Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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An Clemens.

Liebster Clemens, ich hab was von meinen Klosterarbeiten hervorgesucht, ein Sträußchen von Seide gewickelt, die alte Laienschwester Monika, wie die das Sträußchen mir wicklen lehrte, kam es mir so allerliebst vor, und nun seh ich, daß es doch nur ein allerliebstes Nichtschen ist, aber vielleicht macht's der Walpurgis Spaß. Die Monika hatte einen Bierkrug auf ihrem Tisch stehen, von dem erzählte sie mir damals, als wir die seidnen Blumen wickelten, der Geist ihres verstorbenen Vetters sei gekommen und habe den Deckel vom Krug aufgemacht und aus dem Krug getrunken, um ihr anzuzeigen, daß er tot sei. Ist es denn nur bei solchen Gelegenheiten, daß sich ein Geist auf die Beine macht? Ich frage, weil, ach weil ich in Gedanken so sehr, so ganz wahr und wirklich bei Dir bin, weil ich Deine Gitarre höre im Geist und Deine Stimme ihre feurigen Lieder dazu dichten. Clemens, Du bist so gut und so schön, wenn Du singst, bist Du so besonders liebend noch dazu, und mir der liebste, der trefflichste, nicht aller Menschen, denn Menschen kenne ich, glaub ich, gar nicht, mir sind sie nicht aufgestoßen, das lieblichste Du selbst bist Du mir, die andern sind mir kein Selbst, sie sind zusammengeliehene, durch Umstände und Eigenheiten, die ich besser noch Verkehrtheiten nenne, entstandne Unselbstheiten. Eine grüne Wiese mit tausend goldnen Blumen, die all auf ihren feinen Stielen im Abendschein wanken, und ein Clemens, der über die grüne Wiese so stolz am Ufer vom stolzen Rhein hingeht und fährt so rasch über die Saiten und singt so feurig und weich seine Liebe. Ich möchte ihr Hohn sprechen, daß sie Dich nicht küßt, lieber als hüben den Bettelmann, der über Dich lacht, und drüben den Savigny, der über Dich lächelt und der sich so offenherzig rasieren läßt. Clemente, die ungeheuren Stricke, mit denen Du gebunden Dich wähnst, sind nur Spinnweb. Und Du fürchtest, daß, wenn Du einen Ruck tust, so reißt das ganze liebesgewebte Netz, Du willst's aber gar nicht zerreißen. Gäb sie Dir einen solchen Rheingauer Schmatz, so fiel die Lieb Dir nicht mit der Tür ins Haus. Was solltest Du damit, Du fühlst es selbst. Der Savigny mag sie meinetwegen schon geküßt haben, im Weingarten oder am Brunnen oder sonstwo, er kommt herbei, man sieht's ihm nicht an, er macht einen ganz trocknen Mund. Du aber Clemente würdest mit allen Sternen Dich darüber besprechen, und Echo würde es Dir abluchsen, um es durchs ganze Donnergebürg zu widerhallen, und Du selbst würdest schwanken wie ein Trunkner, des süßesten Weines voll. – Und Walpurgis hat recht, daß es würde Streit setzen im Wirtshaus. Denn das Wirtshaus würde alles entgelten müssen, und wenn das Dachfenster nachts im Winde klapperte, so wär's ein Eingriff in Deine Träume, grade da, wo Du vielleicht gewünscht hättest, das Dachfenster hätte Dich um alles nicht geweckt, und wär die Walpurgis zutunlich mit dem Pommer oder mit dem Spitz, so würdest Du ihr vorwerfen, daß sie freundlicher mit den Hofhunden sei wie mit Dir, und würdest dabei ungerecht sein, denn ein Hündchen, das man hat aufgefüttert und das einem so absichtlos treu ist, das kann einem wohl näher am Herzen liegen als ein durchreisender Liebhaber. Und sei doch ein kaltblütiger Dichter, der gern eine Rolle übernimmt in dem eignen Lustspiel, was er dichtet. Du und der gelehrte Jurist, der so ernsthaft jung ist, und der Bettelmann, der so lustig alt ist, und das Mädchen, das nach den Äpfeln und Birnen sieht, ob sie heuer reifen, und dabei den Liebhabern zublinzelt, nun würde ich, wenn ich der Dichter wär, das Stück oder auch den Akt so enden, daß ich den kräftigen Bettelmann und den schmächtigen Gelehrten dem zurückgesetzten Studenten recht übermütig gegenüberstellte, der sich eben auf seinen Philistergaul schwingt, weil die Ferien aus sind, und die beiden Nebenbuhler spottend von ihm Abschied nehmen; allein wie er eben auf dem trägen Klepper den kotigen Dorfweg nehmen will, siehe da, gleich wie im Homer die alte Bettlerin am Wege sitzend ihre Kleider von sich abwirft, um plötzlich als blendende Göttin Minerva in die Wolken zu steigen, wirft dieser Schimmel auch plötzlich die alte Stalldecke ab und schüttelt seine blendende Flügelmähne und steigt in die Wolken so hoch mit meinem Clemens, und der wirft Kränze herab von seiner himmelansteigenden Bahn und schenkt den beiden Nebenbuhlern, was sie ohne ihn nicht fassen konnten, nämlich daß es lebende schwebende Natur ist, ihr himmlischer Sinnenreiz – der zu Füßen der schönen Rheingauerin sich entfaltet und mit reinem Lebensodem sie anhaucht im jungen Grün in der tausendfältigen Blumenflur, im klaren Rhein sich spiegelt und wie Tau von der Sonne wird geküßt, und dann lieber Clemens, lebst Du ja nicht Deine eigensüchtige kleine Liebschaft, nein, den ganzen liebenden Frühling von 1804, und träufelst ihn herab von den fünf Saiten Deiner Leier und betäubst Deine Nebenbuhler, daß sie schlummern und Wunder träumen von Seligkeit, die Du ihnen zumessest.

Das wär nun das Ende von dem Melodrama, das hab ich mir erdacht am Pfingsttag in der Liebfraukirch, wo vom Heiligen Geist gepredigt wurde, wie es mich fürchterlich langweilte, und ich konnte meine Füße nicht ruhig halten vor Ungeduld, ich mußte immer einen über den andern stellen, und in Gedanken war ich am Rhein bei Dir und bei dem Bettelmann, der gar nicht unfreundlich gegen mich war, denn wenn Du meinst, daß ich manche Züge ähnlich mit der Walpurgis ihrem Gesicht habe, so fühl ich, daß ich wieder sehr viel Ähnlichkeit hab mit ihrem Naturell, und ich glaube, der Bettelmann hätte auch bei mir den Sieg davongetragen, wenn nicht! – Ja wie soll ich Dir's beschreiben? – nämlich als ich eben von meiner Vision im Rheingau zurück in meiner Kirchenbank ankam, da war der Kaplan noch immer dran, als Pfingsttaube aus seinem Kröpfchen die Gemeine mit dem Heiligen Geist zu füttern. Der Bettelmann also hätte auch bei mir den Sieg davongetragen, wenn meine Vision nicht plötzlich mir den lieben Bruder Clemens daherzauberte, wie der plötzlich, statt der Taube, in feurigem Galopp aus dem Schalloch herabgeflogen kam, mitten in die Kirche! Der Prediger auf der Kanzel erstarrt, die Gemeine in ihrem Gesang verstummt, der herrliche Clemens aber auf seinem Pegasus karakoliert gleich einem englischen Reiter und macht wunderschöne Künste auf seinem Wolkenstampfer; und auf dem Gewölk, was seinem herrlich melodischen Ritt zum Tanzboden dient, schweben wunderschöne Rosenkränze von einer Wolkenstufe zur andern und blühen und duften immer schöner, und die Menschen haben das Beten vergessen, alle fangen sie die Rosen auf, und das war Dir ein Getümmel in der Kirche und ein Jauchzen über die aufgefangnen Kränze! Ach ich könnte Dir noch mehr erzählen, wenn's nicht zu lang dauerte für ein Rosenfest, dessen höchster Reiz ist, daß er bald verblüht. Die Kirche war aus, eh ich's dachte, die Leute tummelten sich zur Kirchtür hinaus. Die Bäcker liefen mit weißgepuderten Kuchen, es war so heißer Sonnenschein. Den zweiten Pfingsttag ganz früh war ich mit dem Dominikus und Anton auf der Pfingstweide, da wurde unter den großen Linden ein großer Kranz gemacht für den Pfingstochsen, die Kinder gingen bei den Gärtnern herum und bettelten Blumen dazu, sie hatten die Blumen alle zusammengebündelt und so mancher den Stiel abgeschnürt, daß ihr der Kopf abfiel; wie ich aber am Kranz flechten half, da ward er viel schöner, um acht Uhr war der Kranz fertig, und der Brummelochs ward mit angetan; am Nachmittag waren wir vor Bethmanns Garten auf einem Floß, das schwamm mit uns ein Stückchen dem Main hinunter, es war auch schön auf dem Main; und wie wird's doch den Tag Dir gewesen sein, Du bist wohl einsam da herumgewandert, ich weiß, am Feiertag ist's oft gar zu wehmütig, je schöner die Natur ist, je schauriger belagern einem die langen Schatten des vergehenden Tages, und die Menschen sind auch alle wie Schemen; sie flirren umher, man sieht kaum sie an, und kein Nachgedanke über sie kommt uns in den Kopf, ach und dann, wenn man vom Spaziergang nach Haus über die Schwelle tritt, da legt man den Blumenstrauß hin, den man gepflückt hatte, er sollte so schön im Glase blühen, er muß welken auf dem Tisch, denn die Seele ist gar zu müde. – So wird Dir's gewesen sein, Clemens. Aber wenn nun die Sterne aufgehen und winken, sie hätten was mit Dir zu flüstern, dann vergißt Du der stummen Schatten, die neben Dir hergingen, das helle Sternenlicht ist allein Dir geltend, so war's gewiß vorgestern abend, denn ich hab Dich sehen heimgehen über die Wiesen und hab als in mir verborgen mit Dir geredet und Dich bei der Hand genommen, und es war gewiß eine Stunde, daß ich bloß mit Dir geredet habe in mir, und als ich schlafen ging, da war's, als habe ich recht was Angenehmes erlebt mit Dir.

Das ist meine Pfingsttagsgeschichte in Frankfurt, ich bin jetzt wieder hier in Offenbach, wo ich tausend Federnelkchen aufgeplatzt fand, und der Abendwind jagt sich mit ihrem Duft.

Adieu Clemens, die Federnelkchen werden auch bald alle geplatzt sein. Dann kommst Du zurück.

Bettine.


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