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Selbst in Tagen, als die Klage: Catholica non leguntur, noch mehr berechtigt war als heute, gegründet mindestens in der offenbaren Ungerechtigkeit, daß sich der gebildete Leser einbildete – was er heute nicht mehr ohne weiteres tut – die non catholica beschäftigten sich mehr mit der »Wirklichkeit« als jene, mag sie in einem größeren, unersättlicheren, sehnsüchtigeren Herzen verdrängt und verschlungen worden sein von einer ungleich großartigeren und großherzigeren Klage, deren Erde und Himmel füllender Klang jene kleine verstummen machte wie das Brausen einer Orgel einer kleinen, allzu monotonen Leier Ton – die Klage: catholica non scribuntur. In jenem großen Sinne der Selbstverständlichkeit und freien Auswirkung, die der Besitz des Glaubens, der Wahrheit und der Verheißung, wenn auch ihre Träger in äußerer Bedrängnis leben, ergeben sollte. Große Theologen haben auch noch in der armseligsten Zeit mit solchem in übernatürlicher Demut, nicht in weltlichem Stolze gründenden »Imperialismus« gesprochen und geschrieben, im Grunde haben mehr die Völker und die Laien versagt, bei ihnen noch mehr war Kleinmütigkeit, Mangel an Größe und vor allem Mangel an Liebe. In dem Großen Kriege haben in allen Ländern auch sonst große katholische Schriftsteller nichts geschrieben, was über die Liebe zur eigenen Nation hinausging – etwas, das bekanntlich Heiden auch können –, sehr oft sogar, was tief darunter war, nämlich Hetzerisches von einer stupenden Stupidität oder ungeheuerlichen Gemeinheit (solcherart z. B. war ein Weihnachtsoratorium von P. Claudel). Und selbst acht Jahre nach dem Kriege brachte es Chesterton noch fertig (in einem Buche über den heiligen Franz von Assisi!), eine nur von Heimkriegern gewagte und geglaubte Verleumdung des deutschen Heeres zu verwerten. Nur eine einzige erhabene öffentliche Stimme – denn im privaten und geheimen seufzten viele – hatte in jener Zeit die katholische Kirche, die ihres Oberhaupts. Aber sie verhallte in der Wüste, ward erstickt vom Haß der Völker und vom Blute der Opfer. Leider auch nach dem Kriege ist über Europa noch kein »katholisches« Buch erschienen. Die Folgen des Krieges und mehr noch des »Friedens« sind immer noch stärker als der willigste Geist. So hätte Belloc, der dieses wahrhaft katholische Buch über die Juden geschrieben hat, keines etwa über die Deutschen schreiben kennen. Einige Stellen verraten es zu deutlich. Ich bin dafür, daß die deutschen Katholiken, die, was recht ist, voll aufgeschlossen mit der katholischen Literatur der ganzen Welt sich abgeben, Kränkungen, Beleidigungen, Verleumdungen ihrer Nation, denen sie namentlich in Büchern, die über Taumel und Tag der unverantwortlichen und anonymen Presse hinaus bleiben, begegnen, nicht einfach liegen lassen oder unterdrücken, auslassen und so tun sollten, als hätten sie sie gar nicht gelesen, als kennten sie sie gar nicht, als existierten sie überhaupt nicht. Das gibt keinen rechten Frieden, das macht nur unsere Seelen krank, jene aber essen sich überhaupt nicht mehr satt an ihrer Verachtung. Es ist weiser und männlicher, sie mit eindringlicher Schlichtheit und Bestimmtheit zurückzuweisen. Nur so kommt man weiter und zum rechten Frieden. Unter den gegebenen traurigen Umständen ist es eher ein gutes Zeichen für Deutschland und damit indirekt für Europa, daß das Haupthindernis eines europäischen Friedens ein geistiges, ein moralisches ist: jene die Vernunft im allgemeinen und die europäisch-christliche im besonderen verhöhnende Lüge von der Alleinschuld Deutschlands am Kriege. Damit ist bewiesen, daß nicht nur politische oder gar nur wirtschaftliche Mächte das Leben Europas bestimmen, sondern auch höhere. Das ist gut so; schlecht, bis zum Grunde schlecht wäre es, wenn darüber Gras wachsen könnte – es wüchse über einem Sumpfe. Wenn also Belloc in seinem ausgezeichneten Buche über die Juden, wo er mit Recht alles bewußt Verletzende ausgeschaltet wissen will und sich großer Mühe unterzieht, Sachkenntnis zu gewinnen, eine hämische Bemerkung macht über das deutsche Offizierskorps, so weisen wir sie zurück als ungehörig. Die Deutschen, und vor allen andern ja die deutschen Katholiken haben seit vielen Jahren, von denen jedes einzelne länger dauerte als ein Jahrzehnt, überreichlich Gelegenheit gehabt und werden sie noch weiß Gott wie lange haben, zu beobachten, daß mit dem englischen, dem französischen, dem belgischen Offizierskorps, was die von dieser Kaste zu verlangenden Eigenschaften anlangt, das deutsche es aufnehmen konnte und kann. Die zwei anderen erstaunlichen Bemerkungen des Buches über deutsche Dinge, nämlich erstens, daß in Oberschlesien die Rechte Polens gegenüber denen Deutschlands zu kurz kamen, und zweitens, daß unter den Begriff »Minderheiten« doch nur die Juden fallen, wo doch an allen vier Ecken unseres Landes, was sage ich, im Kreise herum, dessen Umfang keine so einfache Quadratur erreicht, 6½ Millionen Deutsche unter mehr oder weniger aktiver und gehässiger, ja sogar (Südtirol!) infamer (dort wird der Mutter das Kind weggenommen, weil dem Kinde die Sprache der Mutter weggenommen wird, in der sie es zum ersten Male beten lehren will.) Bedrückung leben – diese zwei bemerkenswerten Bemerkungen schreiben wir der gewohnten unübertrefflichen Ignoranz im Auslande zu über manche vitale Realitäten unseres Volkes und unseres Landes, einer Ignoranz, der freilich durch etwas Pflicht und Anstandsgefühl, durch etwas auch den Besiegten geschuldete elementare Gerechtigkeit leicht abzuhelfen wäre. Man kann freilich nicht alles wissen, sogar ein Historiker nicht, aber dann braucht man auch nicht über alles zu schreiben, sogar ein Historiker nicht, und sicherlich nicht in einem Tone, als ob man alles wüßte. Solche Ignoranz ist oft auch eine Frucht einer gewissen andauernden Kriegs- und Haßpsychose, die aus dem Herzen Europas gerne ein Ghetto machen möchte, außer dem Rheinland natürlich, das sie vielmehr westlich »zivilisieren« und französisch machen möchte. Es gibt dort Katholiken, die, wie natürlich – mit der größten Verehrung von dem Heiligen Römischen Reiche reden oder schreiben, eher aber sich ihre Zunge abbeißen oder ihre Hand verdorren lassen würden, als daß sie den nun einmal historischen Zusatz machten: deutscher Nation, und die uns das possierliche Schauspiel geben, wie sie sich wenden und drehen um die unumgängliche Feststellung, daß in Karl dem Großen auch etwas deutsches Blut floß; sie leiden an Verdrängungen, für die noch kein Psychoanalytiker gewachsen ist.
Nach diesen Bemerkungen, die ein deutscher Übersetzer, der das Werk den Deutschen empfehlen will, machen mußte, sprechen wir umso bereitwilliger unsere Bewunderung für dieses Werk Bellocs aus. Es ist die Tat eines mutigen und erfahrenen und wahrhaft besorgten Mannes, der mehr und schärfer sieht, als die meisten unter uns, und darstellen konnte, was er gesehen hat.
Es ist ein katholisches Buch, aus mehreren Gründen. Zunächst, was die prinzipielle Methode anlangt: es will eine schwere Frage von innen her lösen; erst sollen die Menschen ihre Gesinnung ändern, ehe sie das Äußere: Gesetze, Verordnungen, Institutionen usw. ändern oder neu schaffen, und diese Aufforderung, das ist wichtig, ergeht nicht bloß etwa an die anderen, also an die Juden, sondern in weit höherem Grade und zuerst an uns, die Nichtjuden. Der zweite Grund, warum ich es ein katholisches Buch nenne, und auch er betrifft die Methode, ist der, daß es rational vorgeht, nicht rationalistisch, aber rational, was wir unterscheiden wollen ganz einfach so, daß der Rationalist ein Mensch ist, der den Glauben nicht hat, weil er ihn für das Unvernünftige, für das Irrationale schlechthin ansieht, daß aber, wer den Glauben hat, den Menschen in Zeit und Ewigkeit für ein Vernunftwesen hält, weil für ihn das Allervernünftigste, ja das, was weit und hoch noch über die Vernunft, die ihm so teuer ist, hinausgeht, der Glaube ist. Jeder Mensch übrigens, der einen andern oder auch sich auffordert, seine Gesinnung zu prüfen oder gar zu ändern, ist im Grande von der Rationalität des Menschen überzeugt, auch wenn er, wie es die Mode dieser Tage ist, für das Irrationale schwärmt – was er auch nicht ohne die ratio kann. Sonst wäre sein Tun die Absurdität selber. Das sind die methodischen Gründe, die andern gehen den Inhalt selber an: Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Wer will leugnen, daß sie in diesem Buche sind?
Es gibt manche geistige Menschen, die sich in der Judenfrage mutig zur Feigheit bekennen, die von ihr gar nichts hören oder wissen wollen, die gestehen, daß vor ihr eine Angst, ja ein Grauen sie packt; die davor zurückschrecken wie ein Kind vor einer schweren Rechnung, die es nie zu bewältigen fürchtet. Sie gestehen, daß es Feigheit ist und haben darum auch ein Gefühl der Schuld. Aber sie haben nicht die Angst, die so eindringlich in diesem Buche beschrieben wird, vor äußeren nachteiligen Folgen, vor Verlusten und Erregung von Feindschaften, vor Verletzung einer Konvention, sondern die geistige Furcht, die auch einen Besonnenen ergreifen kann, der ein Ding vor seinen Augen, wiewohl diese immer angespannter hinblicken, auch immer schärfer werden und er immer mehr Licht auf es fallen läßt, nicht klarer, sondern dunkler, nicht einfacher, sondern immer verwickelter werden sieht; sie haben die geistige Furcht, ein allzu reiches Sein nicht zu meistern und nur gewaltsam und unzulänglich zu simplifizieren und also die Wahrheit zu verfehlen, vielleicht entscheidend. Solche geistige Furcht haben sie vor irgendeiner Entscheidung, was die Judenfrage anlangt. Und wer will einen solchen Menschen hart anfahren im Angesicht dieses schwersten, aller Völkerprobleme? Um es gleich zu sagen, das jüdische Problem ist für uns zuhöchst doch ein religiöses und theologisches, und dann erst ein nationales, wenn auch in aller – verkannten! – Wahrheit und Wirklichkeit ein nationales. Zur Rationalität des Christen gehört, daß sein Denken das Mysterium anerkennt, ja es fordert, ja erst seine Erfüllung findet in ihm, aber nur im wahren Mysterium; dieses vom Glauben erleuchtete Denken ist noch imstande, von außen her das Mysterium zu umschreiben und scharf abzuschneiden von allen falschen Mysterien, deren es eine Unmenge gibt, von allem Widersinn und Unsinn, von aller Absurdität und wurzelloser Paradoxie, von aller wesenloser – und oft so boshaften – Irrationalität. Das jüdische Problem ist im Fundament ein Geheimnis, dessengleichen es kein anderes mehr gibt im Völkerleben, und für uns Christen ist dieses Geheimnis mitverwurzelt in dem Geheimnis unserer Religion selber, aber auch mitenthalten in der Offenbarung unserer Religion selber; sein Sinn ist nicht nur Bestandteil unserer natürlichen Erkenntnis, sondern auch unseres Glaubens. Das kommt in diesem Buche nicht völlig klar zum Ausdruck, vielleicht ist es beabsichtigt, um seine vor allem politische Rationalität nicht unnötig zu beschweren, aber es ist doch ein Mangel Dieses religiös-theologische Fundament der Judenfrage, dieses christliche Apriori für jede ernsthafte Betrachtung, seit dem ersten Augenblick der christlichen Kirche vorhanden und vertreten in Liturgie und Ritual der Kirche, ist keineswegs für uns eine Theorie neben anderen, ja sogar: es ist überhaupt keine »Theorie«, sondern einfach ein Bestandteil unserer Religion, ein simples Faktum unseres Glaubenslebens, und kann in einem einzigen Satze ausgedrückt werden, nämlich, daß Sein und Schicksal des jüdischen Volkes vor und nach der Zerstreuung in Beziehung steht zu seinem Pakte mit Gott, näher noch: zu seinem Verhältnis zu seinem Messias. Am klarsten und schönsten ist in neuerer Zeit dieses Glaubensfaktum von Newman dargelegt worden in seiner Grammar of Assent Vergl. John Henry Kardinal Newman; Philosophie des Glaubens (Grammar of Assent) übersetzt von Theodor Haecker, München 1921, S. 370 ff.. Das ist noch keine Theorie; die Theorien beginnen erst mit den Schlußfolgerungen aus diesem Faktum, die sehr verschieden, die vor allem auch reichlich falsch, ja die sogar abscheulich sein können, wenn sie z. B. etwa dahin lauteten, daß Christen den Juden Unrecht tun dürften, um sie zu »strafen«. Gegen eine solche unheimliche Verirrung ist u. a. auch zu sagen, daß wer den wahren und rechten Glauben an die Vorsehung hat, am weitesten davon entfernt ist, selber sie spielen zu wollen. Dieses religiös-theologische Apriori nicht klar an den Anfang zu stellen, jenseits aller anderen Theorien und Meinungen ist ein Mangel in einem katholischen Buche, um so mehr als wir keine »heilige« Geschichte mehr haben, sondern nur noch eine profane. Es ist das erstaunliche, nie genug vorgestellte und bedachte, durch ihre »Auserwähltheit« bedingte Privilegium der Juden bis zur Entstehung des Christentums gewesen, eines, das es vorher nicht gegeben hat und das nachher nie wiederholt worden ist: eine heilige Geschichte zu haben. Dem Judentum ist es genommen worden, und das Christentum hat es nicht mit überkommen. Weder die Kirchengeschichte – wie wohl sie am nächsten – noch die Geschichte des Heiligen ist dem Wesen nach dasselbe wie die »heilige Geschichte«, wo innerhalb »katholischer« Offenbarungen zugleich die Geschichte eines partikularen Volkes gegeben wird. Selbstverständlich ist sie da, die heilige Geschichte, nach wie vor, auch heute, aber sie ist uns verborgen, nur hin und wieder, für »Auserwählte« wird ihr Schleier gelüftet, nur plötzliche Blicke sind zuweilen den Gläubigen gestattet, ein Blitz hie und da erleuchtet das mühselige Dunkel des Profanen, welches die Regel ist. Unsere Geschichte, auch die des Christentums, ist gebunden in der Hauptsache an die Erkenntnis der causae secundae, in der Gestalt der Motive und der diese modifizierenden geographischen, physischen und ethnischen Ursachen, während in der Hauptsache die Geschichte der Juden bis zur Konsolidierung der christlichen Kirche oder auch bis zur Zerstörung Jerusalems – zwei Aspekte ein und derselben Begebenheit – eine Offenbarung der causa prima war. Man kann sehr wohl und mit einigem Erfolg den Versuch wagen, und hat ihn oft gemacht, die heilige Geschichte in der Sprache der Motive und Ursachen der profanen auszudrücken, sie zu projizieren auf die Ebene der rein humanen Geschichte. Oft ist das getan worden im Geiste der Opposition und mit der Absicht und Hoffnung, die heilige Geschichte Lügen zu strafen, sie völlig aufzulösen in Spielereien dieser Tage, wie z. B. den Mythos und dann: die Fälschungen der Priester. Es ist nicht geglückt, man mußte entdecken und zugeben, daß die heilige Geschichte eben doch auch »Geschichte« ist, daß, was wir Geschichte nennen, an ihr zur Deckung gebracht werden kann, wiewohl ein weit darüber hinausgehender Rest bleibt. Aber man kann nicht umgekehrt aus eigenem Willen und nach eigener Konstruktion die profane Geschichte, wie wir sie schreiben und heute schreiben müssen und sollen, ohne Erleuchtung und Offenbarungen in den vollen Zusammenhang der heiligen Geschichte stellen, wiewohl, wie ich gesagt habe, diese ungeschrieben da ist und da sein muß, und zuweilen auch den Gläubigen ein plötzlicher Einblick gewährt wird; denn es kann wohl das Höhere das Niedere sich explizieren lassen, aber nicht umgekehrt das Niedere das Höhere. Zwar ist der Christ des unerschütterlichen Glaubens, daß wie bis zum Tage von Golgatha der Jude trotz Griechen und Römern und Chinesen und Indern und der ganzen Welt die Schlüssel zur Weltgeschichte hatte, so heute er, der Christ, sie hat, aber er hat andere, verborgenere Tore öffnende. Jenes Privilegium der heiligen Geschichte hat er nicht. Umso wichtiger, daß die klaren Fakta seines Glaubens zusammen mit den Prinzipien seines rationalen Denkens die Sterne bleiben, nach denen er sich orientiert, wenn er »humane« Geschichte schreibt und »menschliche« Politik treibt. Dieses Buch hat die religiös-theologische Basis der Judenfrage nicht klar und eindeutig aufgezeigt, aber dieser Mangel wird wettgemacht durch die im Grunde sehr viel schwierigere und seltenere Arbeit, daß die nun ins einzelne gehende konkrete Behandlung und Lösung des Problems auf dem zerklüfteten und gefahrenreichen Gelände des politischen Lebens, des aktuellen Lebens, in keiner Weise jener religiös-theologischen Basis widerspricht, sondern im Gegenteil durchaus in einem lebendigen und einheitlichen Kontakt mit ihr bleibt.
Die einzige kaum haltbare These dieses Buches ist die, daß der Jude nicht in derselben oder auch nur in ähnlicher Weise Sinn für das Privateigentum habe, wie wir Europäer. Belloc sucht damit teilweise die Tatsache zu erklären, daß die bolschewistische Revolution – die er für den entscheidenden Wendepunkt in der Behandlung der Judenfrage in Europa und vor allem in England ansieht – und übrigens auch die sozialistische Bewegung unter jüdischer Führung und Leitung steht. Das scheint mir ein Irrtum zu sein. Ein religiöses und theologisches Apriori schon widerstreitet diesem Satze. Denn wenn die katholische Kirche, die Belloc mit Recht für eine Hüterin des Eigentumsprinzips wie des Nationalitätsprinzips (beide zusammenfallend im Prinzip der »Familie«) hält, in erster Linie nicht aus religiösen Motiven das Privateigentum sanktionierte, sondern nur, weil sie, meinetwegen für Jahrhunderte oder Jahrtausende gerade mit Völkern liiert ist, deren partikulare, zufällige Instinkte das Privateigentum forderten und förderten, dann könnte sie ja auch einmal in Zukunft – sie hat ja Zeit, also in künftigen Jahrhunderten oder Jahrtausenden – wenn ihr irdisch-lebendiger Leib Völker wären, deren Instinkte auf den Kommunismus gingen, diesen als Norm aufstellen. Sanktioniert sie aber das Privateigentum, wie sie es in der Tat tut, als natürlich« im unverderbten Sinne, als naturrechtlich, als gottgewollt, also zuerst und zuletzt aus religiösen Gründen, dann ist sie damit auch die Fortsetzerin und Erfüllerin des Mosaischen Gesetzes. Es ist der unhaltbarste Satz dieses Buches, daß der Jude keine »religiöse Lehre« habe, die den Instinkt (für Privateigentum) stützt und zum Ausdruck bringt, da doch der Dekalog und in ihm das 10. Gebot das Privateigentum im strengsten Sinne (so daß auch der »Kapitalist«, ja auch der Wucherer geschützt ist) voraussetzt und sanktioniert. Mit demselben Recht oder vielmehr Unrecht könnte man behaupten, daß der Jude keine »religiöse Lehre« habe, die den Sinn für »Familie« stützt und sanktioniert. Nein, so wenig wie der spezifisch moderne Kapitalismus, den es nie vorher gegeben hat, eine Schöpfung der Juden ist, sondern vielmehr, wie eine Reihe deutscher Forscher es erwiesen haben, eine solche des Protestantismus und im besonderen des Kalvinismus, also Englands – ebensowenig ist der Kommunismus eine genuine Idee der Juden. Hier hat Belloc mit Unrecht den Juden gegeben, was er den Europäern und den Russen genommen hat. Der Kommunismus ist der Zwillingsbruder der Anarchie, und ihre Mutter ist die schwärmerische Seele, deren es im christlichen Westen wie im christlichen Osten jederzeit eine große Zahl gegeben hat und gibt; ihre Mutter kann aber auch sein die verzweifelte Seele, die manche auf dem Gewissen haben können, ohne es zu wissen, und verzweifelte Seelen sind vor allem heute die Kraft des modernen Kommunismus. Der Jude reitet auf dem kapitalistischen Pferde und auf dem kommunistischen, aber beide sind nicht aus seinem Stalle. Der Ursprung des Kommunismus ist schwärmerischer und mystischer Natur, er taucht ja nicht zum ersten Male auf, die Geschichte des christlichen Europa kennt ihn schon lange, im Mittelalter, wie besonders während der Tumulte der Reformation und später der französischen Revolution; und gerne wurde oder wird er dann ausgespielt gegen die Kirche durch die Berufung auf die erste Christengemeinde in Jerusalem, von der die Apostelgeschichte erzählt. Dort wurde in einer Gemeinschaft von Heiligen versucht, was später die Orden immer wieder versucht haben, denn in der Kirche ist alles gleich von Anfang an da und was ist, das war, und was war, wird sein. Aber damals schon zeigte es sich, daß der Verzicht auf Eigentum bei weitem der größere und größte ist und schwerer auszuführen, als die Gelübde der Keuschheit und des Gehorsams. Die Episode der Apostelgeschichte ist kein Beweis für den modernen Kommunismus, sondern einer gegen ihn, da sie spirituale Voraussetzungen wie die »Gnade« hat, von denen dieser, der nur dumpf gefühlsmäßig, widerspruchsvoll, sentimental, schwärmerisch oder abstrakt intellektuell, Mittel zu einem völlig anderen Zweck, wie Rache etwa oder Herrschaft, ist, gar keine Ahnung hat, und sie ist weiterhin ein Beweis, da sie sich innerhalb einer jüdisch-christlichen Gemeinde abspielte und trotz übernatürlicher Hilfe ohne allgemeine Nachfolge blieb, daß der Kommunismus in den rein natürlichen Instinkten des Juden gar keine Grundlage hat. Warum die Juden auf dem Kommunismus ebenso schwimmen wie auf dem Kapitalismus, wird – ihre faktische Internationalität als conditio sine qua non immer vorausgesetzt – genügend erklärt durch die Abstraktheit ihres Intellekts, der das entgegengesetzteste Mittel zu demselben Zwecke zu verwenden vermag, und durch die bestimmte Nuance ihres Gerechtigkeitsgefühls, das eine Leidenschaft sein kann. Ihr abstrakter Intellekt ist ein überaus taugliches Instrument ihres Willens zur Macht und Herrschaft, der sehr groß ist, ihr bestimmtes Gerechtigkeitsgefühl aber hat eine anhaltende Kraft und Fähigkeit lebendiger zur Aktion neigender Entrüstung über aktuelles Unrecht, wie es z. B. das Industrieproletariat erlitten hat und erleidet. Sie haben die spezifische Note der rächenden Gerechtigkeit, der Wiedervergeltung. Es ist zuweilen, als ob für den Juden Gerechtigkeit nicht mit Recht zusammenhänge, sondern vor allem mit Rache; er hat ein feines Gefühl für erlittenes Unrecht, und zwar nicht bloß von ihm, sondern auch von anderen erlittenes. Und dann ist in ihm eine Unmenge von Sentimentalität. Ein Mangel an Sinn für Privateigentum oder gar ein positiver Sinn für den Kommunismus ist nicht im Juden. Man hört ja auch im allgemeinen nicht, daß die jüdischen Führer des Kommunismus diesen praktisch betätigten – sie überlassen dieses den Schwärmern oder den zwangsweisen Kommunisten der Armut. Die Kräfte des Kommunismus als Idee und Ideal liefern die unerleuchtet schwärmerische und die verzweifelte Seele unserer Rasse, und da die russische immer noch leichter schwärmerisch und verzweifelt ist als die westliche, so ist sie auch leichter kommunistisch und anarchistisch.
Aus mehr als einem Grunde begrüßen wir die Feststellung Bellocs, daß der Bolschewismus zwar eine Gefahr für Europa und darum energisch zu bekämpfen ist, wo er bei uns eine Macht zu werden droht, aber doch – auch eine reichlich übertriebene Gefahr ist. (Aus mehr als einem Grunde, ein beiläufiger ist der, daß wir heute, 1927, zu unterscheiden haben werden zwischen rein egoistischer und politischer Gegnerschaft gegen Rußland als das britische Weltreich bedrohende Macht und vorgegebenen Kreuzzugsidealen gegen den Bolschewismus). Wäre dieser eine ganz große Gefahr für Europa, fände er nicht in Instinkten und noch übrig gebliebener Religion der europäischen Völker eine unüberwindliche Schranke, wäre er nicht gebunden an das Industrieproletariat der großen Städte, wäre nicht auf die Dauer das Land stärker als die Stadt, der fruchttragende Boden als Fabrik und Maschine, Brot und Wein als Technik und Chemie – dann hätte er ja längst gesiegt, vor allem dank der glorreichen Politik der Sieger. Er hätte gesiegt mitten im Herzen Europas, und es wird für einen künftigen europäischen Geschichtschreiber eine der großen politischen Sünden heißen, daß das Herz Europas durch einen kleinlich quälenden »Frieden« in die reale Versuchung gebracht wurde, wenigstens in Träumen seiner Erniedrigten und Beleidigten daran zu denken, mit Anarchie und Chaos zu paktieren – um der Rache willen! Das Herz Europas hat dieser Versuchung auch noch in Träumen, in Fieberträumen kann man sagen, voll widerstanden, und die Schuld fällt auf den Versucher zurück. Die ganz große Gefahr also für Europa ist der Bolschewismus nicht, sondern es ist viel wahrscheinlicher, daß Europa ungefähr am Gegenteil sich zugrunde richten kann: an der Verhärtung, an der Überspannung, an dem Mißbrauch seiner richtigen Prinzipien, an der Pervertierung und Befleckung seiner Werte. Es ist gar nicht so sehr die Gefahr für Europa, daß das Prinzip der Heiligkeit eines Vertrags offen in Frage gestellt und geleugnet wird, sondern vielmehr, daß mit diesem Prinzip der unheiligste Inhalt von Verträgen gedeckt und heuchlerisch sanktioniert wird, so wie das geheiligte unverletzliche Prinzip des Eigentums die Stütze und der Halt der furchtbarsten sozialen Ungerechtigkeiten ist. Es ist für Europa nicht die große Gefahr, daß Verträge wie ein Fetzen Papier zerrissen werden könnten, die bei weitem größere ist die, daß von den Starken die Verträge mit Hilfe der Verträge gebrochen werden, deren Sinn mit Hilfe des Buchstabens. Seit 10 Jahren geschah und geschieht das ja mehr oder weniger in einem fort am Rhein, an der Ruhr, an der Saar, an der Donau, in Danzig, in Oberschlesien, in Südtirol und wer weiß, wo sonst noch. Das könnte einmal Europa zugrunde richten, und das ist eine große Sünde, vielleicht noch größer als die andere, klare, vor aller Augen offene, weil sie heimtückischer ist und auf dem Mißbrauch des Besten beruht: sie entspricht im politischen und sozialen Leben der Sünde der Pharisäer auf religiösem Gebiet, die das Gesetz durch das Gesetz brachen, den Geist mit dem Buchstaben erstickten. Nicht die »Internationale« ist für Europa die große Gefahr, da ihr ungleich stärkere nationale Instinkte und Mächte entgegenstehen: die bei weitem größere Gefahr ist, daß diese Instinkte krank werden, und sie sind ja heute schon in der Tat weithin und tief erkrankt – die größere Gefahr ist der »Nationalismus«. Das ist bedrohlich für die Juden, denn sie werden dort, wo diese Welle des Nationalismus steigt, immer für Feinde gelten. Wir aber sollten dieses bedenken. Belloc meint, die Krankheit des Industriekapitalismus könne nur richtig geheilt werden durch die katholische Kirche, oder vielmehr, wo in einem Volke katholischer Glaube noch lebendig ist. Das ist der springende Punkt. Zur katholischen Kirche gehört nicht bloß ihre Lehre, sondern gehören auch die Menschen, die nach dieser Lehre leben. Die Enzyklika »Rerum novarum« gehört zum Ruhme der katholischen Kirche als Lehrerin der Völker, aber sie würde zu bitterster Satire über die katholischen Völker in dem Augenblick etwa, wo katholische Kapitalisten sich nicht einen Deut um deren Richtlinien kümmerten und vielleicht um kein Haar anders handelten oder auch nur, wenn sie das durch die Gewalt der Umstände vielleicht nicht könnten, zu handeln sich bestrebten, als die andern auch. Um das beurteilen zu können, fehlen vielleicht vor allem die »katholischen« Kapitalisten, die überhaupt in Betracht kämen gegenüber dem Weltkapitalismus, hinter dem drei Mächte stehen, die alle drei antikatholisch sind: der Protestantismus, der Liberalismus und das diesen begünstigende und fördernde Judentum; und zwar begünstigen und fördern diesen »freigeistigen« Liberalismus ebensosehr die orthodoxen Juden wie die liberalen, diese aus Überzeugung, jene rein aus politisch-taktischen Gründen, da er ihnen für ihr Volk vorteilhafter erscheint, als jede positive Religion, und es ihnen, wiewohl sie ja selber eine positive Religion haben und praktizieren, durchaus gleichgültig ist, was der goy für eine hat oder ob er überhaupt eine hat. Das könnte man zur Not, um sich vor der Satire zu retten, über den Kapitalismus sagen. Etwas anders steht es mit dem noch viel gefährlicheren Europa bedrohenden, immer noch wachsenden Übel: dem irregeleiteten Nationalismus. Auch hier ist der einzige rechte Arzt die katholische Kirche, weil sie nicht wie der internationale Jude das erkrankte Organ, das nationale Prinzip, ausscheiden, sondern es auf seine normalen Funktionen zurückbringen will. In Deutschland zwar halten die Antisemiten dafür, daß die Nation, das nationale Prinzip, von drei internationalen Mächten bedroht werde: dem Marxismus, dem damit teilweise zusammenfallenden, aber auch den Kapitalismus vertretenden Judentum und – der katholischen Kirche. Die absurde, wüste, durch die Feigheit und Unfähigkeit einer hinterweltlichen, hinterwäldlerischen Regierung ermöglichte Münchener Episode von 1923 hat das sehr deutlich gezeigt. Die Treue und Liebe der deutschen Katholiken für ihr Vaterland besonders zu verteidigen, wäre für sie beleidigend. Aber so viel geht daraus hervor, daß die katholische Kirche, und nicht nur sie, sondern auch die ernsthafte katholische Bevölkerung seine Methoden niemals zu den ihren machen würden. Das also gehört hierher, daß die deutschen Katholiken den Lehren der Kirche sowohl über die Heiligkeit des nationalen Prinzips und der nationalen Pflichten wie über die Unheiligkeit des heidnischen »Nationalismus« mit geringen Ausnahmen gefolgt sind und folgen. Aber das ist nicht überall in Europa so. Die Verurteilung des heidnischen Nationalitäts- und Staatsprinzips in der konkreten Gestalt der Action Française durch Papst Pius XI. wird für einen künftigen Historiker Europas eine Tat von noch viel größerer Bedeutung sein – entsprechend der Größe der denunzierten Gefahr – als die soziale Enzyklika Leos XIII. Hier hätte eine europäische christliche Jugend die Gelegenheit gehabt, mit Eifer eine klare Entscheidung ihrer höchsten geistlichen Autorität suggestiv wirken zu lassen, durch die einstimmige Akklamation: Petrus hat gesprochen! Statt dessen: was alles an Kleinmut und Feigheit, an Lauheit und Schlauheit, an beleidigender Insinuation, an gemeiner Verleumdung, an peinlicher Zweideutigkeit, an eingebildeter Überlegenheit, an Hohn und Skepsis oder »Realpolitik«, an artistischem Nonsens steriler Schwätzer – auch in Deutschland! Es fehlt gar nicht so sehr an prinzipiellen Kundgebungen der katholischen Kirche in den entscheidenden politischen, sozialen, nationalen Fragen, es fehlt, um der geistig imperialen Bedeutung der katholischen Lehren auch für das öffentliche, nicht bloß für das private Leben die weithin hallende Resonanz zu gehen, viel mehr an der Großherzigkeit der Laien, der katholischen Völker; der Glaube, der gerade noch für das eigene Leben reicht, sinkt ermattet nieder vor der Wand der Skepsis, die seit Jahrhunderten vor dem politischen Leben errichtet worden ist; dieser Glaube ohne Großherzigkeit weicht resigniert zurück vor dem Leviathan der starren »Naturgesetze« des politischen und sozialen Lebens – und würde doch auch im Einzelleben noch ungleich stärker sein, wenn er dort nicht bis zum Zweifel schwach würde. Hier aber, in Sachen des »Nationalismus«, wenn Katholiken nicht einmal willig und beherzt den Geboten und Winken der Kirche folgen, wird die Satire noch bitterer werden, als in Sachen des Kapitalismus. Denn es ist doch wohl nicht gut zu verlangen, daß die Nichtkatholiken, in deren Händen heute die unvergleichlich größere reale politische Weltmacht liegt, den Forderungen der Kirche früher gehorchen sollten. Wenn man bedenkt, welche unheilvolle Entwicklung der Kapitalismus nach der Enzyklika Leos XIII. und trotz ihr genommen hat, dann kann es einem angst und bange werden bei dem Gedanken, daß es mit dem Nationalismus nach dessen Verurteilung durch die Kirche ähnlich gehen könnte. Es ist durchaus möglich, daß, wenn sich die Judenfrage in dem in diesem Buche angedeuteten und befürchteten gefährlichen Sinne entwickeln würde, auch hierzu eine neue Kundgebung der Kirche erfolgen wird. Es ist nicht schwer vorauszusagen, daß auch sie eine Entscheidung sein wird auf Grund von natürlichen und übernatürlichen Prinzipien, sie wird anerkennen und voraussetzen, daß die Juden ein Volk und eine Nation sind mit dem natürlichen Rechte, nach ihrer Eigenart zu existieren, aber auch mit der natürlichen Pflicht der dadurch auch bedingten Einschränkungen im Zusammenleben mit anderen Völkern. Wiederum indes wird es bei den katholischen Völkern und bei allen Einzelnen dieser Völker liegen, solche Prinzipien auch zu leben.
Unter den verschiedenen Theorien, die Belloc der Vollständigkeit halber über das geheimnisvolle Dasein des jüdischen Volkes anführt, und die zum Teil phantastische Schlußfolgerungen, auf jüdischer wie auf christlicher Seite, jenes bestimmten religiös-theologischen Faktums sind, das wir für die Erklärung des Schicksals der Juden an die erste Stelle setzen mußten – unter diesen verschiedenen Theorien ist eine, die Belloc ernster nimmt, wiewohl auch sie für seine rein rational-politischen Thesen und Forderungen nicht mit Gewinn zur Diskussion stehen kann. Aber man merkt, sie ist ihm sympathisch und sie leuchtet ihm ein. Es ist die Theorie, daß die Juden im Grunde ein höchst notwendiges Ferment innerhalb der europäischen Kultur darstellen, worin impliziert ist, daß diese ungleich mehr Schaden erlitten hätte oder erleiden würde durch die Abwesenheit der Juden als durch deren so oft aufreizende Anwesenheit. Jeder mag sich das ausdenken, im besonderen auch heute. Es gehört nur etwas Unbefangenheit und Phantasie – welche beide freilich dem Fanatiker und dem Mittelmäßigen, also dem größten Bestandteil des heutigen Europa abgehen, dazu, um zu sehen, wie einleuchtend die Theorie ist; um zu sehen, daß ohne die wesentlich vermittelnde, wenn auch oft verletzende Betriebsamkeit der Juden, die europäischen Völker übereinander herfallen und einander auffressen würden. Die Warnung und Beschwörung Platos, es möchten Griechen wenigstens nicht gegen Griechen Krieg führen, die so verzweifelt zu spät kam, ist im christlichen Europa in bezug eben auf uns Europäer noch nicht einmal »katholisch« – eine melancholische Feststellung! Die europäischen Völker würden noch viel mehr über einander herfallen, ohne die Juden. Es ist in diesem Buche in einem langen Kapitel die paradoxe Tatsache geschildert worden, wie sowohl die Juden wie ihre Wirtsvölker – und unter ihnen jeder Einzelne – gegenseitig einander sich überlegen fühlen. Es scheint aber, daß dieses von allen europäischen Völkern im Verkehr mit einander auch gilt, ja, sie legen auch noch einen religiösen Akzent darauf und halten sich, jedes einzeln, für auserwählt, wiewohl es nur ein auserwähltes Volk gab und gibt, eben die Juden, und reden und tun danach. Von den beiden einzigen anderen geistigen Mächten, die sie von nationalistischem Fanatismus und einer Verhärtung abhalten könnten, hat leider die eine keinen großen praktischen Einfluß und ist die andere überhaupt nicht da. Die eine größte wahrhaft einende Macht wäre der christliche Glaube, aber in der »Einheit« nur, in der realen Katholizität – Europa ist weit davon; die zweite Möglichkeit, den entsetzlichen Starrkrampf Europas zu lösen, wäre die rein humane Tugend der Großherzigkeit auf Grund von Humor, aber wer findet davon auch nur eine Spur in der Lenkung der inneren und äußeren Politik der europäischen Völker? So bleibt nur noch die internationale Nation der Juden, die natürlich nicht zuerst aus Liebe zu uns, sondern aus Liebe zu sich, eben als internationale Nation, die gegenseitigen nationalistischen Hetzereien zuweilen denunzieren und paralysieren. Sie, die Juden, sind nicht imstande, die krankhaften, hysterischen und maßlosen nationalistischen Empfindlichkeiten der europäischen Völker ernst zu nehmen und sich dadurch ihre Geschäfte verderben zu lassen; und damit tun sie indirekt Europa nur einen Gefallen. Ihr Fehler und ihre Gefahr ist nur, daß sie dabei auch Dinge nicht ernst nehmen, die für uns ohne Frage und Phrase ernst und heilig sind, die wir niemals aufgeben können, ohne damit zugleich unser Wesen, unsere Kontinuität, uns selbst aufzugeben.
Es ist die Frische des Eindrucks der Gefahr und der Schwere des Problems, die den Ausdruck ihrer so frisch macht in diesem Buche, und so eindringlich auch für uns, die wir uns genieren würden, die Sache so simpel anzupacken, nach allem, was jahrzehntelang bei uns vorausgegangen ist, so unbefangen und so geradeaus zu sprechen und sozusagen so naiv unerschrocken gleich einem, der sich noch nicht die Finger verbrannt hat. Aber genau das ist der Vorzug dieses Buches, fest in die Nesseln zu greifen, Subtilitäten, die nur ein Zeichen unserer Erblindung für das Fundamentale und unserer Skepsis sind, zu lassen und zu den klaren Grundlinien der Frage zurückzukehren, auch wenn sie Banalitäten zu sein scheinen oder es einfach sind.
Was mag das Schicksal dieses Buches in Deutschland sein? Vielleicht tot geschwiegen zu werden! Die Möglichkeit besteht, weil es keiner der zur Zeit herrschenden Parteien und Ideologien genehm ist, weil sein Standpunkt alle mehr oder weniger verwirrt und um so mehr Mißtrauen erweckt, je mehr er im ersten Augenblick der jeweils eigene zu sein schien und es dann doch nicht war. Die geringste Freude, die größte Verlegenheit, ja vielleicht den größten Schmerz werden die Juden empfinden, welche mit der Fiktion arbeiten: »Wir sind nicht deutsche Juden, sondern deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens«, und zwar deshalb, weil hier gegen diese Fiktion nicht von einem »Antisemiten« vorgegangen wird, sondern von einem, der den Antisemitismus als unsittlich zuerst und dann als albern verdammt, und von einem, dem sie eine ehrenhafte, ihnen freundliche Gesinnung und einen guten Willen zum soliden Frieden nicht absprechen können. Das Buch an sich schon ist für sie ein harter Schlag, er wird aber noch härter durch den Umstand, daß er von einem Engländer ausgeht, von dem Bürger einer Nation, die uns als Muster vorgehalten wurde und in der die Frage für alle Ewigkeit eben in ihrem Sinne geregelt und entschieden zu sein schien. Auch heute noch wissen, die meisten Deutschen und vielleicht auch die meisten Juden in Deutschland herzlich wenig von der großen Wandlung, die die Judenfrage in England und Amerika durchgemacht hat, denn die große Presse bringt darüber wenig Aufklärung. Die Stellung dieser »deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens« ist eine tragische, denn sie können in Deutschland auf Fakta hinweisen, die ihre These zu beweisen scheinen. Um nur etliche 100 Jahre zurückzugehen, können sie darauf hinzeigen, daß sie in den Freiheitskriegen mitgekämpft haben, daß ihresgleichen in Preußen Friedrich Wilhelm IV. in einem Bittgesuch anflehten, die Juden in der Armee dienen zu lassen; in München eine Eingabe machten, die beleidigende Bezeichnung »Juden« zu unterlassen; ein großer Gelehrter, wie M. Lazarus, schrieb: »Wir sind Deutsche, nichts als Deutsche; wir gehören nur einer Nation an, der deutschen.« Und wenn sie erst in unsere eigenen Tage kommen, können sie die vielen Toten ihrer Nation, gefallen für die deutsche Nation, auferstehen und vor der, wie es ihnen scheinen mag, feindseligen und grausamen These dieses Buches defilieren lassen. Enttäuschung ist ein großer Schmerz, und es ist bitter, für falsche Ideen und Ideale Opfer gebracht zu haben und zu bringen. – Was werden jene Juden sagen, die weit davon entfernt, nur der deutschen Nation angehören zu wollen, es von innen her, von ihrem Blute und Geiste her wissen, daß sie eine Sondernation sind, es also ganz anders innig wissen, als wir, die es nur von außen her kennen? Und ihrer sind viele, ob sie nun – diese beiden Spielarten gibt es bei ihnen wie bei uns – die Idee der Nation doch noch ihrer Religion als dem Primären unterordnen, oder umgekehrt in durchaus heidnischem Sinne Nationalisten sind und ihre Religion nur als Ausdruck und dienendes Element Und Funktion ihrer mystischen Volkheit betrachten, so daß z. B. das Christentum von solchen gar nicht mehr in erster Linie religiös und theologisch erklärt und abgetan wird, sondern nur politisch und sozial als eine Reaktion eines aufrührerischen Individualismus gegen die höhere Idee des jüdischen Volkes und der Nation, als ein spirituales Raffinement, während man doch mitten in nationalen Befreiungskämpfen gegen Römer und Griechen stand. Sie werden, fürchte ich, auch in Deutschland auf dem einmal errungenen Rechte bestehen: Vollbürger sowohl der eigenen wie der fremden Nation zu sein. Denn das ist in der Geschichte durchaus die seltenste und schönste Ausnahme, daß eine Regierung, ein Volk, ein Stand, eine Klasse, ein Einzelner, auf ein Recht, das ein Unrecht ist oder geworden war, freiwillig verzichtet hat. In der Regel hat nur Gewalt die Änderung und Lösung bewirkt, und ihnen sehr viel mehr genommen, als sie durch freiwillige Aufgabe verloren hätten. Und das ist eine große Gefahr, denn ich zweifle keinen Augenblick, daß Belloc recht hat mit der Behauptung, daß das Verhalten der europäischen Völker und Regierungen zu den Juden wieder einmal an einem Wendepunkt angelangt ist, vor allem, weil die nationalistische Welle noch lange nicht ihren Gipfelpunkt erreicht hat. Einig werden aber leider alle Juden wahrscheinlich darin sein, daß die Aufrollung der Judenfrage durch dieses Buch höchst unnötig und überflüssig und eine im üblen Sinne unzeitgemäße Betrachtung sei. Es wäre sehr schade, wenn ich mit dieser Prognose recht hätte, und nichts wäre mir lieber, als wenn ich ins Unrecht gesetzt würde. Es wäre aber auch höchst ungerecht zu verschweigen, daß unter der jüdischen Jugend viel Mut zur Wahrheit, viel Durst nach Klarheit, viel Adel der Gesinnung ist. Und manch einer z. B. läßt sich taufen nach der Weise des A. M. Ratisbonne und nicht nach der Weise Heines, für den die Taufe das »Entréebillet zur europäischen Kultur« wie für so viele andere damals war. Und es verschlägt nichts, wenn einer sagt, daß das ja längst nicht mehr gilt, vielmehr eher, wenigstens bis vor kurzem, die Sache so lag, daß manch einer wenigstens im Bilde sich beschneiden ließ, um das »Entréebillet zur europäischen Kultur« oder doch zur jüdisch-deutschen Ruhmeshalle und zum jüdischen Gelde zu erlangen – denn umso größer und reiner das Opfer und der Entschluß jener.
Wichtiger aber noch: Was werden wir sagen und tun? Den dezidierten Antisemiten können wir aus dem Spiele lassen. Er ist der Typus, der nichts lernt und auch mit der gesunden Nahrung dieses Buches sich vergiftet, weil er das Gift in sich hat. Das Wort »Antisemitismus« stammt übrigens nicht, wie Belloc, der es wie wir für geschmacklos und unsachlich hält, wieder mit einem verächtlichen Seitenblick auf Deutschland meint, zur Hälfte von deutschen Akademikern – du lieber Himmel, als ob die Universitätsprofessoren Englands und Frankreichs, was Fragen des Geschmacks anlangt, so gewaltig von denen der Zentralmächte sich unterschieden, eine gewagte Behauptung nach den Kriegs- und Friedenserfahrungen! – sondern, was freilich nicht ohne Reiz ist, von Wilhelm Marr, einem getauften Juden, der 1879 es zuerst gebrauchte und – nicht faul – 1880 auch gleich die Antisemitenliga gründete. Der dezidierte Antisemit fällt als unbelehrbar weg. Um so mehr kommt es auf diejenigen an, die im Begriffe sind es zu werden, auf die zahlreichen latenten Antisemiten. Es ist eine sehr wichtige Bemerkung dieses Buches, daß es auf Gesinnung und Verhalten des durchschnittlichen Bürgers ankommt. Der durchschnittliche Bürger in Deutschland aber ist ein latenter Antisemit. Wir wollen uns diese Tatsache nicht verhehlen. Von ihm schließlich hängt der Friede zwischen Juden und uns ab. Die Erkenntnis der Wahrheit, die Anerkennung der Juden als Sondernation kann in Liebe oder in Haß, gerecht oder ungerecht vor sich gehen. Es ist unsere Sache, so viel wir können, dafür zu sorgen, daß sie gerecht und in Liebe geschehe. Auf unsere Politiker ist hier nicht viel zu rechnen, sie sind fast ohne Ausnahme die Leute mit den Gedanken, wenn sie welche haben, von gestern und vorgestern, und klammern sich bis zum letzten an alte Fiktionen, sind auch abhängig von gefährlichen Bindungen und Verbindungen. Und was die Presse anlangt, so steht die bei weitem meistgelesene, die liberale, völlig oder mehr oder weniger unter der Kontrolle, wenn nicht immer des jüdischen Geldes, so sicherlich des jüdischen Geistes, der eine faszinierende Macht auf die moderne glaubenslose Welt ausübt, sie wird darum unter allen daraus hervorgehenden Hemmungen zu leiden haben. Die rein nationalistische Presse hat die Tendenz zum Antisemitismus, sobald sie über die Judenfrage schreibt, und sie hat die Verhärtung und Sterilität, die heute alles auf gestern starrende alte konservative« als Prinzip ohne Anschauung und Anpassung hat. Die eigentlich christliche Presse beider Konfessionen betrachtet die Frage noch zu sehr rein unter dem Gesichtspunkt eben der Konfession und daneben noch der Parteipolitik, als daß sie die volle Freiheit und den nötigen Freimut aufbringen könnte. Worauf ruht schließlich unsere Hoffnung? Doch in der Hauptsache auf der Jugend, die zum Schaden Europas überall überhaupt noch nicht zu Wort gekommen ist! Möge sie die Gedanken dieses Buches, die nicht von einem Schwätzer oder Opportunisten sind, erwägen, und möge sie seinen reinen durch die tiefsten Wahrheiten unserer Religion erleuchteten Willen zum eigenen werden lassen. Unsere Hoffnung ruht vor allem auf einer christlichen, einer katholischen Jugend, die die beiden Arten, wie ein Mensch erkennen und handeln kann, nämlich auf Grund von Prinzipien und auf Grund unmittelbarer Anschauung, wieder verbindet. Diese beiden Arten sind heute getrennt auf allen Gebieten des Erkennens und Handelns, und das ist ein großes Unheil, und wie ein neuer babylonischer Turm der Verwirrung, so daß keiner mehr den andern versteht. Die einen leben ohne Prinzip, die andern denken ohne Anschauung und Phantasie; die einen zerschlagen mit dem Mißbrauch zugleich das Gesetz selber, die andern pochen auf den Buchstaben und leugnen heuchlerisch den furchtbaren Mißbrauch und verdammen das Opfer ihrer Bosheit zur Hölle, die ihnen sicherer ist. Das ist die Aufgabe einer christlichen Jugend, auch hier die Einheit wieder herzustellen: die Einheit von Prinzip und Anschauung, von Geist und Leben, von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Das ist ihre Aufgabe, auch gegenüber den Juden und deren Methoden, sofern sie Führer sozialistischer und kommunistischer Bewegungen sind. Denn sie weiß, daß weder ihr Gewissen, noch ihr Glaube, noch ihre Kirche ihr jemals gestattet, ein wahrhaftes Prinzip und ein gerechtes Gesetz zu leugnen oder zu zerschlagen, aber sie weiß auch das Geheimnis des Lebens, nämlich, daß ein Prinzip in Fleisch und Blut übergehen kann, und daß ein Gesetz auf einer höheren Ebene doch aufgehoben werden kann, indem es mehr als erfüllt, indem es in »Eminenz« erfüllt, indem es sozusagen übererfüllt wird. So, wie die Liebe die Übererfüllung des »Gesetzes« ist.
In gewissem Sinne haben die Deutschen heute psychologisch für die Erkenntnis der Lage der Juden etwas voraus vor allen anderen Völkern Europas. Denn auch wir sind viele Jahre lang umbrandet gewesen, und sind es noch, von einem unruhigen Meer von Haß, ausgesetzt einem Mißtrauen, das die phantastischesten Träume und Mißdeutungen zeugte, sind einer trostlosen Unfähigkeit begegnet, uns zu erkennen, und einer absoluten Weigerung, sich auch nur ein wenig in unsere Lage zu versetzen. Wir selbst haben in unserem Volk zuweilen eine Ghettostimmung aufkommen sehen mit allem, was dazu gehört, plötzlicher Entladung und reaktivem Auftrumpfen neben entwürdigender Feigheit und Mangel an Freimut gegenüber Verleumdern und niedrig plagenden Mißbrauchern der Gewalt. Wir haben uns nur vorzustellen, daß die Juden, das einzige wirklich »auserwählte« Volk, seit Jahrtausenden in solcher Lage waren, noch sind und sein werden, um die in diesem Buche verlangte Gerechtigkeit zu erlernen.
Der Autor hat dieses Werk begonnen und beendet mit dem Worte: »Friede sei Israel«. Der Übersetzer war und ist überzeugt von der Aufrichtigkeit der Absicht und Gesinnung, die diesem Worte entsprachen, er hat das Werk für das deutsche Volk und die Juden in Deutschland übersetzt mit keiner anderen Absicht und Gesinnung, als eben dieser: Friede sei Israel!
Theodor Haecker.
Aus technischen Gründen wurden die Kurzzusammenfassungen der Kapitel im Inhaltsverzeichnis dem jeweiligen Kapitel vorangestellt. Re. für Gutenberg