Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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An Clemens.

Lieber Clemens! Am Neujahrstag haben wir unser Ballett aufgeführt, es ist holterdiepolter durcheinander gangen, es ist alles verkehrt gangen. Mein Neunzehner war ein Ritter, dem nichts haften wollte, wir mußten mehrere Proben halten im Kostüme, bald fiel ihm der Panzer, bald die Schienen ab; und endlich am Tag der Aufführung war eine große Not, alles rennte durcheinander, einer rief nach Schminke, der andre nach Strumpfbändern, der dritte hatte den Zwickelbart verloren, wir Mädchen zogen uns aus dem Gedräng zurück auf die Tische und Kanapees – und da warteten wir ruhig, bis die Flut sich gelegt hatte und die Ebbe eintrat, wo wir alle, an Blumengirlanden geschnürt, von unserm Ballettmeister hinübergeleitet wurden, dem der Schweiß von der Stirne rann, bis er uns in Ordnung hatte. Der Vorhang wurde hinweggezogen, und wir tanzten vor alten Hofmasken und Perücken einen trefflichen mimischen Tanz, der allerlei bedeuten sollte, es ging passabel, bis wo wir einen Ringeltanz und das Ysenburgische Wappen tanzten, an das wir unsre Kränze aufhängen sollten; mein Neunzehner fiel und riß mit seinem Kranz das Wappen herunter, das fiel auf ihn, und alle Kränze flogen im Saal herum. Ich richtete geschwind das Wappen wieder auf, damit es nicht sollte für ein bös Omen ausgelegt werden. Dann tanzten wir nach den Kränzen, als hätt es nur so sein müssen, und teilten diese den Herrschaften aus; dies Impromptu ging besser als das eingeübte. Die Damen traten vor den Spiegel und probierten sie auf, und mancher stand der Kranz recht schön. – Unterdessen verwandelten wir uns in Bauern, das ging auch sehr geschwind, wir Mädchen schürzten die Röcke hoch, zogen die Hemdärmel hervor und einen Brustlatz vor, ebenso schnell hatten die Ritter sich verwandelt, die als Bauern schon im Pappendeckel-Panzer staken. Blumen, Bänder, Früchte, Obst in Körbchen standen schon bereit. Eh man drei zählen konnte, waren wir in Ordnung aufmarschiert, ein Erntezug, vorauf die Musikanten und Fahnen der Landleute, alles mit Silber- und Goldpapier dekoriert, ein junger Mensch Bükes führte die Dorfmusikanten, er spielte auf dem Haberrohr, er hatte schon so viel Witze gemacht, er schnitt so närrische Gesichter, daß ich kaum konnte meine Verse deklamieren, da stolperte der Neunzehner hinter mir und läßt seinen Korb mit Äpfeln über mich hinausrollen, es erschallte ein groß Lachen, kein Mensch denkt mehr an die Verse von Chateaubour. Der Dichter, der sich soviel Hoffnung gemacht hatte, quel effet que cela sera. – Die schönen zirkelrunden Borsdorfer waren bestimmt gewesen, in einem Akt in unserm Bauerntanz nach der Rede, in der ich unterbrochen ward, zu figurieren. Wir sollten im Tanz einander gegenüber zu stehen kommen und nach der Musik mit diesen Äpfeln ein Ballspiel aufführen. Und dies hatten wir nun wochenlang eingeübt, so sicher wie die besten Bombardiere. – Sollte nun dies beste Kunststück durchfallen? – Wir rafften schnell die Äpfel auf und stellten uns in Ordnung auf. Die Rohrpfeife wollte nun die Zwischenmusik überspringen und die Musik zum Ballspiel einleiten oder aufpfeifen. Aber die Geigen verstanden das nicht und kamen ihm nicht nach, sie blieben auf dem alten Satz; es gab ein Charivari. Die jungen prinzlichen und gräflichen Herrschaften, die dies Spiel nicht zum Ballett gehörig glaubten, hatten sich dreingemischt und warfen mit Äpfeln um sich her, mancher mag da getroffen worden sein, der nicht gemeint war. Doch es fing an menschlich zu werden unter ihnen, sie probierten ihre Kränze auf, wie sie nach ihrer Meinung ihnen recht gut standen, so ging man bekränzt herum, und als ob dadurch die Klausur der Etikette aufgehoben sei, lief alles untereinander, stieß sich mit den Ellnbogen und stolperte ohne weitere Entschuldigungen. Bükes mit seiner Pansflöt führte einen Satyrtanz auf aus eignem Ingenium und spielte selbst dazu auf, er endigte dies Impromptu mit einer Ode von Ovid, die er langsam und deutlich mit allen möglichen Modulationen, bald mit Donnerstimme, bald mit sanftem Flüstern deklamierte, und dazwischen mit Pansflöte Intermezzos spielte. – Er wurde bewundert. Mehrere, die sich als Lateiner wollten zeigen, gaben ihm das beste Lob, was er mit großem Pläsier anhörte, weil er allerlei lateinisches sinnloses Zeug zusammengewürfelt hatte, was ganz ohne allen Zusammenhang war gewesen.

Gestern, lieber Clemens, hab ich bis hierher geschrieben, vielleicht langweilt Dich's, es ist aber gleich aus, die bekränzten Herrschaften setzten sich zur Tafel, sogar die alte Prinzeß Rothenburg hatte einen Kranz von Wacholder mit Perlen durchflochten auf ihre altmodische Blondencoiffure gesetzt, die dadurch sehr verschönert ward. Tannen, Myrte, Orangen, Oleander und Lorbeer kränzte manchen alten Kopf, dessen große Hakennase unter dem Kranzschatten sich sehr vorteilhaft ausnahm. Die Musik dauerte während dem Essen fort, das Ballett aufführende Personal tanzte dazu auf eigne Faust allerlei groteske Sprünge. Alle Augenblicke wurde Tusch geblasen, wozu wir im Hintergrund das Vivat verstärkten. Um Mitternacht war gegenseitiges Umarmen, dazu tanzten wir die Ronde, alle an einem blauseidenen Band uns haltend, auf dem Verse gedruckt waren auf alle hohe Personen. Im Tanz machten wir halt und schürzten das Band mit dem Vers über den, an den es gerichtet war, so bekam jeder seinen Vers zu lesen. Nun kam eine große Pastete, der Deckel wurde abgehoben, da sprang ein kleines Hündchen heraus, aber ganz klein, der Herzog hatte es, ich weiß nicht woher, aus dem südlichen Frankreich verschreiben lassen, zum Neujahrsgeschenk für die Fürstin von Ysenburg. Dies Pläsier war ganz apart, kaum besann es sich ein wenig, so bellte es die ganze Gesellschaft an, noch zwei andre kleine Hunde wurden herbeigeholt, um Bekanntschaft zu machen, die waren aber nicht so klein. Das Gebell der drei kleinen Hündchen übertönte alles und vermittelte die gegenseitigen Redensarten und Glückwünschungen. Das Lob dieses Festes läutet wie ein wohltönend Glockenspiel hier in der ganzen Umgegend unsern Ruhm aus, man will es noch einmal wiederholt haben. Einmal ist keinmal, aber noch einmal, das ist zu viel.

Liebster Clemens, noch Lebensgeschichte kann ich gar heut nicht mehr schreiben. Du lobst mir alles, aber um so mehr drückt das mich nieder, diesem Lob zu entsprechen, Du willst mir Lust machen, den gewöhnlichen Acker meines Lebens umzupflügen, jede harte Scholle zu zereggen; nein Clemens, wenn Du die weißen Wände meines Studierkabinetts, das heißt meines Kopfes, ansähest und nichts drin fändest als Spinnweb, wie wolltest Du Zins von dieser Armut fordern! – Ich kann doch nicht auf jede Seite schreiben, daß die Leute mir ganz närrisch vorkommen, und sonst begegnet mir nichts jeden Tag, und ist mir von Jugend auf nichts begegnet als der große Gedanke, widerhallend von Stufe zu Stufe meines Ingeniums: Alles, was begonnen wird in der Welt, sei närrisch. Dabei komme ich mir eben auch nicht anders vor, eben weil kein Bestand in mir ist, weil ich von so manchem ein profundes Gefühl habe und dennoch ein Spielball der Zerstreuung bin, die ganz gehaltlos ist, das fühl ich, das quält mich, davon möcht ich gesunden und weiß nicht wie. Wenn Du aber nun wiederkommst und sagst, es stecke alles in mir und ich könne Wunder verrichten, und ich fühle mich aber behaftet mit allen Verrichtungsfehlern, und nur daß sie keinen Schaden machen, weil nichts an mir verloren ist. Du wirst Dich kreuzigen! – Ich kann aber nicht anders, als daß ich bekenne, worüber ich lange mit Zweiflen gerungen habe, daß nämlich – alles nichts aus mir werden, bloß Sünde Deiner närrischen Einbildung ist, daß etwas Großes in mir stecke. – Eine Zeitlang hab ich Dir geglaubt, wenn Du mir als manchmal mit so vieler Liebe davon sprachst, ich solle meine beßre Natur, meine Vorzüge vor den Augen der Welt verbergen, ich war des besten Willens; aber, da ich nun diese Vorzüge wirklich gut zu verpacken gedachte, siehe, da fand ich gar nicht, was ich allenfalls zu verschweigen oder zu verbergen habe. In Talenten komm ich nicht vorwärts, ich kann unmöglich meine elenden Versuche in der Kunst hochschätzen, eine Flora hab ich in Rötel gezeichnet, ich habe sie auch gleich darauf in Papierstreifen zerschnitten, um die Wachslichte mit fest zu machen. Meine musikalischen Versuche? – Ich hatte ziemliche Freude am Generalbaß, da hat sich mein Lehrer, der Herr Preißing, zum Fenster hinausgestürzt. Ich mag ja an Musik nicht mehr denken. – Und nun kommst Du mit meiner Lebensbeschreibung auf rechter Heide, man könnte die Grashälmchen zählen, die da wachsen. – Das einzige, was mich intressiert, sind die französischen Miszellen über Revolutionsbewegungen, so menschlich, so verständlich, ein Kind muß ihre Naturgemäßheit empfinden. Ich hab mir die Aufgabe gemacht, in meinen französischen Arbeiten sie zum Thema zu nehmen, ich bin zufrieden, da ich vorwärtskomme auf einem Feld, wo alles auf festen tiefen Begriff ankommt, wo das Echte, das Göttliche, bloß ein vernünftiger Schluß ist, wo ich glaube, weil die Glaubensartikel seelenerziehende Argumente sind.

Wo aber die Sündenregister wie eine elende Hühnerleiter an die Himmelspforte angelehnt sind, da mag ich keinen Versuch machen, mich zu bilden, mich zu bessern, soll ich da von Stufe zu Stufe hüpfen wie ein Hühnchen, damit es auf die Stange zu sitzen komme neben den Hahn. – Nein! Auf mein Seel, in einem Flug. Über die Sündenregister hinaus wie die Verheißungen die Himmlischen. Sind die Seligen selig geworden, so lasse sie mit ihresgleichen, schmeichle nicht wie ein Schmarotzer um sie herum, daß Du auch gern wöllest vom Himmelsbrot essen. Ich aber sag mir, kannst Du nicht lernen entbehren? grad das, wonach alle verlangen? – Kannst Du nicht lieber wollen, daß die andern selig werden, die so sehnlich darum bitten und seufzen, da Du doch gar nicht danach seufzen kannst? – Dies Seufzen, Flehen und Ringen nach Seligwerden macht mich mitleidsvoll, hätt ich, was sie fordern, ich gäb's ohne Bedingung! Aber wer kann's haben? – Wer kann den Anstrich des Himmels dem Unsinn geben, in den hinein allen so sehr verlangt. – Wer kann das machen, daß Unsinn immerdar ein Quell erneuerter Freuden sei? – Gott nicht, denn sonst würde er gewiß nicht anstehen, den Seligkeitsverlangenden die Himmelstore weit aufzusperren, und wie die alten Nönnchen in Fritzlar uns immer die himmlischen Freuden gleich einen Tanzboden beschrieben, nur viel schöner, als sie es beschreiben könnten, so würde er die Musikanten drauflosschmettern lassen und erquickende Himmelsspeise in Fülle lassen herabregnen. Ach, er könnte froh sein, wenn noch Menschen wären, die solchen Genüssen möchten sich hingeben. – Eine unschuldvolle Energie der Unersättlichkeit, ist die möglich? – Ich war immer schon satt von der Beschreibung des Himmels. Ein unaufhörlich Preisen und Lobsingen – damit fing's an. Ich sang auch gern, aber nicht Kirchenlieder; ich sang, um mein jubelnd Herz auszuströmen, das zum Tanz geneigt war, von einem innern Lebenstakt frisch bewegt, meine Entschlüsse waren rasch und sind es noch, das heißt, ich entschließe mich. – Zu was? – Ei davon ist gar nicht die Rede! der Entschluß! Ein freudiges Durchrauschen aller Lebensadern! – Ein freies Auftreten auf den gottgeschaffnen Boden der Erde, überallhin blitzen meine klugen Augen und jagen die Nachtvögel aus ihrem Versteck. Was sind Dinge, zu denen wir uns einen Entschluß erkümmern, im heimlichen Rat unsicherer Begriffe, feiger Moral, verschrobner Lebensansichten und noch gar heimlicher Schwächen und eigensüchtiger Begierden hin und her geworfen. Ein solcher Entschluß? Wo blieb die Energie, ihn zu tragen. – Nein! Entschluß – tief in mich hinein fühl ich: – er ist der Mut, frei zu schweben über aller Gemeinheit. – Dinge, zu denen wir uns entschließen müssen, die sind nicht. Wir schauen den einzigen Gott an in uns; er durchfährt elektrisch uns die Glieder; das ist Entschluß. Verstehen wir uns, lieber Clemens? – Mein alter Magnetiseur würde das verstanden haben, es sind seine Antworten auf meine Fragen, es sind aber freilich keine Antworten auf Deine Forderungen an mich – ich weiß, was Du mit Recht mir vorwirfst! – »Und doch könne ich keinen Willen mir erkämpfen, ruhig und einfach die Entwickelung meiner Talente zu betreiben.« Ach ich weiß ja, daß ich mich schämen muß, jeder blaue Berg wirft mir das vor, er sagt: Ich stehe reiner und edler da als du! – mich befällt auch oft eine tiefe Melancholie über mein Nichts. – Was kann ich dafür? – Die Sünden der Welt haben auch mir den Boden abgegraben. Was ist das, wenn die frische, kraftvolle Erde, die den Baum nährt, ihm geraubt wird, und er soll zwischen kalten Steinen Nahrung hinaufsaugen in den Gipfel! – Ach der Bach selbst muß traurig hinsickern über seine entblößten Wurzeln. – So viel Lebensansicht hab ich mir erworben in diesen Verhandlungen über Freiheit und Lebensrechte, daß ich weiß, daß dies die Sünde ist der Welt, für die ist der Gott gestorben, das glaub ich, das weiß ich, aber soll er auferstehen, so muß diese Sünde getilgt sein durch seine Auferstehung.

Ich fürchte mich vor Dir, das auszusprechen, doch ist's die Mitte meines Denkens. Die unverständlichen Aufsätze von mir, die Du mit so viel Neugierde studiertest, sie sind Funken und glühende Asche von diesem Herd, dessen Flamme manchmal hell aufleuchtet; ein ewiges Menschwerden des Geistes durchbricht alles sinnliche Bedürfnis und wirft es nieder und steht aufrecht über ihm, und ja, das ist's, was ich Entschluß nenne, zu sein und zu werden, ob ich's verstehe oder nicht. Rechenschaft geben? – Warum? – Die Geistesauferstehung selbst ist Rechenschaft allem Unsinn, der aber sie verwirft. Laß den Geist werden, und seine großen Zauberkräfte werden über dieses Fordern nach Rechenschaft über Höllenbrodem und Fegefeuer sanft hinüberwallen, und Satzung und Glaubensartikel, sie reichen nicht an seine Region, und wenn sie auch noch so große Staubwolken aufregen unter den Menschen.

Ich wollte Dir ja vom Kloster schreiben, ich wollte Dich überraschen mit der Erzählung dieser einförmigen Tage, wo viel träumerische Knöspchen auf feinen Stielchen rankten! – Aber da laß ich mich überraschen vom Schauder über das Gewöhnliche, was die ganze Welt zum Narrenhaus umwandelt. O ihr Bienen alle, die ihr mich umsummt habt im Klostergarten. Ihr Nelken- und Lavendelbeete, die ihr mich gedeckt habt mit euren Düften. Ach, es ist Winter in mir, und der Schnee der Weisheit deckt die Erde. O Erde, laß den Frühling wieder treiben, halte den Atem nicht länger an, hauch deinen süßen Duft aus, er genügt mir statt Paradiesesfreuden. Willst du deine Gräser herauslassen und deinen Bächen freien Lauf, Erde, dann küß ich dich und schenke dir meine Seele.

Das heißt, das Unterhandlen mit dem Himmel bin ich ganz müde. Das heißt wieder: Alles ist zwar in Richtigkeit und an der Tafel angekreidet. Ach käm nur einer und löschte mit dem Schwamm das ganze Fazit aus, dann wär noch Hoffnung, daß die Natur im Menschen wieder aufwachte.

Deine Schwester Bettine.


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