Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Juden sind ein Fremdkörper innerhalb der Gemeinschaft, in der sie wohnen – daher Reizung und Reibung – das Problem, das durch solche Spannungen gestellt wird – die Lösung dieses Problems dringend notwendig, zwei mögliche Behandlungen eines Fremdkörpers innerhalb eines Organismus: Ausscheidung oder Abtrennung. Ausscheidung durch Vernichtung, durch Ausstoßung oder durch Aufsaugung – die erste, im Falle der Juden, ist abscheulich, hat auch fehlgeschlagen – die zweite ist gleich Verbannung: hat auch fehlgeschlagen – die dritte, Aufsaugung, die wahrscheinlichste und sittlichste, hat in der Vergangenheit völlig versagt, wiewohl von allem begünstigt. Bleibt Abtrennung; zwei Formen: feindlich oder gleichgültig gegen den Fremdkörper, oder freundlich, bedacht auf sein Wohl – in dieser letzten Form am besten Anerkennung bezeichnet. Die erste Art in der Geschichte oft versucht – ist teilweise über lange Perioden erfolgreich gewesen – hat aber immer ein Gefühl der Ungerechtigkeit hinterlassen und das Problem nicht wirklich gelöst – auch hat sie immer zum Schluß versagt.
Die wahre Lösung in der zweiten Art von Abtrennung, d. h. Anerkennung, auf beiden Seiten, einer besonderen jüdischen Nationalität.
Das ist die These dieses Buches, daß das fortgesetzte Dasein der jüdischen Nation unter anderen, ihr fremden Nationen ein dauerndes Problem ernstesten Charakters darstellt: daß die gänzlich verschiedene Kultur, Tradition, Rasse und Religion Europas aus Europa einen dauernden Gegner Israels machen, und daß die neuerliche rapide Verschärfung dieser Gegnerschaft die Auffindung einer Lösung praktisch dringlich macht.
Denn wenn der Streit ungehemmt zunehmen und ohne Versöhnung weitergehen darf, dann werden wir unerwartet und rasch an einer jener Tragödien anlangen, die jahrhundertelang ein Merkmal der Beziehungen zwischen dieser eigentümlichen Nation und uns gewesen sind.
Das jüdische Problem ist eines, zu dem keine wahre Parallele gefunden werden kann, denn das historische und soziale Phänomen, das es hervorgebracht hat, ist einzig. Es ist ein Problem, von dem man sich nicht drücken kann, wie die letzte Generation der Juden sowohl wie ihrer Wirte es versucht hat. Es ist ein Problem, das nicht vermieden werden kann, noch sogar abgeschwächt (wie andere soziale Probleme) durch die heilende Wirkung der Zeit: denn es ist im Wachsen begriffen vor unseren Augen. Man muß ihm begegnen, man muß sich zu ihm stellen, offen und sofort.
Das Problem ist, allgemein gesprochen, die Spannung verschwinden zu machen oder auszugleichen, die verursacht wird durch die Anwesenheit eines Fremdkörpers in einem Organismus. Der Fremdkörper ruft Spannungen hervor, oder um einen anderen Vergleich einzuführen, bewirkt eine Reibung, die schlimm ist sowohl für ihn selbst wie für den Organismus, dem er einwohnt. Das Problem ist, wie diese Spannungen ein für allemal sich lösen lassen und wie die Dinge dauernd wieder in Ordnung zu bringen sind. Es gibt zwei Wege zu diesem erwünschten Ziele.
Der erste ist die Ausscheidung des Fremden; der zweite ist dessen Absonderung. Es gibt keinen anderen Weg.
Die Ausscheidung eines Fremdkörpers kann in drei Arten vor sich gehen. Eine offen feindliche Form: Ausscheidung durch Vernichtung. Eine Form, auch feindselig, aber doch weniger: Ausscheidung durch Vertreibung. Eine dritte Form, eine freundliche (die sich sogar am häufigsten vorfindet in den natürlichen Prozessen der physischen Natur und der Gesellschaft): Ausscheidung durch Aufsaugung; der Fremdkörper wird ein ununterscheidbarer Teil des Organismus, in welchem er ursprünglich eine Quelle der Störungen war, und hat sich in ihm verloren. Diese drei Arten machen den Inbegriff aus der ersten Methode, der Methode der Ausscheidung.
Die zweite Methode, sofern eine Ausscheidung als unmöglich oder als unerwünscht sich erweisen sollte, ist die der Absonderung; und diese wiederum kann von zweierlei Art sein – feindlich oder freundlich. Wir können das fremde Element absondern ohne Rücksicht auf dessen eigene Ziele oder Wünsche: die Absonderung findet dann statt nach einem allein vom Gesichtspunkte des befallenen Organismus aus entworfenen Plane, und die Aufhebung der von jenem geschaffenen Spannung oder Reibung wird bewirkt durch die Versperrung aller Zugänge, auf denen es seinen Wirt affizieren kann.
Aber wir können den fremden Reizkörper auch absondern durch eine Aktion, die vollauf Rechnung trägt dem abgesonderten Dinge ebensowohl wie dem Organismus, der es absondert, und die das Wohl beider Teile im Auge hat. Bei dieser zweiten freundschaftlichen Politik kann das Wort Absonderung (das einen üblen Nebensinn hat) ersetzt werden durch das Wort Anerkennung.
Dieses Buch ist geschrieben worden mit dem Gedanken, daß alle Lösungen des jüdischen Problems anderer Art, als die zuletzt genannte, entweder untunlich sind oder moralisch schlecht oder beides.
Es ist geschrieben, um eine Politik zu vertreten, bei der die Juden ihrerseits ihre gänzlich gesonderte Nationalität offen anerkennen sollen und wir unsererseits gleicherweise diese Sondernationalität anerkennen, sie ohne Reserve als eine fremde Sache behandeln und sie respektieren sollen als eine Provinz der Gemeinschaft, außerhalb unserer eigenen.
Es ist geschrieben in der Überzeugung, daß jede Haltung, die unter dieser Politik bleibt oder ganz verschieden ist von ihr, in Bälde Unheil gebären wird.
Die Lösung durch das Mittel der Vernichtung ist nicht nur moralisch abscheulich, sondern hat auch in der Praxis als illusorisch sich erwiesen. Sie ist die andauernde Versuchung aufgebrachter Pöbelmassen in der Vergangenheit gewesen, sooft das jüdische Problem reif geworden und aufgebrochen war, nicht bloß einmal, sondern tausende Male in verschiedenen Teilen unserer Kultur während der letzten zwanzig Jahrhunderte. Angefangen von den erbarmungslosen Metzeleien in Kyrenaika im zweiten Jahrhundert bis zu den letzten Morden in der Ukraine ist diese Lösung versucht worden und ist fehlgeschlagen. Sie hat ohne Unterschied ein furchtbares Erbe von Haß auf der einen, von Schmach auf der andern Seite hinterlassen. Sie ist verurteilt worden von jedermann, dessen Urteil der Rede wert ist, und im besonderen von den großen Morallehrern des Christentums. Sie ist freilich überhaupt kaum eine Politik zu nennen, denn sie ist blind. Sie ist nur eine Geste äußerster Erbitterung und noch dazu nicht einmal eine entscheidende.
Die zweite Form einer Ausscheidung – Vertreibung –, wiewohl theoretisch verfechtbar (denn eine Gemeinschaft hat das Recht, ihr eigenes Leben zu organisieren und kein Fremder darin darf beanspruchen, dieses Leben zu modifizieren oder zu stören), ist nichtsdestoweniger in der Praxis und, was diesen besonderen Fall anlangt, nur um einen Grad weniger verwerflich als die erste. Sie bedeutet unvermeidlich eine Unmenge individueller Ungerechtigkeit ebenso wie eine Beraubung der Gesamtheit und alle möglichen anderen Härten. Es ist nahezu unmöglich, sie loszulösen von Gewalt und Übeltaten aller Art. Sie hinterläßt ein nahezu ebenso starkes Erbe wie die erste, wenn nicht an Schmach auf der einen, so doch in jedem Falle an Groll auf der andern Seite. Und was sie schließlich richtet, ist, daß sie nicht durchgreifend ist, noch sein kann.
Denn es liegt im Wesen des jüdischen Problems, daß diese Lösung nur in Augenblicken und an Orten versucht wird, wo die Stärke der Juden abgenommen hat; dies bedeutet aber immer, daß sie an irgendeinem anderen Platze zugenommen hat.
Ein einzelner Staat, der diese Lösung der Vertreibung versucht, kann eine Zeitlang für seinen Teil Erfolg haben; aber dies bedeutet unvermeidlich die Aufnahme des vertriebenen Teiles in einem andern Distrikt und, früher oder später, die Rückkehr der Kräfte, deren man los zu sein hoffte. Das größte historische Beispiel dafür ist natürlich die Aktion der Engländer. Die Engländer allein von allen christlichen Völkern machten mit dieser Lösung völlig Ernst. Ein starkes nationales Königtum, eine für ihre Zeit hoch organisierte Regierung, eine insulare Lage und eine einzigartige Einmütigkeit im nationalen Wollen brachten zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Vertreibung der Juden aus England zuwege; mehr als drei Jahrhunderte lang wurde diese Austreibung aufrecht erhalten, und England allein unter all den verschiedenen Teilen der Christenheit war theoretisch frei von dem fremden Elemente, und war es nahezu ebenso in der Praxis.
Aber auf die Dauer brach, wie wir alle wissen, das Experiment zusammen. Die Juden wurden um die Mitte des 17. Jahrhunderts wieder zugelassen, und nirgends sonstwo sind sie zu größerer Macht gelangt, als eben in der Nation, die 500 Jahre zuvor jene Lösung des Problems mit so drastischer Gründlichkeit versucht hatte. Keiner der andern parallelen Versuche auf und ab in Europa waren von derselben Gründlichkeit, wie der englische. Ihr Fehlschlag zeigte sich daher rascher. Aber ein Fehlschlag scheint in jedem Falle unvermeidlich zu sein. Ganz abgesehen also von den moralischen Einwänden, die man machen kann, zeigt die praktische Erfahrung, daß eine Lösung auf diesem Wege nicht gefunden werden kann.
Schließlich bleibt die Ausscheidung durch Aufsaugung. Sie wäre offensichtlich die mildeste wie auch die einleuchtendste Methode. Sie ist ferner die normale Methode der Natur selber, sobald ein lebender Organismus es mit einer durch die Anwesenheit eines Fremdkörpers hervorgerufenen Störung zu tun hat. So naturgegeben ist sie, daß viele Männer von ausgezeichneter Urteilskraft auf beiden Seiten sie für eine Selbstverständlichkeit genommen haben. Es galt für ausgemacht, daß, wenn in der Vergangenheit die Aufsaugung nicht stattgefunden hat, daran nur schuld ist ein künstlich genährter schlechter Wille gegen die Juden auf unserer Seite oder eine unvernünftige Exklusivität der Juden ihrerseits.
Selbst heutzutage, trotzdem in unserer eigenen Generation die öffentliche Würdigung des Problems und der unmittelbare Ernst desselben stark angewachsen sind, gibt es noch sehr viele Leute, die die Aufsaugung für das natürliche Ziel der Sache ansehen. Wiewohl sie im Schwinden begriffen sind, sind sie doch noch zahlreich auf der nichtjüdischen Seite; auf der andern, der jüdischen Seite, bilden sie, glaube ich, einen kleinen Bruchteil. Denn ich merke, daß selbst die Juden, die an eine kommende Aufsaugung glauben, es mit Bedauern tun, und die große Mehrheit sicherlich würde stolz von dem sicheren Überleben Israels überzeugt bleiben.
Aber hier wiederum behaupte ich, daß wir die Geschichte gegen uns haben. In Wirklichkeit hat eine Aufsaugung nie stattgefunden. Sie hat größere Chancen gehabt als irgendein anderer ähnlicher Fall: eine Menge Zeit, sich auszuwirken, vielerlei Plätze, fortwährende Zwischenheiraten, lange Perioden freundschaftlicher Toleranz für die Juden, ja sogar zu Zeiten deren Vormacht. Waren da jemals Bedingungen, unter denen man meinen sollte, daß der größere Körper den kleineren aufsaugen würde, dann im Christentum mit seiner Jahrhunderte währenden innigen Einwirkung auf das Judentum. Volk auf Volk hat größere intensiv feindselige Minoritäten aufgesaugt: der Ire nacheinander seine Eindringlinge; der Brite die Piraten des fünften und achten Jahrhunderts und drei Jahrhunderte später den Franzosen; der Nordgallier seine Hilfstruppen; der Italiener den Longobarden; der Grieche den Slaven; der Dazier hat sogar den Mongolen aufgesaugt: der Jude aber ist intakt geblieben.
Wie immer wir das erklären mögen, mystisch oder anders – wir können nicht leugnen, daß es so ist. Es ist wahr von den Juden, und von den Juden allein, daß sie allein, ob nun durch eine spezielle Aktion der Vorsehung oder auf Grund irgendeines allgemeinen biologischen oder sozialen Gesetzes, das wir nicht kennen, ein nie fehlendes Wesen und ein nie fehlendes Anderssein bewahrt haben in den Gemeinschaften, durch die sie ohne Unterlaß hindurchgehen.
Es ist nicht wahr, daß die Bedingungen in der Vergangenheit von den gegenwärtigen hinreichend verschieden waren, um eine so seltsame Sache zu erklären. Es hat Generationen, ja sogar Jahrhunderte gegeben, wo jede Gelegenheit zur Aufsaugung da war (nicht gleichzeitig freilich über die ganze Welt, sondern nun für dieses Land geltend, nun für jenes); indessen diese Aufsaugung hat niemals stattgefunden. Da war alle Chance in Spanien zu einem gegebenen Augenblick, in Polen zu einem andern; aber die beste Chance dafür war in der kurzen aber glänzenden Periode der liberalen Politik, die Westeuropa während der letzten drei Generationen beherrscht hat. Diese Politik konnte sich voll ausleben: sie hat die Juden nicht nur unaufgesaugt zurückgelassen, sondern differenzierter denn je, und das politische Problem, das sie darbieten, bei weitem dringlicher, als es ein Jahrhundert früher war.
Es hätte so kommen können, als noch ein Völkerchaos war, wie im heidnischen Alexandrien in den vier Jahrhunderten von 200 v. Chr. bis 200 n. Chr. oder im modernen Newyork. Es hätte so kommen können, als eine besonders freundschaftliche Haltung vorhanden war, wie im mittelalterlichen Polen oder im modernen England. Es hätte sogar paradoxerweise so kommen können infolge der Verfolgungen gerade und der Spannungen in Zeiten und Orten, als die Juden die feindseligste Behandlung erfuhren: ihre Aufsaugung hätte zustande kommen können unter Druck, wiewohl sie nicht gelungen war durch die Kraft der Anziehung. Tatsächlich ist sie nie gelungen. Sie hat sich immer als unmöglich erwiesen. Die fortwährende Aufsaugung an der Grenze liegender Bruchteile, ein unaufhörlich vor sich gehender Prozeß, wo das jüdische Volk anwesend ist, hat die Gesamtheit des Problems überhaupt nicht berührt. Die Judenschaft, als Ganzes, ist gesondert verblieben, unterschieden in strenger Identität ihrer selbst in allen Lagen und an allen Orten, und das apriorische Folgern, auf Grund dessen die Leute diese Lösung vernünftig finden, wird nichtig durch eine die ganze Geschichte hindurch auftretende Erfahrung. Diese Erfahrung steht durchaus gegen jede solche Lösung. Diese ist nicht möglich.
Es verbleibt dann also nur die Lösung durch Absonderung; ein Wort, das ich, ich wiederhole es, in einem durchaus neutralen Sinne gebrauche.
Absonderung kann, wie ich gesagt habe, von zweierlei Art sein. Sie kann feindselig sein, eine Art von Vertreibung an Ort und Stelle: ein Beiseitesetzen des Fremdkörpers ohne Rücksicht auf dessen Bedürfnisse, Wünsche oder Ansprüche; das Aufrichten eines Zaunes um ihn sozusagen, einzig zu dem Zwecke der Verteidigung des Organismus, der auf eine Invasion reagiert und an der Anwesenheit von etwas leidet, das von ihm verschieden ist.
Oder sie kann eine freundschaftliche Form annehmen und zu einem gegenseitigen Arrangement führen: einer Anerkennung, zum gegenseitigen Vorteil, einer Realität, die für beide Teile nicht zu umgehen ist.
Die erste dieser anscheinenden Lösungen ist immer und immer wieder die ganze Geschichte hindurch versucht worden. Sie hat lange Perioden partiellen Erfolgs gehabt, aber niemals eine Periode des vollkommenen; denn sie hat ohne Unterschied auf jüdischer Seite ein Gefühl der Ungerechtigkeit hinterlassen, und eines von moralischem Unbehagen auf der andern.
Es verbleibt, behaupte ich, keine praktische oder dauernde Lösung außer der letzten. Zu diesem Schlusse zu führen ist der Sinn meines Essays. Wenn das jüdische Volk dazu gelangt, seinen eigenen Stolz und Patriotismus offen auszudrücken und gleicherweise offen die notwendigen Begrenzungen zuzulassen, die dieser Ausdruck auferlegt; wenn wir unsererseits freimütig die Anwesenheit dieses Volkes als eines von uns durchaus verschiedenen akzeptieren, das aber ein ebenso gutes Recht hat zu existieren wie wir; wenn wir auf unsere Vorwände in dieser Sache verzichten; wenn wir von dem jüdischen Volke frei und furchtlos als einem gesonderten Teil reden und es als solchen anerkennen; wenn beiderseits die Realitäten der Sachlage zugestanden werden, mit den logisch folgenden und notwendigen Definitionen, die jene Realitäten implizieren: dann werden wir Frieden haben.
Der Vorteil, den beide Teile – die kleine, aber virulente jüdische Minorität, die große nichtjüdische Majorität, inmitten welcher jene lebt und tätig ist, – aus einem solchen Arrangement ziehen würden, liegt am Tage. Wenn an ihm festgehalten werden könnte – wie ich es für möglich halte –, dann würde das Problem dauernd gelöst sein. In jedem Falle kann es, wenn es nicht in dieser Weise gelöst werden wird, sicherlich in keiner anderen gelöst werden, und wenn wir nicht zum Frieden gelangen durch diesen Zugang, dann sind wir verurteilt zu der immer neuen Wiederkehr jener Verfolgungen, welche die Geschichte Europas entstellt haben von der ersten Konsolidation des Römischen Reiches an.
Es war eine Reihe von Kreisbewegungen, immer im selben Ablauf. Der Jude kommt zu einer fremden Gemeinschaft, zuerst in kleiner Anzahl. Er gedeiht. Seine Anwesenheit wird nicht übelgenommen. Er wird eher wie ein Freund behandelt. Ob nun infolge eines bloßen Kontrastes im Typus – was ich »Reibung« genannt habe – oder infolge irgendeiner anscheinenden Divergenz zwischen seinen Zielen und denen seiner Wirte, oder infolge seiner Vermehrung: er schafft oder entdeckt eine wachsende Animosität. Er nimmt sie übel. Er widersetzt sich seinen Wirten. Diese wollen Herr sein im eigenen Hause. Der Jude widersteht diesem Anspruch. Es kommt zu Gewalttätigkeit.
Es ist immer dieselbe traurige Aufeinanderfolge. Erst ein Willkommen; dann ein wachsendes, halb unbewußtes Übelbefinden; demnächst ein Höhepunkt akuten Übelbefindens; am Schluß eine Katastrophe und Unheil; Beleidigung, Verfolgung, sogar Metzeleien; die Verbannten fliehen vom Orte der Verfolgung an einen anderen, wo man den Juden kaum kennt, wo das Problem nie existiert hat oder vergessen worden ist. Er trifft wieder die weitherzigste Gastfreundschaft. Aber auch hier folgt nach einer Periode freundschaftlichen Verkehrs ein wachsendes, halb unbewußtes Übelnehmen, das bald akut wird und zu neuen Explosionen führt, und so weiter in fatalem Kreislauf.
Wollen wir dieses Rad in seiner unaufhörlichen und tragischen Drehung aufhalten, so scheint es kein anderes Mittel zu geben als das, für welches ich plädiere.
Die Opposition gegen es ist mannigfacher Art und sehr stark, aber kann immer durch Analyse auf irgendeine Form von Unehrlichkeit zurückgeführt werden. Diese Unehrlichkeit leugnet etwa die Existenz des Problems, schweigt es tot, oder gibt freundschaftliche Gefühle im öffentlichen Verkehre vor, die Lügen gestraft werden durch jedes Wort und jede Geste im Privatleben. Oder sie definiert etwa das Problem unrichtig, indem sie es als wesentlich religiös hinstellt, während es wesentlich national ist. Am allerschlimmsten ist jene eigentlich moderne Art der Unehrlichkeit: Aufstellung einer Wahrheit und daneben deren Gegenteil, ähnlich der kostbaren modernen Lüge, daß einer ein Patriot sein könne und zur selben Zeit international. Im Falle der Juden gibt diese spezifisch moderne Lüge etwa zu, daß sie uns gänzlich fremd sind und verschieden von uns, spricht so von ihnen und schreibt auch so von ihnen, schreibt und spricht jedoch in einer andern Verbindung von ihnen so, wie wenn der so ungeheure Gegensatz nicht bestände. Dieses vorgebliche Versöhnen von Widersprüchen ist die absolute Lüge. Ihr folgt die Strafe auf dem Fuße, denn die ihr frönen, werden blind.
Jede Opposition, der ich begegnet bin, gegen die hier vorgeschlagene Lösung ist eine, die aus dem Geiste der Unwahrheit entspringt; und wenn es kein anderes Argument gäbe zugunsten einer ehrlichen und moralischen Beilegung des Streites, dieses eine auf Wahrheit gegründete Argument würde, glaube ich, genügen. Es ist eine soziale Wahrheit, daß es eine jüdische Nation gibt, die uns fremd ist und uns darum aufreizt. Es ist eine moralische Wahrheit, daß Vertreibung und Schlimmeres unverwendbare Heilmittel sind. Es ist eine historische Wahrheit, daß diese Lösungen immer fehlgeschlagen sind; die Anerkennung dieser drei Wahrheiten allein wird uns die rechte Stellung geben.
Das ist die Hauptthese dieses Buches, aber sie braucht noch einen Zusatz, wenn ihr voller Sinn erfaßt werden soll, und diesen Zusatz habe ich im letzten Kapitel zu geben versucht.
Wenn die Lösung, die ich vorschlage, die richtige ist, dann bleibt noch zu bestimmen, ob sie zuerst in Form neuer Gesetze auftreten soll, aus denen ein neuer Geist hervorgehen könnte, oder zuerst die Form eines neuen Geistes und einer neuen Praxis annehmen soll, aus denen neue Gesetze entspringen würden. Die Reihenfolge ist wesentlich; denn hier irren, die wahre Folge von Ursache und Wirkung umkehren, ist die primäre Ursache aller Fehlschläge bei allen sozialen Reformen.
Die, welche die Geduld haben, mein Buch zu Ende zu lesen, werden sehen, daß ich auf seinen letzten Seiten mit aller Kraft für die zweite Politik eingetreten bin. Es wäre unmöglich, in unserer Gesellschaft und angesichts der rapid steigenden Welle der Feindschaft gegen die Juden neue Gesetze zu bilden, die nicht zu Ungerechtigkeiten führten. Aber wenn es möglich ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der man offen von den Juden spricht, und diese ihrerseits die Konsequenzen einer Sondernationalität inmitten von uns zugeben, definieren und akzeptieren, dann, wenn ein solcher Geist einmal festen Grund gefaßt hat, werden ihm entsprechende Gesetze und Regelungen von selbst folgen.
Aber ich bin überzeugt, daß die Umkehrung des Prozesses nur zu Verwirrung führen würde und dann zu Unheil, sowohl für Israel wie für uns.