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Über den Ruhm

Gewisses Berühmtsein ist einfach allgemeines Bekanntsein: das erreichen ungefähr alle Pariser (Journalisten, Romanschreiber, Dramatiker, Schauspieler oder Verbrecher). Anderes Berühmtsein wieder ist gleichbedeutend mit Angesehensein: so unsere Akademiker. Über diesen beiden Kategorien, die mir, soll ich es gestehen? uninteressant sind, steht der Ruhm.

Einige erobern sich die Welt durch eine Sensibilität, die mit unseren echtesten Herzschreien so harmonisch zusammenklingt, daß die unvollkommenen Bilder, die in den stärksten Gefühlsmomenten in uns erweckt werden, sich mit dem Bilde verschmelzen, das sie uns hinterließen. Kleopatra, die von des Antonius' Liebkosungen zerschlagen auf ihre Galeere flieht, ist es für die Wollüstigen; Alcibiades und Disraeli für die Raffinierten der Hypokrisie; Racine, Dickens, Dostojewski für die Zerstörten, die gerne weinen; Bonaparte für den Tatendurstigen: das ist der Ruhm! Er hat weder etwas mit dem Panthéon zu tun noch mit den offiziellen Festreden.

Mögen die Moralisten Byron in den Bann tun; die Weisen Lamartine heruntersetzen, wir alle halten es mit jener Frau, die sich im Jahre 1860 zufällig in einem Zeitungsbureau befand und sah, wie ein armselig gekleideter Mann sich an der Kasse einiges Geld für einen Artikel auszahlen ließ, und als sie ihn »Herr von Lamartine« nennen hörte, vor Schmerz ohnmächtig umsank.

Frau, teure Frau, wahrlich du bist würdig, den Ruhm zu begreifen, das will sagen: den Namen, das Bild, die ganze Seele dieser wirklichen Könige, dieser »Mächte des Gefühls« ins Herz zu schließen! Staunt man sie an wie gewaltige Naturwunder, liebt man sie wie die intimsten Freunde? Sie begeistern, schüchtern ein, stürzen in Verzweiflung und rühren zu Tränen. »Wenn die Tränen und die Seufzer auch nicht mit dem Namen Genuß bezeichnet werden können« – sagte der Abbé Prevost in einem Satze von schöner Zärtlichkeit – »so sind sie doch ein unendlicher Trost für einen sterbensbetrübten Menschen.« Nichts gleicht so sehr der Unruhe eines Verliebten als die Bewegtheit eines, der das Prestige seiner Überlegenheit fühlt.

Aber worin der Ruhm in Stärke die Liebe übertrifft ist dies, daß er Jahrhunderte hindurch in den Seelen Widerhall findet. Johanna von Neapel tötete den Bruder der heiligen Brigitte, der sich sterblich in ihre herausfordernde Schönheit verliebt hatte, indem sie angesichts des ganzen Hofes einen Kuß auf die Lippen dieses jungen Menschen drückte. Aber der Kuß dieser unvergleichlichen Kurtisane verlor seine Kraft mit dem Tage, da ihre feuchten Lippen verblühten, während jene, die den Ruhm besitzen, selbst wenn sie ins Grab hinuntergestiegen sind, die Jugend noch in einen Taumel von Begeisterung versetzen, – und eine Jugend, die, wenn sie auch nicht Brüder der heiligen Brigitte in sich begreift, doch den ehrbarsten und ausgeglichensten Milieus angehört.

... Feurige Blicke schwarz umrandeter Augen, stürmisch schlagende zwanzigjährige Kinderherzen, die ihr von glorreichen Dichtern schwärmt, von Seehelden, von Liebhabern oder ruhmgekrönten Abenteuerern, euch rufe ich als Zeugen auf, daß der Ruhm das ist, was nicht stirbt!

Als ich neunzehn Jahre alt war und den großen, vom Alter ganz verkrümmten Viktor Hugo sah, wünschte ich seine achtzig Jahre zu haben; mit Freuden hätte ich, um die letzten, kurzen Stunden seines Ruhms zu leben, den langen Zeitraum, der vor mir lag, dahingegeben. Und freudig hätte ich auch mein Leben für eine Nacht bei Kleopatra geopfert, vorausgesetzt, daß diese Kleopatra sehr jung, ein wenig impertinent, korrekt und romantisch verzweifelt gewesen wäre. O Schmerz, du Verschwendungslaune der Jugend!

Die Seelen zu verderben oder zu veredeln besitzen Ruhm und Liebe die gleiche Macht, wird man sagen. Doch nicht! Der Zauberbann des Ruhmes übertrifft alle magischen Künste der Liebe, denn diesen lösen weder das Alter noch der Tod. Kleopatra, die damals, als man sie mit ihren Leichenbinden umwickelte, keiner ihrer Liebhaber ohne Widerwillen hätte anschauen können, begeistert uns heute noch, nach so vielen Jahrhunderten; uns, die wir nur den Ruhm lieben.

Der Vorrang des Ruhmes über die Liebe, dem sie durch so viele Züge ähnlich ist, macht sich besonders darin geltend, daß man niemals zärtlicher liebt, als wenn man den Gegenstand seiner Zärtlichkeit in die Arme schließt, aber auch niemals etwas mehr bewundert als ein Idol, das man nur von ferne betrachtet. Damit erklärt sich die Haltung der Gottheit, die niemals anderswo als auf dem Lande erscheint, und es verschmäht, mit den Stammgästen der Boulevards in Beziehung zu treten. Mohammed, der mit Allah verkehrte, scheint ihm diese Lebensregel entlehnt zu haben. Mit äußerster Sorgfalt vermied er Indiskretionen über seine Arbeitsmethode zu geben. Als er den unter göttlicher Eingebung verfaßten Koran fertig diktiert hatte, ließ er seinen Schreiber hängen.

Dies ist die Marke und der Makel der größten menschlichen Erfolge: sie machen kleine Vorsichtsmaßregeln hinter den Kulissen nötig. Bedauerlicherweise verlieren sich diese guten Traditionen. Die heutigen Tages den Ruhm prätendieren, lassen über ihre Persönlichkeit minutiöseste Details berichten. Ich sehe den Moment kommen, wo wir übereinander so vollkommen unterrichtet sind, daß wir wissen: wir alle sind nichts als Dummköpfe.

In dem vom Mysterium verhüllten Traum eines Lamartine, der aus unsichtbarer Hand seine Meisterwerke auf die Welt fallen läßt liegt eine stolze Grazie und wohl geeignet, phantastisch veranlagte Imaginationen zu begeistern. Könnt ihr euch Rechenschaft darüber geben, welche Macht ein Hugo besäße, wenn die Begeisterung der Massen sich durch aufgeregte Neugier verdoppelte? Man kann es aus der Tatsache beurteilen, daß in einer Sammlung berühmter Kriminalfälle jene Verbrecher am beliebtesten sind, denen es gelang, ihr Inkognito zu wahren.

Die Sage von Amor und Psyche beweist die süße Macht eines anonymen Kusses. Nichts Köstlicheres, als durch ein unsichtbares Wesen heftig erregt zu werden. Da wir es nicht kritisieren können, erscheint es uns beinah als etwas Vollkommenes. Aber hat Psyche das Inkognito ihres Geliebten gewahrt? Sie zündete gar schnell die Fackel an.

Die Wahrheit ist, daß in unserem Jahrhundert der Erfolg den Künstler in eine öffentliche Persönlichkeit verwandelt. Wer sich kopfüber in diese Öffentlichkeit begibt, der kann die Kotspritzer nicht vermeiden. Der Literaturkalender soll uns eine Liste der Autoren aufstellen, denen es gelang, die Anonymität zu bewahren.

Übrigens ist man davon überzeugt, daß ein Werk völlig außerhalb seines Schöpfers existieren kann? So schön man sie sich vorstellt, besitzen die Gedichte selber ein vom Leben des Dichters unabhängiges Dasein? Die Nabelschnur ist da niemals abgeschnitten. Die Ossianischen Gedichte verändern ihren Wert je nachdem man glaubt, sie seien das Werk eines geschickten Schriftstellers des letzten Jahrhunderts oder der spontane Schrei einer entstehenden Gesellschaft. In gar vielen Fällen erweisen sich die Biographien der großen Männer als das interessanteste ihrer Werke. Vervollständigen nicht das Leben und der Charakter Goethes den philosophischen Gehalt seiner Werke? Vielleicht bleibt Byron selbst eine viel poetischere Gestalt als alle Personen, die er erfunden hat. Wenn ihr den Felsen von Guernesy nicht seht, verliert Hugo etwas von seiner Erhabenheit. Wenn ihr es nicht wissen wollt, daß Gilbert den Schlüssel seiner Kassette auf einem Spitalbette liegend, verschluckte, daß Racine, weil er gerne weinte, den Einkleidungen der jungen Mädchen anwohnte, daß Chateaubriand trotz der himmlischen Aufmerksamkeit der Madame Récamier gähnte, so schmälert ihr eure Freuden um ein bedeutendes Teil; ihr verringert den Geist «des Schreibers, um nichts als den Buchstaben übrig zu behalten.

Zu gleicher Zeit berühmt und unbekannt zu sein, glorreich und verboten, das ist ein Kleinmädchentraum, der hübsche Traum von einem Märchenland. In Venedig sah ich den Balkon des Palastes, auf dem die kleine Helena Cornaro weinte, wenn man sie veranlassen wollte, die Karnevalsfestlichkeiten anzuschauen. Sie fühlte sich nur wohl in der Stille und der Einsamkeit ihrer hohen, mit Wohlgerüchen erfüllten Gemächer. Gerade so stimmen uns Masken traurig, die sich auf der Straße herumtreiben. Wir beugen uns aus dem Fenster, um das Leben zu sehen, aber Geschmack finden wir nur an unserer eigenen erträumten Welt! Welche Inkonsequenz! Schließt alle Fenster eures schönen Palastes. Qui trotte se crotte, heißt es nicht nur.


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