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Das wunderbare Geheimnis

Sie empfing ihn mit diesem Air einer Frau, die das wunderbare Geheimnis besitzt: die Würde, die alle Gelüste bemäntelt und gestattet.

(L'Ennemi des Lois.)

Warum mir wohl das unbedeutende phonetische Wortspiel, das ich vor ein paar Jahren in Rom aus dem Munde eines italienischen Prälaten vernahm, im Gedächtnis haftet? Man sprach von einem Manne, den einerseits der Vatikan hochschätzte wegen seiner umfassenden Kenntnisse und seiner Fähigkeiten in allen Angelegenheiten der Kirche, andererseits aber wurde betont, daß damit die Liebeshändel und Geldspekulationen seines Privatlebens nicht im Einklange ständen. »Il a voulu entrer dans les ordres,« sagte scherzend der Prälat, »puis il s'est mis du tiers-ordre, et le voilà dans le désordre.«

Im selben Moment trat der Gegenstand dieser lazzi ein. Noch sehr jung, aber das Gesicht durch ein Ekzem entwürdigt, eigentümliche Augen von eisiger und toter Farbe, etwas Linkisches in seinen Bewegungen, aber trotzdem voller Entschlossenheit, so daß er, dank seiner Kopfhaltung, im ganzen wie ein schönes, verkümmertes Raubtier wirkte, dessen allzu heftige Begierden die Fessel des Gesetzes nicht zur Entfaltung kommen ließ.

Er sprach kein Wort, das nicht hart für die Feinde des römischen Hofes gewesen wäre, und jedermann weiß, daß gemeinsamer Haß die Menschen am stärksten verbindet; aber jeder, dem das Laster, der Ehrgeiz und die Liebe zum Gelde nur einigermaßen geläufig sind, würde mühelos aus den Falten dieses Mundes und aus dem Blicke die Geistesabwesenheit und Zurückhaltung herausgefunden haben, die ein teilweises Doppelleben verraten. Das konnte ein Söldling der Kirche sein, sicher aber war er kein Gläubiger. Das hier war einer, der das wunderbare Geheimnis des gesellschaftlichen Lebens besaß! Dieses Dasein verbarg zweifellos alle Regungen der Leidenschaft, die schlimmsten Ausschweifungen, ja, aber unter der unanfechtbarsten Außenseite! Der öffentlichen Meinung das eigene Bild so zu zeigen, daß sie, ohne ihre gewohnten Grundsätze zu verleugnen, uns ihre Achtung bewahren muß; es den anderen erleichtern, daß wir sie düpieren: das ist, ich werde es gleich beweisen, die Wissenschaft, die er besaß und die für den durchaus notwendig ist, der sich die Menschen dienstbar machen will.

Sie ist zu delikat, die Stellung eines Beichtvaters gegenüber der Weltdame, die ihn zu Tisch empfängt, und deren Sünden er im Beichtstuhle gehört hat: vermeiden wir darum in unserem Falle, die Gesellschaft in eine ebenso falsche Lage zu bringen! Ein lüderlich lebender Mann muß sich nach außen mit strengster Korrektheit umgeben.

Es gibt im Saint-Simon eine in wenige Zeilen zusammengedrängte Geschichte, die ein packendes und sehr geeignetes Bild gibt, die Moral zu illustrieren, die ich hier entwickele. Es handelt sich um einen Erzbischof.

Der große Beobachter zeigt ihn uns schon leichten Anfällen von Epilepsie unterworfen, und erzählt dann, daß er jeden Nachmittag die Herzogin von Lesdiguières empfängt und sie sind zu zweien immer ganz allein. Eines Tages verbrachte er den Vormittag in gewohnter Weise bis zum Mittagessen; als sein Haushofmeister ihm melden wollte, daß serviert sei, fand er ihn in seinem Arbeitszimmer auf einem Kanapee sitzend hintenüber gefallen: er war tot. »Der Pater Gaillard hielt ihm die Leichenrede in der Nôtre-Dame: der Gegenstand war mehr als heikel und das Ende schrecklich. Aber der berühmte Jesuit zog sich heraus: er lobte was Lob verdiente und ging rasch über die Moral hinweg.«

Dies schon ist nicht übel, uns die Konventionen der Gesellschaft verstehen zu machen, aber die charakteristische und lehrreichste Stelle und die Stelle, die unterstreicht, wie die Welt getäuscht werden will, ist die, in der Saint-Simon vom Erzbischof berichtet:

» ... Er sah jeden Tag, solange er lebte, seine gute Freundin, die Herzogin von Lesdiguières, besuchte sie entweder in ihrem Hause oder in Conflans, aus dem er einen köstlichen Garten gemacht hatte, den er so sauber hielt, daß wenn sie zu zweit spazieren gingen, ihnen die Gärtner in einiger Entfernung mit Rechen folgten, um die Spuren ihrer Schritte zu verwischen.«

Dieser melancholische Garten und diese schöne Ordnung um diesen ganz ordnungslosen Greis sind meinem Geschmacke nach ein überzeugendes Bild! Wunderbarer Rechen, der so köstlich die moralische Kultur wirklich zivilisierter Gesellschaftskreise symbolisiert: in der Seele völligste Gesetzlosigkeit, Zigeunertum; nach außen strengste Grundsätze!

Nachdem die Viper für Kleopatra doch nichts anderes war als eine posthum redende Seele, hätte sie, Königin und Kurtisane, in die Ecke ihrer Papyrusrollen diesen symbolischen Rechen anbringen lassen können.

Man weiß ja, daß dem flüchtig erkorenen Liebhaber von gewöhnlicher Herkunft eine Nacht in ihrem Bette den Kopf kostete. Und diese Forderung war bei ihr nicht nur Laune einer sinnlichen Frau, sondern der wohlerwogene Wille, die Etikette zu bewahren. Die schwarzen Sklaven, die den Zeugen der Liebestollheit ihrer Königin köpften, versahen bei differenter Zeit und Ort genau das gleiche Amt wie die Gärtner des Erzbischofs, wenn sie seine mit denen der Freundin vermischten Fußspuren zurechten. Dieses Schwert und dieser Rechen bezeichnen eine gleiche Methode des Lebens.

Zweifellos finden wir die Konzession, welche die blendende Königin der gesellschaftlichen Moral machte, etwas exzessiv. Welche Haltung die von der Leidenschaft Gepackten von heute auch immer zur Schau tragen, so rüde wird keine das Dekorum wahren. Vielleicht wird Katharina von Rußland die Letzte gewesen sein, die mit solchem Temperamente den Geschmack an der Débauche mit dem Gefühl der persönlichen Würde zu vereinen wußte. Die in früherer Zeit unbekannte Milde unserer Sitten mißbilligt diese exzessive Schamhaftigkeit der Kleopatra. Aber immerhin verbergen auch heute noch die Vornehmen ihre Leidenschaften. Der Zynismus hat immer irgendeine niedrige Allüre. Wir lieben es, unsere Spuren zu verwischen.

Das ist durchaus nicht Scheinheiligkeit, Pharisäertum; es ist der höhere Instinkt des wahren Genusses, der das Geheimnis verlangt. Alcibiades ließ seinem Hunde den Schweif abschneiden um des Vergnügens willen, die öffentliche Meinung zu täuschen, denn die Überfeinerung seiner Sensibilität verhinderte ihn, irgend etwas zu genießen, das öffentlich war. Er schuf sich ein Leben im Verborgenen. Er genoß die Freude eines Doppellebens bis zum Wahnsinn! Sein und scheinen! Die großen Abenteurer versichern, daß sie darin eine Intensität nervösen Genießens finden, die ihnen die Bereiche des Lebens verdreifacht.

Es ist das die Geschichte des Prinzen Rodolphe im Eugen Sue: Grandseigneur und Arbeiter, und die des Vautrin im Balzac: Priester, Diplomat und Galeerensträfling; – Gestalten, welche die Phantasie der Menge begeisterten! Aber das sind Übersetzungen ins Grobe. Meiner Ansicht nach liegt das Pikante nicht darin, einen reichhaltigen Kleiderschrank, sondern mehrere Seelen zu besitzen. Es handelt sich weniger darum, eine Persönlichkeit in vielen, verschiedenen Milieus vorzustellen, als: ein inneres, geheimes Leben zu haben. Welche falsche Nase des Prinzen Rodolphe ist die Freude darüber wert, in seiner Seele ein Refugium zu haben!

Welch heftigen Wonneschauer müssen diese Abenteurer-Naturen fühlen, die sich zwar ganz ihrem gewohnten Milieu anpassen, aber vollbewußt die Wollust von zwei oder drei verschiedenen und sich widersprechenden seelischen Existenzen genießen! Nur eine Persönlichkeit sein, das heißt wenig leben. Und manchmal denke ich mit höchstem Genusse an jenen seltsamen Mann, von dem der Prälat sagte: »Il a voulu entrer dans les ordres, puis il s'est mis dans les tiers-ordres et le voilà dans le désordre.«

Zweifelsohne ist es bedauerlich, daß sein Andenken für mich mit einem so jämmerlichen Wortspiel verknüpft ist, aber der rote Flecken zu scharfen Blutes, der sein unbewegliches Gesicht maskiert, beweist mir, daß er die kostbare Gabe besitzt, die man zwar tadeln kann, die nicht zu bewundern aber schwer ist: die Würde, die alle Gelüste bemäntelt und gestattet.


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