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Der Vogt von Kolbingen

In dem Dorfe Kolbingen, das über dem Donaustädtchen Mühlheim am Südrand des Heubergs liegt, hatten vor alter Zeit die Herren von Ulm-Werenwag neben anderen Rechten die hohe und niedere Gerichtsbarkeit. Mitten im Ösch stand der dreibeinige Galgen, und es wurde ohne viel Federlesens daran gehenkt, wer sich gegen die strengen Gebote der damaligen Zeit vergangen hatte. Einmal geschah es, daß einer mitten im Sommer, da Gras und Frucht am schönsten standen, gehenkt werden sollte. Die Bauern waren darüber nicht sehr erbaut; denn sie wußten, daß durch die Menge der von allen Seiten zuströmenden Neugierigen ihre Felder so zerstampft und zertreten würden, daß an einen Ertrag nicht mehr zu denken war. Sie wandten sich daher an die Herrschaft mit der Bitte, die Hinrichtung bis auf den Herbst zu verschieben. Die hohe Obrigkeit erwies sich auch einsichtsvoll und ging auf die Bitte ein. Da sie aber die Arrest- und Verpflegungskosten des Delinquenten scheute und nicht in Schaden kommen wollte, beschloß sie, ihn in Freiheit zu setzen, doch mit der Auflage, daß er sich im Herbst wiederum stellen müsse, damit man ihn henken und also der Gerechtigkeit Genüge tun könne. Der Verurteilte versprach dies auch und wurde darauf der Haft entlassen. Als es nun Herbst wurde und die Felder abgeräumt waren, stellte er sich auch richtig wieder ein. Darüber herrschte allgemeine Verwunderung; denn für so redlich hatte man ihn nicht gehalten. Die seltene Ehrlichkeit wurde auch belohnt. Die gnädige Herrschaft erließ ihm die Strafe, und die Bürgerschaft erwählte ihn, da eben die Stelle frei war und »kein Redlicherer weit und breit zu finden sei«, zu ihrem Vogt.

(Nach den Blättern des Schwäb. Albvereins von K. R.)

Schlußvignette

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