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Im Hofe der Moschee von Cordova saß ich auf den Steintreppen im Schatten der Mauern. Der Küster war zu seinem Essen weggegangen und hatte mir nicht erlaubt, im Heiligtume zu bleiben, und so wartete ich an diesem schönen Mainachmittage, bis er nach beendeter Siesta die Pforten wieder aufmachen würde. Unter den Palmen vor mir gingen die Kinder vorbei, die zum Brunnen wollen und ich lobte die Art, wie sie die Henkelkrüge auf ihren kaum entwickelten Hüften zu tragen verstanden. In jedem vollen Schritte dieser kleinen Sarazeninnen bewunderte ich das Erzittern des jungen Tieres, dies Beben, das durch ihren ganzen Leib lief, durch die jungen Körper, dreckig und süß, wie die Rebe am Fuße des Weinstockes.
In der Nähe der alten Moschee und inmitten dieses Kinderweinberges lebten, erregt von dieser Atmosphäre des Todes und der vergänglichen Wollust, einige Verse meines geliebten Jules Tellier in meiner Erinnerung wieder auf:
»Philippus, Herennius, Geta, Diadumenos ...« harmonische Verse über die Kinder-Cäsaren, diese Fürsten der Jugend, mit den zum Küssen geschaffenen Lippen, die das Universum feierte und die plötzlich, wenn die Legionen einen neuen Kaiser ausriefen, mitsamt ihren Vätern ermordet wurden:
Et je plains ces Césars si beaux, et plus qu'eux tous,
Ce Philippe l'Arabe au regard triste et doux,
Qui n'avait pas encore douze ans, quand un esclave
A son tour l'égorgea sans quil poussât un cri,
Qui savait tout d'avance et n' a jamais souri.
Welches Dekor hätte wohl besser zu diesen aufregenden Bildern gepaßt als Cordova, das in den Pompeius verliebt war, wo Seneca das Licht der Welt erblickte, wo jedes Weib uns mit einem Blicke mordet und mit einem Schwung ihrer sarazenischen Hüften? Antikes Cordova, voll römischer und maurischer Sagen, Entsetzen erregend und anziehend in der Geschichte wie ein Ring in einer Blutlache!
Zwischen den unzählbaren Säulen seiner Moschee, wo der Marmor, der Porphyr und der Jaspis in Farben von sinnlicher Schönheit brennen wie Fleisch oder Samte, in den heimlichen inneren Gärten, wo milde die Fayencen leuchten, glaubte ich immer den so ernsten und doch noch so jungen Kopf Philipp des Arabers auftauchen zu sehen, dessen matter Teint nur von dem Blut gerötet wurde, das an dem Tage floß, da man sein Haupt auf eine Lanze steckte. Und als es Abend wurde, da gefiel es mir, von ihm diese Biographie zu bilden, abends bei Sonnenuntergang in den Gärten des rasch hinfließenden Guadalquivir, in der Nähe Cordovas, das vom Jasmine duftet, den seine Frauen im Haar tragen.
Ich stelle mir vor, wie er hierher kommt, Philipp der Araber, in diese Landschaft tritt, wo ich mich heute abend der Ruhe ergötze. Dort, wo jetzt diese schnaufenden Rinder, Blumen zwischen den Hörnern und von den Dornen der Aloen ruhig zerstochen, über Kletten, Schwertlilien und harte Kiesel schreitend, heimwärts kehren, dort wurde dem jungen Cäsar zu Lust und Ehren in schnell erbauten Palästen ein großes Fest veranstaltet.
Ich kann mir kein genaues Bild davon machen, so wie es Gelehrte vermöchten, wie wohl jenes Fest war, aber zu allen Zeiten noch, wenn Männer und Frauen zusammen waren, erwachte zwischen ihnen die Begierde und der Neid. Unter all diesen Eitelkeiten, deren Mittelpunkt er war, inmitten dieser unreinen und zarten, vom Schmuck fast erdrückten Leiber war Philipp ganz betäubt vom Staub und von der Zudringlichkeit der Frauen. Nur zwei Mädchen aus England, die irgendein Zufall hierher geführt hatte, betrachtete er mit Wohlgefallen. Ihr Körper schien kaum zu existieren, nur auf ihre Gesichtszüge und ihre Augen sah man, die göttlich waren. Es erschreckten ihn die künstlich hergerichteten Frauen. Die schönsten blickten ihn auf eine Weise an, daß er fürchtete, sie würden ihn derb in ihre Arme schließen, wie die Legionäre es getan hatten, um ihn zum Kaiser auszurufen. Ja, einige der feurigsten legten die Hand auf ihn und scheuten sich nicht, seine sprossende Mannheit zu berühren.
Dann ließen seine Kämmerer, die seine Manie kannten, die Menge auseinandertreiben; die Lichter erloschen, Andalusiens laue Nachtluft drang in die Halle, und ein wunderbarer Sänger, der allein es vermochte, das zusammengekrampfte Herz des Knaben zu beruhigen, kam vor ... Als die letzten Töne aus seiner Kehle entflohen waren, zündete man die Fackeln wieder an: in diesem Augenblicke faßten sich alle Frauen bei der Hand und eilten in einer langen Reihe, wie man es bei Balletten sieht, im Tanzschritte vor bis an seinen Thron. Bei Anbruch der Dämmerung war die Erschöpfung des Arabers grenzenlos. Aus Nervenüberreizung den weiblichen Kulten des Morgenlandes geneigt, war er ohne Religion, denn die Armee und nicht die Tempel hatten über seine Kindheit bestimmt. Ihm fehlte der Stützpunkt, den Heliogabal in der Religion fand, der oft bei den öffentlichen Andachten inmitten des römischen Gemurmels sich auf seinem Throne zurückneigte, um seinen Gott, den man hinter ihm hertrug, nicht aus den Augen zu verlieren. Doch beim Anblick all dieser Frauen mit erhobenen Armen, nackten Brüsten, glühenden Augen, den Nacken lässig zurückgebogen und der Wildheit ihres Tanzes konnte er ein schluchzendes Weinen nicht zurückhalten, das ohne Grund seine unreife Kinderbrust hob.
Ohne ihn zu verstehen, entschuldigte man sich und bedauerte, daß der Schluß des Festes ihn so peinlich berührt habe; er aber erwiderte: »Vom ganzen Abend war das mein erster Genuß.« Und die Rhetoren fügten hinzu: Er erstickte fast daran, nicht weinen zu können.
Der Zufall fügte es, daß während der Soldaten-Orgie, die seinem Weggange folgte, eine schreckliche Feuersbrunst ausbrach, der fast alle Frauen zum Opfer fielen. Der Cäsar befahl, sie mit allen Ehren zu bestatten, aber er, der geweint hatte beim Gedanken, daß sie einst sterben müßten, weinte nicht, daß sie gestorben waren.
Wollust und Trauer, undefinierbar gemischt, erste Melancholie, von der Schönheit geweckt, aber hier noch verschärft durch unnatürliche Isolierung. Unglücklich und verlassen auf der Höhe des Reiches, auf dem Gipfel der Welt, litt er daran, daß alle Beziehungen zwischen ihm und den anderen Wesen und Dingen gefälscht und verschoben waren.
Man behauptet, daß es unter unseren Zeitgenossen Leute gibt, den Mathematiker Poincaré zum Beispiel, der über seine gewöhnlichen Beschäftigungen nur mit zwei oder drei Menschen in Europa sich verständigen könnte, niemand anderes vermöchte ihn zu verstehen. Bei der Metaphysik versteht es sich von selbst. Aber Philipp der Araber brachte sein Denken keineswegs in eine unerhörte neue Ordnung; nur die Umstände hatten ihm eine analoge Situation, eine gleiche Isolierung geschaffen.
Diesem Knaben fehlte das Minimum von Widerwärtigkeit, an die die Menschheit seit Jahrtausenden derart gewöhnt ist, daß selbst ein paar Tränen zu vergießen eine Funktion geworden ist, die wir um jeden Preis befriedigen müssen. Also auf eine äußerst verfeinerte Erfindungsgabe angewiesen, um dieses notwendige Bedürfnis der Rührung zu befriedigen,« kam er so weit, vorübergehende Empfindungen, die ein Unglücklicher sonst nie beachtet hätte, gewissermaßen im Fluge zu haschen. Er ließ keine Gelegenheit entgehen, sich betrübt zu fühlen.
Wir haben gesehen, daß die Ehrungen der Männer und das Entgegenkommen der Frauen ihn erschreckten. Ich glaube, er muß ein ähnliches Mißtrauen gegen Hunde gehabt haben: er fand sie zu dienstfertig, zu eifrig. Dagegen gefiel er sich unter den Pflanzen, und da diese ihm nicht die Hände leckten, liebte er sie: zu ihnen allein fühlte er sich in einem natürlichen Rapport.
Ich denke mir, daß an dem Tage, da die aufständischen Soldaten diesen bleichen Cäsar mit den großen Augen erdrosselten, sie ihn in den Gärten des Guadalquivir auffanden, unter den Blättern der Bananen, hinter Hecken frisch erblühten Jasmines. Gelber Jasmin voll berauschenden Duftes, große, blendend weiße Cistus-Rosen, deren goldige Stempel zwischen unbefleckten Blumenblättern zittern, und ihr vor allem, gigantische Magnolien voll Riesenblüten, ich sah euch, da ihr schöner wart als irgendeine Versammlung von Kurtisanen. Ihr lehrtet mich einsehen, welch ein Leiden das vollkommene Glück sein muß! In der Stille und in der Wollust von Cordova krampfte sich mein Herz in traurigen Ängsten zusammen, ohne Grund und ohne Schmerz, bloß um jenes Teil Tränen auszugeben, das jeder Kreatur zugemessen.