Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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Lieber Clemens.

Dein fliegend Blatt ist mit dem Morgenwind nicht zum Fenster herein-, sondern hinausgeflogen. Eben hatte ich meinen Sitz zum Schreiben zurechtgerückt, so macht der Wind die Tür auf, packt mein Blatt und ab mit zum Fenster hinaus, dahin, von wannen er gekommen war, was kein Mensch weiß, wo das ist; ich seh ihm nach und entdecke, daß er mit dem Blatt in den Schornstein unsers Nachbars Johann Andree sich retiriert, er konnte in den Suppennapf fallen und dem Herrn Andree aufgetischt werden; um dem zuvorzukommen, sprang ich hinunter, fand das Blatt schon unterwegs nach dem Kanal, es schwebte über dem Wasser, nur ein Wunder konnte es retten, das war eine graue Mütze, die es auffing, die dem Arnim gehörte, der vor mir stand, mit einem zweiten Brief in der Hand, den er mir von Dir mitbrachte. Aber warum hast Du auch auf so dünn Papier geschrieben, ätherischer wie die Luft selber, vielleicht weil er das Gewand Deiner Seele ist, der Widerschein Deiner selbst! –

Die beiden Freundinnen sind ein paar Nebenfacetten Deiner verklärten Einbildung, die hundertfältig facettiert ist, sie strahlt im eignen Glanz, was schön ist zu empfinden, zu genießen, und wer sich in Dir gespiegelt sieht, der muß Dich lieben, weil er eben nicht frei ist von Eigenliebe. Man kann vor anmutigster Schelmerei, die vom Witz zur Rührung sich durchneckt, aus der hinüberspringt zur Seiltanzkunst und da solche Sprünge macht, daß einem Hören und Sehen vergeht, gar nicht dazu kommen, daß man so weit sich mit Dir einließe, Dir ein Gnadengeschenk zu machen mit irgendeinem Pfand der Zärtlichkeit. Einen Kuß zum Beispiel, wie kann man ihn Dir geben, Du hattest Dir ihn schon genommen wie einen Apfel, den man gedankenlos vom Zaun bricht, Du spielst Ball mit, zum Zeitvertreib, Du haschst ihn wieder, Du wendest und drehest Dich damit vor dem geblendeten Auge der Geküßten, die nicht begreifen kann, wie dies Pfand der Zärtlichkeit bestimmt war, solche Luftsätze zu machen. Die andern, die zusehen, lassen sich hinreißen von diesem Spiel, sie sind außer sich vor Vergnügen über den göttlichen Clemens; eh sie sich's versehen, hast Du einen neuen Apfel abgerissen von den Zweigen des Wohlwollens, der Hinneigung und Begeistrung, der alte Apfel rollt in die Ecke und beschämt die, der Du ihn durch Deine Neckerei geraubt hattest. – Clemente, sei nicht böse über diese Charakteristik, sie ist ja nur die spanische Wand Deiner andern »Torheiten«, sagte die Günderode. Tiefe Weisheit, sagte ich, wahre tiefe Liebe, sagte ich, Heiligtum der reinsten edelsten Freundschaft. Und der Clemens kann in seiner Treue nicht verglichen werden; er faßt die Seele, er legt sich warm wie ein brütender Vogel über sie und schützt sie und streitet für sie und harret geduldig über ihr mit großer Sorge und Vorsicht, aber dann kriecht öfter auch ein Gänschen aus dem Ei, aus dem er einen Schwan auszubrüten hoffte, und das ärgert ihn dann sehr.

Soweit ich und die Günderode über Dich; nur noch eins wollte ich behaupten, daß sie nämlich gewiß auch einen Apfel misse an den herabsenkenden Zweigen ihrer adeligen Seelengüte! – Clemens, wenn Du den geraubt hättest, auch zum Spiel nur, und hättest ihn nicht bewahrt als ein Geschenk der Göttin Fortuna, so prophezei ich Dir Schlimmes. – Du weißt, wer ein solches Pfand vernachlässigt, an das diese eigensinnige Göttin oft das Heil ganzer Geschlechter knüpfte, der muß dann einen bösen Dornenpfad wandern, von dessen stacheligen Zweigen er keine süße Feigen sammlen kann. – Ich fragte die Günderode über dies Pfand, und ob sie glaube, daß es in Deiner Seele Gedächtnis gut und edel verwahrt sei – sie ward ein bißchen nachsinnend darüber – dann lächelte sie und zog mich auf ihren Schoß und küßte mich zärtlich! – Ich weiß, daß die Günderode Dir gütig gesinnt ist, sie ist die beste und edelste von uns dreien. Aber natürlich, wenn Du auf dem Tanzplatz herumgaukelst all Deiner seltsamlich verphantasierten Scheingöttinnen, da kann die echte sich nicht herablassen, eine von Dir gewählte Rolle zu übernehmen. – Ach ich vergesse ganz, Dir noch viel zu erzählen.

Der Arnim kam zu uns ins Stift und fragte, ob man bei dem herrlichen Abend nicht wolle hinaus nach der grünen Burg; so wanderten wir bei Abendschein die stillen Feldwege, ich lief immer voraus, wendete um und sah die beiden vom untergehenden Tag mit einem Nimbus umfangen, schreiten, mehr schweben – optische Wirkung des Lichtes, das seinen Sonnenharnisch abgelegt hatte! – Das Licht, wenn es nicht thront, ist mild, einfach, bescheiden, kindlich und wohl gar wie ein Kind zum Spielen geneigt. – So auch der Weltherrscher, im Sonnenfeuer seiner Macht, durchglüht er alles mit Geistesfeuer, ihm muß werden, was seines Willens ist; aber wenn er sich entkleidet dieser Gewalt, ist er wie ein Kind! – Der Arnim sieht doch königlich aus! – die Günderode auch; der Arnim ist nicht in der Welt zum zweitenmal, die Günderode auch nicht. Die beiden gehen da nebeneinander an diesem schönen, heitern Abend! Aber dort kommt ein Gewitter! Die Winde kehren vor uns den Weg, wir müssen eilen! Wir fangen an zu traben, wir wollen eben in Galopp uns setzen, ergießt das schwarze Gewölk sich über uns, unten blitzt es, die Donner schlagen ihre Wirbel. Wir erreichen einen dichtlaubigen Kastanienbaum, die Regenflut läuft an seinen breiten hängenden Ästen hinab, dicht am Stamm ist's trocken. Der Arnim breitet seinen grünen Mantel um uns, die Günderode hat mit dem Kragen den Kopf geschützt, ich konnte es aber nicht drunter aushalten, ich mußte sehen, was am Himmel passiert. Da zogen die Regenschichten nacheinander vorüber, es war ein Gewühl. Ganz so stell ich mir das Wetter vor unter der Erde, wenn da ein Postament von Wolken wär, auf dem sie thronte. – Kurz, es war entweder das unterste Naturgestell, was mit dem Gewand ihrer Farben und Schönheitsschmelz verdeckt ist, und sie hatte dies ein bißchen zu hoch geschürzt, oder es war die Kehrseite der Kulissen, hinter die man wirft, was nicht soll an Tag kommen. Aber Nacht und Dunkel kommt ja auch an den Tag; um so heller der leuchtet, um so dunkler sie uns droht. – Ein Weilchen gefiel mir dies böse Abenteuer. Arnims wunderschöne Jugendnähe elektrisierte mich, ich opponierte dem Gewitter mit allerlei vom Zaun gebrochner Philosophie, die nicht Hand und Füße hatte und nasse Flügel, die ließ sie hängen. – Wir gingen weiter, jetzt, wo der Wind die Wolken ins Gebet nahm, rissen sie aus. Die Günderode wurde ins Bett gesteckt, wir sollten die Nacht da bleiben. Wer war froher wie ich. Eine schöne Sommernacht unter einem Dach mit dem Arnim, mit Günderödchen durchplaudert; – doch haben wir uns gezankt. Wir stiegen die Leiter der Begeisterung hinan in unserm Nachtgespräch, eins überhüpfte das andere, oben zankten wir einander, daß wir nicht in ihn verliebt seien, dann zankten wir einander, daß wir kein Vertrauen hätten, und wollten's nicht gestehen, daß wir ihn doch liebten, dann rechtfertigten wir uns, daß wir es nicht täten, weil jede geglaubt hatte, daß die andre ihn liebe, dann versöhnten wir uns, dann wollten wir großmütig einander ihn abtreten, dann zankten wir wieder, daß jede aus Großmut so eigensinnig war, ihn nicht haben zu wollen. Es schien ernst zu werden, denn ich sprang auf und wollte mein Bett von dem ihrigen wegrücken aus lauter Zorn, daß sie den Arnim nicht wollte. Auf einmal hören wir husten und sich tief räuspern. Ach der Arnim war durch eine dünne Wand nur von uns geschieden, er konnte deutlich alles vernehmen, er mußte es gehört haben, ich sprang ins Bett und deckte mich bis über die Ohren zu. Uns klopfte das Herz wohl eine halbe Stunde, keins muckste mehr die ganze Nacht. – Am andern Morgen früh um sechs Uhr sah ich zum Fenster hinaus den Arnim schon unter den Linden spazierengehen. Jetzt wollten wir doch probieren, ob er uns gehört könne haben. Ich ging ins Nebenzimmer, die Günderode sprach ungefähr dasselbe und ebensolaut wie am Abend. Ich legte mein Ohr an die Wand und hörte teilweise aber nicht alles, als ich aber sah, daß sein Bett grade an der Tür stand und daß das Schlüsselloch mit dem Kopfkissen auf gleicher Höhe stand und daß man da alles deutlich hören konnte; – wie zwei marode Schiffer, die eben gescheitert sind an der Sandbank, die sie so lange ängstlich umschifft hatten, guckten wir uns an. Wir mußten zum Frühstück! – Wir setzten uns mit dem Rücken gegen die Tür, um ihn nicht gleich sehen zu müssen, was half der eine Augenblick, wir mußten ihm ja doch die Sträußchen abnehmen, die er eben aus dem Feld mitbrachte, Vergißmeinnicht! – Ach nun war's gewiß, daß er's gehört hatte. Ach Clemente, es war recht wunderlich! – Das war gewiß so ein Gefühl, was man Verlegenheit nennt! – Ich nahm die Gitarre von Gunda und sang »Das schmerzt mich sehr, das kränket mich, daß ich nicht genug kann lieben Dich.« – Der Arnim gab mir seinen Handschuh und bat, den zerrißnen Daumen zu flicken. – Ich hab's getan, Clemente. Ach aller Anfang ist schwer, der Handschuh duftete so fein, so vornehm. – Ein grauer Handschuh von Gemsleder, ich habe ihn mit Hexenstichen benäht, er zog ihn gleich an, den linken Handschuh aber ließ er liegen und promenierte mit seinem Stock neben uns. Ich warf seinen vergeßnen Handschuh unter den Tisch, ich dachte, da mag er liegen, wenn er ihn zurückläßt, dann heb ich ihn zum Andenken auf, denn er geht ja morgen fort. »Wird nicht wiederkommen, wird nicht wiederkommen, das tut mir weh« – Ich hab ihm dieses alte Volkslied vorgesungen, es hat ihm sehr gefallen. –

Der Arnim ist fort! – er hat den Handschuh zurückgelassen. Gestern nahm er Abschied, und gestern leuchteten noch die Sterne uns beim Heimgehen, er suchte einen Stern aus, den wir alle drei wollten sehen, wenn wir aus der Ferne aneinander dächten. Ach Gott, ich hab den Stern vergessen, er hat's so deutlich expliziert, und nun, kaum war er fort, wußt ich's nicht mehr, ich fragte die Günderode, denn die ist sternkundig, aber die neckt mich und nimmt dies als einen Beweis, daß ich gewiß in ihn verliebt sei! Es ist aber doch nur, weil mir's so leid tut, daß er vielleicht treu und redlich seinen mit uns ausgemachten Stern ansieht, in der Meinung, wir guckten auch, und nun gucken wir beide wie die Hahlgänse daneben! –

Lieber Clemens, gestern nahm Arnim Abschied, und gestern schrieb ich dies nieder, und heut bin ich wieder ruhig über die Sternengeschichte, denn mein Gewissen würde mich dann ewig geplagt haben, ob ich auch zu rechter Zeit nach dem Stern sehe. Ich würde am End jeden Tag eine ganze Stunde meinen Kopf haben in die Höhe halten müssen, es wäre eine Pein gewesen, um gleich des Kuckucks zu werden. Ich wollt, Du wärst bei mir, ich hab Dich doch ganz allein lieb, und so lieb wie mich hast Du niemand anders. – Wenn Du auch noch so sehr meinst, Du müssest über Deine Liebschaften verzweiflen, weil immer keine Gegenliebe dabei herauskommt. Es ist einmal so, die Menschen machen sich nichts aus uns beiden, und wenn wir ihnen ebenso vorkommen, wie sie mir alle zusammen vorkommen, dann ist's ihnen nicht zu verdenken, denn so albern sind sie wohl, daß sie uns ebenso absurd finden, als wir gescheut sind, sie närrisch zu finden. Aber vom Arnim tut mir nichts leid, als daß ich so kalt Abschied von ihm genommen hab, ich fragte ihn lachend, ob es ihn dann gar nicht rühre, daß er nun weggehe, und es war mir doch gar nicht so ums Herz. Ich hätte viel lieber Abschied von ihm genommen wie von Dir, nicht wie von einem Fremden, der mich gar nichts angeht.

Jetzt freut mich's, daß ich so aufrichtig gegen Dich sein kann, und wenn Du an Arnim schreibst, so sage ihm, daß ich ihn noch recht liebhabe, aber nicht so deutlich sage es ihm wie hier in diesem Brief. Ich würde Dir eher geschrieben haben, aber ich bekam erst viel später Deinen Brief von Christian, der auf der grünen Burg den ganzen Tag im Gras liegt und Flöte bläst, und die Leute sagen, die ganze Gegend wär wie verzaubert von diesen Flötenvariationen »mich fliehen alle Freuden«, und wenn er aufhört zu blasen, so spitzen sie die Ohren, als ob sie was hörten; das ist die schweigende Stille, die sie hören, das ist ihnen ein so längst entwöhnter Ton, eben weil die Flöte weder bei Tag noch Nacht von seinen Lippen kommt.

Clemens, komm bald, komm ja recht bald, an Benediktchen einen Gruß, und sie soll Dich gehn lassen. – Komm, ich hab Dir viel zu sagen.

Bettine.


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