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Übertragung von Walther Petry

Francesco Grazzini

Wie List der Lust den Pfad bereitet

Lebte da in unserer Stadt vor eben nicht langer Zeit ein Notar, der sich Ser Anastagio della Pieve nannte. Er kam als geringer Mann nach Florenz, wurde im Hause der Strozzi Erzieher, und erwarb dann, vorgerückten Alters, dieser Stadt Bürgerschaft; so beginnend in Ratsgeschäften zu verdienen, erwarb er mählich Vermögen; nun, schon sehr gealtert und Niemanden zur Seite, dem er was an Besitz da war hinterlassen konnte, wird es sein Entschluß, zu heiraten. Gar nicht auf die Mitbringschaft erpicht, erwischt er ein junges schönes Mädchen vornehmer Familie, das in Dingen des Ehbetts wie in allen andern, die zu verlangen ihr Recht war, mit ihm gütliche und liebevolle Einigung schloß, so, daß der Ser von Narrheit und Liebe doppelt angetrieben in eine Eifersucht ausbricht, und Zeit, dieser Leidenschaft zu opfern, mehr als für alle Kontraktgeschäfte und Kundenwerbungen aufbringt.

Die Frau, Fiametta geheißen, wurde der Furcht und des unsinnigen Treibens ihres Gatten bald deutlich gewahr, in ihrer Edelheit und vornehmen Gesinnung aufs Äußerste dadurch gekränkt, wird, was ihr sonst nie beigefallen wäre, ihr fester Entschluß, nämlich, was er fürchtete, zu tun. Merkend, wie ein eben aus Paris zurückgekehrter Arzt in ihrer Nachbarschaft, fünfunddreißig Jahre und sehr elegant und wohlgefallend, ihr Blicke gibt, beginnt sie mit freundlichem Gesicht zu erwidern, was der Arzt wiederum zum Anlaß nahm, häufiger an ihrem Hause vorbeizuspazieren; wie sie nun fortfährt, ihn zu ermutigen, kommt mit eins über die Gebärde die unverstellte Liebe über sie. So einander zugetan, ist ihr einziger Wunsch Vereinigung; indessen gab es da eine alte Dienstmagd, die der Mann zum heimlichen Aufpasser tagsüber gesetzt hatte, (nachts hielt er selbst diesen Posten) die dem Wunsche Fiamettas und ihres Arztes Giulio entgegenstand.

Trotzdem sann die junge Frau unermüdlich auf Mittel und Wege, ihr Verlangen zu stillen, und geriet endlich auf eine List, die sie in einem zierlichen Schreiben dem Arzte mitteilte. Nach getaner Verabredung begann sie eines Nachts im ersten Schlaf heftig zu stöhnen, und schrie: »Oh Anastagio! Oh lieber Mann, ich sterbe, ich sterbe! Weh mir! Hilfe, um Gotteswillen!« Ser Anastagio erwachte, fuhr im Hemd aus dem Bette, rief die Mägde herbei, die gleich mit der brennenden Laterne und Trost auf den Lippen herbeisprangen, indessen die Kranke in schwerem Wimmern und Seufzen sich nicht genug tun konnte, immerfort schrie, ihr ganzer Körper sei ein einziger Schmerzensherd und die Eingeweide schwöllen unbändig an. Man machte Tücher heiß und Umschläge aus allerhand Krautgekochtem, und wußte endlich nicht mehr was zu tun war angesichts der Schmerzen, die nach dem Schreien zu urteilen, immer heftiger wurden: »Ich Unglückliche,« rief die Gefährdete, »ich Arme! Oh liebster, bester Mann! Ich platze, ich platze, süßer Mann, hilf mir doch, hilf mir doch, ich bitte dich,« und es erfolgte ein Augenverdrehen, wie man es noch nie gesehen hatte. Anastagio kamen aus Zärtlichkeit und Furcht die Tränen, und gewiß, sie würde ihm unter den Händen sterben, brächte ein Arzt nicht Hilfe, beschloß er einen zu holen und sagte ihr das, meinend, das würde ihr Trost geben. Sie antwortet: »Ach nur schnell, mein guter Mann, um Gotteswillen! schnell sag ich, sonst ist es zu spät.« »Keine Angst,« unterbrach sie der Ser, »ich renne um die Ecke zum Doktor Giulio, unserm Nachbarn.« »Recht so,« erwiderte Fiametta, »ach zaudere nicht, ich bin eine Leiche, kommt er nicht gleich und schafft mir Linderung.«

Der Notar war schon aus der Tür und lief eilig zu des Arztes Hause; der, ohne viel Worte und Aufklärung zu verlangen, antwortet, daß er im Augenblick bereit sei, und stand denn auch in kurzem in der Kammer, wo die Ärmste sich in Krämpfen wand. Der Doktor grüßte sie, sprach ihr Trost zu, klopfte sie vorn ab und betastete sie rückwärts, wendete sich zu dem Mann und sprach leise: »Es ist entweder eine Vergiftung oder ein inneres Frauenleiden. Wenn Ihr sie retten wollt, so lauft zur Herrenapotheke um eine Arznei, die ich hier aufschreibe, die gegen Gift, gegen Mutterweh, Verdrängungen und Schwellungen wunderbar und sicher hilft.« »Nur zu,« gibt der Ser zurück, und sagt noch, mit einem Fuß schon in der Tür, »bleibt, bis ich wieder zurück bin.« »Ich will ihr unterdessen, sagte der Arzt, ein Hausmittelchen auf den Magen packen, dazu sollen mir die Mägde helfen.« »Vorwärts,« sagt Ser Anastagio und schießt fort; der Doktor aber blieb bei Fiametta, die weiterhin mit geringen Änderungen in der Stimme schrie, noch lauter jammerte, noch heftiger klagte, als sie unten die Haustür ins Schloß springen hörte, und ganz so tat, als ob der Schmerz ihr innen den zarten Leib versengte.

Der Arzt rief zu den Mägden um Öl und Mehl für das Magenpflaster, er wolle eine Sympathiekur versuchen, er sähe kein anderes Mittel sie zu retten, verlangte dann ein Glas mit Wein, ein anderes mit Wasser, bekam beides und nahm jetzt das eine in die linke, das andere in die rechte Hand und reichte sie unter geheimnisvollem Murmeln der Fiametta, den Wein mit der rechten und das Wasser mit der linken Hand, und drang darauf, sie müsse vier Schluck vom einen und genau vier Schluck vom andern nehmen, zu den Mägden sagte er, wenn ihrer Herrin Leben ihnen etwas wert sei, müßten sie gleich, die eine auf dem Boden, die andere im Keller des Hauses sich hinknieen, vier sorgsame Rosenkränze zu beten, für jeden der heiligen Evangelisten einen, und er setzte hinzu, sie müßten sie langsam, mit tiefer Inbrunst und ohne Auslassung des kleinsten Wortes sprechen, sich durch nichts von ihrem Ort rücken lassen, bis alles vollendet wäre.

Die Mägde nahmen alles gläubig und getreu hin; wiewohl es ihnen kein Leichtes war, mitten in der Nacht diese Dinge zu tun, trösteten sie sich doch mit der Wichtigkeit der Sache; wollten auch zur Heilung ihrer Herrin, die immer heftiger schrie, was sie konnten beitragen; so gingen sie denn, die Alte in den Keller und die Junge auf den Hahnenbalken, jede fest in der Faust den Rosenkranz. Kaum daß sie ihren Fuß vor die Tür gesetzt hatten, stellte der Doktor Giulio Wein und Wasser und Sympathie zur Seite, ließ die gute Frau ihr Klagen und Wimmern sein und griffen dafür beide um so eiliger nach einer Sache, die ihnen Vergnügen machte, und die ihr euch wohl denken könnt; sie hatten Zeit, denn Ser Anastagio lief noch immer atemlos auf der Fiesolanischen Straße; ehe er bei der Apotheke war, in der Nacht das Rezept besorgt bekam, auf seinen alten Beinen dann wieder zurückstolperte, verging gute Weile und der geängstigte Mann meinte denn auch, sein gutes Weib, wenn er zurückkäme, weile schon bei den Engeln. Als es den Beiden deuchte, daß die Mägde oder der Notar zurückkehren könnten, legte sich die Frau auf die Seite in einer Stellung als schliefe sie, der Arzt kniete vor seinem Lager und las in seinem Doktorbuch, ebenda hatten die Mägde auch ihre aufgetragenen Rosenkränze herumgebetet und stiegen dem Zimmer zu, langsam die Alte von unten herauf, schnell vom Hahnenbalken die Junge herunter, und kamen zugleich in die Kammer, zu sehen, wie Gott es gefügt hatte; sahen nun den Arzt auf den Knien hocken und brummeln, die Herrin seitwärts gekehrt und still, wie im tiefen Schlaf, und es wurde ihnen klar, daß sie gestorben sei, und rissen schon den Mund auf, als der Doktor sie bedeutete, Ruhe zu halten, denn siehe, die Madonna sei geheilt, erhole sich nun und schlafe. Er fragte sie beide, ob sie ihre Rosenkränze gebetet, sie antworteten beide Ja, und er erhob sich, gerade im Augenblick, als Ser Anastagio unten auf die Klinke drückte, und da man ihn einließ, lief er dunklen Herzens zur Kammer, überhäuft von Angst, luftlos in der Lunge, in der Hand das Fläschchen, und meinend, er müsse nun seine Gattin schon zum Tode ausgestreckt sehen. Doktor Giulio trat ihm sofort entgegen: »Eurer Frau gehts wie dem Fisch im Wasser, der Himmel gab Gnade und sie wurde gesund, hat keine Arznei mehr nötig; dann erzählte er bis ins Kleinste, wie er, an jedem andern Mittel verzagend, zur Sympathie gegriffen hätte, und da sähe er nun, was das fruchte.

Hier bewegte sich die Frau, spielte Erwachen, wandte sich heiter und lachend zu ihrem Mann und sprach: »O süßester Mann, daß Eure Fiametta nicht völlig zu Grabe gegangen ist, ist einmal durch Gottes Beistand geschehen, dem Ihr drum danken mögt, dann aber durch Meister Giulios Kur.« Da zögerte Anastagio nicht, laut den Gott und den Arzt zu preisen, und wollte, ganz weggehoben vor Freude, dem Manne einen ganzen Goldgulden geben, der wies ihn aber ab, sprechend, wie er für Sympathiekuren niemals Geld annehme, und nach Höflichkeiten hin und her und großen Danksagungen verabschiedete er sich, grüßte und ging in sein Haus. Der Mann mit seinem Weibe ließ alles zu Bette gehen und suchte dann selbst mit seinem Weibe den Schlaf.

Andern Morgens hatte Anastagio wichtige Geschäfte beim Prokonsul, stand vor Zeiten auf, ließ die Frau ruhig, im richtigen Glauben, sie bedürfe wegen der Not und Anstrengung in der Nacht noch der Ruhe, kleidete sich an und trat leise ins Stiegenhaus. Wie er die erste Stufe nahm, will es das Unglück, daß er die zweite verfehlt, und die Treppe sich überschlagend schnell hinabkommt, mit einer Wunde an der Schläfe von einer Größe, die ihm die Ohnmacht schickte. Die Mägde liefen auf das Gepolter herbei und kamen mit Fiametta gerade zurecht, ihn unten eingeklemmt zwischen zwei Treppenpfeilern und blutig am linken Ohr liegen zu finden, meinten auch, er sei tot, heulten und brachten ihn unter großem Wehgeklage treppauf, ein Ding, worüber sich die ganze Nachbarschaft zusammenfand, packten ihn dann ins Bett und schickten nach den zwei besten Wundärzten von Florenz, ihm indessen den Puls solange mit kaltem Wasser und Essig reibend, daß ihm, gerade als die Ärzte kamen, wieder Besinnung anflog; die Männer untersuchten ihn, schüttelten die Häupter, es hülfe nichts mehr, der hier wäre hin, man müsse ihn beichten lassen, denn es könnte nicht mehr lange dauern.

Keine Frage, wie kummervoll und gramzerrissen Fiametta war, was endlich dem Abscheidenden mehr brannte als sein eigenes Unglück, so, daß er sie zunächst einmal tröstete, und dann ein Testament aufsetzte, in dem er, da keine Erben vorhanden waren, alles seiner Frau hinterließ, sie zur Haupterbin alles beweglichen und unbeweglichen Guts sonder Verpflichtung noch Last machte, um ihr auf diese Art vor allen die tiefe und unvergleichliche Liebe zu beweisen, die er gegen sie fühlte. Fiametta, im Herzen voll heller Freude, heulte lauter, als wollte sie ihren Tränen gänzlich zerweichend, die Seele nachschicken, und dies auf eine Art, daß Ser Anastagio mit guten Worten ihr immer Trost und Geduldung zusprach. Er ließ sie ansehen, wie sie doch reich zurückbliebe, bat auch nur um einen Dienst, sie solle sich entweder nicht wieder verheiraten und in dem Falle alles dem Waisenhause hinterlassen, oder, wenn schon wieder verheiratet, solle sie ihrem Erstgeborenen zur Erinnerung an ihn den Namen Anastagio geben Die Frau schwamm in Tränen fort, versprach alles, die Wunde aber verschlimmerte sich, und eh die Sonne unterging verlor er die Sprache und starb zur Nacht. Fiametta, die vor Vater und Brüdern erschrecklich jammerte, brachte ihn am nächsten Tage auf die vornehmste Art zu Grabe; der alten Magd, die dem Hause so lange gedient hatte, gab sie reichlichen Lohn und entließ sie; die junge verheiratete sie. Sie selbst, reich nun und jung, beschloß, dem Willen ihres Vaters und aller anderen Verwandten entgegen, wieder zu ehlichen; sie erinnerte sich an ihren Doktor Giulio, hatte als einen treuen und franken Kavalier ihn immer vor Augen, leitete denn auch mit ihm die Verbindung ein, was leicht war, da er auch aus vielen Gründen die Heirat wollte; so beschlossen sie endlich ihre Ehe in der sittsamsten Weise; lebten lange zusammen in Eintracht, Wohlhabenheit, immer zufriedenem Herzen; mehrten ihre Habe und bekamen Kinder; Fiametta hielt ihr Versprechen, das sie ihrem Manne gegeben, und nannte ihrer neuen Ehe ersten Sohn, Anastagio.

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