Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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Meine liebe Bettine.

Da ich vermute, daß Dich ein kleiner Ärger weiter nicht ins Grab stürzen wird, so hab ich einigen Lusten, mit Dir zu schmälen. Stelle Dir vor, einiges in Deinem Brief hat mir einen unangenehmen Eindruck gemacht, zum Beispiel das mit dem Rosenstöckelchen. Es kam mir immer vor, als sei es recht artig, eine gewisse Rührung bei unschuldigen Dingen zu empfinden, ja zur Not könne man auch sagen, es war mir, als müsse ich es umarmen, aber es wirklich zu umarmen und noch gar dabei in wehmütigste Gedanken zu versinken, das geht etwas in die Wildnis und ist stark empfindsam, hält auch nicht Stich, stelle Dir vor, an welchem knappen Fädenchen die Geschichte hängt; fällt sie, so fällt sie mit der schönsten Empfindung ins Lächerliche, denn eine gelbe Rübe, eine Kartoffel sind doch ebenso unschuldig als ein Rosenstrauch, und dennoch wäre Deine ganze Umarmung verunglückt, wenn das Rosenstöckelchen sich in eine solche Rübe verwandelt hätte. Auch hast Du bei näherer Beleuchtung wohl nur einen erdnen Topf umarmt. Wenn ich der Rosenstock gewesen wär, so hätt ich gesagt: Oho, schönstes Kind! und dann hättest Du wahrscheinlich gelacht. Ich hoffe, Du gewöhnst Dir täglich mehr solche Explosionen ab. Du weißt, wie oft ich Dir über ähnliche Anfälle gepredigt habe. Auch das lange Herumtragen und Betrachten der Träume ist kindisch, und während man auf eine Menge schöne Empfindungen, die man bei Gelegenheit solcher Träume hat, bei hellem Tag auf eine geträumte Weise stolz wird, vergißt man eine Menge zu tun, was wirklich, wahr und Pflicht ist. – Wieviel gescheuter wär's gewesen, wärst Du auf dem Ball recht vergnügt gewesen und hättest mir das meiste, ja alles erzählt, das hätte mir weit mehr, ja unendlich viel Spaß und Freude gemacht. – Sehr artig wär's, wenn Du doch einmal Deine Träume gern näher überlegst, die Nacht drauf in einem neuen Traum den vorigen zu bedenken, bei Tag aber recht lustig und vergnügt und fleißig zu sein, denn sonst läufst Du Gefahr, einem gewissen Mann ähnlich zu werden, der sehr bewandert in der Sternkunde war und alle Augenblicke in einen Graben fiel, ja endlich elendiglich in einem Brunnen ersoffen ist, weil er immer gen Himmel guckte; Du läufst Gefahr, daß die Leute sagen, sie ist sehr klug im Traum, aber nicht recht gescheut im Wachen. Ich bitte Dich um des Kaisers seinen Bart willen, werde nicht empfindsam und lasse Dich nicht von dem Lied der Katzen sogar rühren, gehe spazieren, gebe Dich mit der Toni, mit der Lotte ab und freue Dich ihrer vernünftigen Kälte. Ich bitte Dich um alles in der Welt, werde mir keine Seraphine Hohenacker, die Geisterseherin! – Wahrhaftig, dann mußt Du am End verzweiflen, denn ich werd alle Tag gescheuter und unempfindsamer; es ist was Miserables um einen empfindsamen Menschen in der Welt; und zwar grade, weil die Welt nichts weniger als empfindsam ist und einem kein Baum aus dem Wege geht oder beweint, wenn man sich ein Loch an ihm in den Kopf stößt. Wenn Du überdem wüßtest, wie man durch Kränklichkeit zu all diesen zärtlichen Empfindungen kommen kann und daß die Besessenen und Hexen in den vorigen Jahrhunderten nicht anders als solche hypochondrische Personen waren, so würdest Du Dich noch mehr hüten, in eine solche Empfindsamkeit zu fallen. Dagegen hilft oft viel Bewegung, Springen, Singen und Tanzen, Beschäftigung, der Agnes helfen in der Küche, wenn sie allenfalls einen guten Kuchen backt, den auswälchern, kneten und in die Backschüssel hineinrunden, oder auch einen ordentlichen Aufsatz machen, selbst über die französische Revolution wär mir lieber, und ich bin jetzt sehr bestraft dafür, daß ich dies Interesse bei Dir untergraben hab. Ich bitte Dich, wenn es noch Zeit ist, ergreif es wieder, hol Deine alten Tagebücher hervor, in denen wirst Du Anknüpfungspunkte genug finden, es war manches so Schöne, so wahrhaft Große darin; ja, ich kann Dir sagen, daß ich manches draus erfaßt habe als ganz neu gedacht und als gut gedacht, es hilft einem auch zur Vermeidung aller Liebesgedanken, das Große, das Wesentliche der Welt zu seinem Hauptthema zu machen. Dort bist Du ja auch auf dem Boden, der Deinem Geist die wahre Elastizität gibt. – Der Empfindsame bringt auch nie etwas hervor, weil er sich keines Dinges bemächtigen kann, sondern nur von allem überwältigt wird. Ich habe überhaupt einen entsetzlichen Widerwillen gegen die Empfindsamkeit, denn sie wird über nichts empfindlicher, als wenn man sie für eine Kränklichkeit erklärt, da sie eine Feinheit der Seele sein will. Was ich aber unter Empfindsamkeit verstehe, wirst Du wohl wissen. –

Nichts vor ungut, Du weißt, daß ich Dich vernünftig liebe und es gut meine.

Es würde mich freuen, wenn Du etwas Geschichte läsest und außerdem meistens Goethe, und immer Goethe, und vor allem den siebenten Band der neuen Schriften, seine Gedichte sind ein Antidotum der Empfindsamkeit. Aber als Geschichte rate ich Dir Müllers Schweizergeschichte, es ist etwas Himmlisches, ich glaube Leonhardi hat sie. Es sind zwar einige dicke Bände, aber desto länger dauert die Freude, setze Dir täglich ein paar bestimmte Stunden, wo Du drinnen liesest. – Wenn Du Dich meines heftigen Unwillens erinnerst, den ich in Offenbach hatte, sooft ich alberne Bücher bei Dir fand, so wirst Du mir das Recht zugestehen, mich sehr zu beklagen, daß Du jetzt vermutlich alles lesen magst, was Dir vorkommt. Überhaupt ist es mir sehr verdrüßlich, daß Du mir nichts von Deiner innern Bildung schreibst, mich nicht fragst, was Du lesen sollst u. dgl. Was soll alles Phantasieren über dies und jenes, was nun einmal so ist, wie es ist. Besser wäre es, wenn Du Dein Vertrauen zu mir so benutztest, daß Du mir Einfluß in Deine Bildung gönntest. – Daß Du mich über alle Lektüre um Rat fragtest – und dergleichen. –

Um eins bitte ich Dich noch in Deinen Briefen, nämlich gebe mir immer Nachricht, sobald irgend etwas Bedeutendes bei Euch vorfällt, von jeder Reise, sobald Du davon erfährst. – Meine Briefe an Dich zeige niemand; mit solchen, die betrübt sind, wie immer ohne Ursache, habe Mitleid mit ihnen, suche aber nicht etwa sie zu trösten, indem Du, beim Lichte besehen, in dieselbe erbärmliche Stimmung Dich herabsinken läßt und auch betrübt wirst. Der Umgang mit solchen Leuten ist deprimierend und zerstört alle Kraft in uns. Daß Du übrigens dieses nicht so wörtlich nimmst wie Eulenspiegel, hoffe ich. – Du könntest mir einen großen Gefallen tun, wenn Du, doch ohne Übereilung oder Faulheit, mir ein halb Dutzend leinene Stiefelstrümpfe stricktest, aber nichts weniger als fein, sondern nur stark und derb. Toni wird so gütig sein, Dir das Garn nach Offenbach zu besorgen. Auch höre ich gar nichts mehr von Lulu und Meline, es tut mir leid, daß Du von diesen Deinen treuen Gespielinnen gar nichts zu schreiben weißt. Schicke mir doch mit umgehender Post einige Lot der besten schwarzen Kreide, auch etwas weiße, auch englische ist mir lieb; es ist für einen armen Jungen hier, der ganz vortrefflich zeichnet, schicke sie aber ja gleich. Von Savigny hab ich keine Grüße an Dich, wenn Du etwa danach fragen solltest, ob er sich Deiner noch erinnert. – Er hat seine Studien und seine Freunde und denkt an sie, wenn sie ihm ins Gedächtnis kommen, er schreibt öfter an Gundel, vermutlich, weil er ihr manchen Rat gibt. Savigny, der immer helfend und wohltätig ist, nützt ihr unstreitig viel. Dir kann er in dieser Weise nicht nützlich sein, deswegen schreibt er an Dich nicht, ich finde das ganz natürlich, da er in Sachen des Umgangs ganz anders denkt als ich, so würden wir uns oft stören. Du verlangst ja wohl auch nichts weiter, als daß ich Dir alles, was ich weiß und für Dich gut finde, Dir von Herzen mitteile, und ich verlange, daß Du mir traust. – Sei kein Allmein, schicke die Kreide, stelle Dich nicht so heilig, nehme das Leben leicht und Deine Pflichten ernst, lerne mit vernünftigen Leuten lustig und fröhlich umgehen und habe mich in vernünftigem Andenken.

Dein ehrlicher Bruder Clemens.

Noch etwas! – verphantasiere Dich nicht mit dem Gärtner! – er ist ein guter, vernünftiger Bursche an seinem Platz, nämlich unter Kraut und Rüben. Es ist sein romantisch Leben ganz gut mit den Blumen, das aber doch gewiß halb aus Deinem Magen kommt. – Aber einen tüchtigen Kohl muß er mir doch auch ziehen und muß seinen ordentlichen Respekt davor haben. –


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