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Von einem Stuttgarter »Becken«

Im Jahr 1856 wurden in Stuttgart »Zwölf Protzenlieder von August Cloß, einem Nichtbecken aus Huetlulapallan« veröffentlicht, wovon eines mit den Worten begann:

O du große Stadt der Becken,
O du Stadt der großen Becken,
O du große Beckenstadt ...

Unter dem hervorgehobenen Worte verstand man auf Grund der alltäglichen Anschauung damals einen reichen Mann, der auch etwas sagen durfte und mitunter von diesem Vorrecht in heiterem Sinn ausgiebigen Gebrauch machte. Ein wandelndes Urbild dieser Gattung aus der Landeshauptstadt wollen wir unsern Lesern hiemit vorführen.

Der Königliche Hoflieferant X., Besitzer einer »hygienischen Backwarenfabrik«, hatte im Tagblatt einen »Lehrling von guter Schulbildung« gesucht. In solchem Hause geht nicht jeden Tag eine Lehrstelle auf, und da durften auch »bessere« Leute sich nicht lange, besinnen, ein Söhnlein unterzubringen. Der jüngste Sprößling eines geachteten Küfermeisters machte in der Schule gar geringe Fortschritte, nicht weil er unbegabt gewesen wäre, sondern weil es ihm am nötigen Fleiß fehlte und er lieber seinem Vergnügen nachging, als seine Schulaufgaben ausarbeitete. So blieb er nun im Realgymnasium schon zum zweitenmal in der fünften Klasse sitzen, und der gestrenge Vater war jetzt fest entschlossen, ihn ganz aus der Schule zu nehmen und ihn in einer Lehrstelle unterzubringen. Die Mutter nahm den Knaben also mit sich und suchte den vornehmen Meister auf. Schon zum voraus glaubte sie einer freundlichen Aufnahme gewiß zu sein, waren doch ihr Mann und der Vater des Herrn Bäckermeisters langjährige Herzensfreunde gewesen. Die gute Frau täuschte sich jedoch; der Bäcker wußte rein nichts von diesen Beziehungen, auch der ihm mitgeteilte Name schien ihm fremd zu sein. Endlich konnte sie ihr Anliegen vorbringen, und er hörte sie gnädig an. Seine Antwort gab er im schönsten Schwäbisch, das man in Stuttgart hören kann. »Ja freile! a Beck werde   deescht glei gsagt und schließlich au net schwer tu' (getan), wenn einer e Grupper sei will, wie viel ummertappet; die werdet aber bei mir net ausbildet, und drum mueß ich vor allen Dingen en junga Mann kriega, der a guata Schual gnossa hat. Heutigstags ist unser Gschäft nach Form a Kunst und nach Inhalt a Wissaschaft worda, und do muß i de nötich Vorbilding «'bedingt verlanga«.« Als er merkte, daß die Frau das nicht so recht zu fassen vermochte, fügte er einige Erläuterungen bei, indem er die Fremdwörter nach schwäbischem Brauch in der ersten Silbe betonte: »Was Chemie, Physik, Gemetrie und die Sacha sind, kommet jo Tag für Tag vor, und nô isch vor alle Dinga au notwendig, daß oiner de kaufmännisch Buchführing aus-em Exzeß ka', womöglich de doppelt und dreifach. Nô wisset Se vielleicht, daß bei mir alles mit Maschinena gmacht wird: do darf natürlich so-n a junger Kerl vorderhand net dra-na'; do wird's nô scho' nötich sei', daß mer ihn später, wenn er 's Allgemeine a bißle los hat, in Baugewerkschul schickt, aber deescht jo auch noch im weita Feld.« Im Anschluß hieran fragt er nach den Schulzeugnissen und der Einjährigenberechtigung des Knaben. »Wissen Se, ohne 's Einjährig' nehm i koin Lehrling in mein G'schäft auf,« sagte er.   Da der junge Mann, wie wir wissen, diesen Nachweis nicht erbringen konnte, so führte dies zum Abbruch der Unterhandlungen, und die Frau verabschiedete sich rasch mit ihrem Sohn. Daheim erzählte sie alles ihrem Mann, der darüber gar sehr in Harnisch geriet.

Nun hatte der ehrsame Küfermeister einen guten Bekannten, dem er gelegentlich Mitteilung von dem Vorkommnis im Beckenhaus und vom seltsamen Grund der Zurückweisung seines Sohnes als Lehrling machte, und dieser entwarf auf der Stelle einen lustigen Plan zu einer gründlichen Genugtuung für die schmähliche Niederlage, welche die Eltern des zurückgewiesenen Burschen erlitten hatten. Statt in's sogenannte Mostkasino unter der Mauer zu gehen, suchten sie nämlich gemeinsam den Glassalon auf, wo sie den Bäckermeister X. im Laufe des Abends zu treffen hoffen konnten. Sie saßen bereits eine gute Weile dort und wurden warm, da trat er herein, und unser Rächer sorgte ihm gleich für ein schönes Plätzchen in seiner nächsten Nähe. Sie unterhielten sich gut und drunterhinein fragte er nach einer Lehrstelle für den Sohn eines weitläufigen Verwandten, sein Dötlein. Die bereits erwähnten Vorbedingungen für die Aufnahme in die wissenschaftliche Kunstwerkstätte des Bäckermeisters waren auf Grund der vorzüglichen Schulzeugnisse des angehenden Jünglings leicht zu erfüllen, und bald war alles im reinen. »Jetzt, bevor wir die Sache fest machen,« sagte unser Schelm, »auch noch eine Frage: Sie sind doch, Herr A., auch Reserveoffizier?«   Der Bäckermeister schien sich über diese Frage höchlichst zu verwundern und verneinte sie. »Was, Sie sind nicht Reserveoffizier?« versetzte dann der andere. »Ich glaubte dies annehmen zu dürfen, da Sie zum Eintritt in Ihr Geschäft den Einjährigenschein verlangen. Natürlich kann unter solchen Umständen mein Dötlein die Lehrstelle nicht bei Ihnen annehmen; als späterer Einjähriger ist er es seiner Ehre schuldig, zu verlangen, daß sein Meister im Rang höher steht als er.« Alles lachte zusammen. Der Bäckermeister aber trank sein Glas aus und ging mit kurzem Gruß von bannen.

(Nach »Schwabenland« von A. H.)

Schlußvignette

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