Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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An Bettine.

Wer kann auf Deine Briefe antworten, mein Kind, da es so kalt ist hier und so einsam, wenn Dein liebes Bild nicht neben mir stände, und alle Deine Liebe ruhig empfing, ich armer Bewußtloser, von mir selber und von Menschen Verlaßner, wäre erschrocken über die vielen Herrlichkeiten, die Du um mich hervorzauberst; eine Welt ist mit Deinen Blättern eingedrungen, und doch, ich bin's nicht würdig, denn was kann ich Dir wiedergeben? – Etwas hat mich geärgert, aber es tut nichts, auch habe ich mit dem Fuß gestampft, das ist, weil Dich Sch...z geküßt hat, der ein guter freundlicher Mann, aber etwas sentimental und stark wie die Großmutter ist, leid das nicht wieder; – und was mich angeht, macht er mir schreckliche Langeweile, er liebäugelt mit dem Universum, das noch nie an ihn gedacht hat, und meint immer, es meine ihn, wenn es ihn gar nicht meint. – Soviel über diesen Freund, der über mich mit Dir spricht und mir sehr gern über Dich sprechen würde, daran zweifle ich keineswegs, allein da hat er seine Mühe verloren, wenn er einen ganzen Milchkübel von Sentimenten aus mir melken will – und bin ich nicht ungerecht, wenn ich des Teufels über ihn werde: da ich doch grade so mit Savigny stehe, von dem ich wieder nichts losbringen kann; darüber nur folgende Worte: Ich gehe nun schon lange mit Savigny um und ringe vergebens gegen seine Verschlossenheit, die mir zwar nichts verbirgt, weil ich durch lange Übung eine Sprache an ihm erfunden habe, die er nicht spricht, sondern die sich selbst spricht. Ich empfinde diese Verschlossenheit jetzt mehr als sonst, weil ich fauler geworden bin zu buchstabieren. Seine Äußerung über meine Bitte hierum war die, daß ich alles um mich herum eher verschließen als eröffnen könne; dies befremdete mich nicht, weil mir es schon mehrmals geäußert wurde. Da ich nun keinen einzigen Menschen sehe als ihn und unser gegenseitiges Verstummen etwas Peinliches hat, solang es mit dem Lusten zum Sprechen kämpft, so will ich diesen Lusten, der von ihm in gleichem Maße erwidert werden dürfte, nach und nach aufheben. – Ich habe nun nichts mehr in der Welt, wovon ich gern rede als von Dir, und habe weiter auch niemand, mit dem ich's könnte. Savigny verstummt dann ganz, wenn ich von Dir rede, ist es eingeborne Antipathie gegen Dich oder gegen meine Art zu sprechen. – Wenn Dich's interessiert, so lege Dir's selber aus.

Ach ich sehe immer nach Deinem Bilde hin und bin unendlich einsam, da hab ich gestern zwei Lieder geschrieben für Dich.

Wie sich auch die Zeit will wenden, enden
Will sich nimmer doch die Ferne,
Freude mag der Mai mir spenden, senden
Möcht Dir alles gerne, weil ich Freude nur erlerne,
Wenn Du mit gefaltnen Händen
Freudig hebst der Augen Sterne.

Alle Blumen mich nicht grüßen, süßen
Gruß nehm ich von Deinem Munde.
Was nicht blühet Dir zu Füßen, büßen
Muß es bald zur Stunde, eher ich auch nicht gesunde,
Bis Du mir mit frohen Küssen
Bringest meines Frühlings Kunde.

Wenn die Abendlüfte wehen, sehen
Mich die lieben Vöglein kleine
Traurig an der Linde stehen, spähen,
Wen ich wohl so ernstlich meine, daß ich helle Tränen weine,
Wollen auch nicht schlafen gehen,
Denn sonst wär ich ganz alleine.

Vöglein, euch mag's nicht gelingen, klingen
Darf es nur von ihrem Sange,
Wie des Maies Wonneschlingen, fingen
Alles ein in neuem Zwange; aber daß ich Dein verlange
Und Du mein, mußt Du auch singen,
Ach das ist schon ewig lange.

Am Berge hoch in Lüften,
Da baute er sein Haus;
Am Tore liegt Gewitter,
Nun kann er nicht hinaus.
Die Wolken, sie wollen nicht ziehen,
Der Pfad ist steil und schwer,
O Lieber, Herzlieber in Lüften,
O wenn ich bei Dir wär!

Wohl bei Dir über Wolken,
Wohl bei Dir über Wind,
Wo fromme Vöglein schweben
In Himmelsluft so lind.
Meine Flüglein, die sind mir gebrochen
Und heilen auch nicht eh',
Bis ich zu der Herzliebsten
Durch Tür und Tor eingeh!

Daß ich so stolz in Lüften
Mein Haus gebauet hab,
Das muß mich gar betrüben,
Ich kann nicht mehr hinab;
Die Riegel sind alle verrostet,
Die Tore, sie gehen so schwer,
O Liebchen, Herzliebchen im Tale,
O wenn ich bei Dir wär!

Wohl bei Dir in dem Garten,
Wohl bei Dir in dem Wald,
Wo dichte Bäume stehen
Und Vogelsang erschallt.
Ich kann kein' Kranz mehr flechten
Und singen auch nicht eh',
Bis ich zu Dir, Herzliebste,
Durch Flur und Wald eingeh.

Sie dringt wohl durch die Wolken,
Geht ein durch Tür und Tor,
Die Flüglein schnell ihr heilen
Und heben sie empor,
Wohl über die Wolken und höher
Zu Gott wohl in die Höh,
Trägt sie das treue Herze,
Ade, Herzlieber, Ade! –

Er dringt wohl durch die Wolke,
Geht ein durch Flur und Wald,
Ein Kranz wird ihm geflochten,
Ein Lied ihm auch erschallt,
Wohl unter dem Baum und wohl tiefer,
Wohl unter grünem Klee
Ruht nun sein stolzes Herze,
Ade, Herzliebste, Ade! –

Mach doch eine Melodie darauf.

Dein Clemens.
 

Und nun schließe ich den Brief, als ob ich das geringste Dir geantwortet hätte auf alle Liebkosungen Deines Geistes, die in Deinem Brief in so schöner Konsequenz einander folgen. Deucht mir doch, als habe Gott Berg und Tale und alle Schönheiten der Natur in so lieblicher Verwirrung untereinandergeworfen, als Deine Weisheit ihr gleicht, und die Gachet hast Du so warm in Deine Begeistrung eingebettet, als sei sie Dein Gast, dem Du den Ehrenplatz einräumst.

Du machst mich dennoch reich, obschon Du mich auch marterst, denn ich verbringe viele Stunden einsamer Zeit mit Nachdenken über einzelnes. Deine letzte Erzählung vom Töpfer hat mich wieder auf alte Sprünge geführt, ob Dein Platz nicht auf eine Künstlerwerkstatt sich beschränken möge! – Und doch könnte mich Deine Zukunft anklagen, Dich beschränkt zu haben mit diesem Begriff. Das Wort ist das allumfassendste Element, das den reinsten Genuß gewährt, aber auch ist es das gewagteste, aber wer kühn ist, der muß ein Feld dazu haben; – Du bist zu allem zu lebendig, schreitest über alles hinaus; Lernjahre kann ich Dir gar nicht zudenken, reflektieren. – Ach Kind, es ist was Trauriges, lies dies Blatt, was ich hier beilege und was ich an meinem mondhellen Schreibtisch schrieb gestern, als ich Deinen Brief in der Dämmerung zum zweitenmal überlesen hatte und über Kunst und Deine Verwandtschaft zu ihr viel gedacht hatte.

Sobald wir Geschichte der Kunst sagen wollen, setzen wir eine einzige Kunst voraus, die aber nur Idee ist und als Kunst nie existiert hat, denn es liegt eine historische Unmöglichkeit in der Totalbildung aller Menschen, und sobald diese eine Kunst soll dagewesen sein, müßte diese Totalbildung dagewesen sein, und nach meiner Meinung ist nur nach dem Ende der Welt eine solche einzige Kunst dagewesen. Es gibt keine einzige Kunst, denn die Kunst kann nie gewußt werden, und nur die Künste waren da. – Diese einzige Kunst kann nie gedacht werden, denn solange noch gedacht wird, ist die Kunst noch nicht bewiesen einzig, da das Denken in der Kunst aufgehoben sein und als Gedachtes erscheinen muß. Es gibt ein einziges Leben, denn alles Leben ist ein Gelebtes, die Kunst aber ist ein ungelebtes Leben und ist daher im Leben unmöglich. Das einzige Wissen ist das, dem eine einzige Kunst entgegengesetzt werden könnte; da aber diese totale Kunst das ganze Wissen aufheben würde, indem diese sogenannte einzige Kunst das ungewußte Wissen ist, so kann diese einzige Kunst nur im allgemeinen Tode liegen oder im allgemeinen Nichtwissen; wir wissen von keinem Wissen als durch unser Dasein, unser Dasein ist unsere Trennung von dem Äußeren durch die Sinne. Unsere Sinne sind der Gegensatz der Kunst oder der Künste, und je höher unsre Sinne gebildet sind, je mehr Künste sind da, denn jedem Grade des Wissens ist eine neue Kunst entgegengesetzt. Die Kunst ist also nimmer da als lebendig, sondern als Tod. Denn bloßes vollendetes Dasein ist Tod – Schönheit ist Tod – jede angenommene Kunst als einzige Kunst kann also nur ein Verlornes sein, und daher alle Erhebung, alle Rührung bei echten Kunstwerken nur religiös und nicht künstlerisch. Kunst ist daher Bedingung der Religion, wie Religion Unbedingung der Kunst; und Kunstwerk ist Bedingung dieser Bedingung in der Erscheinung. Wie Erscheinung Bedingung einer gewissen Konstruktion des Wissens ist, aber nie des totalen Wissens, denn dieses ist Nichtwissen, weil zum Wissen keine Gleichheit, sondern Sieg gehört. Es gibt also nur Künste, und Sterben ist nur der Sieg des größeren zu wissenden Tod oder der allgemeinen Unsterblichkeit.

Freundschaft hat allein keine Gottheit, weil sie übersinnlich ist! – –

Hier fielen mir die Augen zu; grade im Augenblick, als ich Deinem Genius widersprechen wollte, der in einem Deiner früheren Briefe Dir diktierte, Freundschaft sei Brudermord.

Ach, ich bin matt und müde und höchst traurig. – Der Geist Deines Briefes ist stark kompromittiert durch den meinen, daß er Dir nicht besser zu entgegnen weiß. Adieu, lieb mich und verzeih mir alle Schwächen, die ich heute so stark in mir fühle. Ich habe heute morgen den Savigny persuadieren wollen, Dein Bild anzusehen und es schön zu finden, ich machte einen Versuch, ihn zum Sprechen zu bewegen, allein er sagt partout nicht. –


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