Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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An Clemens.

Endlich komme ich dazu, laut zu sagen, was ich heimlich oft dachte. Du siehst im Zauberspiegel die Bettine, wie sie sein könnte, aber nicht ist! –

Ich staune an, was Du von mir glaubst und erwartest, ich wundre mich und begreife nicht, vor was und wem Du mich warnst! – Die Günderode schreibt, Du habest Dir die Aufgabe gemacht, mich durch eine Wiedergeburt Deines Geistes als Ideal zu bilden. – Ach ich bin recht erschrocken davor! – und möchte mich vor Dir verbergen, daß Du ja nicht dazu kommest! – Du bittest mich, mich nicht zu verlieben; ach Clemens, wenn Du mich nicht idealisieren willst, dann will ich Dir das gern versprechen! mein Herz ist nicht leicht bestechlich, und verliebe ich mich einmal wirklich, so werd ich Dich nicht zum Vertrauten machen, aus Furcht, daß es Dir mißfallen könnte. Hier im Schlangenbad hab ich mit dem Herzog von Gotha viel zu kämpfen, der mir alle Tage von Sophie spricht, er nennt sie seine Erate und gibt mir beiliegenden Streckvers für sie. Ihr werdet es in der Überfülle Eures Glückes nicht achten! – warum hat er's auch gereimt und geleimt. Was man in der Prosa zu sagen sich gedrungen fühlt, geht tiefer. –

Ich schwelge hier, es gefällt mir alles; am liebsten ist mir der Morgen, wo man nur Bauern begegnet, und der Abend, wo die Lichter in den Hüttchen brennen, man sieht da das ganze Familienleben hell erleuchtet. – Da geh ich oft abends spät noch mit dem Vogt hinab den Talweg, und da durch ein kleines Fensterchen sehe ich die armen Leute sitzen und emsig spinnen und wirken, so fern von allem Bedürfnis im Reichtum des Fleißes, der Andacht und des Vertrauens! Eine so kleine Stube deucht mir so voll von dem Gefühl ihres innern Wertes dieser Menschen, die ihr schwer errungenes Abendbrot gerne teilen mit dem ärmeren Gast. – Wenn ich mir nun denke, daß Ihr beide ein solches Haus bewohntet und daß Euch da die Einsamkeit nicht drücken sollte, und Ihr backtet da Euer Ambrosiabrot, um es andern mitzuteilen, so habe ich Euer Glück begriffen und schreibe davon der Günderode. Die Günderode mit der sanften Würde ihres dichterischen Standpunktes unter den Menschen schreibt wieder wie folgt: »Wer liebt den Clemens nicht? so wie er einem entgegentritt, wer durchschaut alle Menschen, wer geht so tief in dem Auffinden ihrer Innerlichkeit, und was könnte man ihm sagen, was er nicht schärfer und wahrer aufgefaßt hätte! Alle Menschen berührt kaum sein Hauch, und sie atmen, als wenn sie aufblühen wollten in edlere Begriffe und schönere Handlungen.« – So schreibt die Günderode; das lautet ganz schön zum Ansatz eines Posaunenstückes Deines Ruhmes, der aus dem Nebel der Zeit golden aufsteigen und einen schönen Tag verbreiten werde. »Aber«, fährt die Günderode fort: »so scharf dieser Clemens und so nahe er fremden Menschen in ihrem eignen Bewußtsein tritt, so sehr heben ihn seine Launen aus dem Sattel über sich selbst, die ihm den Begriff seines Amtsgeschäftes ganz verdüstern, und er kann es gar nicht leiden, wenn er davon so klein und unbürgerlich denkt. – Wie dieser Dekrete ausfertigt und jener auf den Rednerstuhl tritt, so ist der Clemens dazu bestimmt, durch sein Leben, das sich in die Begeisterung des Witzes, der Philosophie, des Eifers und der Experimentenlust verzweigt, die Menschen zu wecken und in der dunklen Kammer eine Kerze anzuzünden, manches Neue alt und manches Alte neu zu machen, und daß er nicht wie die meisten gebildeten Menschen gegen das Leben, gegen Geschäfte, Künste, ja gegen Vergnügungen nur mit einer Art von Selbstverteidigung zu Werke geht und lebt, wie man einen Pack Zeitungen liest, nur damit man sie los werde – das macht ihm viel Ehre. Nur bisweilen überfällt ihn eine seltsame Blödsinnigkeit, daß ihm die Tage unnütz vorkommen, und meint, es wäre nichts und käme zu nichts, weil das, was durch ihn entstanden, nicht wie ein beschriebener Bogen Papier vor ihm liegt.« – Ach Clemens, es ist gut, daß sie über Dich und nicht an Dich schreibt, denn Dir selber hättest Du das alles nicht sagen lassen, und Dein Verwerfen ihres Mißbegriffs von Dir will ich gar nicht hören müssen. Das fügte sie noch hinzu, daß der Lebensbalsam, den Du für andre hast, einem feinen geistigen Öl in einem verschloßnen Gefäß gleich ist. Nur mäßig verbreitet, erquickt und belebt es, ganz geöffnet, betäubt, tötet es und verzehrt sich selbst, oft habe Dein Witz einen in die Ecke geworfen, wo er das Aufstehen vergessen! – Von Jung Stilling, dessen Bekanntschaft die Günderode in Heidelberg machte, schreibt sie: »Der Mann hat meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt, er hat etwas Liebes, man sieht, daß sein Leben aus einem Guß ist, daß sich von seiner Jugend bis ins Alter eine grade Linie zieht und er mehr die Umstände bestimmt hat, als sich von ihnen bestimmen lassen; selbst seine breite Eitelkeit, mit der er unaufhörlich Fürsten und Prinzen bei den Haaren herbeizieht, indem er sich ihre Namen von seiner Frau soufflieren läßt, hat etwas Treuherziges und beleidigt nicht« –

Liebster Clemente, ein wahrhafter Zug nur aus meiner Seele gebe Dir Licht über mein Zurückhalten gegen Deine Verbindung mit Sophie! – Du schwebst also immer noch im Irrtum, als könne es mich unglücklich machen? – Hab ich Dir das gesagt? – Nein! – Meine Krankheit, ein Gallenfieber – hat wahrhaftig keine Beziehung zu Dir! – Die Günderode hatte mich geplagt mit Philosophie; ich mußte ihr Schelling vorlesen – das hat mich krank gemacht. Ach ich war so brennend verlangend nach frischer Luft, daß die ganze Welt um mich vor Begierde zitterte wie die Gegenstände in der Nähe des Feuers; so kam Bewußtlosigkeit, und als ich wieder zu mir kam, da war das erste, daß sie ein Gelübde tat, mich nie wieder Philosophie studieren zu lassen – ich hatte im Fieber fortwährend davon phantasiert. Was willst Du nun? – Wär es Deine Verbindung gewesen, die mir zwar auch Sorge machte, aber doch nicht soviel wie die verdammte Philosophie, so würde ich von der phantasiert haben, das war aber gar nicht. – Und sei jetzt ruhig über beides, denn keines kümmert mich mehr! – Und sag nicht, Du willst um meinetwillen jetzt nicht heiraten und willst lieber mit Deiner Sophie zusammen unglücklich sein! – Ich würde Dir gleich hierher schreiben: »Du sollst sie heiraten!« wenn ich nicht fürchten müßte, Du glaubtest am Ende gar, Du habest sie nur um meinetwillen geheiratet. Nein, sowas muß man tun aus sich, für sich und wegen sich, aber keinen andern zu Gefallen weder lassen noch tun. – Ich begreif kein Philistergesetz, aber daß ein Baum wurzle im geeigneten Boden seiner Nahrung, das begreife ich, und mögen seine Äste recht schlank in die Weite sich strecken, daß die Sonne ihn früh vergolde und der Wind mit ihm plaudere und daß kein häßlicher Irrtum Dich um die Wahrheit Deines Glückes betrüge.

Es ist heut so trüb, so trüb wie nirgend in der Welt, man möchte sich vor lauter Trübsinn verlieben. Die Nebel nehmen hier die seltsamsten Gestalten an, und der Regen fällt zuweilen auf kleine Stellen, nicht tropfenweise sondern aus einem Guß herab. Diese Trübheit macht mir Deutlichkeit und Klarheit so lieb, so reizend sonst auch öfters Dunkelheit, Verworrenheit und Undeutlichkeit erscheinen mag; – drum hab ich's auch gewagt, durch meine Deutlichkeit diesmal die Verworrenheit in Dir aus dem Dunkel ins Klare zu bringen.

Ich küsse Dich, lieber Clemens, und drücke Dich an mein Herz; sei gut und gegen mich besonders und traue mir mehr wie Dir, das heißt in gewissen Dingen. – Du mußt wissen, daß ich schon eine Weile im Mondschein schreibe, weil mein Licht ausging. Der Mond schwimmt zwischen dem Gewölk, und die grauen Berge drüben sonnen sich in seinem Schein, ich wollte sagen: monden sich, und begleiten sich gegenseitig mit Schatten, und die kleinen Quellen ruschlen so leise wie Gespenster. –

Leonhardi ist hier, er stählt sich mit Stahlbädern! Was wird dann erst werden, wenn diese Kur gelingt! –

Bettine.


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