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Die schönen Gegensätze von Siena

Diese rauhe, kleine Stadt Siena, die so voll Wollust ist, sie erscheint der Phantasie wie jene Hehlerin, bei der Sodoma alle die Schätze von Gemälden aufhäufte, die er unter der Leitung des Vinci und nach der Eingebung seines eigenen, unruhigen Herzens schuf.

 

Ein seltsames Kind, dieses Siena, so hart und wieder so schmiegsam, von Mauern eingeschnürt und doch voll Ungezwungenheit auf drei Hügel hingelagert. Wie oft durchschritt ich diese unregelmäßigen, engen, ohne Unterlaß bergauf und bergab kletternden Gassen, deren massive Paläste die Temperatur selbst im Sommer immer frisch erhalten! Ich durchstreifte sie nach allen Richtungen, trat bei den Antiquaren ein, interessierte mich für alle Kirchen und ruhte mich schließlich in der Kathedrale aus, inmitten der jungen Leute des Pinturicchio, wahren Lustknaben.

Weit mehr als die Fülle der einzelnen Meisterwerke bringt die Art des Lichtes Abwechslung in Sienas pittoresken Reiz. Früh morgens, wenn man sich ganz frisch fühlt und der Fuß sich an den elastischen Platten der Gassen zu freuen scheint, da sah ich im Hintergrund seines berühmten Platzes den Palazzo Publico, lustig, jugendlich, mit seinen Zinnen wie mit einer Krone geschmückt und seiner lieblichen Loggia.

Ein klarer, lichter Schatten milderte sein Bild; gegenüber platzte die Sonne auf den weißen Marmor der Fontäne, und alle Paläste des Platzes, mit den merkwürdigen, muschelartig gezeichneten Formen, bekamen jetzt erst ihre vollen Farbwerte: rot, grau, grün und violett ... Und dann habe ich den Palazzo Publico am Abend gesehen, ganz düster, ganz traurig über seinen nun verwaisten Balkon, seine Sturmglocke, der nun die Autorität fehlt und seinen hohen Turm, der nichts mehr Heldenhaftes wahrnimmt.

Eine der stärksten Sensationen von Siena, dessen enge, mit Steinplatten gepflasterten Gassen an kühle Verbindungsgänge eines ungeheuren Palastes erinnern, sind seine plötzlichen Ausblicke, eine Art Fenster, die an den schönsten Punkten angebracht dem Auge über die bebauten Hügel der Stadt hinweg die weiten, langgezogenen Wellenlinien dieser überraschenden Landschaft erschließen. Da und dort erweitert sich die Gasse zu einer Terrasse, stets durch eine steile Böschung abgegrenzt und mit drei Bäumen bepflanzt, diese ein Labsal unter so viel Steinen. Eine glückliche Kombination von Zufall und Kunst. Wir fingen schon an, ein vages Unbehagen zu empfinden, keine Erde unter den Füßen zu fühlen, nicht einen einzigen Baum zu erblicken, bloß einen Streifen Himmel zwischen den hohen Friesen der Paläste, und da plötzlich senkt sich eine Mauer, daß sie nichts mehr bleibt als ein niederes Geländer am Rande des Abgrundes, der uns vom unendlichen Horizonte trennt.

Diese etwas theatralische Mischung von Architektur und Landschaft, wie sie nur Jahrhunderte zustande bringen, gibt eine künstlerische Unterhaltung, daß ich niemals müde werde, mich ihrer Überraschung zu freuen. Die bestausgedachten Gärten, wie Boboli mit seinen Ausblicken auf die florentinische Landschaft oder die Gärten des Comer-See und des Lago Maggiore, wenn ihre Azaleenhügel unter den halb entfalteten Magnolien zu verblühen beginnen, übertreffen an Schönheit nicht diese Plätze, wo Sienas Frauen, während sie aus den Brunnen, unter hundertjährigen Bäumen, Wasser schöpfen, eine ruhmreiche herrliche Landschaft umarmen.

Das ist Sienas Prestige: ernst und sinnberauschend im Kleinsten, Bescheidensten so gut wie in seiner Kathedrale, die die Stadt beherrscht, und in seiner Piazza, die ihr Mittelpunkt ist.

Es ist der typische Charakter von ganz Toskana. Man kann nicht mit mehr Anmut und Lieblichkeit jugendlich sein als dieses florentinische Land; ja, nirgends war die Jugend mehr eine hübsche Sache ins Bett zu nehmen. Und so heftig auch in dieser leichten und doch brennenden Luft die Empfindungen sein mögen, niemals haben sie sich hier mit Niedrigem beschmutzt. Diese beiden Charakterzüge, der Ernst und die Sinnlichkeit, treten in keinem anderen Orte Toskanas so stark zutage wie in Siena, und kontrastieren deshalb auch nirgends so stark wie hier. Wenig Nuancen, kräftige Farben und etwas von der herben Sinnlichkeit, von der Spanien zu Tode gehetzt ist.

Neben der Menge strenger, befestigter Palastschlösser, wie des Magnifico, Salimbeni, Piccolomini, Tolomei, deren Türme und Zinnen uns bis zu wilder Grausamkeit tragische Geschichten ins Gedächtnis rufen, sieht man dicht darunter, innerhalb derselben engen Mauern, das kleine, in Frömmigkeit getauchte Haus der heiligen Katharina, ein Reliquienschrein, der in die ganze christliche Welt die stärkste Inbrunst gebracht hat ... Und wenn wir das Museum besuchen, ist es dieselbe Antithese: die strenge Energie der sienesischen Primitiven und die leidenschaftliche Glut des Sodoma und seiner Genossen Beccafumi und Pacchia.

 

II Sodoma! Es ist die Sinnlichkeit Lionardos: aber die Verwirrung, die uns schon im Lächeln des Lombarden beunruhigte, gewinnt hier den ganzen Körper. Es ist nicht das zerebrale Geheimnis, das allein unsere Neugier erregt, im Oratorium von San Bernardino, in der Kirche San Domenico, vor dieser Fülle von Gemälden, die Sodoma mit einer solchen Fruchtbarkeit schuf, daß der Geist Sienas darin ganz geändert ist und uns diese Stadt, von Aussehen und Geschichte so hart und rauh, doch mit sinnlich-weicher Lust erfüllt.

Vor dem heiligen Sebastian in den Uffizien ahnten wir das Geheimnis Sodomas. Was diesen wundervollen Jüngling beunruhigt, ist nicht der den Hals durchbohrende Pfeil, noch der zweite Pfeil, der aus einer Wunde am Schenkel zwei dünne Blutfaden fließen macht. Keine Frau wird darüber im Unklaren sein. Alle treten sie unwillkürlich näher, um den schönen Körper in ihren Armen aufzufangen. Und er, mit diesem Jungfrauenaussehen und unter diesem neuen Eindruck, glaubt zu sterben, verlangt nach Armen, die ihn drücken. Die Verzückung, die Angst seiner Augen, seines halb geöffneten Mundes, das beweist, was uns andernorts das finstere und heiße Porträt Sodomas sagt.

Man kann sein Selbstbildnis sehen, auf einer Freske des Monte Olivetto. Das herrische, bräunliche Oval seines Gesichtes, umrahmt von schwarzen, bis zu den Schultern herabfallenden Haaren, dann diese prachtvollen Augen, der etwas zu starke Mund ...ja, das bist du, Antonio Bazzi, detto Il Sodoma!

Bei einem solchen Menschen wird alles Sinnliche im Bilde mit ungewöhnlicher Schärfe hervortreten, die Harmonie oder, um es frei heraus zu sagen, die Mittelmäßigkeit unseres gewöhnlichen Sehens zerbrechen. Er transformiert in seinem Geiste die Realitäten des äußeren Lebens, um daraus eine bestimmte glutvolle und traurige Schönheit zu machen.

Denen die Kunst kein vollkommenes Universum ist, und die darin nicht ganz aufzugehen, sich ganz darin zu genügen verstehen, die werden sich mit Recht darüber aufhalten, davor entsetzen, werden versuchen, Fragmente ihrer Träume in das Leben der Gesellschaft zu übertragen; und nichts wird daraus resultieren als Bankerott.

Die Jünglinge Sodomas, die ihrer körperlichen von athletischen Muskeln bestätigten Kraft einen intellektuellen Ausdruck beimischen, so scharf, daß er schmerzt, sind ausschöpfendes Sehen, das nichts mehr übrigläßt. Die seelische Verzückung, mit solcher Kraft des Lebens verbunden, erreicht die höchsten Ausdrucksformen des Verlangens, des Verzweifelns, des Lebenswillens und weckt in uns, ganz auf dem Grunde unseres Bewußtseins, unbekannte Zustände, deren wachsende Kraft wohl die gesellschaftliche Ordnung zerbrechen könnte.

Bei seinen Frauen sind die Empfindungen nicht weniger scharf. Die Magdalena lehnt ihre Wange an die Schulter des toten Christus und mit welcher heimlichen Zärtlichkeit hält sie seine Hand! Nie hätte sie, da er lebte, diese vertrauliche Geste, die sie unendlich fein fühlt, gewagt. – Seine Judith, ein junges Mädchen, das ins Feldlager der Juden zurückkehrt. In der Stimmung des frühen Morgens schreitend, hält man sie nicht für eine Jungfrau, deren Blick niemals auch nur eine unreine Vorstellung getrübt hat? Und doch war Holofernes ein von Kraft Strotzender! Wie schnell eine Frau den Akt vergißt, zu dem sie sich hergegeben! Kleine Hände, die ihr dies Schwert haltet, wart ihr nicht, ehe der Hahn krähte, zwei kleine liebkosende und zitternde Hände? – Auf einer Freske stellt der Maler den berühmten Vorgang des Verbrechers dar, der die Heilige bittet, sie möchte seinen Kopf unter dem Beil des Henkers halten, damit er Gott nicht lästere. Wir sehen auf dem Bilde eine Schar von Jungfrauen herzueilen, um den Rumpf des Enthaupteten, der alle Schrecken des Todes zeigt, zu betrachten, und es erinnert uns an die unreine Lust des Weibes am Blute und an dem Entsetzlichen. In allen Dirnen des Montmartre, keuchend von den Einzelheiten über die letzte Hinrichtung, hat mich Sodoma die Herodias wieder erkennen lassen. – Die erhabenste Macht des Ausdruckes erreicht der Meister in der zusammenbrechenden heiligen Katharina. Was diese Heilige, von der ganz Siena erfüllt ist, war, das kann man aus ihren Porträts sehen, deren Echtheit kaum anzuzweifeln ist: ein altes, energisches, sehr intelligentes Mädchen, das weder der Respekt vor Menschen noch Hindernisse aufhielten. Ihrer echten Inbrunst lag jede Weichheit ferne. Ihre Qualität zeigt sich ganz in der Art, wie sie mit dem Papst Gregor XI. umging, den sie nach Rom zurückbrachte: »Um Eurer Pflicht zu genügen, heiliger Vater, und den Willen Gottes zu erfüllen, werdet Ihr die Tore dieses schönen Palastes schließen und den Weg nach Rom nehmen, wo Euch Schwierigkeiten und die Malaria erwarten, im Tausch für die Wonnen von Avignon.«

Wie wurde nur diese tatkräftige, energische, durch einsame Meditationen exaltierte Frau in den Künsten ein Symbol der stärksten sinnlichen Verzückung? Die Gestalt der heiligen Therese hat eine ähnliche Wandlung erfahren. Die Legende hat eine Vorliebe, ihre Auserwählten mit dem Glorienscheine bestrickenden Zaubers zu umgeben. Der Volksglaube liebt die historische Wahrheit nicht und empfindet Widerwillen gegen die Analyse der Charaktere.

Diesen Vorgang kann man bei den Malern verfolgen, die der Heiligen am nächsten standen. Im Beratungssaale des Palazzo Publico ist die entzückende Heilige Katharina des Vecchiatta. Was für eine Prinzessin des Mystizismus! Das Bild ist wundervoll und von großem Wert, weil es Ähnlichkeit beabsichtigt und Vecchiatta nach Porträts aus der Zeit arbeitete. Die gute Nonne zeigt ihre frische Gesichtsfarbe und die großen Augen, die schon viel geweint haben, den Mund mit feingeschwungener Bogenlinie, und die Wundmale zieren die schlanken, aristokratischen Hände wie Juwelen ... Die Heilige hat genug getan, uns zu rühren, wenn sie uns mit dem Aufweisen ihrer Wunden an ihre Tugenden erinnert. Aber von eben diesen Tugenden wollten die Sienesen eine noch ergreifendere Darstellung und sie kamen mit der Zeit zur Überzeugung, daß die Heilige, die sie so verehrten, die sinnverwirrenste aller Amoureusen gewesen sein müßte. Was könnte den gewöhnlichen groben Männern einen stärkeren Eindruck machen, als ihre Geliebte in Wollust die Besinnung verlieren zu sehen? Also mußte Katharina, die Geliebte Sienas, in Wonne berauscht bewußtlos hinsinken.

»Die Ohnmacht der heiligen Katharina« des Sodoma, mit ihrem zusammengesunkenen Körper, von dem uns der weiche Fall der Gewänder die hingebende Schwäche zeigt, das provoziert und befriedigt unsere geheimsten Kräfte. Unser ganzes Wesen ist da interessiert. Ein vollendetes Liebesidol, das malte Sodoma in der Kirche von San Domenico, und daß er es so weich, so von Leidenschaft durchfeuchtet unter alle diese Härten stellte, damit schuf er einen der mächtigsten Gegensätze, die die Welt der Kunst ihren Genießern bietet.


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