Die Sonne ist der dichterische Faustgedanke.«

Da ist im Jahre 1919 ein schmächtiges Bändchen erschienen. Leicht hätte Kühnemann es einsehen können, denn es ist von einem seiner engeren Kollegen, dem Professor für klassische Philologie an der Universität Breslau, Konrat Ziegler verfaßt. Das heißt »Gedanken über Faust II«, Konrat Ziegler, Gedanken über Faust II. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1919. 75 S. und darin entwickelt der Autor, wie brüchig und willkürlich die Komposition dieses Dramas sei, wie Goethe immer wieder unter dem Einfluß heterogener Stimmungen und Geschäfte vom Grundplan abgewichen sei, wie wenig daher die überkommene Schätzung dieses Buches sich halten lasse. Der Verfasser ist, wie gesagt, Philologe, und »wer in philologischer Methode denkt«, sagt Kühnemann so von oben herab, »bleibt Philologe, auch wenn er Gegenstände behandelt, die herkömmlich zur Philosophie gerechnet werden«. Es ist daher zweifelhaft, ob er seinen Kollegen, den Verfasser dieses querköpfigen, skeptischen Werkes, der für sich selbst nichts geltend machen kann, als daß er Faust II sehr aufmerksam und nachdenklich durchlas, jener »Lehrstühle des deutschen Geistes« wert erklären würde, die »bekleidet werden von Männern, die vollwertige Philosophen und zugleich Männer des sicheren künstlerischen Verstandes und selber künstlerische Gestalter sind«. Wie dem nun sei, dieser Ziegler hat jedenfalls den Blick auf einige Dinge gelenkt, die die Einsicht in die Größe der Dichtung nur fördern. Wir folgen ihm um so lieber, als er uns den Weg weisen wird, die Übermacht der Kühnemannschen Redebataillone mit ihren Schwatzregimentern und Faselkolonnen, den flatternden Phrasen zu ihren Häupten und den Blechkapellen an ihrer Spitze im Rücken zu fassen.

Ein Hauptbedenken Zieglers betrifft die Vorbereitung des Helena-Akts. Aus den Entwürfen weist er nach, wie lange Goethe mit dem Gedanken sich getragen hat, den Faust »in des Olympus hohlem Fuß« bei der Persephone die Helena von den Toten sich losbitten zu lassen, und wie er dann am Ende resignierend auf die Gestaltung dieses Vorwurfs verzichtet habe, dergestalt sein Werk der größten dramaturgischen Unstimmigkeit preisgebend. Dieses Zieglersche Problem ist der Angelpunkt der neuesten Faustforschung. Wenn das höchst bedeutsame Werk, Gottfried Wilhelm Hertz, Natur und Geist in Goethes Faust. Frankfurt a. M.: Verlag Moritz Diesterweg 1931. VIII, 234 S. (Deutsche Forschungen. 25.) von dem nunmehr die Rede sein soll, später als Kühnemanns Machwerk erschienen ist, so hat das wenig zu besagen, denn Gottfried Wilhelm Hertz, sein Verfasser, hat den Faden nur, freilich mit seltenem Glück, da aufgenommen, wo andere ihn fallen ließen. Kurz und gut, ein ungeheures Ringen des greisen Goethe steht da, wo Kühnemann »das Werk eines durchgehenden und in klarster Bewußtheit durchgeführten Gedankens und Plans« sieht. Und wie das nun einmal die Art des echten Philologen ist (auch wenn er, wie G. W. Hertz, am Reichsfinanzhof amtiert), entwickelt er das atemraubendste Geschehen aus zwei Versen:

In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig! Euer Haupt umschweben
Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig sein.
Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb' der Nächte.
Die Einen faßt des Lebens holder Lauf,
Die Andern sucht der kühne Magier auf.

Die beiden Zeilen, die hier entscheiden, haben eine Variante gehabt, in der sie lauten:

Die einen faßt des Lebens holder Lauf,
Die andern sucht getrost der Dichter auf.

Was zwischen diesen beiden Fassungen liegt, ist nicht nur ein Teil vom Schicksal der Faustdichtung, sondern ein Stück Geschichte der Faustforschung selbst. Die spiritualistische Interpretation der Dichtung, wie Kuno Fischer, wie auch noch Witkowski sie vertritt, war nicht imstande, das hier bestehende Spannungsverhältnis zu ermessen. Es bedurfte dazu der engsten Beziehung des Faust auf Goethes naturwissenschaftliche Studien. Goethe gehörte zur Familie jener großen Geister, für welche es im Grunde eine Kunst im abgezogenen Sinne nicht gibt, ihm war die Lehre von den Urphänomenen der Natur zugleich die wahre Kunstlehre, wie es für Dante die Philosophie der Scholastik und für Dürer die Theorie der Perspektive war. Was bei Goethe mit diesen Versen im Streit lag, das ist das ästhetisch-spiritualische Scheinwesen der Helena. Auf der einen Seite ihr Wirklichsein, auf der anderen Seite ihre Erscheinung – so stand sie im Geiste Goethes lange mit sich selbst im Zwiespalt. Gesiegt hat ihr wirkliches Sein. Während sie ursprünglich »als lebendig im Hause des Menelaus empfangen werden« sollte, tritt sie nunmehr, wie wiederum Goethe selbst schreibt, »wahrhaft lebendig« oder als die »wahre« auf. Solches Leben ihr zu verschaffen, war nun allerdings die Losbittung aus der Unterwelt nicht imstande. Was an ihre Stelle trat, wie die Einverleibung des Homunkulus in den lebendigen Ozean und damit in den Ozean des Lebendigen »den natürlichen Vorgang, wodurch ein Geist sich den menschlichen Körper erwirbt«, vorbildete, so daß der Zuschauer sich jetzt sagen mußte, »daß er nicht mehr – wie einst am Kaiserhofe – das unwirkliche Gespenst der Griechenkönigin, sondern diese selbst in ihrer vollen antiken Realität vor Augen habe«, mag man bei Hertz nachlesen. Und unbedingt wird man ihm zustimmen, wenn er darlegt, warum denn Goethe das Leben der Helena für seinen dritten Akt weder dem Magier noch dem Dichter verdanken wollte. »In der Zwischenzeit von der Urkonzeption des Motivs im Winter 1827/28 bis zum Neubeginn der Arbeit im Spätsommer 1829 hatte den Faustdichter ... sein alter Hang zur Naturphilosophie von neuem gepackt, und so konnte er sich mit dem ästhetischen Bilde nicht mehr begnügen;« gerade damals hielt er sich »mit Bewußtsein in der Region, wo Metaphysik und Naturgeschichte übereinandergreifen, also da, wo der ernste treue Forscher am liebsten verweilt«. Nicht minder aber ist das Verweilen die Haltung des wirklichen Philologen, der auch seinerseits, wie Goethe, wiederum vom Naturforscher, es gesagt hat, den Phänomenen »sich innigst identisch macht«. Und welch erstaunliche Funde dergestalt sich ihm in die Hand schmiegen, dafür als letztes Beispiel die Interpretation, die Hertz für die berühmten Verse von den Müttern findet und in der er sie als die Urphänomene anspricht:

Die einen sitzen, andre stehn und gehn,
Wie's eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung.

»Der Sitz des Gesteins, die Beweglichkeit des Tierreichs, das Aufwärtsstreben der an die Scholle gefesselten Pflanzenwelt« so werden »die Bewohner der Mütterwelt hier eingeteilt ... in drei große Gruppen – in augenfälliger Übereinstimmung mit den Gegenständen der drei Naturreiche: dem beweglichen, zur Ortsveränderung befähigten Tiere; der zwar an ihrem Platze haftenden, doch aufrecht auf der Bodenfläche stehenden Pflanze; dem Gestein, dessen Vorkommen oder Ort die Sprache mit Vorliebe bezeichnet als seinen Sitz.«

Um nun aber, wie angesagt, unseren bramarbasierenden Radoteur im Rücken zu fassen, bedarf es nur noch des Entschlusses, ihn zu Worte kommen zu lassen. Was weiß er von den Müttern? »Im gestaltenden, sich umgestaltenden Wandel der Gebilde erfüllt sich der ewige Sinn der Wahrheit als immer derselbe ... Zu den Müttern«, heißt es von Faust, »muß er vordringen, – den wesenhaften Wurzeln des Seins, den ewigen sinngebenden Gewalten und Gestalten letzter Wahrheit, deren Erscheinungen die Gegenstände der Wirklichkeit sind. Wer das Tiefste begreift, mag als höchste Gestalt dieser Wesenheiten die Schönheit in ihrer reinsten Erscheinung, die griechische Schönheit in ihrem höchsten Bild neu hervorzaubern.« Anstatt die Konfusion dieser letzten Sätze in ihrer reinsten Erscheinung rückblickend aufzudecken, wenden wir uns vorwärts, der Deutung der Helena zu, um zu hören, »was Goethe mit seiner Helenatragödie getan hat«: »Er erfaßt die Antike in germanischer Seele, und zwar in der Gestalt der germanischen Seele, die nur durch die Bildung des Christentums möglich wurde und überall das Seelisch-Tiefste und Letzte sucht... Natur und Geist des Menschenlebens sind zur Einheit gekommen und dadurch vollkommene Schönheit geworden. Die Aufgabe der Form erhebt sich hier für den Künstler in ihrem höchsten Sinn...: der geistige Sinn des Menschenlebens tritt in seiner letzten Tiefe hervor. Der Geist der Helenadichtung ist damit auf das genaueste bezeichnet.«

Das zu lesen macht Mut und man wagt danach, auf das Genaueste auch den Geist dieser Interpretation zu bezeichnen: er besteht in der innersten Überzeugung, daß die Unterschiede zwischen Goethe und Kühnemann nicht ins Gewicht fallen. So breit ist nämlich die Unterlage für die Geisteswissenschaft, die der Verfasser gestiftet zu haben erklärt: »Das Höchste wäre erreicht, wenn ein solches Buch als tüchtiges Stück Leben in sich selbst bestünde, auch wenn man im übrigen nicht davon wüßte, wer Herder, Kant, Schiller, Goethe gewesen sind.« Von diesem Leben aber wissen wir etwas. Wir wollen es auch verraten. Jahrelang hat Kühnemann als Austauschprofessor die Universitäten der Erde bereist. Dem Schluß seines Vorwortes entnimmt man einige Namen: New York, Los Angeles, St. Louis, Riga. Nun ist er zurück von der großen Tour und wir lernen (durch die Vermittlung des Verlages, der in Deutschland die besten Editionen Goethes herausgebracht hat) den Koffer kennen, aus dem der Verfasser im Auslande Herder, Kant, Schiller, Goethe bemustert vorlegte. Jeder Kaufmann erträumt sich ein Monopol. Sehr verständlich, daß Kühnemann mit aller Ruhe eine Ordnung der Dinge ins Auge faßt, da seine Bücher das Wissen darum entbehrlich machen, »wer Herder, Kant, Schiller, Goethe gewesen sind«. Der deutsche Soldat, so erzählte man, trug seinen Faust im Tornister. Nun hat ihn der Reisende abgelöst. Kühnemann kennt den internationalen Markt. Hoffen wir, daß die unschätzbaren Realien, die die Goethesammlung des Verlegers bilden, nicht da enden, wo der Autor den deutschen Idealismus ausbot.


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