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Der Haß überwindet alles

Auf den Bänken der Deputiertenkammer kann man den Haß begreifen lernen. Nur wenig zeigte ihn während der langen Monate, wo er ohnmächtig gewesen war, aber im Dezember 1892, in Blitzen, sah ich ihn, wie er die Gesichter entstellte. Panama, Panama! ... Ein Causeur hielt inne, ganz erdrosselt von Glücksspasmen, wenn ein Gegner mit unruhigem Blick, gebleichten und eingefallenen Wangen vorbeiging. Der Haß, ein wildes Tier, das auf der Lauer geht, zeigte sich mir in den Augen, zwischen den Zähnen.

Und es fiel mir eine wilde Geschichte aus dem spanischen Bürgerkrieg ein.

Es lebte 1869 in Sevilla eine reiche Witwe aus guter Familie, eine jener Frauen, die ihre Zeit in den Modeläden verbringen, in Toiletten brillieren und ihre Charme noch mit etwas wie netter Kameradschaft beleben. Die hübschen Plissees ihrer Kleider waren die einer Pariserin, aber darunter zeigte sich bei den geringsten Bewegungen der nationale salero, eine Art aufreizender Geschmeidigkeit, die sehr notwendig ist, daß das Verlangen unter dieser andalusischen Empfindungslosigkeit sich rührt, und die eine Seele verriet, gespannt wie eine Feder.

Ihr Vater war Carlist; was nicht im monarchischen, sondern im patriotischen Sinne zu verstehen ist. Von einer Rasse, die sich durch die Inquisition von den Juden und Protestanten befreit hat, duldete er auf dem Thron keinen Fremden. 1850 fiel er bei den Wahlen durch, wo man ihn aufs Schlimmste insultierte, denn er hatte Wert. Seine Tochter kannte die Angst vor der erwarteten Zeitung, die man aufschlägt und voll des blödesten Geschwätzes findet, von dem immer ein schmutziger Rest haften bleibt. Einer seiner Brüder wurde im Duell erstochen. Als dann 1869 Don Carlos die Nordkampagne eröffnete und die Partei in Andalusien in Bewegung kam, verwickelte die Polizei den alten Politiker in eine abenteuerliche Sittlichkeitsgeschichte. Am hellen Mittag schleppte man ihn mitten durch Sevilla ins Gefängnis, in dem er starb, von seinem Verlangen nach Rache erstickt.

Das junge Weib durcheilte ohne Verzug ganz Spanien, um in Navarra Don Carlos zu treffen. Der Rächer! Ihrer Phantasie erschien dieser Prinz schön wie der Tag – wie der Tag, an dem ihre Feinde weinen sollten. Zu ihm lief sie, die kleinen Hände geballt, mit dem Fieber, mit dem sie zur Hinrichtung der Beleidiger und Mörder ihres Vaters gelaufen wäre.

Sie hatte viel zu befürchten und zu leiden in diesen engen Paßwegen von Navarra, denn die Carlisten, die sie besetzt hielten, hatten einen derben, raublustigen Humor, mit dem sie auch die Frauen nicht verschonten. So trugen sie am Gürtel mächtige Scheren, mit denen man die Maulesel schert und die ihnen nun dazu dienten, den des »Liberalismus« verdächtigen Basken die langen Haare abzuschneiden.

Endlich kam die Diligence, mit ihrer Eskorte von Briganten, über hohe Felsen und steilen Abgründen entlang in das düstere Städtchen Estella, die Festung des Carlismus.

Don Carlos ist in der Beichte, morgen früh wird er kommunizieren, sagten ihr unter tausend Soldatenspäßen die jungen Freiwilligen, welche die schwarzen Arkaden des Platzes füllten und deren verwegene Blicke zu dieser traurigen Stunde des Sonnenunterganges noch erschreckender waren als die Worte.

Nach vielem Suchen in einer elenden Fonda untergebracht, von wo aus sie an Don Carlos schrieb, dachte sie den kommenden Tag ruhig abwarten zu können. Aber sie hatte nicht mit den Unbequemlichkeiten einer Stadt gerechnet, in der es mehr Männer als Frauen gibt. So ein Dutzend Führer waren unten im Erdgeschoß; nachdem sie viel getrunken und spektakelt hatten, wurden sie es auch müde, die Wirtstochter zu mißhandeln, was sie seit fünfzehn Nächten jede Nacht getan hatten, und befahlen, daß man ihnen die Fremde bringe – es gefiel den Betrunkenen, die Fremde für eine Feindin zu nehmen.

Sie mußte herunterkommen. Ihr langes, über das Nachtgewand fallende Haar stellte genügend fest, daß sie ihren Loyalismus vor den Scheren der Freiwilligen zu beweisen gewußt hatte, aber diese geile Bande wollte darin nur eine Verführung mehr sehen. Nach Scherzen, die zu erzählen wenig großmütig wäre, vergewaltigten fast alle diese elegante junge Frau, deren Schreien keinen Menschen herbeirief, denn sobald in Estella das Angelus verklungen war, waren Lärm und Schreien wie dieses etwas Gewöhnliches.

Beim Morgengrauen, alleingelassen, Seele und Leib zerfetzt, aber noch rührender durch all das schrecklich Erlebte, ging sie zum König.

Dieser Fürst von zwanzig Jahren und für Frauen sehr empfänglich, war ehrlich aufgebracht über das Geschehnis. Er trocknete das weinbeschmutzte Haar seiner jungen Parteigängerin; da keine Frauen da waren, wollte er selber sie entkleiden und die ganz Gebrochene in das einzige Bett des armseligen Hauses tragen, in sein noch warmes königliches Bett.

Unfähig, in solchem Elend, mehreren Gefühlen auf einmal zu folgen, wußte sie nichts als immer nur: »Mich so zu behandeln, mich, eine der Euren!« An der starken Brust ihres Königs wurde diese Frau von sechsundzwanzig Jahren mit Vertrauen fühllos. Als eine ihres Vaters beraubte Tochter, als junge Frau ohne Geliebten, als von den Literaten insultierte Royalistin hatte es sie nach diesem Beschützer verlangt! Und aus ganz natürlicher Scham verbreitete sie sich lieber über ihre Leiden in Sevilla, als über die Schmach der vergangenen Nacht.

Eine Untersuchung stellte in weniger als einer Stunde fest, daß die Schuldigen die beliebtesten und energischsten Führer von Don Carlos' Bande waren. Gewöhnliche Soldaten, wären sie ohne Verzug füsiliert worden. Aber es wird erzählt, daß die junge Frau zum Prätendenten, der vielleicht zauderte, sagte: »Zwanzig gute Soldaten können mir mehr Ehre zurückgeben als sie mir genommen haben.« Und dies ist eine wunderbare Antwort.

Sicher ist, daß Don Carlos die Leute rufen ließ, und als zehn von ihnen auf seine Frage erklärten, unverheiratet zu sein, forderte er die junge Frau auf, den zu bezeichnen, den sie zum Gemahl annehmen wolle.

– Sire, fragte sie, welchem von ihnen wird Ihre Majestät das Kommando der Provinz Sevilla geben?

Und da sie darauf eine Frage voraussah:

– Es ist, sagte sie, weil ich mich für zwei Dinge zu rächen habe; ich will die eine Rache nur aufgeben um die andere besser zu erfüllen.

Auf die Versicherung, daß der Gatte ihrer Wahl volle Macht über die Provinz Sevilla erhalten würde, verlangte sie den ersten, der sie frech belästigt hatte. Am gleichen Morgen gingen sie zum Altar, an dem der König kommunizierte. Nach der Trauung kommandierte er den Neuvermählten auf einen gefährlichen Streifzug. Das war Galanterie eines jungen Mannes, dem es Bedürfnis war, daß eine so liebenswürdige Frau frei bleibe.

Sie hätte, meint man, für ihren rohen Mann wohl wenig übrig gehabt. Aber das heißt, den folgerichtigen Geist eines leidenschaftlichen Wesens mißkennen. Als nach zwei Tagen der Carlist zurückkam, erschöpft, die Bajonette verbogen und die durchsäbelten Kleider auf heiler Brust, da geleitete sie ihn in sein Zelt, um ihm Blut und Staub abzuwaschen. Mit den Händen hatte er Liberale erdrosselt! In dem Rausche, auf ihm das Blut toter Feinde zu atmen, vergaß sie den Weingeruch und den heißen Atem, der sie bei ihrem ersten Zusammentreffen beschmutzte; ganz gab sie sich dem Bilde eines bald in Schrecken gesetzten Sevilla hin.

Der Bursche wurde später in Pampeluna gehängt. Er war nichts als Gemeinheit. Aber nicht so sehr Vorzüge als gemeinsamer Haß bindet. Verachten einen solchen Menschen? Ah! Der zwingende Grund, sich zu lieben!

Der Haß ist durchaus kein niedriges Gefühl, wenn man bedenkt, daß er unsere größte Energie auf eine einzige Richtung sammelt und er uns solcherweise notwendig an anderen Stellen wunderbar uninteressiert, uneigennützig macht. Ganz von einem Haß gepackt, sind wir fähig, kleine Widerwärtigkeiten zu verzeihen, wie es die Geschichte dieser jungen Frau zeigt, die einem Dutzend verzieh.

Der Haß besiegt alles; er ist in der Seele ein absoluter König. Aber den intensivsten, den schönsten Haß zeitigen Bürgerkriege, und diesen König der Könige, den sah ich flüchtig Dezember 1892 in den Couloirs des Palais-Bourbon.


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