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Friede

Auf dem Weg, der an dem Reitplatz entlangführt, spielen hundert kleine Kinder die ersten Spiele des zarten Frühlings. Sie backen Kuchen aus Sand, der in der Tat billiger ist als das Mehl, und bewerfen sich brüderlich mit Pferdeäpfeln.

Die dazu gehörigen Kindermädchen sitzen auf den Bänken und sind in die melodischen Werke des Herrn H. H. Ewers versunken.

An dem ersten Baum des Weges ist eine Tafel angebracht mit der Inschrift: »Dieser Weg ist für Kinder gesperrt.« Aber weder die Kinder noch die Mädchen achten darauf, denn das ist vorbei und wird nie wiederkehren. Und wenn ich jetzt erzählen wollte, daß bis vor kurzem in diesem Tiergarten blaue Menschenfresser herumstreiften mit Pickelhauben auf dem Kopf und daß sie einen Säbel trugen, um die kleinen Kinder am Spielen zu hindern, wenn ich das erzählen wollte, niemand würde es glauben.

Kann ich es selbst doch kaum glauben, daß einmal eine Ära war, in der Kinder gesperrt wurden.

 

Die Vegetation (die Boskette, Rondelle, Bäume usw.) befindet sich augenblicklich in jenem Stadium, das man das durchsichtige nennen kann.

Die Blätter nämlich bilden noch keine großen, verstaubten Kronen, sie sind kleine Goldkörner, die in lichten Schwaden stehen, in schimmernden Schwärmen wohl verteilt. Die Fliederbüsche sind wie große Glaskugeln mit goldenen Pailletten darin, und durch sie hindurch sieht man die Reiter blitzend galoppieren.

Das ist der Frühling des Frühlings, und aller Welt sei geraten, sich diesen Vorgang zu besichtigen; denn er ist erstaunlich schnell wieder vorbei, und er ist das Wichtigste, was man jetzt sehen kann, wichtiger vielleicht noch als der Massenfilm »Das Weib des Pharao«.

Dabei kostet es gar nichts, wie ja überhaupt die wertvollsten Dinge dieser Welt umsonst zu haben sind.

Nun kommt den Weg einher ein Fräulein gewippt, dem man gleich ansieht, daß es etwas anderes ist: kurz gerockt, bleich, mit Schatten unter den unruhigen Augen.

Sie führt zwei Knäblein spazieren, und wie das eine Knäblein auf den Reitweg läuft, ruft sie laut: »Heinz, je veux que tu reste près de moi.«

Das ist kein Ersatzfranzösisch aus der Berlitz-School, das ist das richtige Bonnenfranzösisch aus dem Parc Monceau in Paris ... und niemand dreht sich danach um, die Kinder erstarren nicht zu Stein, die Fräuleins auf den Bänken blicken nicht von ihren Büchern auf; die Völker wandern wieder kindlich durcheinander...

Heilige Göttin des Friedens, Eirene, wenn die Griechen dir danken wollten, stellten sie eine Schale Milch auf die Marmorplatte deines Altars. Gern möchte auch ich dir ein solches Opfer darbringen an diesem Frühlingstag; aber wirst du mit kondensierter Milch vorliebnehmen?


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