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Vorwort

 

Der Zweck dieses Buches ist, fürchte ich, bescheidener, als der vieler Bücher, die über diese vitale politische Frage erschienen sind: die Beziehung zwischen den Juden und den sie umfassenden Nationen.

Es schlägt nicht eine ins einzelne gehende, noch weniger eine positive gesetzliche Lösung eines dringend gewordenen Problems vor, es erhebt auch nicht den Anspruch, eine vollständige Lösung zu geben. Es ist nicht mehr als ein Hinweis, daß jeder Versuch, dieses Problem zu lösen, gewissen allgemeinen Richtlinien folgen müsse, die wesentlich verschieden sind von denen, die in Westeuropa während der der unseren unmittelbar vorhergegangenen Zeit eingehalten worden sind. Ich weise darauf hin, daß, wenn die gegenwärtige Generation beiderseits, bei den Juden und bei uns, die Konvention fallen lassen und es zum Prinzip erheben will, die Diskussion des Problems auf dem Boden der Wirklichkeit zu führen, wir automatisch einer richtigen Lösung näherkommen werden.

Wir haben einfach die Wahrheit zu sagen, an Stelle der Unrichtigkeiten der letzten Generation. Darum scheint mir von den drei Prinzipien, auf denen dieser Essay ruht, das Prinzip, daß die Methode der Verheimlichung ein Ende finden muß, wichtiger zu sein, als das Prinzip gegenseitiger Erkenntnis, oder sogar das Prinzip gegenseitiger Achtung. Denn es mag wohl sein, daß mein Urteil in Sachen des jüdischen Nationalbewußtseins irrig ist; es mag wohl sein, daß ich es übertreibe, und es ist gewiß, daß die eine Partei bei einer Debatte nicht im Besitze der für deren Bereinigung erforderlichen vollen Kenntnisse sein kann; die andere Seite muß auch gehört werden. Aber weder mein Urteil noch das irgendeines anderen kann irrig sein in Hinsicht auf den Wert der Wahrheit und die schließlichen übeln Folgen eines Versuches, auf einer Lüge aufzubauen.

Der englische Leser (weniger, glaube ich, der amerikanische) wird in meinen Sätzen oft eine Note finden, die ihm phantastisch vorkommen mag. Der Streit ist bereits hier in London akut, aber er hat hier noch nicht die Grenzen erreicht, an denen er anderswo längst angelangt ist; und einer, der an die ruhigere Atmosphäre gewöhnt ist, in der über alle öffentlichen Dinge bis vor kurzem in diesem Lande debattiert worden ist, mag ein Lächeln haben für das, was ihm sonderbar und wie übertriebene Angst vorkommen wird. Darauf würde ich antworten, daß das Buch im Lichte nicht nur englischer, sondern allgemeiner Erfahrung geschrieben worden ist. Ich gehe eine Wette ein, daß, würde es einer aus den verschiedenen Nationen Europas und der Vereinigten Staaten ausgewählten Jury vorgelegt, es sogar noch zu maßvoll in seiner Abschätzung der von ihm beschworenen Gefahr befunden würde. Ich möchte den Leser, der die Schnelligkeit, mit der die Gefahr sich nähert, noch nicht gewürdigt haben mag, bitten, die in den letzten wenigen Jahren zurückgelegte Distanz zu beachten. Es ist noch nicht sehr lange her, daß eine einfache Diskussion der jüdischen Frage in England unmöglich war. Es ist nur ein paar Jahre her, daß deren bloße Zulassung abnorm erschien. Die Wahrheit ist, daß diese Frage keine ist, die wir in irgendeiner europäischen Nation willkürlich eröffnen oder schließen. Sie wird einer Nation nach der anderen der Reihe nach auferlegt durch die Gewalt der Umstände. Es ist diese Gewalt der Umstände, dieses Bedürfnis nationalen Wohlbefindens, diese Abwehr der Auflösung, die heute die jüdische Frage einer Gesellschaft aufdrängen, die noch widerwillig deren Beachtung zurückweist und immer noch hofft, zur alten Geringschätzung ihrer zurückkehren zu können. Sie wird das nicht können.

Ich will schließen mit der Bitte an meine jüdischen wie an meine nichtjüdischen Leser, zu beachten, daß ich jede persönliche Anspielung und jedes Element bloßer Verdächtigung ausgelassen habe. Ich habe sorgsam die Erwähnung bestimmter Beispiele aus dem öffentlichen Leben für die Reibung zwischen uns und den Juden vermieden und sogar Beispiele aus der Geschichte der Vergangenheit. Mit solchen hätte ich oft meine Beweisführung stärken können, und ich würde sicherlich mein Buch zu einem größeren Erfolg bei der Lesewelt gemacht haben. Ich habe alles dieser Art ausgelassen, weil, wenngleich einer auf diese Weise unser Interesse erregen kann, es auch Feindseligkeit erzeugt zwischen den beiden gegnerischen Parteien. Sintemal mein Zweck ist, diese Feindschaft einzudämmen, die bereits gefährlich genug geworden ist, wäre es in der Tat unaufrichtig von mir, wenn ich, bloß um diesen Essay zu beleben, mich dazu hergegeben hätte, die Gemüter zu erbittern.

Ich hätte dieses Buch weit wirksamer gestalten können, wenn ich es als Polemik, und unvergleichlich viel amüsanter, wenn ich es als Sammlung von Anekdoten geschrieben hätte, aber ich habe es weder als Polemik noch als Anekdotensammlung geschrieben. Ich habe es geschrieben als einen Versuch, gerecht zu sein.


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