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Die zwei Frauen des Bürgers von Brügge

Zur Zeit der Renaissance lebte in Brügge ein reicher Bürger, den die großen Gastereien, bei denen sich seine Landsleute unter plumpen Scherzen vollfraßen, nicht belustigten. Es hätte ihm Freude gemacht, seine Kunst als vortrefflicher Bogenschütze zu zeigen und als Schützenkönig ausgerufen zu werden, aber er fand kein wirkliches Vergnügen darin, von den Klatschbasen Brügges bestaunt zu werden. Auch war er seiner Frau ein wenig überdrüssig geworden, trotzdem sie jung und voller Hingabe war. Ihrem Bildnisse nach, das ich gesehen habe, glich sie einem dieser kleinen Memlinggesichter: gewissenhaft in allem, was der bescheidene Rahmen eines alltäglichen Lebens erfordert, aber gänzlich ungebildet und unerfahren in allen Leichtfertigkeiten und Leidenschaftlichkeiten der Liebe, die allein diesen melancholischen Nichtstuer hätten befriedigen können.

Aus diesen Gefühlen heraus gelobte er nach dem heiligen Lande zu pilgern, sowohl der frommen Taten wegen, die er dort verrichten wollte, als auch um sich zu zerstreuen.

Von unseren Träumen müssen wir immer etwas abziehen. Der Vlame kam nicht über Italien hinaus, denn da lernte er eine Frau von südlicher Schönheit kennen, die ihm deshalb ganz unvergleichlich dünkte, und die seinen eckigen nordischen Kopf auf ihrem nackten Busen hielt.

Sie war die Geliebte des Lorenzo von Medici gewesen und eine Nacht lang die des jungen Pico de la Mirandola. Deren Bildnisse, die sie später nach Flandern brachte, habe ich dort gesehen; sie befinden sich in Antwerpen im Hause Plantin. Lorenzo von Medici ist fett und finnig wie ein Zeichenlehrer und La Mirandola hat die regelmäßigen eisigen Züge eines geckenhaften jungen Hebräers, linkisch und ganz Gehirn.

Parfümiert und in Seide gekleidet las diese Clorinde ihrem Geliebten den Ariost vor, dessen göttlich leichtbeschwingte Verse das Verführerische ihres Liebreizes noch steigerten und die Schwermut des jungen Mannes, die bislang mehr üble Laune gewesen war, wurde eine trunkene Traurigkeit.

Nachdem die beiden ihre Barmittel erschöpft und selbst die Juwelen veräußert hatten, bat der Vlame, dem der Gedanke unerträglich war, sie könnte einst fern von ihm alt und elend sein, sie möchte ihm nach Flandern folgen, wo seiner der Überfluß harrte. Clorinde, die ihren geliebten Barbaren im Genüsse aller schönen und guten Dinge unterrichtet hatte, hatte darüber verlernt, sie selber zu begehren, und nur eines wäre ihr hart angekommen: sich von dem Geliebten zu trennen. Also folgte sie ihm in diese trübe Verbannung. Aber je weiter sie reisten, desto trauriger wurden sie, denn die Natur wurde immer ärmer, und sie wanderten in den Winter.

Als Brügge in Sicht kam, wurde es beiden klar, daß ihre Ankunft dort einen Lebensabschnitt bedeute, der das Ende ihrer Jugend sei. Ein blasser Mittagssonnenstrahl aus schwerem, grauem Himmel fiel auf die kühle Landschaft, und das Herz der Frau zog sich schmerzlich zusammen, denn sie hatte Furcht, er könnte sie weniger lieben als seine rechte Frau und sie wieder heimsenden. Und er sah die ihm von Kindheit auf vertrauten Bilder wieder und wurde wehmütig bei dem Gedanken, daß er einst sterben müsse. Sie kamen zu dem Quai du Rosaire und rasteten oberhalb des kleinen Teiches, der die roten, niedrigen, manchmal ockerfarben schimmernden Ziegelsteinhäuschen bespült. Des trübseligen Gewässers fiebriger Geruch erinnerte sie an das Paradies Venedig. Sie schauten auf den melancholischen Wasserspiegel, am Rande von Beginengras umsäumt, wie es auf den alten Steinen wuchert, und ihr Gedanke ging mit diesem kalten Wasser, verlor sich mit ihm unter den dunklen Gewölben. Über dem bizarren Wirrwarr dieser niederen kleinen Dächer hingen die Wolken so tief, daß der Glockenturm von Notre Dame sie zu berühren schien. Damals wohl wie heute streckte die Schenke »Zur Kuh« ihre leichte kleine Terrasse, von dünnen Säulchen getragen, über das Wasser. Vielleicht auch spielte man damals schon eine traurig armselige Musik auf dem kleinen Fischmarkt, wie ich sie dort hörte.

Er wendete sich der bebenden Clorinde zu und sagte: »Nachdem ich nun mit dir wieder in diese Gegend heimkehre, die ich verließ, ehe ich dich kannte, möchte ich dir, vielliebe Freundin, aus tiefstem Herzen sagen, wie viel ich dir schulde. Deine Güte gegen mich, den ungeleckten Bären, war so groß, daß ich von Dankbarkeit erfüllt bin.«

Da überkam sie Rührung. Feinfühlig, wie sie für alles war, was das Lächerliche hätte streifen können, kamen ihr die Tränen in die Augen und sie erwiderte:

»Wie kommt es, mein Freund, daß Ihr manchmal so hart und, ich kann es Euch wohl sagen, oftmals sogar ein wenig derb, dann wieder so zarte Dinge zu sagen wißt, daß Euch darin keiner gleichkommt. Es liegt mir an niemand in der Welt etwas, außer an Euch, dessen seid versichert.«

Und sie küßten sich, weniger wie Liebesleute, als wie Bruder und Schwester von gleicher Art, allzeit bereit, für einander zu sterben, und überzeugt, daß das wahre Leben nicht das eigene, sondern nur das im anderen sei.

Unterdessen waren sie an das Haus des Vlamen gekommen, dessen Frau aufrichtig erfreut über seine Heimkehr war; und trotzdem es ihm leid tat, ihr Vertrauen so schlecht gelohnt zu haben, quälte ihn der Gedanke weit grausamer, was seine schöne Freundin leiden müsse, die nur einige Schritte abseits auf das Paar hinschaute. Er machte nun eine mit der anderen bekannt.

»Mein liebes Weib, umarme diese Fremde, denn sie ist das größte Glück meines Lebens. Sie ist eine Ungläubige, die ich auf meinem Kreuzzuge bekehrt und mit mir gebracht habe, daß sie nicht fern von mir wieder ihren alten Götzen verfalle.«

Alsbald verbreitete sich in Brügge das Gerücht, daß der vornehme Pilger eine Ungläubige bekehrt und mit sich gebracht hätte, und die ganze Bevölkerung bereitete eilends ein Festgelage, an dem er den Ehrenplatz einnahm; und ihm zur Rechten saß die Fremde, zur Linken sein Weib. Es machte ihm große Freude, zu sehen, wie sehr man die glänzende Schönheit seiner Geliebten anstaunte, aber beide waren sie in Gedanken versunken, so daß sie den Anwesenden wie zwei Heilige vorkamen.

Als nun die Stunde zur Ruhe schlug, sagte ihm seine Frau, die viel von ihrer Heiterkeit verloren hatte, als sie ihn während seines Kreuzzuges beweinte, mit ernster Würde: »Meine Reize sind fast entschwunden, und ich habe mich der Ehefreuden so sehr entwöhnt, mein Gebieter, daß Ihr mein Lager nicht teilen sollt. Gern will ich der als Magd dienen, der Ihr das Paradies erschlossen habt, und sie soll die Nacht mit mir verbringen.«

Clorinde, die darüber zitterte, sie könnte die Nacht allein sein müssen, während ihr Angebeteter in den Armen seiner Frau ruhte, stimmte diesem Vorschlage unendlich beglückt bei. Er half den Frauen beim Entkleiden und bestieg selbst das zweite Ruhelager im gleichen Gemache.

So lebten sie nun zu dreien, und oft in den langen flandrischen Winternächten, wenn es arg kalt war, kam eine oder die andere seiner beiden Frauen zu ihm und gab ihm Gesellschaft.

 

Brügge ist von Bäumen umschattet und spiegelt sich in seinen Kanälen, über die ohne Unterlaß der Nordwind braust und das Glockenspiel klingelt. Wenn die halb erfrorenen Schwäne lautlos die Quais umschwammen, dachten sie daran, daß Brügge auf seinen Kanälen diese eisigen Schwäne, Venedig aber liebeglühende Frauen trägt. Beide liebten sie es, wenn die Nacht ihre Schatten über die allzu kleinlichen Zierlichkeiten vlämischer Kunst breitete und nichts sonst bestehen ließ als den großartigen Schwung der architektonischen Massen. Auf dem großen Marktplatz verwandelten die Abendschatten den vereinfachten Wachtturm in eine feudale Florentiner Feste, und dann gedachte Clorinde jener kühnen Männer, die da unten solche harte Paläste bewohnten und sie die ersten in ihre jungen Arme geschlossen hatte, und er erinnerte sich der widerstreitenden Regungen, die seine Seele ergriffen hatten auf dem Steinpflaster der toskanischen Straßen. So konnten sie ihrer schönen Tage in Italien niemals ohne schmerzhafte Trunkenheit gedenken.

Nicht als ob sie im ganzen jene Zeit den Stunden vorgezogen hätten, in denen sie langsam im Nebel der Nordsee entlang wandelten, oder den Abenden, die sie im Hause hinter den Fenstern mit den goldenen Reflexen der Rue aux Oies verbrachten. Aber ihrem Charakter konnte dieses mittlere Dasein nicht genügen, während es die Vlämin befriedigte, wenn sie ihnen ein leckeres Mahl bereitet oder das Haus gut durchwärmt hatte.

 

Da starb Philipp an einem Herzleiden, und seine zwei Frauen taten, wie man in Brügge sagte, allen leid. Aber wenn auch seine Gattin ihrem Schmerz mächtig Ausdruck gab, er konnte sich mit dem der Ungläubigen nicht messen. Sie verlor den, der sie die Wahrheit kennen gelehrt hatte.

Die schöne Frau trat in das Kloster der Redemptoristinnen ein, die das Volk die roten Schwestern nennt, weil ihre Hemden und Strümpfe aus roter Seide sind. Zur Buße verurteilte sie selber ihren schönen Leib, sich nur mit Seide zu umhüllen, gerade, um dadurch die Wollüste zu sühnen, die sie einst genossen, ehe sie die Arme ihres Verstorbenen umschlossen hatten. Bei jedem Schritte mahnte sie das Rauschen der Seide an ihre schlimmen Sünden. Man sagt, sie hätte als die erste zu sterben sich gesehnt, um, wenn auch nur kurze Weile, allein mit ihm im Grabe zu ruhen.

Die andere Frau lebte viele Jahre zurückgezogen in einem Beginenhause. Ich habe ihr Andenken dort aufgesucht. Nichts vermag besser als dieser feuchtwarme Klang des Wortes »Begine« das Bild der schlammgetrübten Gewässer hervorzurufen, diese entlaubten Weiden, den blassen Sonnenschein, der das grelle Rot der Ziegeln dämpft, den silbernen Klang des Glockenspiels, den sanften Hauch des Meeres und die Verlassenheit dieses umfriedeten Asyls, in dem sie ihr armseliges Leben weiter führte, das ja nie mehr als ein halbes Leben gewesen war. Weder die Verlockungen der Sinne, noch der lärmende Streit der Welt dringt über die niederen Häuser in diese Verlassenheit. Aber daß Liebe und Wahn die Welt erfüllen, hat sie es denn je gewußt? In ihrem Gemüte blühte nie etwas auf, das reicher gewesen wäre als das Gras im unregelmäßig viereckigen Hofe des Beginenklosters, den ganz gerade Pfade durchkreuzen und in dem dünne hohe Pappeln. gleich Osterpalmen emporstreben.

Nach den letzten Wünschen des Mütterchens auf dem Totenbette sollte ihre Ruhestätte zu Füßen der Ihrigen sein, und niemand wunderte sich darob, denn im Munde der Leute galten sie für Auserwählte. Auch wollte sie, man solle ihr eigenes Bild auf dem Grabstein an jene Stelle setzen, wo sonst der treue Hund seinen Platz findet: zu Füßen des Herrn. Aber soviel Demut schien den Zurückgebliebenen übertrieben und ging der Familie gegen das Gefühl. Darum sieht man in der Kirche die drei dicht nebeneinander liegen, und sie halten das Spruchband, auf dem die von ihr selbst bestimmten Worte zu lesen sind: »Martha, Martha, du hast viele Geschäfte, Maria hat den bessern Teil erwählt.«

Ich erhebe Einspruch gegen die lässige Erfüllung ihres letzten richtigen Willens. Ich widersetze mich dieser beleidigenden Gleichstellung, zu der man sie gegen ihren Willen emporhob. Möge alle Welt das Lob der armseligen Primitiven singen, aller Memlings und aller kraftlosen Tugend, ich preise die italienische Herrlichkeit, die Leidenschaft, die nicht schläft und die Gesten der Leidenschaft hat: der wirkenden Leidenschaft.

Ginge es nach mir, die zur Magd Geborene müßte in alle Ewigkeit zu den Füßen ihrer Gebieter ruhen. Gott hätte in Flandern keine Seele geboren werden lassen, aus der er eine Venezianerin hätte schaffen können. Die kleine Vlamin begnüge sich mit der allgemeinen Achtung! Wir aber lieben und ehren nur die teuere Redemptoristin. Und wenn mich im Beginenstifte Rührung erfaßte, so war es nur, daß ich mich aus der Armseligkeit zu noch heißerer Bewunderung der unbegrenzten Größe einer zärtlichen und alles schmückenden Leidenschaft wandte.


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