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Johann Jakob Bär

Das Schneeglöckchen.

Zwar du trägst noch die Farbe des Winters, doch sei mir willkommen!
Lieblich kleidet das Grün freudiger Hoffnung dein Blatt.

*

Die Tulpe

Eiteler Leichtsinn! Jeglichem Sonnenblick öffnest den Kelch du,
Wenn auch der feurige Blick bald dir die Blüthe verzehrt.

*

Reseda.

Nimmer erfreut die Reseda das Auge, doch streut sie Gerüche;
Geistige Schönheit erstreb', mangelt die liebliche dir.

*

Die Kornähre.

Schönheit, Geruch, – wol fehlen sie beide der nützlichen Aehre:
Oft in ärmlicher Hüll' birgt sich ein köstlicher Kern.

*

Die Nachtviole.

Gleich dir, stille Viole! die Nachts am lieblichsten duftet,
Strahlt in des Leidens Nacht Hoffnung noch einmal so mild.

*

Die Schneeblume.

Wenn auch die Blüthen rings alle erstarren, du blühest und grünest:
So trägt Dichters Gemüth immer den Frühling in sich.

*

Schein und Werth.

»Wie schwach und matt ist doch dein Glanz!
Man übersieht dich wahrlich ganz,
Wo sich mein strahlend Licht entzündet«
Die Flamme rief's dem Glühwurm zu.
Der Wurm erwiederte mit Ruh:
»Wohl wahr, jedoch dein Glanz verschwindet,
Wenn man dir keine Nahrung schafft;
Ich aber leucht aus eigner Kraft.«

*

Erdennoth.

Die junge Tanne hört ich klagen:
»Wie bin ich so beengt! es ragen
Um mich die Bäume allzudicht!
Vergeblich ist mein schönstes Ringen.
Mich aus der Tiefe aufzuschwingen,
Weil mir der freie Raum gebricht.«

Da sprach ein Tannbaum, reif an Jahren,
Im Lauf der Dinge wol erfahren:
»Mein Kind, du redest gar nicht klug!
Wo Tannen dicht beisammen leben,
Befördert es ihr Aufwärtsstreben;
Erfahrung lehrt dich klar genug.

Wär's dir vergönnt dich auszubreiten,
Ganz ungestört, nach allen Seiten,
Du würdest nie ein hoher Baum.
Doch so beengt von Außendingen,
Wirst du gemahnt, dich aufzuschwingen,
Zum hohen, freien Himmelsraum«

*

Die Kraft des Sprichwortes.

Sprichwort ist ein köstlich Ding!
Goldne Frucht in Silberschalen!
Klein ist's; doch, dem Auge gleich,
Faßt's in sich ein weites Reich.
Gießt um sich der Weisheit Strahlen!
Sprichwort lehret kurz und klar
Lebensweisheit tief und wahr:
» Sprichwort wahr Wort
Sprichwort wirket wunderbar!

Sprichwort ist ein köstlich Ding!
Reißt den Mann zu großen Thaten.
Schwanket erst der kühne Sinn
Vor des Riesenwerks Beginn,
Schnell und fest ist er berathen,
Wenn ein Sprichwort voll Gewicht
Flammend an die Seele spricht:
» Wäg's, dann wag's
Und er wagt und zweifelt nicht.

Sprichwort ist ein köstlich Ding!
Stehst du auf des Glückes Zinnen,
Schwillt die männlich freie Brust
Hoch voll Kraft und Thatenlust,
Willst du allzu rasch beginnen
Die verweg'ne große That,
Gibt das Sprichwort weisen Rath:
»Eile mit Weile!«
Führt dich auf den sichern Pfad.

Sprichwort ist ein köstlich Ding!
Kann das herbste Leid versüßen!
Wenn auch Mond und Stern erbleicht,
Jeder Hoffnungsschimmer weicht,
Und des Kummers Zähren fließen,
Dann, wie Flöten süß und rein,
Weht's in's bange Herz hinein:
»Zeit bringt Rosen!«
Balsam für des Herzens Pein!

Sprichwort ist ein köstlich Ding!
Schwebt auch deines Lebens Nachen
Bald im Dunkel, bald im Licht,
Sprichwort lügt und trüget nicht,
Einst wird dir entgegen lachen
Der ersehnte Friedensport,
Klingen dir das süße Wort:
»Ende gut, Alles gut!«
Steure muthig immerfort!

*


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