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Der Page mit den Jagdhunden

– O die herrlichen gesprenkelten Trauben, die man nachts in den Obstgärten von Triana abgeschnitten, und am anderen Morgen so frisch und ganz mit Tau überrieselt findet! Gibt es denn eine köstlichere Frucht, den Appetit zu reizen? Ich habe keine Hoffnung mehr, daß mir die glücklichen Zeiten wiederkehren.

– Mein Freund, diese Erinnerung ist eine Falle des Bösen.

Dieses Dialogfragment aus dem Mirakelspiele des Cervantes: El Rufiàn dichoso, der glückliche Ruffian, hatte sich so fest in mein Gedächtnis eingeprägt, daß Triana für mich einen legendären Wert bekommen hatte und mir als einer der märchenhaften Fruchtgärten der Welt vorschwebte. Auch war einer meiner ersten Genüsse in Sevilla, – Sevilla, wo ich heute meine alljährliche Gedächtnisfeier begehe – den Weg über die glühendheiße Brücke des Guadalquivir einzuschlagen, um die Vorstadt Triana auf dem jenseitigen Ufer aufzusuchen.

Kein Obstgarten, keine abgeschnittenen Trauben! Ihre schönen Kräfte zeigte die Natur nur in den großen Jungen, die ganz nackt und von goldbrauner Farbe samt ihrem Ungeziefer im Schatten ihrer unsauberen Häuser schlummerten. Eine Fayence-Fabrik, die englische Kapitalisten hier errichtet hatten in der Hoffnung, sie mittels unglaublich billiger Arbeitskräfte sehr ertragsfähig zu machen, empörte mich: das ist Degradation eines Volkes, das genötigt wird, bei dieser furchtbaren Temperatur Brennöfen zu heizen und zu einer Stunde, die es vom Vater her auf den Sohn der Siesta weiht.

Langsam ging ich den Schattenstreifen entlang, genoß das Pittoreske der Zigeuner, der kleinen Esel, des aufgehäuften Unrates und verzögerte mich in den stets kühlen und unvermuteten Kirchen. Schließlich kam ich wieder an den Guadalquivir und setzte mich ganz ermüdet beim Brückeneingang unter den Schatten eines Missionskreuzes. Wir waren da gegen hundert Geschöpfe, die an nichts anderes als an das Lüftchen dachten, das schwächer als die Bewegung eines Fächers vom Flusse heraufwehte: da waren Bettler, die beteten, erschöpfte Arbeiter, die auf die Pferdebahn warteten, halb nackte Weiber mit ihren Säuglingen, Obstverkäuferinnen; das Ganze mit Fliegen bedeckt und nach Fäulnis riechend.

Vielleicht ist es dieser Geruch, den ich, ich gestehe es, leidenschaftlich liebe, der mich an die Kanäle Venedigs zurückversetzte, wo ich unter einer gelinderen Sonne dieselben Blumen und dieselbe Fäulnis roch. Ich entsann mich, daß ich die Enttäuschung, die mir heute die Gassen Trianas bereiteten, damals schmerzlich auch auf der Giudecca empfand, wohin mich das rätselhafte Lied Mussets geführt hatte:

A Saint-Blaise, à la Zuecca,
Dans les prés fleuris cueillir la verveine,
A Saint-Blaise à la Zuecca,
Vivre et mourir là!

Aber so stark war meine Unzufriedenheit mit Triana, daß ich mich augenblicks nach dieser Zuecca zu versetzen gewünscht hätte, dem traurigen, kleinen Viertel von gestützten Häusern, wo ich bald sah, daß es da keine Verbenen gibt; aber welche Wonne, die staubbeschmutzten Hände von der Gondel in das frische, rauschende Wasser hängen zu lassen!

... Und jetzt hat aus der Distanze Sevilla an mir sein Verzauberungswerk vollbracht. Jetzt nach einem Jahre erscheint es mir ganz überrieselt von Herrlichkeit. »O ihr schönen gesprenkelten Trauben der Obstgärten von Triana ... ich habe keine Hoffnung mehr, daß mir diese glücklichen Tage wiederkehren.« Aber das, was ich nun vor allem jetzt verstehe, ist die Entgegnung des Vaters vom Kreuze in Cervantes' Drama:

»Mein Freund, diese Erinnerung ist eine Falle des Bösen.«

 

Venedig und Sevilla, Siena und Toledo und Cordova! Illusionen habt ihr mir geschaffen, die ich eines Tages gleichgültig und müde besaß und die nun durch teuflisches Blendwerk meinen ganzen Traum beherrschen, und dies ist eure Zauberei: wie ein Liebeswort oder auch eine Kränkung, die in eine glühende Seele fielen, so ist es eurem Bilde, das die Zeit noch größer werden ließ, gar schnell gelungen, das Wesen eines ganz an euch zu reißen, der es für zwei Sekunden in sich aufnahm.

Dieses Sevilla, das allzu handeltreibende, allzu moderne, allzu lachende, ist für mich seit einem Jahre der Ort geworden, an dem Worte eine aufregende Bedeutung bekommen, die mir bisher nichts waren als dumpfe Begriffsnotierungen. Hier in Sevilla empfand ich Marie Padilla, Don Pedro, Don Juan, Valdes Leal, den göttlichen Morales, harmonisch klingende Silben wohl für alle Menschen, die sie aber kurz abtun, während sie mir unversiegbare Ströme unentwirrbarer Eindrücke zuführen.

Am Abende ist Sevilla jung, verliebt und üppig; süß ist es und rauschend wie ein Ballsaal, in dem die Orangeade wirklich eiskalt ist und wo das Licht den Augen nicht weh tut. Aber dem nächtlichen Sevilla ziehe ich noch das der Sonne erliegende Sevilla vor, denn die Sonne verhindert, daß man sich erinnert und voraussieht und sie schließt ganz ein in die Empfindung des Augenblickes.

Heimliche und kühle Kapellen, die mir diesen Nachmittag, wo alles schläft, gefällige Knaben öffneten, ganz geschaffen, scheint es, Liebesbriefe zu bestellen oder selbst als Kammerzofe zu dienen, so seltsame Möbel, Schreine und Kommoden zeiget ihr mir, auf denen armdicke Lilienbüschel und die letzten Magnolien standen, daß ich von euch den Eindruck mitnahm, ihr seid nicht Kapellen, sondern traulich verschwiegene, noch ganz von glühenden Liebesgeheimnissen durchwehte Räume. In San Jacinto, gerade in der Vorstadt von Triana, weiß ich einen Christus auf einer gesteppten Decke liegen, und er hat zwei Kopfkissen und seine Dornenkrone liegt neben ihm.

Nicht in den Museen von Sevilla oder Madrid findet man des bodenständigen Genusses letztes Wort. Sie sind verdächtig italianisiert. Die wahren Genüsse findet man dort, wo der spanische Hüftenschwung, eine rücksichtslose, wirklich gewalttätige Art, sich zu fassen, unsere Sinne gefangen nimmt. Wie seid ihr interessant, ihr tragische, spanische Holzpuppen, in Samt gekleidet, mit Rubinen beringt, die ihr noch obendrein ein Halbdunkel der Umgebung verlangt, eure verzerrten Züge zu verbergen! Goya macht uns mit diesen Feuern in seinen Stierfechtern und seinen watschelnden Hexen bekannt. Etwas geschwächt natürlich, vom Tode und der Wollust der Märtyrer glitt er zu den Dramen des Stiergefechtes und der Galanterie hinunter. Er erscheint als die letzte Kraftentfaltung einer Rasse, deren Mark versiegt. Aber wenn mir jemals das Geheimnis Spaniens dämmerte, so war es in den tiefen Alkoven seiner unberühmten Kirchen, in denen ich trotz Gitter und Dunkel diese halb vermoderten Puppen anbetete, diese entkleideten und blutenden Körper, die zerschundenen Knie- und Ellenbogen des Christ. Den Christ, einen jungen Mann von dreißig Jahren, über den Frauen ein feuchtes Linnen breiten.

Wenn sich die Wollüste des Stiergefechtes und des Autodafés ins Zerebrale transformieren, so haben wir den Ascetismus! Diese Spanier habe ich im Verdachte, daß ihnen der Anblick des Leidens Christi ein Vergnügen bereitete. Über ganz Spanien hin vernehme ich den schrillen Schrei, den das im Zirkus versammelte Volk des menschenleeren Cadix in die reine Luft emporsteigen ließ, als es Stunde um Stunde dem aufspritzenden Blute zujubelte. Auf den so kühlen Steinplatten des Alcazar von Sevilla roch ich das Blut, das junge, kraftvolle Blut der Liebhaber und der Ehrgeizigen, die sich da umbrachten; ein noch leicht auf diesen Steinplatten schwebendes Etwas verriet es mir, wennschon man Teppiche darüber gebreitet hatte, um Schlafzimmer daraus zu machen. So viele Male gereinigt und so stumm, können mir diese langen Säle doch nicht das Geständnis verwehren, daß hier das gewalttätigste nervöseste Leben gelebt wurde, das je dem Menschen gegeben ward.

Spanien, du wunderschönes Land, du Adel der Welt! Sprecht mir nicht von Deutschland noch von England! Wie ganz verstehe ich jetzt die Ballade, die im sechzehnten Jahrhundert die Senoritas von Sevilla und Cordova sangen: »Mein Bruder Bartolo zieht nach England in den Krieg. Einen jungen Lutheraner, den Strick um den Hals, bringt er mir mit, und eine kleine Engländerin, die meine Zofe sein wird.« Uns allen legen diese Königinnen des Südens den Strick um den Hals. »Ach, mein Freund,« sagt so richtig der heilige Mann, des Cervantes, »diese Erinnerungen sind ein Fallstrick des Bösen.«

Ich armer Mann aus dem Norden, den diese Schönheit eines Tages verzauberte, ich denke an den Hundejungen beim Grafen von Laon. Wie ihr sehen werdet, ist sein Lebenslauf ganz der unsere, eingesenkt in die Armseligkeit täglicher Verrichtungen und beruflicher Beziehungen, von ganz kurzen Blitzen erhellt. In einer Sammlung der Grundsteuern bizarren Frondienstes des alten Frankreich liest man bezüglich der Seigneurie von Laon: »Dem Hundejungen steht einmal im Jahre ein Freudenmädchen mit seinem Leibe zur Verfügung.«

Einmal im Jahre! Ein Freudentag für diesen armen Burschen und ein Zeitraum analog der Berührung unseres Daseins mit diesen romanesken Kurtisanen des Südens, Sevilla und Venedig, Siena und Toledo und Cordova. Welche Intensität mußte nicht diese alljährliche Begegnung des Mädchens und des Pagen nach und nach in dessen Phantasie bekommen! Die Zärtlichkeit, die er von dieser Begegnung sicher mitbrachte, empfand der ganze Hundezwinger an der guten Behandlung. Nach solchen Augenblicken konnte er ebensowenig wie einer von uns Nordländern, die da unten gereist sind, ein brutales Tier sein.


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