Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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Liebe Schwester!

Deinen letzten Brief von Schlangenbad, in dem Du Deine baldige Abreise angezeigt, nebst der Fluggeschichte, erhielt ich eine Minute später, als mein Brief an Dich abgegangen war. Ich erwarte von diesem für Dich so gütig gewesenen Sommer nun auch gute, Wirkung für Deine Gesundheit, Deinen Mut und Fleiß. Was mich betrifft, so bleibe ewig beruhigt und vertraue mir ganz, daß ich in unserm engen Bund nie ein Wesen aufnehmen werde, als nur wenn es sehr vortrefflich ist. Ich liebe und ehre Sophien zu sehr, um mehr von ihr zu sprechen; wenn Du sie kennen wirst, liebe Bettine, so wirst Du für sie empfinden, was auch ich für sie fühle. Sie macht alles gesund und blühend, sie ist die ewige Jugend und immer ein Kind, sie ist, wie ihr letzter Brief sagt, eine sehr arme Frau, aber ein unendlich reiches Kind. Wenn ich nach Frankfurt komme, will ich Dich über alles belehren und Deine Besorgnisse so aufklären, daß Du Dich über das Ganze so freuen sollst, wie ich es tue. Nur bitte ich Dich nochmals, in allen Dingen, die mich betreffen, keine Vertraute zu haben.

Mit Savigny stehe ich auf einem ganz ordentlichen Fuß, wir achten uns, ohne doch daß unsere Herzen innige Mitteilungen hätten. Seine Verschlossenheit, sein Verkehr mit Gunda und Winkelmann, ohne daß ich weiß, was sie miteinander wollen, und vor allem sein Geständnis, »daß er mit Dir platterdings gar nicht existieren und keine Berührung mit Dir erträglich sei«. Dieser deutliche Widerwille gegen das, was ich auf Erden am meisten liebe, gegen Dich, dies alles hat mir mein Verhältnis mit ihm bestimmt. Ich achte ihn aber mehr als irgendeinen Menschen in der Welt; daß er das Talent nicht hat, vertraulich zu werden, lasse ich ihn weiter nicht entgelten. Übrigens teile ich ihm nichts mehr mit, weil er stumm wie ein Ölgötze gegen mich ist, und so wäre das gut. Manchmal muß ich tief in Gedanken über ihn sitzen, denn ich habe manche kontroverse Erfahrungen an ihm gemacht, die ich zu reimen nicht imstande bin; doch – alles ist gut und bedeutsam in der Welt, und wer weiß, wie sich dies noch einmal zurechtrücken wird! Über was kann ich denn klagen, als daß ich ihn in dieser Abgeschlossenheit nicht verstehe; das ist am End auch meine Schuld und nicht die seine. Und mir selber kann ich dies auch nicht verdenken, da ich's bei allem guten Willen noch nicht weiter gebracht habe, als mich zu verwundern und mir jede Mißbilligung zu verbieten, bis ich eines Bessern belehrt werde, was ohne Zweifel einst sein wird, da mir noch so viel zu lernen und zu begreifen bevorsteht. Nun siehst Du, mit meinem guten Weib werde ich gerechter werden, da sie mild ist und doch unendlich lebensfrisch; da sie die Weltverhältnisse besser versteht als ich und die große Lebensklugheit besitzt, an die menschliche Gesellschaft keine Ansprüche zu machen, obschon sie allen Beziehungen in ihr genügen kann und mit ihrem Wohlwollen immer gibt, wo sie verlangen könnte; und ihre Liebe niemals aufdringt, in der Einsamkeit selbst ihren Reichtum an Geist niedergelegt hat, in dem sie schwelgen kann und reicher ist als andre, die sich im Besitz der Wohlhabenheit fühlen. Es wird kommen und muß kommen, daß sie das Eis schmelze, denn sie ist der Frühling und hat den Geist des Belebens! – und das gewinnt die Herzen! Drum ist fürs erste mein Aufenthalt in Marburg mir wichtig grade um Savignys willen, wenn das so kommen dürfte, daß er allem dem entspräche, was in ihm sein muß, was ich aber nie zutag fördern konnte, wenn ich wirklich durch meine Hast, durch meine Unbefähigung, bessern Menschen gerecht zu sein, allein die Schuld trüge dieser oft qualvollen ungewürdigten Stunden und Tage unseres Zusammenseins! – und Sophie, die ganze menschliche Freundin meiner Seele, baute zwischen uns die Brücke eines edlen Verkehrs, wo nicht mehr eine grausame Ironie mich mit ihren Pfeilen träfe. Liebes Kind, dann müssen wir's ihm auch hingehen lassen, daß er Dich nicht mag! – Es wird kommen, es wird kommen die gewünschte Frühlingszeit! – Nun sei froh und glücklich und grüße mir die neu verheiratete Schwägerin.

Eben erhalte ich Deinen früheren Brief aus Schlangenbad, der über Weimar gegangen war. Ich bitte Dich herzlich, schreibe mir oft so, schreibe mir oft und viel, Deine Gedanken ziehen so im Flug, als wären sie Vögel aus fremden, heißeren Ländern. – Wie soll man ihrer habhaft werden, wenn nicht ein treuer Freund sie auffängt. Spreche mir auch von Günderödchen, von Mariannen, die ich ewig lieben werde. – Und noch eins: – Alles, was durch andre Leute von Sophie Dir gesagt wird, glaube nicht, denn Du weißt ja, wie andre Leute von mir sprechen, wie auch die, welche für die besten, die edelsten gelten, nur Böses von mir zu sagen wußten oder ahnten, und doch hast Du das nie in mir gefunden! – Nicht wahr, liebstes Kind, das hast Du nie? – Das ist auch der Segen, der auf Dir ruht, daß keine Ungerechtigkeit noch aus Deiner Seele geflossen ist, daß keine Äußerlichkeit, kein Egoismus mit Deinem Gefühl wuchert oder prachert. – Aus der Ambition entspringt manches Übel der Seele, und dies hat so böse Folgen oft, daß ich manchmal meine, alle Lähmungen des Geistes entspringen vielmehr aus dem Ehrgeiz, als daß dieser ihn fördert. – Großmut ist die Quelle alles Reichtums, und jeder, der sich abzuschließen wähnt, um sein inneres Eigentum für sich allein zu bewahren und es wie einen künstlichen Springbrunnen in die Höhe zu treiben, der wird auch einen solchen Springstrahl hervorbringen, lustig und ergötzlich anzuschauen, und die Menschen werden sich wundern, und es wird die Rede sein von dem fameusen springenden Wasser im ganzen Land, wie von der Fontäne auf Wilhelmshöhe! – Aber was ist es nun, wenn die Röhren, durch welche das Wasser läuft, einmal aus ihrer Lage kommen und der Strahl versiegt oder wenn die unterirdischen Wasser durch Zufall und Naturereignisse eine andere Wendung nehmen, dann steht die Fontäne mit ihren Prätensionen, bewundert zu werden, ganz verlassen; höchstens geht die Rede durchs Land: die Fontäne springt nicht mehr! schade um die alte Fontäne, sagen dann die Leute, wir haben unsern spiegelklaren Bergstrom, der sich wohltätig durch unsere Fluren verbreitet! sehet den schiffbaren Fluß, in dem unsre munteren Bäche und Flüsse zusammenkommen, dem gemeinsamen Leben zu Nutz und Frommen! – Da unterscheidet man sie nicht mehr voneinander, ob dieser oder jener seine Wellen dazu hergibt, den Verkehr des Menschen untereinander zu fördern. – So muß es sein, liebes Kind! so und nicht anders kann das Vollkommne, das Genügende im Geist sich erweitern und verteilen und beleben alle, die von ihm sich zu nähren berufen sind! – Und so will es sich gestalten, seit ich meine Sophie habe! – Und mögen die Fontänen für sich springen, solang es geht zur Bewundrung der gelangweilten Menge; trägt der schiffbare Fluß erst die Weltbegebenheiten und die Entwicklung des Weltgeistes auf die Höhe des Weltmeeres, in den er einströmt, dann mag die Fontäne in verödeter Natur springen oder nicht, Schiffe könnte sie doch nimmer tragen. Schreibe bald Deinem Clemens, der von Dir lebt, sich von Dir getragen fühlt zum Bessern, zur Lust, das Leben zu genießen und zu beherrschen.

Soeben kommt die Frankfurter Post. Ich habe keine Zeile von Dir und von niemand. Savigny erhält die Briefe bündelweise; meine Einsamkeit erhöht sich so immer mehr, ich bitte Dich herzlich, schreibe, ich bin traurig, wenn ich so meinen Herrn Baron seine Briefe verschlingen sehe, ohne mir etwas mitzuteilen, und ich habe gar nichts. Du hast ja auf der Welt nichts zu tun, schreibe mir doch, oder ich glaube, daß Du mich nicht mehr liebst.

Clemens.

Ende des ersten Bandes

[Ein zweiter Band ist nicht erschienen]


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