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In Spanien

April – Mai 1892

 

Entschuldigung vor Berenice

Ein junges Weib namens Berenice kannte ich gut und liebkoste ich, und um den melancholischen und fiebrischen Gefühlen, die ich an ihr sah, eine passende Atmosphäre zu geben, ließ ich sie in der Gegend von Aigues-Mortes wohnen. Diese so richtig benannten Aigues-Mortes und die Sensibilität der Berenice, die, auch sie, ein totes Wasser ist, aus dem Träume zur untergehenden Sonne steigen, das gab, da es sich mischte, einen Garten, für den mir die Verständigen Dank wußten.

Ja, als ich meine geliebte Berenice den Leuten aus meiner Welt vorstellte, da lächelten die Ernstesten diesem kleinen Mädchen zu. Und doch, habe ich sie dahin gebracht, ganz die Rolle zu spielen, für die sie erwählt war? Habe ich dieses Kind mit großen Mitteln alles das zeigen lassen, was es enthielt? Es war in dieses Kindes so süßer und immer neuer Art eine unbestreitbare Kraft von Poesie. Hat sie alle Möglichkeiten erschöpft? Die Qualität des Lebens, das unter dieser delikaten Haut schlug, hätte es mir vielleicht gestattet, Berenice in den Vordergrund einer großen sozialen Intrigue oder einer berühmten Gegend zu stellen, während wir sie nicht anders sähen denn als bescheidene Einsiedlerin in einer Landschaft dritter Güte.

Diese Gewissensbisse überfielen mich heftig an einem dieser letzten Abende, die ich in Toledo war. Seit dem Miradero, dem Nachbarn der Puerto del Sol, die so mächtig und weit ist in der Nacht, mit dem Blick auf die Ruinen der Vorstadt Antequerela, oh, Schönheit, die ich nicht erschöpfte und nie mehr wiedersehen werde – zu dir hätte ich Berenice an der Hand bringen wollen, daß sie Förderung erführe vom Stile dieses Bodens, seiner Fruchtbarkeit, der Stadt und Schluchten, all deren schroffe Härte so eindringlich ist, daß Toledo sich über meine Erinnerungen an Spanien hob mit der Heftigkeit eines wilden Schreies, der plötzlich in die Sonntagssüße Andalusiens aus der Stierarena bricht.

 

Mit seiner Häuser seltenen und strengen, immer vergitterten Fenstern, seinen holprigen, in den heißen Fels eingelassenen Gäßchen, mit den kahlen Abhängen, die es umgeben, fruchtbar nur an Kiesel und heftigem Parfüm, wäre Toledo für Berenice ein äußerst konvenabler Käfig gewesen, für dieses Kind, das keine andere Mission hatte, als spröde Imaginationen weich zu machen.

Ohne Zweifel, hier hätte Berenice die Fieber nicht, die des Abends aus den Sümpfen von Aigues-Mortes aufsteigen, aber zur Rechtfertigung ihrer Erschöpfung genügte dieser engen Gassen ewiges Auf und Ab, in dem bloß das Maultier nicht verzweifelt. Und diese spitzen Steine täten manchmal ihren Knöcheln weh, daß sie weinte.

Und was die Einsamkeit betrifft, was ist die von Aigues-Mortes neben der Armut der wundervollen Wüste, in der Toledo seinen Thron aufgeschlagen, einen Thron ganz aus Eisen unter romantischen Arabesken! In Toledo, mein kleines Mädchen, hätte ich dich von der Sonne aufessen lassen. Ich sehe dich am Abend eines Bruthitzetages über dem Visagrator sitzen oder vielmehr liegen, auf der obersten Terrasse, von der aus die Stadt über die Schlucht hängt, wie du die Frische atmest, die aus dem Tajoschlamm aufsteigt, während vor dir der kahle Rücken des steilen Hügels, unter diesem heißen Himmel gekrümmt wie ein Maultierrücken, mit seiner steinigen Not deine müde Schwäche noch vermehrt.

Wenn übrigens die wilde Herbheit von Toledo nicht genügte, um Berenice zu Boden zu drücken und sie uns so rührend zu machen, wie es uns nötig ist, durch ein Letztes wüßten wir sie zu quälen: in dieser Stadt, gekocht und dann gebraten, wo der Benzoëgeruch aus den Felsen sich mit dem Duft der Kerzen mengt, der aus der ungeheuren Kathedrale strömt, da zeigten wir ihr das ausgehungerte Kind.

Es besteht gar kein Zweifel, daß sie sich, so degoutiert, mit der zu schnellen und zu unsauberen Küche dieser edlen Stadt sollte abfinden können. Ich schwöre es, der selige Pachomius, der dafür selig gesprochen wurde, daß er zwanzig Jahre lang in der Thebaïs schlecht gegessen hatte, hat nicht mehr Verdienst als einer, der sich in Toledo niederläßt, und wie jener hätte sich Berenice auf Kosten ihres Magens seriöse Anrechte auf unseren Kultus erworben.

Ah! ich kenne dich gut, wie du sein könntest, Berenice von Toledo! Wie du möglich und interessant wärest, sagte diese deine Biographie:

Du bist ein Kind Andalusiens, ein kleines Maultier wie alle seine Mädchen, mit Füßen, die leicht die Haut umschließt, im übrigen aber weniger wohl ausgezeichnete Füße einer Christin sind als vielmehr hübsche ganz runde Holzschühlein, dazu da, auf dem Boden zu klappern und im Tanze die Herausforderungen zu skandieren. Versetzt aus deiner schönen Heimat, aus Malaga zum Beispiel, wo die Frauen, die Freude und der Wein üppig und schwer von Leben sind, daher versetzt in das dürftige Kastilien, da zeigst du durch einen starken Kontrast die Opposition deines freien und leichten Geistes gegen den Asketismus des alten Spaniens.

Uns die Traurigkeiten gehinderter Instinkte aufzuweisen, das war schon deine Rolle in Aigues-Mortes. Deine Poesie, deine Lehre war, ein kleines Tier der Freude, der Freiheit zu sein, hart betroffen und wund gerieben von Regel und Zwang. Aber bei uns bliebst du immer noch ganz in Nuancen und trotz allem doch ein kleines Mädchen französischen Stiles, ganz racinisch. Toledo wird dein Geringstes eigentümlich deutlich machen, verschärfen. Von Frankreich nach Spanien hinüber verlörest du vielleicht an Grazie, aber würdest dafür diesen Schwung der Hüften dir erwerben, den sie alle da unten haben, Männer und Frauen, Künstler und Verliebte. Nicht mehr im Musée du Roi René, an der hellen, etwas frostigen, so zarten Kunst der französischen Frührenaissance würde sich die Art deiner Seele bilden: du würdest dich abhärten unter den tragischen Puppen, die uns im Dunkel der spanischen Kirchen die Wundmale unseres Herrn und seiner Märtyrer zeigen. Deine Zerstreuung wäre nicht mehr, die langen Ohren deines Esels zu küssen, sondern ins Stiergefecht zu laufen und dem blutenden Tiere zu applaudieren, das mit schönen Männern kämpft.

Ja, Berenice, von Aigues-Mortes nach Toledo versetzt, aber immer im gleichen Sinne rührend und deiner Rolle treu: das Unbewußte lieben zu machen, du stimmtest die Lehre höher, die du uns verkündest. Und das wäre nicht übel, denn du rührtest, wenn auch etwas fade, an noch mehr Imaginationen, wenn du deine Hüften deutlicher schwingst. Anstatt eine von jenen zu sein, an denen die müdgedachten Hirne Geschmack finden, würden dich die Arme leidenschaftlicher Männer pressen. Und daß ich es versäumt habe, dir diese Freuden aufzurichten, dafür entschuldige mich, o meine zarte Weinerin!


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