Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Winter in Malaga

In Malaga schmeckt der Malaga nun allerdings anders als an der Ecke der Leipziger und Friedrichstraße. Leicht und gelüftet und göttlich frisch. Man trinke ihn nicht im feinen Restaurant, wo er aus der Flasche serviert wird, sondern am Hafen unten; oder man begebe sich zu diesem Behufe in eine der großen Verkaufshallen, etwa zu Herrn Eduardo Diez, der seinen Laden am Riego-Platz hat, da wo der felsige Weg zur Maurenburg aufsteigt.

In diesen Hallen wird der Wein aus großen hellen Fässern verzapft; er heißt: Anejo, Lacrima, Los Montes, Ximenez. Einer der Weine heißt sogar Scholz, was ein schlesischer Name ist, aber sonst ist nichts Schlesisches daran.

Vor der Tür lagert eine Herde bronzefarbener Ziegen.

Und die malaguenischen Dienstmädchen kommen in den Laden und holen den Wein für den herrschaftlichen Mittagstisch; in großen Korbflaschen immer gleich zwei Liter.

 

Diese malaguenischen Dienstmädchen heißen mit Vornamen Sol (die Sonne) oder Santa (die Heilige) oder Remedios (die Heilmittel) oder Angeles (die Engel) oder Socorro (die Hilfe), oder wie man nun so heißen muß unter dieser Sonne.

Der Herr des Hauses ruft bei Tisch: »Heilige, bringen Sie noch etwas Mayonnaise!« Unmöglich sonst in der anderen Welt ... hier strahlt es und macht glücklich und gehört zu dem Mosaik des fabelhaften Landes.

(Natürlich habe ich die jungen Damen bei Diez nicht etwa selber gefragt, wie sie heißen, sondern diese blauen Namen aus den Lokalnotizen der Zeitungen gesammelt. Wie der pflanzenkundige Gelehrte mit seiner Botanisiertrommel Blumen sucht auf dem steinigen Schutt.)

 

Die Schönheit der Malaguenin ist milder als die der anderen Spanierinnen. Etwas Behäbiges und Volles liegt vor, wie oft bei den Töchtern reicher und handeltreibender Plätze; der Venezianerin, der Hanseatin und den Frauen der Niederlande.

Ein amerikanischer Anthropologe hat jetzt endgültig ausgerechnet, daß nach Proportion und Maß die Spanierin die schönste Frau der Welt ist. Aber er hat nicht angegeben, welcher unter den spanischen Frauenrassen der Preis gebührt.

Die spanischen Kenner selbst rühmen die Frauen von Valencia und von Santander. Die Andalusierin weniger. Die Andalusierin ist mehr merkwürdig als erregend. Die Taille sitzt zu tief, das heißt: die beiden so wichtigen unteren Segmente sind vernachlässigt. Eine der Frauen, die man nackt zu sehen kein Verlangen trägt.

Das schönste Mädchen, das ich in Andalusien sah, war eine ganz junge Tänzerin, Pilarcita Calvo, die hier auf einer Kabarettbühne agiert. Herb und schlank und streng und unerbittlich in der Haltung; wie die Tochter der Herodias tanzte, als es um den Kopf des Schwärmers ging. Dabei noch ganz ohne Routine.

Ihre Tante saß neben mir im Parkett, und wir sprachen zusammen über das liebe Ding ... »Sie ist eine Madrilenin«, sagte die Tante stolz.

 

Überhaupt wird die ganze Rassentheorie überschätzt. Diese Theorie ist von antisemitischen Universitätsprofessoren aufgebracht worden, die für ihre streitsüchtige Tendenz eine wissenschaftliche Fassade brauchten. Und sie wird widerlegt von Hunderten von Einzelheiten: Bismarck war ein Rundschädel, Heine ein Langschädel, und die Germanen, die nach Nordamerika auswanderten, bekommen Indianergesichter wie Wilson und Roosevelt.

Wer ein wenig in der Welt umhergewandert ist, der muß bemerkt haben, daß überall ein ziemlicher Mansch vorliegt und daß Blondes und Schwarzes, Krummbeiniges und Edelgewachsenes durcheinandergehen. Und wichtiger für die Bildung des menschlichen Körpers ist der Beruf; die Berufe ähneln sich durch die ganze Welt.

Alle Offiziere ähneln sich, die preußischen wie die französischen; alle katholischen Priester, ob nun einer aus München ist oder aus Rom. Alle Automobilchauffeure. Alle Journalisten. Alle Kokotten und alle Postbeamten.

Einmal war ich zu kurzem Besuch in Belgrad und saß mit dortigen Freunden im Café. Da trat ein eiliger schlapphutiger und bekneiferter Herr herein und warf sich gegenüber an einen Tisch.

»Ich wette«, rief ich, »das ist ein Journalist.« Es war der führende Lokalredakteur des Ortes. Er hatte mir beim Eintreten einen schnellen Blick des Erkennens und des Mißtrauens zugeworfen.

 

Wehe dem, der durch ein reiches Land in künstlerischer Hinsicht reist und um Bilder zu besehen. Er wird nichts von diesem Lande verstehen, am wenigsten die Bilder, über die er sich Notizen macht.

Vor vielen Jahren begegnete ich in Florenz einem Schulfreund, der nach Italien gekommen war, um eine Doktordissertation über den Faltenwurf von Giotto bis Masaccio zu schreiben. Denn es mußte herausgebracht werden, wieviel antike und wieviel gotische Elemente in dem Faltenwurf von Giotto bis Masaccio vorhanden sind.

So lief er von den Uffizien in die Akademie und von der Akademie nach San Marco; und sah nicht die wilden Kinder, die auf der Straße spielen, und nicht die kleinen Esel, die Fruchtkörbe tragen und einen Schritt haben wie die Mannequins.

Nachmittags, wenn die Museen geschlossen sind, nahm er Phenazetin und legte sich schlafen.

Jetzt ist er ein hochberühmter Mann geworden und leitet eine große Kunstanstalt und will nichts mehr von mir wissen.

 

Es gibt in Madrid einen großen Büchermarkt, auf dem man alte Bücher kaufen kann. Er liegt neben dem Botanischen Garten, und wenn ich, wie täglich, in diesem Garten war, gehe ich ab und zu auch einmal auf den Markt und suche in der Weisheit der alten Zeit.

Die Weisheit der alten Zeit besteht hauptsächlich aus Gebetbüchern. Doch gibt es auch schöne Ausgaben des Cervantes, denen immer der erste Band fehlt, wodurch sie billiger werden. Und neue Romanautoren, die noch nicht aufgeschnitten sind und also niemals gelesen wurden.

Einmal führte ich eine junge deutsche Dame dahin, sie sollte sich etwas aussuchen: Sie ging erst schweigend die Stände entlang; dann fragte sie: »Warum gibt es denn keine deutschen Bücher hier?« Worauf wir eine Statistik aufzustellen beschlossen.

Die Mehrzahl natürlich Spanier. Fast ebensoviel Franzosen, im Original und in Übersetzung. Alle großen Engländer: Shaw, Wells, Kipling. Ja wirklich: wo bleiben denn wir? Wo bleiben die Namen, die wir zu Hause tönend nennen? Wo bleibt das Licht, das wir über die Welt ausstrahlen?

Vier deutsche Bücher fanden wir. Drei in spanischer Übersetzung: den »Faust«, Thomas Manns »Tod in Venedig« und ein Werk von Wundt. Ein einziges deutsches Buch in deutscher Sprache: es hieß. R. Ledebur »Die Gasfeuerungen für metallurgische Zwecke«.

Die junge Dame wünschte sich dieses Buch, und ich kaufte es ihr für fünfzig Centimos. Aber vielleicht war das nicht richtig von uns, denn nun gibt es kein einziges deutsches Buch mehr auf dem Markte von Madrid, zwischen den zehntausend anderen.

 

Nachdem dieses alles erledigt ist, steige der Wanderer nun endlich den Felsenweg hinauf zur Burg von Malaga und widme sich wieder der Geschichtsbetrachtung.

Gibralfar, so nennt sich diese Burg. Giber, das ist arabisch und heißt Berg; Far, das ist griechisch und heißt Leuchtturm. Eine arabisch-griechische Burg steht da aus den Urzeiten.

Dazwischen waren noch die Phönizier hier und die Römer und die Schwaben aus der Gegend von Stuttgart, die Vandalen, die aus der Uckermark herkamen, und die Goten und zum Schluß die Christen. Und sie alle haben sich patriotisch betätigt, daß es ein Trümmerhaufen wurde bis hinauf.

Auf den Trümmern liegt die Festung lang hingestreckt, an den Boden geduckt, wie eine Katze, und blickt mit blutunterlaufenen Augen hinüber nach Afrika. Denn Malaga ist der Ausfahrthafen gewesen für alle Expeditionen in Marokko. Von hier sind sie aufgebrochen gegen Jugurtha, gegen den Seeräuber Barbaroja, gegen Muley Abbas und Raisuli, und von hier ziehen sie heute noch aus, ganze Schiffsladungen voll, gegen Abd-el-Krim, den Rebellen. Und es ist noch lange nicht zu Ende.

 

Aber kann man das den Leuten übelnehmen? Kann man hier von Frieden reden, wo die beiden Kontinente sich herausfordernd entgegentreten? Wo Begehren und Kampf und Sehnsucht in die Ferne sein muß immerzu? Der Leser stelle sich gütigst einmal vor, er sei der König von Kastilien. Und nun trete er auf diese Höhe, waffenklirrend, die Paladine hinter sich. Da drüben jenseits der See der blaue Strich, das ist die Krone Mauretanien. Ein Zugreifen nur, eine kurze Fahrt. Dort ist Gold zu holen und Elfenbein, Abenteuer, Ruhm und die braunen Weiber mit den spitzen Brüsten ...

Ich sehe, wie des Lesers Hand ungeduldig nach dem perlengeschmückten Schwertgriff zuckt.


 << zurück weiter >>