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Der Herbst in Parma

Die Gestalt des Fabrice del Dongo – aus der Chartreuse de Parme – die eine so seltene Mischung von Enthusiasmus und Subtilität der Empfindung aufweist, muß man bewundern. Mit sechzehn Jahren beseelte ihn der glühende Wunsch etwas zu wirken und an der Seite des großen Napoleon sich seine Energie zu beweisen. Heutigen Tages fände er nur im parlamentarischen Leben Aktivität und Wagen. Trotzdem er in der Intrige sich zu amüsieren verstand, hatte er zu gleicher Zeit den Geschmack an den Sensationen der Seele. Durch diese Doppelseitigkeit, der die Sinnlichkeit des alten Italien einen passenden Rahmen gab, bleibt er einer der anziehendsten Helden des Jahrhunderts.

Ich bin nach Grianta, nach Cadenabbia gewandert, wo Fabrice seine Kindheit am Comer-See verlebte; ich habe zwischen Como und Ternobbio, gegen Vico hin, den weit in den See hineinragenden Felsen aufgesucht, auf dem er in einer herrlichen Nacht und in Gedanken an Sanseverina eine so köstliche Exaltation von Großmut und Tugend erlebte; ich folgte seiner Spur am Lago Maggiore und versuchte mich in alle Stimmungen, mit denen er sich dort trug, hineinzuleben. Gestern endlich, in Parma, durchlebte ich nochmals seine wichtigsten, von Romantik und Zufall ganz erfüllten, aber niemals ins Gemeine oder Läppische fallenden Epochen seines Lebens, ging ihnen mit meiner Phantasie nach, die hungernd danach ist, sich mit Lebensformen zu zerstreuen, sich in deren Sinn der Ungeschicklichkeiten und Zaghaftigkeiten zu verlieren, die ich zu vermeiden nicht verstehe.

In diesem Parma, das Bourget und Taine vernachlässigten, mußte ich zu allererst die Correggios besuchen. Nur hier kann man diesen sublimen Maler kennen lernen, der für jeden Moment der weiblichen Seele einen Ausdruck schuf, von der feinsten, nervösen Erregung bis zum vergehenden Wonnerausch. Die Feuchtigkeit, die Zeit haben seine Fresken und seine Kirchenkuppeln mit Schatten erfüllt, und die mysteriöse Grazie seiner Gestalten mit einem ungraziösen Mysterium verdunkelt; aber im Museum sind zwei, drei Bilder, vor allem »Der Tag«, wo ein Kindlein mit den Haaren einer unvergleichlichen Magdalena spielt, die so schmiegsam, so wollüstig ist in ihren kaum sechzehn Jahren – das hat mir die anmutige Grazie, das Licht und die ausdrucksvolle Bewegtheit des Comer-Sees erinnert. Unter dem belehrenden Einflusse solcher Schönheiten beginnt man selbst an Parmegianino Geschmack zu finden und vorgefaßte Meinungen zu korrigieren, die so ungerecht diese mageren, reizlosen Florentiner übertreiben, diese eckigen, harten Primitiven. (Man betrachte nur in der Mailänder Brera so einen verachteten Procaccini, eine verzückte Heilige, aus deren Wunde sich ein schreckliches Blut über ihre liebreizenden Brüste ergießt, die ein feines Gewebe verhüllt. Über ihre schönen, nackten Schultern beugt sich ein Kopf, Mann oder Weib, der auf dieses Blut mit eigentümlichem Wohlgefallen sieht und ohne daß seine Gestalt sich zeigt der Heiligen mit der Hand einen Kranz darreicht, aus violetten und gelben Rosen. Eine Kombination von Seelischem und Farbe, die ganz einzig die, geben wir es doch zu, eckigen, unbeholfenen Versuche einer Menge Giottos für Engländerinnen übertrifft.)

Ich weiß wohl, weshalb Stendhal seinen Roman nach Parma verlegt. Oft kam er hierher, die Wollust Correggios zu bewundern, den er ungemein lebhaft empfinden mußte, da er die italienische Oper zu genießen verstand; und der Name Parma blieb mit diesem Suchen nach dem Glück in hingebenden Gefühlen verbunden, dem er diese unmoralische und leidenschaftliche Hymne »La Chartreuse« weihte.

Aber konnte ich, so stark ich auch Correggio genieße, ihm diesen ersten Augenblick meines Aufenthaltes in Parma ganz widmen? Konnte ich mich bei der Ikonographie der Farnese aufhalten, wennschon an jedem anderen Orte mich nichts mehr gereizt hätte, als aus einer Reihe von sechsunddreißig Persönlichkeiten die gleiche Familienseele herauszufinden? Und hätte ich mich damit besudeln können, mich mit der unwürdigen Marie Louise zu beschäftigen, die einstmals neben dem großen Napoleon Kaiserin der Franzosen war und hier in den Armen eines Einäugigen herrschte? – Ich hatte zu große Eile nach einer ziellosen Wanderung durch die Stadt, nm da meine Gedanken entstehen zu lassen.

Wenn einer das Geheimnis besitzt, die Dinge reden zu machen, so gibt ihm Paris, dem Balzac den kaiserlichen Stempel aufgeprägt, den Unterricht im Willen; Parma aber, ganz erfüllt von Stendhal, ist der Ort der Erde, sich dem Kultus der seelischen Sensationen hinzugeben. Ich suchte erst alle Straßen, alle Häuser auf, in denen sich bestimmte entscheidende Vorgänge abgespielt hatten, oder in denen bestimmte unendlich geistreiche Worte ausgetauscht wurden; aber man hatte mir das ganze Parma Stendhals verpfuscht, und ich glaube sicher, daß selbst Graf Mosca, der es einstens so genial verwaltete, sich da nun nicht mehr zurechtfinden könnte. Wenigstens ist der menschliche Typus der geblieben, den Correggio fixierte, und den nach Stendhals Beschreibung Clelia Fabio Conti präsentierte. Ich bemerkte bei den erwachsenen Mädchen lustige Augen, die mit einem Lächeln ein bißchen von der Seele aufdecken, und auf der Ponte Vert sah ich kleine Mädchen sich im Kreise drehen, deren fliegende, verschossene Kleidchen dieselben nackten Glieder entblößten, die Correggio so unzählige Male verewigte.

Da mir Parma im Detail ein bißchen entging, versuchte ich durch einen Spaziergang, der um die Stadt herumführt, es im Ganzen zu fassen.

Gegen 1830 hatte man die Wälle noch nicht mit Bäumen bepflanzt. Heute geben sie dem Fußpfade eine berauschende Herbstmelancholie und die gleichen Empfindungen, die sich dem einsamen Wanderer bei den moosbedeckten Buchenästen aufdrängen, bei dem rostbraunen Ton der Blätter, die auf den Abhängen verfaulen, und bei den kleinen, so traurigleeren Bänken, diese gleichen Empfindungen hatte die Herzogin von Sanseverina aus den Umständen bekommen. Ja, ich möchte es beschwören, daß Fabrice, toll vor Liebe für Crescenzi, die er seit einem Jahre nicht hatte sehen können, gerade auf dieser Terrasse sich vorzustellen versuchte, wie eigentlich dieser reizende Kopf, mit dem halb verblaßten Kolorit überstandener Seelenkämpfe aussehen könnte.

Schönes, kleines Parma, beinah deutsch-sentimental in seinem blaugrauen Oktobergewande! In diesem Augenblicke war ich nahe daran, Marie Louise zu verzeihen, der weichen Seele, die nur mit der Hälfte ihres Körpers lebte.

Endigen wir diesen Tag, den ich den Verstorbenen weihte, auf dem Campo Santo. Wie vornehm ist sie, diese verschlossene Stille, von einem Säulengange umgrenzt! Die einzige prunkvolle und alle anderen überragende Grabstätte ist die des rätselhaften Paganini. Da gibt es Marmor, während die anderen nur grünes Gras kleidet, gerade als habe man über die am Ziele angelangten schlummernden Brüder einen Mantel geworfen. Im Frühlinge ist es ein mit blühenden, gefüllten Parma-Veilchen gestickter Mantel, aber bei dem feinen Regen, der diesen Herbsttag beendet, spüre ich, spürt unsere Seele den faden und traurigen Kirchhofsgeruch. Ach, diese Toten hier sind viel toter als Fabrice del Dongo, der Graf Mosca, die Sanseverina und die Crescenzi, die niemals gelebt haben!

Die abschließende Schönheit der Correggios, dieser leise Leichengeruch, der heraufbeschworene Name der Veilchen, diese vier Wilden des Stendhal, die in meiner Phantasie tanzen und springen, das genügt, um mich hier zu den ergreifendsten Gedankenverbindungen anzuregen. Ich überlasse mich einer meiner Lieblingsträumereien, und die ist, den Wortlaut des Gebetes zu ergründen, das Fabrice niedergeschrieben hatte und in der kleinen Kirche von Santa Maria de la Visitatione las, an dem Abend, da Clelia es hörte. Der Ausdruck seiner Stimme und das Pathos seines Sagens müssen zweifellos so gewirkt haben, daß alles weinte. Stendhal gibt uns nur das Thema dieses Gebetes, das lautete: »Über das Mitleid, das eine große Seele mit einem Unglücklichen haben muß, selbst wenn er ein Schuldiger wäre.« Welch ein Genuß, in der Stadt Correggios zu streifen und sich der melancholischen Musik rührender Gedanken hinzugeben! Tödliche Lust, sich freiwillig mit den spitzesten Stacheln zu verwunden, zu erkennen, daß unser Leben dahinfließt, sich verliert in Gewöhnlichkeiten. Aber von la Steccata tönt es sieben, von der Kirche, wo einst für Fabrice, endlich, die Mitternacht des Stelldicheins mit Crescenzi tönte: »Trete ein, Freund meines Herzens,« sagte sie ihm ganz leise. Gehen wir, der Abend fällt auf die Stadt.


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