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Vorwort

Die Novellen dieses Bandes beginnen in der Zeit der unmittelbaren Nachfolge des Boccacc; sie enden mit Marsili im Anfang des 18. Jahrhunderts. Ihre Abfolge ist chronologisch, soweit die manchmal ungewissen Lebensumstände der Autoren eine genaue Zeitsetzung ermöglichten. Ihr Beginn bezeichnet die Zeit, da das Erscheinen des Dekameron, dieser gültigsten Schöpfung der italischen Renaissanceprosa, mit eins die Maßstäbe für Prosadichtung, sowohl was die Form, das Novellenmäßige, als auch was das eigentlich Inhaltliche dieser Erzählungen betraf, höherrückte. Es sei sogleich gesagt, daß niemals, weder in einzelnen Stücken noch in Cyklen, jene völlige Geschlossenheit, organische Fügung des Ganzen, jene Leichtigkeit der Ordnung, Gleichgewicht und gefällige Bewegung der erzählerischen Massen, weder die Eleganz der Sprache noch die Ursprünglichkeit der Erfindung in späteren Werken wieder erreicht wurde. Boccaccio begann und vollendete im Dekameron die eine geistige Ausprägung einer Epoche, deren andere die Divina Commedia darstellt. Die unermeßliche Spannungsebene dieser Zeit ist mit den polaren Erscheinungen des Dante und des Boccacc bezeichnet. Kunstdichtung wie Populardichtung der Renaissance – wenn diese groben Begriffsbildungen stehen bleiben sollen – treten in diesen beiden originalen Schöpfungen zu ihren gültigsten höchsten Ausprägungen zusammen. So verbleibt also das Dekameron als eines der großrepräsentativen Dokumente dieser Zeit, dessen einzigem Wert sich eine Sammlung der späteren bedeutenden Novellistik nur im Sinne der Ergänzung, der Abwandlung – wenn auch in manchmal reichem, an sich beträchtlichem Ausmaß – anfügen kann. Stücke des Dekameron der Auswahl einzuordnen, ist einmal aus der natürlichen Achtung vor der Einheit dieses geschlossenen Kunstkörpers nicht möglich gewesen, es verbot sich zum andern aus der vorgesteckten Absicht der Herausgabe, die dem, allen Gebildeten zum selbstverständlichen Besitz gewordenen Zentralwerk des Boccacc die unbekannteren Stücke älterer italischer Novellendichtung hinzufügen wollte.

Die Auswahl hatte zweifache Begrenzung, sie beschränkt sich auf das Wesentliche; und sie war gehalten, die erotischen Vorwürfe zu wählen. Sie ist also einmal keine fortlaufende, Glied an Glied fügende Sammlung des alten Erzählungsbesitzes; die zeitlichen Spannen zwischen den einzelnen Autoren sind manchmal groß; sie hat nur das Bedeutsame dieses reichen Produktionsfeldes zusammengestellt und erlaubt eine Überschau über den ganzen historischen Bereich von der Renaissance bis zum Rokoko nur in großen allgemeinen Grundzügen. Indessen ist, was in einem großen Kreis lebendige Anteilnahme noch wecken kann, was zur Bildung eines Totaleindruckes dieser literarischen Aera wesentlich gehört, in dem vorliegenden Bande enthalten. Die zweite Beschränkung, die der Stoffwahl, ist fast keine. Der Motivenkreis aller Erzähler faßt so durchgehend erotische Momente in sich ein, daß kein wichtiger Name ausgeschlossen werden brauchte, da das Werk aller sich um dieses Lebensphänomen beinahe wie um einen unbedingten Mittelpunkt zusammenschließt. Erotik war eine aus Zeit und Anlage der Rasse natürlich sich ergebende Atmosphäre nicht nur des vitalen, auch des geistigen und künstlerischen Bereiches. Die Darstellung und Abwandlung dieses Vorwurfes ist unbegrenzt; ihre Spiegelungen begreifen so weitgehend alle übrigen Lebensinteressen ein, empfangen von ihnen Rundung, Abschließung und leihen an sie Farbe und dauernde Lebendigkeit zurück, daß es klar wird, wie naturgemäß eine Auswahl altitalienische Novellen zugleich eine solche der Eroshuldigungen sein kann.

Dieses Moment des Erotischen ist kein stoffliches, vorgefaßtes Motiv, sondern mehr ein Einbeziehen vorhandener elementarischer Kräfte im Sinne ihrer gestaltenden Begrenzung und ironischen Fesselung. Es ist vom Erosdienst des 18. Jahrhunderts wesentlich unterschieden durch die größere Naivität, Freiheit, Durchsichtigkeit seiner künstlerischen Spiegelungen. Die Liebeserzählungen bei Boccacc, Bandello, Firenzuola, Straparola sind unvergleichlich ursprünglicheren Wesens als etwa die der französischen Erotiker des Rokoko; ihre Heiterkeit vergeistigt sie; ihre Deutlichkeit bleibt in der einfachen linearen Schilderung liebenswürdig; das Moralische ihrer Unmoralitäten wird, wie früher von Lukian, Petron, wie später etwa noch von Rabelais, durch die Souveränität der Darstellung und die fühlbare Natürlichkeit ihrer Schöpfungen jedem unbefangenen Geist zur Gewißheit.

Historische Anmerkungen beizufügen konnte füglich unterbleiben; über zeitlichen Bestimmungen, literarwissenschaftlichen Details steht die unmittelbar lebendige künstlerische Gestalt, sie allein sichtbar zu machen, war hier die Aufgabe. Den Übertragungen wurden, soweit nicht Neuverdeutschungen notwendig waren, Adalbert von Kellers Arbeiten zu Grunde gelegt. Alle von ihm übernommenen Novellen sind durchgehend revidiert; alle Texte blieben ungekürzt und folgen getreu den Originalen.

Walther Petry.

 


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