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Spanierinnen

Der Fremdling: »Wir wollen doch einmal die Tatsachen feststellen. Also ich habe Pedro geschrieben, er solle uns die Billetts für Richard Strauß besorgen. Du hast den Brief mitgenommen und wolltest ihn bei Pedro abgeben. Hast du ihn denn nun abgegeben? Tatsache ist, daß wir keine Billetts bekommen haben und nicht im Konzert gewesen sind.«

Nati (Abkürzung für den Vornamen Natividad): »Es ist escandaloso! Alle meine Freundinnen sind bei Strauß gewesen, nur ich nicht. Du hättest die Billetts eben selber besorgen sollen! Ich hatte mir ein Bild von Strauß an die Wand gesteckt. Jetzt habe ich es wieder weggerissen. Nicht mehr sehen kann ich den gräßlichen Menschen mit seinen Augen.«

Der Fremdling: »Natürlich hätte ich es selber besorgen können, aber da du doch den Brief an Pedro mitgenommen hast, so folgerte ich ...«

Nati: »Du hast keinen Respekt mehr vor mir. Kein Wunsch wird mir erfüllt. Von meinen Strümpfen ist seit acht Tagen überhaupt nicht mehr gesprochen worden. Ich habe gestern auf meiner linken Wade ein Loch entdeckt so groß wie meine Hand. Und ich habe es stopfen müssen!«

Der Fremdling: »Bleiben wir doch bei der Sache; ich weiß nicht, was Strauß mit deiner linken Wade zu tun hat. Paß mal auf, liebes Kind, wir wollen versuchen, ganz logisch vorzugehen. Entweder du hast den Brief einfach verbummelt und willst es jetzt nur nicht eingestehen ...«

Nati (nimmt ihr falsches Perlenhalsband in den Mund und versucht, Schwefelhölzer am verkehrten Ende anzuzünden).

Der Fremdling: »Oder aber du hast den Brief bei Pedro abgegeben. In diesem Falle ergeben sich wieder zwei Möglichkeiten ...«

Nati (singt mit dem Perlenhalsband im Munde leise vor sich hin): »El hombre que yo quieroh hohooh hohoooh ...«

Der Fremdling: »Wahnsinnig macht mich dieses Mädchen. Nämlich es könnte ja sein, daß Pedro keine Billetts bekommen hat. Dann verstehe ich nur nicht ...«

Nati (spuckt das Perlenhalsband aus und küßt sich ihren nackten Arm).

 

In das Coupé, in dem ich so schön allein gesessen hatte, steigen auf einer Zwischenstation zwei Herren mit Cäsarenköpfen ein; ich werfe ihnen haßerfüllte Blicke zu. Aber dann stellt sich heraus, daß zu den zwei Herren eine schlanke junge Dame gehört, die genau den Fensterplatz mir gegenüber bekommt. Daraufhin finde ich, daß die Störung vielleicht doch nicht so schlimm ist. Man muß nicht immer so sein; andere Leute haben genau dasselbe Recht, wie ich zu fahren.

Offenbar sind es Schauspieler, die ins Engagement fahren. Tatsächlich haben die beiden Cäsaren während der ganzen Fahrt ihre Rollen memoriert.

Was die schlanke Dame anbetrifft, so ist sie die Ausgelassenheit selber und vollführt eine große Unordnung mit den fünfzig Kollis, die sie bei sich führt. »Wo ist die Thermosflasche? Nicht ins Netz; hierher! Um Gottes willen die Äpfel von Rodrigo! Wir haben die Äpfel von Rodrigo liegenlassen! Eine Zigarette? Nein danke. Oder doch gib her. Nein, lieber später.«

Sie hat vier Nelkensträuße und reicht sie herum. »Kinder, riecht einmal die Nelken von Fernando, wonach riechen die? Was, das riecht ihr nicht? Nach Benzin riechen sie.« Und sie will sich zerreißen vor Übermut.

Endlich wird sie still und drückt sich in ihre Ecke, und ich glaube, sie ist eingeschlafen.

Nach einer Weile sehe ich hinüber. Sie schläft nicht; sie sieht in die fliehende Landschaft, und aus ihren jungen Augen stürzen die Tränen wie zwei Quellen.

 

In Sevilla bewohne ich ein Zimmer des vierten Stockes, das auf eine Terrasse hinausgeht. Auf diese Terrasse kommt nie ein Mensch, es stört mich nichts, und ich könnte, wenn ich verrückt wäre, den ganzen Tag Feuilletons schreiben.

Allerdings, wenn ich sage, es kommt nie ein Mensch auf die Terrasse, so stimmt das nicht ganz, denn es kommt ja jeden Mittag um zwölf das Mädchen, das die Terrasse säubern soll. Es macht sich sogar sehr bemerklich, dieses Mädchen, sie haut den Eimer hin und läßt den Besen gerade immer vor meinem Fenster fallen.

Ich bin sehr empfindlich und kann nicht arbeiten, wenn man in der Wirtschaft solchen Lärm macht. Aber merkwürdigerweise ist es bei dieser Person das Gegenteil; ihr Lärm stört mich gar nicht.

Sie ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt und ein prachtvoller Mensch mit starken Armen und wilden Augen. Wenn sie lacht, blitzen die goldenen Zähne in den Mundwinkeln. Und je wärmer es wird, um so weniger hat sie an.

Zuerst haben wir uns durch das Fenster guten Tag gesagt. Dann habe ich sie gefragt, wie sie heißt. Sie heißt Custodia und ist mit einem Postsekretär verlobt. Des weiteren bin ich dazu übergegangen, ihr täglich eine Apfelsine zu schenken. Darauf dankt sie mit dem halben Kopfneigen der Spanierin und steckt die Apfelsine vorn in die Brust.

Aber das ganz Merkwürdige ist nun, daß die Apfelsine nicht gleich unten wieder herausfällt. Das verstehe ich nicht und habe tagelang darüber nachgedacht: Warum fällt die Apfelsine nicht unten wieder heraus, und wo bleibt sie eigentlich stecken?

Heute sitze ich am Tisch und lese Unamunos drei Musternovellen, denn es wird Zeit, daß ich mich an meinen Artikel über das spanische Geistesleben mache. Draußen brütet still der furchtbare andalusische Mittag, und im ganzen Hause rührt sich nichts, als schliefe alle Welt. Da steht sie wieder am Fenster und ruft mir halblaut zu: »Kommen Sie her, und sehen Sie sich meine Arme an.« Das heißt auf spanisch: venga y mire mis brazos. (Das z wird wie das englische th ausgesprochen.)

Ich fasse mich und gehe schwankend hin; sie hält mir die Arme vor die Augen und sagt: »Sehen Sie, bis hier ist es schon braungebrannt von der Sonne, aber hier oben ist es noch ganz weiß.« Damit schlägt sie den Ärmel zurück und zeigt mir die blendende Schulter.

Warum tönt das Läuten der Straßenbahn plötzlich so von fern? Warum dreht sich die weiße Wolke da oben? Wirst du gleich stillhalten, Kröte! Aber schon reißt sie sich los, läuft fort und zeigt mir lachend die grausamen Zähne.

Ich habe mich wieder an den Unamuno gesetzt mit seinen Musternovellen. U na mu no ... Wie traurig doch der Name dieses berühmten Schriftstellers klingt.

 

Der Neunuhrmorgenzug von Madrid, das ist jener Zug, mit dem die fremden Touristen wieder nach der Heimat abfahren, nachdem sie ganz Spanien acht Tage lang bereist haben. Vorher kaufen sie sich beim Bahnhofsbuchhändler noch schnell ein paar Ansichtskarten von Madrid.

In ganzen Kolonnen kommen sie da anmarschiert; alte Engländerinnen, etwas wunderlich, aber immer proper; dann die Damen aus Hannover, ebenfalls sehr gut angezogen – meine andauernden Ermahnungen fangen an zu wirken –, doch warum machen wir Deutschen immer einen so geschmolzenen Eindruck? Die Knie mehr durchdrücken, meine Damen!

Jedoch, ob nun Deutsche oder Engländer, sie alle sind äußerst aufgeräumt und lachen und sind vergnügt darüber, daß sie wieder aus Spanien fortreisen dürfen.

Denn es ist ganz merkwürdig, worüber alle Menschen vergnügt sein können.

 

Vor Jahren brachte der »Simplicissimus« einmal die Postkarten, die eine junge deutsche Frau von der italienischen Hochzeitsreise an eine Freundin schrieb.

In der ersten Postkarte hieß es: »Mein Eduard hat sich in der Vorhalle des Vestatempels photographieren lassen, er sieht riesig nett aus.« In der letzten Postkarte hieß es: »Morgen geht es also wieder heim; ich kann Dir nicht sagen, wie mein Eduard sich auf das erste Kasseler Rippespeer freut.«

Das ist unser Schicksal gewesen durch die Jahrhunderte. Immer hat es uns nach den Säulen des Südens gelockt; dann konnten wir die Säulen nicht vertragen und wollten wieder heim. So sind sie hin und her gezogen, die Ottos und die Barbarossas und die Goethes, zwischen dem Vestatempel und dem heimatlichen Kasseler Rippespeer.

(Ich lästere nicht; man lese nach, wie geringschätzig der alte Goethe von Italien und seiner eigenen früheren jungen Italienliebe geschrieben hat.)


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