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Der Alltag in Athen

Die Börse liegt in der Sophoklesstraße.

Auf dieser Börse geht es ebenso stimmungsvoll zu wie auf der unsrigen; mit dem einzigen Unterschiede nur, daß hier die Baissiers Rosenkränze in der Hand tragen, während sie in Zementaktien handeln.

Doch haben diese Rosenkränze nicht etwa – wie man vermuten möchte – den Zweck, die Gottheit für das Geschäft zu interessieren; sie sollen vielmehr der inneren Gemütsbewegung ein Spiel geben. Immerfort gleiten die gelben und schwarzen Kugeln durch die Hände, und ein feines Ohr könnte schon an dem Klappern der Kugeln heraushören, wie das Pfund Sterling steht.

Als gestern das Pfund mit einem großen Satz um fünfzig Punkte stieg, klapperten die Kugeln besonders vergnügt. Denn auch darin ist es ebenso wie bei uns: wenn die heimatliche Banknote fällt, sagen die Geschäftsmänner, daß die Börse freundlicher geworden ist.

 

Wer hierher kommt, merke sich vor allem das griechische Wort für Pfund; es heißt Lira. Das, was wir Lira nennen, die italienische Münze, heißt Liretta.

Lira und Liretta; es klingt wie Katze und Kätzchen.

 

Viele Banken befinden sich in der Aristidesstraße. Aristides, der Gerechte!

Der Grieche nennt aber ein solches Institut nicht wie wir Bank, sondern Trapeza, Tisch. Und das ist logischer, da ein guterzogener Mensch das Geld ja nicht auf das Kanapee, sondern auf den Tisch zählt.

Die einfachsten und häufigsten solcher Unternehmungen bestehen in der Tat nur aus einem kleinen Tisch, auf dem ein Glaskasten steht. In diesem Glaskasten liegen die Dollars, Pfunde, Kronen und Gulden, von denen du kaufen kannst, soviel du willst; auch goldene Ketten und Münzen; und hinter dem Tisch steht in seinem Paletot der Bankier und blickt den schüchternen Fremdling mit gewinnendem Lächeln an.

Die Vorfahren dieses Bankiers schifften über das Inselmeer und handelten mit Bernsteinketten oder mit syrischen Mädchen.

Jetzt ist das alles viel bequemer eingerichtet.

 

Jeden Tag, den Gott mir gibt, jeden attischen Tag steige ich auf die Akropolis, um der Athene dafür zu danken, daß ich meinen Artikel über sie hinter mir habe. Und jeden Tag esse ich in der kleinen Weinstube am Eintrachtsplatz einen gebratenen Tintenfisch.

Der Tintenfisch schmeckt nach gar nichts und liegt mir drei Stunden lang im Magen. Aber es kommt auf die Idee an; auf die Idee, einen Tintenfisch aus dem Ägäischen Meer im Magen zu haben.

Und selbstverständlich geht man jeden Vormittag auf den Markt.

Agora. Bitte auf der letzten Silbe zu betonen; wie das klingt; wie es darin schreit aus der Ferne der Jahrhunderte bis zu uns.

Über diesen Markt schritt in härenem Gewande der Philosoph und suchte in dem vergänglichen Betrieb die Berechtigungen und Gleichnisse seiner Lehre.

Wahrscheinlich hat sich seit damals nichts geändert, nur daß die Männer Hosen tragen und Zigaretten rauchen. Die gebratenen Fische dampfen homerisch wie einst; jedermann schreit und tobt und vergißt darüber die statuenhafte Attitüde nicht; Knoblauche hängen von hoch herab in voller Guirlandenlinie; ein junges Mädchen von fast unmöglicher Schönheit bietet drei lebende Hühner an, die sie an den Füßen zusammengebunden hat, denn der Süden ist grausam; ein altes Weib hat sich für ihre Suppe einen Bockskopf gekauft und trägt den Kopf an seinem Zickenbart nach Hause; und wieviel Arten von Würsten es gibt, kleine und ungeheure, das faßt man kaum.

Und wie einst Sokrates, der Sohn der Hebamme, so wandele wenigstens ich sinnend über den Markt und forme in melodischen Sätzen die Gedanken der Ewigkeit.

 

Überhaupt, wie freut der Altphilologe sich, daß er der geliebten griechischen Sprache nun ganz anvertraut ist und sich im täglichen Leben des Jota subscriptum bedienen muß.

Da es mir in Berlin nicht gelungen ist, ein neugriechisches Lexikon aufzutreiben, habe ich das altgriechische von Thieme mitgenommen, und es genügt in den meisten Fällen.

Eine Lokalnotiz der Zeitung verlockt durch ihre Kürze, und ich übersetze: »Infolge des anhaltenden Frostes sind die Kohlenpreise abermals gestiegen, was eine bedauerliche Verteuerung auf dem ganzen Lebensmittelmarkt zur Folge gehabt hat.«

Im Café bietet mir ein fliegender Holländer ein Buch an. Der in den Lettern Platons gehaltene Titel heißt auf deutsch: »Der Foxtrott der Wollust«.

So arbeitet man sich allmählich ein und fühlt sich bald wie zu Hause.

Foxtrott sieht in den großen Buchstaben des Buchtitels so aus: ΦΩΞΤΡΩΤΤ. Zuerst bekommt man einen Schreck. Um so mehr freut man sich hinterher.

Wer hatte mir doch gesagt, daß Athen eine langweilige Stadt sei? Richtig, damals im Zuge nach Verona der Direktor der Zahnradbahnfabrik. Und der hatte von seinem Standpunkte aus wohl recht.

Direktoren von Zahnradbahnfabriken müssen sich hier sehr langweilen.

Die Stadt ist entzückend. Sie sieht in ihren offiziellen Teilen aus wie München. Wie das alte, helle München von damals, bevor diese Stadt sich die Aufgabe gestellt hatte, Deutschland zu erretten.

Akademie, Museum, Schloß; im korrekten klassischen Stil der vierziger Jahre. Ein bißchen sehr korrekt, zugegeben. Aber hätte es anders sein dürfen?

Ein gütiges Schicksal hat es so gefügt, daß Athen gerade in den vierziger Jahren aufgebaut worden ist, als in der westlichen Kunst die Säule wieder galt. So ist eine Art von demütiger Harmonie zu der Vorzeit entstanden.

Es hätte ja auch im Rokoko wieder aufgebaut werden können. Oder 1900, von der Darmstädter Sezession.

Ein gütiges Schicksal: man braucht sich über keine Geschmacklosigkeit zu ärgern, wie in Rom nur allzuoft.

 

Und dieses akademische München nun östlich durchwimmelt von Albanesen und Kurden, von Lammfellröcken und männlichen Ballettröcken.

An dem Kaffeehaustisch, an dem ich nachts diese volkspsychologischen Studien niederschreibe, sitzt stumm ein Riesenmann mit einer hohen weißen Mütze, die wie eine Clownmütze aussieht. Seltsam steht dieser spaßhafte Putz über den wilden Augen, mit denen er mich finster betrachtet.

 

Der Mann mit der komischen Mütze ist fort, der Kellner kommt, um die Stühle auf den Tisch zu stellen. Er bemerkt, daß ich hier in dem mitternächtlichen Cafe eine lange Geschichte in mein Buch schreibe, und schließt scharfblickend daraus, daß ich ein Deutscher sein muß.

»Mein Herr«, sagt er auf deutsch, »ich Sie nachher führen zu drei schöne Mädchen aus Zypern.«

Ich habe nach reiflicher Überlegung nein gesagt.

Aber wenn es mich nur nicht später reut! Wenn nur nicht graue nordische Stunden kommen, wo ich mit bitterer Selbstanklage an heute zurückdenke! An die verscherzte zyprische Nacht.


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