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Heraus

Heraus aus der Gefangenschaft kommt, wer sechsundfünfzig Jahre alt wurde oder wer krank ist. Dieses sind die beiden einzigen Wege zur Freiheit: man muß sechsundfünfzig Jahre alt werden oder krank.

Was die sechsundfünfzig Jahre anbetrifft, so habe ich noch sieben Jahre Zeit bis dahin und fühle genügend Philosophie in mir, um diese Periode durchzuhalten. Ja, der Gedanke gewährt einigen Trost, daß die Franzosen mich nach den internationalen Verabredungen nicht länger als sieben Jahre zurückhalten können, es mag nun kommen, was da will. Wie schön, so denke ich nach der zweiten Flasche Wein, wie schön wäre es nun gar, man könnte es machen wie unsere Eidechsen hier, die den bösen Winter zusammengeringelt verschlafen und erst herausgeschwänzelt kommen, wenn die Sonne wieder scheint. So schwänzelte auch ich an der Friedenssonne wieder hervor und könnte dann die Geschichte des Krieges abgeklärt in einem Leitfaden für den höheren Unterricht nachlesen.

Da dieses schwierig ist, bleibt nur ein Weg zur Freiheit: krank werden.

Zweimal im Jahre werden wir Gefangenen von einer Schweizer Kommission oder von dem Depotarzt untersucht, und wer genügend krank ist, wird nach Lyon gesandt, wo eine höhere internationale Kommission über ihn entscheidet, ob er zurückbleibt oder in die Schweiz geschickt werden soll, oder in schwereren Fällen gleich in die Heimat. Da die Lyoner Kommission nur eine Nachuntersuchung vornimmt, ruht die eigentliche Entscheidung bei der Untersuchung im Lager selbst. Wer die passiert, der ist meistens schon sicher heraus.

Demnach sind wir immer einigermaßen aufgeregt im Lager, wenn eine solche Untersuchung bevorsteht, denn es ist eine Art von Glücksspiel, bei dem die Durchgefallenen mindestens ein halbes Jahr Gefangenschaft abbekommen. Wohl dem Manne, der einen Bruch hat; er geht strahlend herum unter seinen Freunden und sagt: ich habe einen Bruch und komme diesmal heraus. Auch Fälle von besserem Gelenkrheumatismus sind beliebt, und man freut sich, wenn die Lunge rasselt. Und dieses Spielen mit der Krankheit ist nicht so frivol, wie es aussehen möchte; denn so weit kommt man allgemach, daß man sich sagt: lieber tuberkulös in der Heimat, als kerngesund, aber gefangen bei den Franzosen.

Mir sandte das Schicksal im Sommer 1917 eine Blasenkrankheit, die schmerzhaft war, aber die ich preisen werde, denn ihr verdanke ich die Freiheit. Als der Arzt uns untersuchte, wurde ich mit zwölf anderen Kameraden als genügend krank befunden und für den Transport nach Lyon bestimmt.

Und die Gefangenschaft ging zu Ende.


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