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Johann Rudolf Wyß, d. J.

Heimweh.

Ich kann's nicht bergen, kann es nicht verhehlen,
Daß meine Seele tief sich grämt und härmt,
Daß Thränen sich aus meinen Augen stehlen,
Und in die Ferne mein Gedanke schwärmt,
Daß alle Freuden meinem Herzen fehlen,
Auch wo des Festes hoher Jubel lärmt,
Daß all mein Fühlen, all mein Denken, Sinnen
Mit Macht, mit Macht mich rastlos drängt von hinnen.

O gieb, Erinnerung, gieb mir deine Flügel
Und laß mich zu der theuren Heimath zieh'n;
Zur guten Stadt, die an der Aare Spiegel
In alter Zeit sich lagerte dahin, –
Die freundlich sichernd auf dem festen Hügel
Mir Väter ließ und edle Mütter blüh'n, –
Die hold auch mich an ihrer Brust geheget,
Und meiner Jugend liebevoll gepfleget.

Du theure Stadt! ach wann aus fernem Lande,
Wann kehr' ich jauchzend heim in deinen Schooß?
Wann läßt das Schicksal vom entlegnen Strande
Den Festgeketteten erbarmend los? –
Ha, wann sie bricht, die Kraft der eh'rnen Bande,
Die meinen Fuß an fremden Boden schloß,
Dann will ich rüstig, wie auf Adlers-Schwingen,
Mit Freudensang zu deinen Thoren dringen.

Nicht zürne mir, du Sohn der fernen Gaue,
Daß fort von deiner Flur mein Geist sich sehnt!
Gieb deine Hand, und komm, und schaue
Wohin mein Wunsch den regen Fittig dehnt!
O hilf, wenn ich mir dort die Hütte baue,
Die schon mein süßer Traum vollendet wähnt!
Von ihrer Ruh', von ihrem stillen Frieden
Hat dir mein Herz den bessern Theil beschieden!

Ach bis sie schlägt, der Heimkehr goldne Stunde,
Wie lastet jeder Tag so schwer und schwül!
Die Sehnsucht nagt im tiefsten Herzensgrunde
Und all erstorben ist der Lust Gefühl!
Wie viele Seufzer reißen sich vom Munde!
Wie schwindet hin der Kräfte Lebensspiel! –
O Phantasie, laß tröstend mir erwachen
Der Heimath Bild in seines Reizes Lachen!

Was dämmert dort am fernen Himmels-Kreise?
Mir bebt Entzücken durch das volle Herz!
In ihrem ewig unbeflecktem Eise,
Vom Grau der Erde steigen himmelwärts
Des Vaterlands uralte, hehre Greise,
Und all vergessen ist mein wilder Schmerz; –
Helvetiens Gipfel strahlen mir entgegen! –
Ihr Berge Gottes nehmt den ersten Segen!!

Und mehr und mehr seh ich das Land entfaltet,
Der Alpen Duft weht mich balsamisch an,
Mit Liebe hat der Schöpfer hier gewaltet,
In Thal und Hain und auf der Matten Plan,
Wie Tempel hat die Fluren er gestaltet;
Mit Paradieses Macht sie angethan. –
Ich dringe vor, – das Herz in süßen Stürmen; –
Da sieh die Vaterstadt mit ihren Thürmen!

O seid gegrüßt, ihr vielgeliebten Hallen,
Wo ich als Kind so froh, so selig war!
Vertraute Stimmen hör' ich wieder schallen,
Und alte Formen stellen rings sich dar.
Ach vor des Geistes Blick vorüberwallen
Der Jugend Freudentage zaubrisch-klar!
Und daß ich ganz den Kelch der Wonne sauge,
Sieh meine Lieben vor dem trunknen Auge!

Da naht der Vater, den mir Gott gegeben,
Der Mann, an dem mein Herz verehrend hängt,
Der Weise, der mich treu geführt durchs Leben,
Auch wo die Bahn sich wirrt und furchtbar engt.
Im Fluge laß an diese Brust mich schweben,
An die mein Dank sich heiß und glühend drängt! –
O dürft' ich jetzt auch nach der Mutter fragen!
Doch, ach, sie wurde längst zur Ruh' getragen!

Wo aber weilst du, Mädchen meiner Liebe,
Das ich vergebens einst um Huld gefleht?
Ich habe dir bewahrt die Gluth der Triebe,
Kein Sturm hat ihre Flammen mir verweht.
Ich wagte Hoffnung, wenn es rein dir bliebe.
So würde nicht mein treues Herz verschmäht. –
Ich forsche zitternd nun mit scheuem Sinne.
Ob so geprüfter Dienst jetzt gewinne?

Und nun zu euch, ihr Freunde meiner Seele!
Willkommen all im trauten Vaterland!
Wohl mir, daß euren Kreis noch voll ich zähle,
Wie biet' ich freudig euch des Grußes Hand!
O, daß hinfort kein Scheiden mehr uns quäle,
Bis später Tod zertrennt der Liebe Bund!
Ihr Theuren auf! ein heilig Fest begonnen,
Da unsre Seelen wieder sich gewonnen.

Wie manches Herz fühl ich an meinem schlagen!
Wie manchen Bruder schließ' ich an die Brust!
Verhallt sind meiner Sehnsucht bange Klagen,
Und keines Grams ist mein Gemüth bewußt.
O, nach der Trennung dunkeln schwülen Tagen
Wie labt so süß des Wiedersehens Lust!
Wem dieser Himmel nie sich aufgeschlossen.
Hat nie des Lebens Seligkeit genossen!

*

Die Erde und die Sterne.

Einst, in nächtlich stillem Dunkel.
Rief, von ihrem düstern Pfade,
Zu der Sterne lichten Chören
Mutter Erde klagend auf:

»Ihr Beglückten, die da droben
Durch des Himmels Auen wandelt,
Einen Blick nur des Erbarmens
Sendet nach der fernen Schwester,
Die hinieden wallt in Trauer
Auf umwölkter, öder Bahn! –

Trauern muß ich um mein Liebstes,
Ach um all die theuren Kinder,
Die, zu meines Herzens Wonne,
Pflegend meine Brust ernährte;
Trauren muß ich, daß in Hader
Und in Gier, in Zorn, in Lüsten
Ewig ihre Seele glühet,
Und von Trug und Wahn umschlungen
In des Irrthums trübem Pfuhle
Tief ihr edler Geist versinkt.

Milde Sterne, gute Brüder!
Darf in eure hehren Kreise
Nicht ich die Geliebten tragen,
Daß des Himmels Licht und Friede
Labung ihrem Herzen sei?« – –

Also zu den Sternen flehend
Rief der Erde banges Seufzen,
Und die Steine gaben freundlich
Ihr ein tröstend Wort zurück:

»O du vielgeliebte Schwester,
Traure nicht um deine Kinder,
Daß auf jenem dunkeln Pfade,
Wo du mütterlich sie leitest,
So gebrechlich ihre Tugend,
Ihre Weisheit trüglich ist. –

Zwar in unsre stille Höhen
Darfst du nimmer selbst sie tragen
Deines Kummers schwache Söhne;
Denn in unserm Flammenstrahle,
Der das Irdische verzehret,
Müßten mit dem Leib von Staube
Sie verschmachten und vergeh'n.

Aber dulde dich, und wiege
Fürder sie mit alter Treue
Liebevoll im weichen Schooße;
Leite fürder sie zu Spielen
Die so zarter Jugend eignen;
Laß sie Kraft und Muth versuchen,
Laß sie streben, laß sie ringen,
Laß ihr kleines Werk sie treiben,
Und nach ihrem Heizen thun! –

Sieh! geliebte Schwester, sinnig
Blicken wir auf all das Leben,
All' die tausend Spiele nieder;
Bis zu hohem Ernst der Tugend,
Bis zu kräftig-kühnem Wirken
Still die schwachen Kindlein reifen,
Die du zärtlich jetzt beweinst.

Freundlich dann aus unseren Höhen
Steigen wir hinab, und leise,
Von bewährten, edlen Seelen,
Die zu freiem Flug sich regen,
Streifen wir des Leibes Fessel,
Und in himmlische Gefilde
Heben wir sie sanft empor.« – –

Also rief der Chor der Sterne
Mit der Liebe süßen Tönen,
Trost der Schwester Erde zu. –

Froh nun wallt in stillem Hoffen
Sie dahin auf dunkelm Pfade,
Treu bemüht voll Muttersorgen,
Rastlos ihre theuren Kinder
Aufzuzieh'n für jene Welten,
Wo das Licht des Ewig-Wahren,
Und die Kraft des Einig-Guten,
Und die Seligkeit der Herzen,
In gedieg'ner, reiner Fülle
Strömt, und immerdar wird strömen
All den auserkohrnen Seelen,
Die hinauf vom Schooß der Erde
Nach dem Himmlischen verlangen,
Und geprüft sind und bewährt.

*

Regentenlast.

Ein Schwank.

In einer alten guten Stadt,
Die Rath und Bürgermeister hat,
Vor Zeiten saß ein Edelmann
Mit Ehr' und Frommkeit angethan;
Der ward zum höchsten Regiment
Von aller Bürgerschaft erkennt,
Und führt das Amt in Ruhm und Preis
Gar ritterlich, gerecht und weis.
Drob freut er sich in seinem Sinn,
Und denkt zufrieden vor sich hin:
»Nichts in der Welt doch alle Frist
Wie Regiment so löblich ist!
Von Groß und Klein, von Arm und Reich
Thut's Keiner mir an Mühe gleich;
Ich trag' ein' Bürde groß und schwer.
Wo trägt und schafft ein And'rer mehr?«

Derselbig Burgermeister lag
Auf seinem Schloß an einem Tag,
Im weiten Feld mit Kind und Weib,
Thät gütlich pflegen seinen Leib.
Drauf, als zur Stadt er wiederkehrt,
Beritten, zierlich, wohlbewehrt
Am Morgen früh zu guter Zeit,
Da kaum der Hahn im Hofe schreit,
Vergißt er, wie's in Eil sich trifft,
Ein Bündlein köstliche Geschrift,
Die sollt er nicht dahinten la'n,
Er mußt' sie heut' im Rathe ha'n. –
Und als ein Stündelein im Trab,
Er frisch geritten Thal hinab,
Da sinnt er dran und schlagt im Zorn
Die Faust sich auf die Stirne vorn,
Und schwört ein Zeichen oder vier,
Und schimpfet was von Müllerthier.

Indem so sitzt am Wege nah
Ein Hirtenbub, der hütet da,
Und Geißeln wimmeln rings umher.
Als ob's ein Haufen Emsen Ameisen. wär.
»Ey,« fällt dem Bürgermeister ein,
»Der soll mein Botenläufer sein!
Denn kehr' ich selber um nach Haus,
So lacht die Frau mich übel aus.«

Er ruft den Jungen stracks herbey
Und giebt ihm blanker Batzen drey,
Und spricht mit ihm ein freundlich Wort:
»Du! lauf zum alten Schlosse dort,
Der Edelfrau, 'nen hübschen Gruß!
Ein Bündlein Schrift da liegen muß,
Im Eisenkasten rechter Hand
Bei meinem Schragen an der Wand, –
Das soll sie senden alsobald,
Ich hätt' es früh vergessen halt!«

Der Junge drauf mit freyem Muth:
»Gar wohl mein edler Herre gut!
Doch wahret auch inzwischen mir
Der Geißen und der Böcke hier.«
Mit dem, so giebt den Hirtenstab
Er flugs dem edlen Ritter ab,
Und weil's da Niemand sehen kann,
So nimmt auch der den Stecken an.
Da läuft der Knabe tapfer fort
Und läßt den Herrn an seinem Ort.

Der stieg vom hohen Rosse jetzt
Und lachend sich in's Grüne setzt. –
O weh, da kömmt ein böser Geist,
(Weiß nicht mit Namen, wie er heißt,)
Und gleich auf all' die Geißen her
Und jagt sie rasend kreuz und quer. –
Zwey setzen durch den nahen Bach,
Drey laufen scharf dem Hirten nach,
Ein Häuflein rennt in's junge Korn,
Die Größte bricht durch Zaun und Dorn,
Viel streiten sich mit hartem Stoß,
Und Noth und Pein wird übergroß,

Der Ritter fährt im Zorn empor
Und springt den einen hastig vor,
Und wirft mit Steinen auf die drey,
Und packt am Ohr die tollsten zwey,
Und scheidet dort den wilden Strauß,
Und theilet Puff und Prügel aus,
Zerreißt den Mantel sich im Dorn,
Verliert im Gras den rechten Sporn,
Beschmutzt die Stiefel um und um,
Und tritt den Sporn am Linken krumm;
Doch bald der Spuck ihn herb verdrießt
Und Schweiß in Bächen von ihm fließt.

Indem so kömmt zum guten Glück
Der Hirt in strengem Lauf zurück,
Und bringt die Schrift und nimmt den Stab,
Dem Bürgermeister wieder ab.

Der wischt die naße Stirn und spricht:
»Bey Kreuz und Stern! das dacht ich nicht,
Daß Geißenhut so voller Noth;
Der Hüter ißt ein saures Brod!
Ich dacht', wie gar so wunderschwer
Mein Amt und Regiment mir wär',
Nu merk' ich, daß ein schlechter Hirt
Viel ärger noch geplaget wird.«

*

Was heimelig syg.

»Was ist doch o das heimelig?
'S ist so-n-es artigs Wort!
'S mueß öppis guets z'bidüte ha,
Me seit's vo liebe Lüte ja
Vo mängem hübsche-n-Ort!« –

Chumm her und los'es chlyseli,
Mir wei's erduure fry! –
'S ist nüt vo prächtig, nüt vo groß;
Es glychet weder Stadt, no Schloß,
'S ist ehnder schmal und chly.

Uf höche Berge findsch es nit,
Und chuum am wyte See;
'S isch nit im breite Spiegelsaal;
'S isch eh versteckt im enge Thal,
Am Wäldli-Hubel eh.

Keis zierlich neus und stattlichs Hus
Het's dickisch im Verlag;
Viel lieber wohnt's i Hüsene,
I subre-n-alte Stüblene.
Wo d'Sunne zueche mag.

A' d's Fenster sitzt es mängisch da,
Wenn Nebelaub dra stygt,
Wenn vorni-zu der Garte blült,
Und grün e dunkli Laube trüit,
Und als drum ume schwygt.

Z'Mittag im heitre Sunneglanz
Isch's nit so gern bi'r Hand;
Doch wenn der Mohn am Himmel steit
Und d's Abedsterndli füre geit,
De düüßelet's i-d's Land.

Und wo-n-es herzigs Päärli chüßt
Bim Oepfelbaum am Bach,
Und Chindlene drum ume sy,
Und recht e guete Freud derby,
Da het's die beschti Sach.

Zu große Herre chunt es nit,
Es flieht sie mängisch gar;
Hoffährtig Fraue hasset's frey,
Und so die rässe-n-o-ne-chley,
Der Grund isch öppe klar.

Süst het's die guete Wybli gern
Und bravi Töchterli;
Es werchet mit 'ne früh und spat,
Es plaudret mit 'ne chrumm und grad
U-zellt 'ne Ständleni.

So z'mitzt im Winter bim Kamin,
Wenn Alt's und Jung's si freut,
Es Bitzli singt, es Bitzli lacht
Und zwüsche dure Pößli macht,
Da hilft's ech, was der meut!

Wenn b'sunders de-n-e Großpapa
Mit Chindeschinde lehrt,
Wenn d'Großmamma 'ne Chirse bringt,
Und alles a si use springt,
So heimelet-es dert.

Churzum, wo d's Herz im Lyb der seit:
»Wi tusigs wohl bi-n-ig!«
Wo-d' wie daheime wohne magst,
Und süst na keine Güetre fragst,
Da isch es heimelig!

*

Die Schweizerdichter.

Treu dir selber erziehst du, mein Vaterland! ähnlich dir selbst auch
Einen gepriesenen Schmuck, Sänger von edlem Gemüth.
Steht gleich Alpen ja doch urgroß und gediegen und furchtbar,
Haller, bewundert und hehr, strebend zum Himmel hinauf!
Aber wie freundlich das Thal, mit Auen und Gärten und Hainen,
Sanft an Bächen sich schlingt, Geßner! so war dein Idyll.
Und wie die Väter so stark, so gewaltig zu Kämpfen und Siegen,
Tönt aus Lavaters Brust kräftig ein biederes Lied.
Doch wie die Jungfrau'n zart, erröthend und sittig erscheinen, –
Also der süße Gesang, welchen uns Salis verlieh.

*

Das Gesicht im Grütli.

Die Sonne sank auf ihres Laufes Bogen,
Und Lüfte hauchten in des Mittags Schwüle;
Des Himmels Vögel, die dem Brand entflogen,
Ermunterten sich flink zu neuem Spiele;
Noch war der Abend nicht heraufgezogen,
Doch schmeichelte den Wangen Abendkühle,
Da hoben sich vom Grund erquickt die Heerden,
Der schönbeblümten Weide froh zu werden.

An Rütli's grünem buschumwachsnem Hange
Saß bei den Ziegen Heinrich stillvergnügt,
Er war entschlummert, schlummerte zu lange,
Da schon zum Scheiden sich die Sonne fügt; –
Jetzt wacht er auf und zählt die Häupter bange,
Zu deren Hut er an dem Berge liegt; –
Doch mag in Aengsten er auch dreimal zählen,
Zwei allzukühne muntre Böcklein fehlen!

Und fort der Hirt! und stracks in schnellem Fluge
Hinauf, hinan, durch Busch und Felsentrümmer!
Oft hört er schon zu tückischem Betruge
Der Böcklein Ruf; – die Klippe drohet schlimmer,
Doch stürmt er vor in ungehemmtem Zuge,
Dann blickt er hin, und sieht und hört sie nimmer,
Und kömmt in Dorn und Reisig jetzt zu stehen,
Daß keinen Schritt er fürder weiß zu gehen.

Und, Wunder, in des Laubes dunklem Schatten,
Wohin sein Fuß zu klimmen nie gewagt,
Wo seine Blicke nie geforschet hatten,
Und kaum in blätterlosem Herbst es tagt,
Wo, von der Welt geschieden, um den Gatten
In ödem Holz die Turteltaube klagt,
Da zeiget jetzt dem Hirten, angelehnet,
Sich eine Pforte, die er eisern wähnet.

Ein kalter Schreck durchzittert seine Glieder,
Was soll er ahnden in des Dickichts Nacht?
Er schauert auf, er spähet hin und wieder,
Denn eine Räuberschaar, auf Mord bedacht,
Stürzt alsobald, so glaubet er, hernieder,
Vom dumpfen Halle seines Tritts erwacht; –
Schon will er flieh'n, – doch rings ist Todeschweigen,
Nur spielt der Wind unschuldig in den Zweigen.

Da faßt er Muth, da regt die Neugier sich,
Da denkt er: Schätze sind allhier Verborgen! –
Auf! ruft sein Herz, auf, und ermanne dich! –
Was sollt' ich an dem stillen Nain besorgen?
Kein fremdes Angesicht erschreckte mich,
Da jeden Abend längst und jeden Morgen
All meines Hirtens ungetrübte Stunden
Mir immer gleichen Fluges hingeschwunden.

Er dringt hinzu, beherzt und voll Vertrauen,
Er ziehet auf die Wucht der Riegelthür,
Er schreitet vor in's Dunkel sonder Grauen,
Bequem ist's in dem Gange für und für;
Bald läßt ein zweites festres Thor sich schauen,
Und jetzt ein drittes, furchtgebietend schier;
Doch alle knarren auf beym ersten Rucke,
Die Stille wächst; kein böser Geist, der spucke!

Da wird es wundersam urplötzlich Tag,
Sobald sich aufgethan die dritte Pforte;
Doch keiner ist der ganz verkünden mag,
In Bild und Zeichen und durch Menschenworte,
Was vor des Hirten starrem Auge lag,
Da jetzt er kam zu tiefgeheimem Orte,
Den in Vierhundert abgeflossnen Jahren
Kein Herz geahnt, kein Menschenfuß befahren.

Nicht sprech' ich aus, wie schön in sanftem Glanze
Die Wölbung rings sich weitete zum Saal,
Da klar von leuchtendem Crystallenkranze
Sich Licht ergoß, so mild wie Mondesstrahl;
Denn Funken wirbelten im Geistertanze
Mit leiser Regung ohne Maß und Zahl;
Sie tauchten auf, sie schwammen hin, sie starben,
Und spiegelten zehntausend Blumenfarben.

Des Feuers Born, aus dem hervor sie brennen,
Vor Allem ist er hehr und sonderbar,
Denn jene Treuvereinten muß ich nennen,
Die sich zum Hort Helvetiens gebahr:
Die Bundesbrüder, die wir feiern kennen.
Seitdem der Schweizer Volk sein eigen war;
Sie find's; sie harren da zur heil'gen Stelle,
Und ihre Häupter sind der Strahlen Quelle.

Hochwürdig sitzen rückwärts sie gelehnt
In köstlich-ausgeschnitzte Fürstenstühle,
Die Kraft der Füße vor sich hingedehnt,
Als läge sie bequem auf weichem Pfühle;
Das Haupt entblößt, wie wenn sie heiß ersehnet,
Der Kühlung sich zu freu'n nach Tagesschwüle. –
Rein, alterthümlich-schön sind die Gewänder,
Nicht eitel ausgeziert durch Schnitt und Bänder.

Gleich Götterbildern aus uralten Zeiten,
Gleich den Aposteln selbst, der Kirche Zierden,
Die Hände faltend, ruh'n die Benedeiten.
Erlöst von allen tausend Lebensbürden;
Ihr Angesicht verkündet Seligkeiten,
Kein roher Zug spricht irdische Begierden;
Der Friede Gottes weht um ihre Wangen.
Sie scheinen heim zur Himmelslast gegangen.

Doch leben sie, – denn leise leise wallet
Das Silberhaar, das vorn die Brust umschwebt;
Ihr stiller Athem, der gedämpft nur hallet.
Er ist's, der sanft empor die Bärte hebt;
Auch steh'n die Schwerdter, von der Huft geschnallet.
Da wo verschränkt die Macht der Hände strebt;
Denn, gleich als flehten sie um Siegesehren,
Sind Alle kampfbereit mit blanken Wehren.

Und wie vor des entflammten Busches Gluth
Einst Moses niederfiel zum Staub der Erde.
So wirft der Hirt, in gottergriffnem Muth.
Sich auf das Knie mit staunender Gebärde. –
Voll bangen Ahnens zögerte sein Blut,
Was ob dem herrlichen Gesicht ihm werde:
Des Todes schuldig dünkt ihm, wer geschauet.
Was seinem Blick ein seltner Stern vertrauet.

Kein Gotteshaus, wenn alles Volk in Thränen
Mit unaussprechlich tiefer Rührung schweigt;
Wenn alle Herzen sich zum Vater sehnen,
Und jeder Busen unter Seufzern steigt;
Wenn ihren Herrn genaht die Frommen wähnen,
Und vor des Geistes Aug' er mild sich zeigt; –
Kein Gotteshaus kann stiller sein und hehrer,
Als diese Schlumm'rer sind und ihr Verehrer.

Doch endlich bricht die große Schweigensfeier;
Denn länger halt der zage Hirt sich nicht.
Es glüht in ihm ein unbekanntes Feuer,
Sein Herz ist voll; – das göttliche Gesicht,
Dem Sohn der Weihe segensvoll und theuer,
Ist dem Erschrocknen Drohung zum Gericht;
Mit Beben ruft er aus: »O Gnad', ihr Väter!
Ich kam nicht her als frevler Missethäter.« –

Und alsogleich, da dieses Wort erklungen,
Bewegt sich Kraft in der Entschlafnen Brust,
Wie wenn Posaunenklang in's Grab gedrungen,
Und Staub erwacht zur Auferstehungslust;
Es heben sich, des Traumes Band entrungen,
Der Greise Häupter, rasch und allbewußt.
Aufleuchtend, wie die Himmelsstern im Dunkeln,
Beginnt ihr ernster Heldenblick zu funkeln.

Er schießet stracks, und gleich des Blickes Pfeilen,
Sofort dem Jüngling zu, der auf den Knien
In steter Angst gezwungen ist zu weilen,
Ob Sorg' und Furcht ihn auch von dannen ziehen;
Vergeblich will er längst im Sturm enteilen,
Die Ferse, wie gebannt, versagt zu fliehen;
Es klopft sein Herz mit ungestümen Schlägen,
Nicht schauen darf er mehr und nicht sich regen.

Doch schreckenlösend, hold und freundlich schwinget
Dem grauen Walter Fürst vom Munde schon
Ein trautes Wort sich, das herüber klinget,
Wo Heinrich bebet vor dem ersten Ton. –
Mit Vaterstimme, die durch's Inn're dringet,
Entfleucht dem Greis: »Willkommen guter Sohn!
Dich sendet Gott, hienieden uns zu künden,
Wie spät die Zeit, in der wir jetzt uns finden.«

So milde Red' ist allen Trostes voll,
Und ungesäumt ermuthigt sich die Seele
Dem Hirten, der so Leichtes melden soll;
Und ohne daß er Worte zaudernd wähle,
Da hurtiger sein Blut nun wieder quoll,
Besinnt er kurz sich, was der Zeiger zähle,
Und spricht bescheiden, doch ohne Zagen:
»Erst hat die Abendglocke vier geschlagen!« –

Jetzt flieget sanft, wie froher Engel Flüge,
Ein Lächeln über das Gesicht der Greise;
Verklärter schimmern ihre hohen Züge,
Sie schütteln allzumal den Nacken leise;
Nicht that die Antwort ihrem Sinn Genüge,
Sie dachten nicht an unser Stündlein Weise. –
Drum noch einmal der älteste der Helden:
Du sollst das Jahr des Welterlösers melden!

»Eintausend« ... sprach der Hirt mit schnellem Dienen ...
»Und siebenhundert neunzig ist's und acht.« – –
Urplötzlich mit umwölkten, düstren Mienen,
Wie rasch erfaßt von bittern Schmerzens Macht,
Fährt jeder Greis zurück: es zucket ihnen
Zum Schwert die Faust, als gält' es wilde Schlacht; –
Dann falten enger sie die Händer wieder:
»Das ist nicht unsre Zeit!« – – und blicken nieder.

Drob schwillt der Muth dem Hirten höher an,
Und er begehrt mit brennendem Verlangen,
Was halb er ahnden schon und fassen kann,
In Klarheit eine Kunde zu empfangen,
Ob diese Drei, so seltsam angethan,
Die nun er scharf betrachtet sonder Bangen,
Ob sie die Brüder, die zum Schweizerbunde,
Zuerst geschworen mit verwegnem Munde?

»O,« – ruft er freudig aus des Herzens-Fülle, –
»Stauffacher! Melchthal! Walther Fürst! gegrüßt ...
Gesegnet mir in dieses Berges Stille,
Wo Euer Leben uns versiegelt ist,
Daß noch einmal in Eures Leibes Hülle, –
Wenn unser theures Volk durch Macht und List,
Gedränget wird zu grausem Untergange, –
Daß noch einmal von Euch es Trost empfange.

Ja wahrlich jetzt, wie nie zu keinen Stunden,
Ist hohe Noth, daß helfend ihr erscheinet;
Das Vaterland erliegt an tausend Wunden,
Und jedes seiner Kinder zagt und weinet;
Kein Retter wird dem sinkenden gefunden,
Kein Starker, der zu Sieg uns keck vereinet; –
Ach, Ihr allein, ihr tapfern ersten Tellen,
Seyd auserwählt, den grimmen Feind zu fällen!« –

»Es ist nicht unsere Zeit!« – Mit Einem Schalle
Versetzens noch einmal die heil'gen Drei.
Wehmüthig schien es, daß die Red' entfalle,
Nicht aus dem Herzen flog sie rasch und frei;
Doch mit des letzten Wortes dumpfem Halle,
Beweiset sich, wie festgestellt es sei,
Denn alsofort verschließt die Augenlieder
Ein Jeglicher der Helden schweigend nieder. –

»O Gott! o Gott!« – erhebet sich vergebens
Der Hirt nun klagend in bewegtem Kummer;
Er bittet laut, mit aller Kraft des Strebens,
Nicht löset sich der zauberhafte Schlummer;
Es sinken alle Zeichen ihres Lebens,
Und stummer wird's im Felsensaal und stummer;
Des Odems Hauch, der kräftig erst gewehet,
Wird also still, daß kaum der Puls noch gehet.

Da schlägt ein dreifach Kreuz in Andachtsschweigen
Der fromme Hirt, und kehret sich zurück. –
Mit ehrfurchtsvollem tiefem Niederbeugen,
Mit thränefeuchtem, schmerzerfülltem Blick,
Gedankenschwer läßt er sein Haupt sich neigen;
Ihn rühret inniglich ein solch Geschick:
Daß er die Tellen lebenswarm ersehen,
Und sonder Hülfe doch soll heimwärts gehen.

Trübsinnig wankt er von dem heil'gen Ort,
Und zwischen banger Furcht und beßrem Hoffen
Mit Zauderschritten wallt er langsam fort;
Ihm hat zu tief des Herzens Grund getroffen
Der Greise streng versagend klares Wort. –
Bald winkten ihm die Riegelpforten offen,
Da schritt er vor; – doch hinter ihm zusammen
Erkrachen sie, die Gänge zu verrammen.

Und als er draußen, will er klug sich wenden,
Daß seine Blicke, wenn er wiederkehrt,
Des ersten Thores sich're Stelle fänden,
Durch Zeichen an dem Felsen treu belehrt;
Doch ganz umsonst, daß er mit Fuß und Händen
Des Auges Späherkräfte tastend mehrt!
Auch nicht Ein Riß wird an dem Stein gefunden,
Und jedes Eingangs Spuren sind verschwunden.

Da ward lebendiger sein Geist es inne,
Daß Gottes Segen er anjetzt genossen,
Denn Himmelsgüte nur hat seinem Sinne
Des Felsens wohlverborgne Kluft erschlossen,
Daß Er allein mit glücklichem Beginne,
Vor Allen, die dem Tellenland entsprossen,
Hineingelangt, zu schau'n die hehren Alten,
Die sich den Enkeln dort zum Heil erhalten.

Er kann's nicht lassen, überall voll Freuden
Dem Thale zu verkünden sein Gesicht;
Die schöne Hoffnung bei so bitterm Leiden,
Das mehr und mehr in diese Gaue bricht,
Wie sollt' er sie zu pflegen feig vermeiden?
Der Heimat Flammenliebe duldet's nicht!
Und bald verbreitet sich ein fester Glauben,
Den Afterklugheit nicht vermag zu rauben.

Ein fester Glauben, ja! daß jene Tellen
Dereinst mit altem Muth uns wiederkehren;
Daß auf entweihter Berge Marmorwällen
Sie höhern Völkerkampf uns glücklich lehren;
Daß ihre Zeit wird hoch das Land erhellen,
Jedweder Nacht mit Sonnenkraft zu wehren,
Und auf so finstre Noth, – so banges Klagen,
Den Morgen der Erlösung anzusagen.

Doch wann, o wann wird dieser Tag uns strahlen?
Ach, fragt ihr Brüder, das bewegte Herz! –
Er röthet sich, wenn rings in unsern Thalen
Die Zwietracht schwindet und des Haders Schmerz,
Wenn aus der irdischen Verwirrung Qualen
Wir unsern Geist erheben himmelwärts,
Und Eins an Kraft, an Edelmuth und Tugend
Erglühen zu dem Hochsinn unsrer Jugend.

*

Schwizer-Heiweh

Herz, mys Herz, warum so trurig?
Und was soll das Ach und Weh?
'S ist so schön i frömde Lande!
Herz, mys Herz, was fehlt der meh?

»Was mer fehl'? – Es fehlt mer Alles!
Bi so gar verlohrne hie! –
Syg es schön i frömde Lande;
Doch es Heimeth wird es nie!

Ach, i d's Heimeth möcht i wieder,
Aber bald, du Liebe, bald!
Möcht zum Aetti, möcht zum Müeti,
Möcht zu Berg u Fels u Wald!

Möcht die Firste wieder g'schaue-n
Und die lutre Gletscher dra,
Wo die flingge Gemsli laufe-n,
U kei Jäger fürers cha!

Möcht die Glogge wieder g'höre,
Wenn der Senn uf d'Berge trybt,
Wenn die Chuehli freudig springe-n,
U kes Lamm im Thäli blyht!

Möcht uf Flüeh und Hörner styge,
Möcht am heiterblaue See,
Wo der Bach vom Felse schumet,
Ueses Dörfli wieder gseh!

Wieder gseh die brune Hüsi,
Und vor alle Thüre frey
Nachbarslüt, die fründlich grüeße-n,
Und es lustigs Dorfe hei!

Keine het is lieb hie uße,
Keine git so fründlich d'Hand,
U kes Chindli will mer lache,
Wie daheim im Schwyzerland!

Uf u furt! u füehr mi wieber,
Wo's mer jung so wohl isch gsi!
Ha nit Lust, u ha nit Friede,
Bis ig i mym Dörfli bi!

Herz, mys Herz! i Gottes Name,
'S ist es Lyde, gieb di dry!
Will's der Herr, so cha-n-er helfe,
Daß mer bald im Heimeth sy!

*

Sanct Trutbert und das Krüglein

Gar viel Exempel hat die Welt
Zu Nutz und Lehr' uns aufgestellt;
Doch, meint' ein Mensch, er sei der Mann,
Der scharf nach allen stets gethan,
Und sei auch selbst vor Gott gerecht,
Und nichts da, was zu Schand' ihn brächt':
Ei, spräch ich, Lieber, höre doch
Die Sage von Trutbertus noch. –

Sanct Trutbert, aus gar edlem Blut,
An Ehren reich, an Geld und Gut,
Um Christi Wort, mit frommem Sinn,
Gab all sein' Pracht und Macht dahin,
Ein Fräulein auch, – er liebt' es sehr, –
Verläßt er, und geht über Meer.
Vom Land der Schotten fort und fort,
Durchzieht er manchen fremden Ort,
Und predigt, bis er unerkannt,
Ein Pilger, kommt in's Schweizerland.

Da baut er in der Wildenei
Sich Garten, Klaus' und Siedelei,
Wo Vindonissa's alten Raum
Zerfallne Trümmer zeichnen kaum,
Und drinn beharrt' er, Gott geweiht,
Ohn' Erdenlust und Eitelkeit. –
So ward er alt, ward silbergrau,
Und that nach Gottes Wort genau,
Daß wer ihn hört, und wer ihn sieht,
Ihn heilig nennt und niederkniet.

Drob war der Bruder wohl vergnügt;
Er denkt: »Ich hab' die Welt besiegt,
Und muß ich bald in's kühle Grab,
So steig' ich ehrenwerth hinab,
Des Stolzes Prunk, der schnöde Geiz,
Die Gier nach süßer Mägdlein Reiz,
Der Sünde Dienst – sind abgethan;
Zufrieden sieht der Herr mich an.«

Und wie er eines Tages so,
Der überstandnen Lockung froh,
Zur warmen Zeit des Sommers saß,
Und still den Abendsegen las; –
Da, steh! da tritt ihm in die Klaus'
Ein Mägdlein her, blondlockig, kraus,
Jung, rosenroth, schlicht von Gewand,
Nichts als ein Krüglein in der Hand,
Verneigt sich tief, mit holder Zucht,
Und sagt, daß es Trutbertum sucht,
Zu beichten ihm nach Pflicht und Treu'; –
Ob er der heilig Vater sei?

Sanct Trutbert grüßt die zarte Dirn'
Und macht ein Kreuz vor Aug und Stirn;
Drauf setzt er sich, vernimmt die Beicht',
Und absolvirt das Kind auch leicht,
Weil's gar von keinem Fehler sprach,
Als: »Lust zu necken, geht mir nach.« –
Dann steht es auf, und blickt verschämt,
Und bittet: »Lieber Vater, nehmt
Zum Danke hier das Krüglein an,
Dieweil ich sonst nichts geben kann!
Ihr trinkt aus bloßer Hand am Bach,
Das wird euch sauer allgemach,
Auch bücket sich nicht gern und leicht,
Wen Alters Schwachheit bald erreicht.«

Sanct Trutbert lüchelt: »Holde Magd,
Mit Dank sei freundlich dir gesagt,
Das Krüglein nehm' ich nimmermehr,
Mir ziemt nicht Lohn um Trost und Lehr;
Wohl sind es dreißig Jahre jetzt,
Daß ich zum Klausner mich gesetzt,
Und diese Hand mein Becher ist:
So sei sie's bis zur Todesfrist!«
Er spricht's und segnet noch das Kind,
Und kehrt sich um; – doch sie geschwind,
Indem sie geht, verstecket klug
Hart vor der Thür den kleinen Krug.

Die Sonne flieht, der Tag war schwül,
Sanct Trutbert sucht des Abends Kühl',
Er öffnet rasch das Pförtlein schon,
Da fällt der Krug mit hellem Ton.
Trutbertus beugt sich, hebt ihn auf,
Und denkt: »So laß dem Ding den Lauf!
Ich that dem Mädchen nicht sein Recht,
Mir scheint das Krüglein arm und schlecht;
Die gute Seele läßt's mir hier,
Warum auch nahm ich's nicht von ihr!
Mein Alter drückt, der Bach ist weit,
Und nichts, das mir den Krug verbeut;
Auch droht ein Wetter just die Nacht,
Da werd' ein Trünklein vorbedacht!«

So meint er, geht zum Bache hin
Und füllt sich mit erfreutem Sinn
Den kleinen Krug zur Labung an,
Und kehrt nach Haus' – ein reicher Mann.

Doch seltsam! – schau, da kaum er dort
Das Krüglein stellt' an kühlem Ort,
So wankt' es schief, und wieder schief,
Daß Guß um Guß zur Erde lief!
Sanct Trutbert lacht und duldet sich,
Und spricht: »Was gilt's, wir meistern dich?«
Er eilt im letzten Sonnenstrahl
Und schöpft das Wasser noch einmal;
Doch nimmt er jetzt auch einen Stein,
Nimmt zwei und drei, und schiebt sie fein
Da wo das närr'sche Krüglein hinkt
Gleich unter, eh's zu Boden sinkt. –
Umsonst! es warf sich immer schief,
Daß Guß um Guß zur Erde lief.

Der Klausner brummt, und trabt hinaus,
Schon hallt von Ferne Sturmgebraus;
Er achtet's nicht, er schöpft sich neu,
Daß Labung ihm zu Händen sei.
»Und«, ruft er, »willst du mir nicht steh'n,
Ei gut, so kannst du hangen geh'n.«

Zurück alsdann, in halbem Lauf,
Hängt er das Ding am Henkel auf;
Und sieh, da bleibt's in guter Ruh!
Sanct Trutbert steht, und lacht ihm zu:
»Hast endlich doch, du toller Gast,
Und gönnest mir auch heute Rast!

Die Nacht beginnt, das Wetter brüllt;
Der Bruder legt sich, eingehüllt
In's dichtbehaarte, braune Kleid,
Und still im Herzen voll der Freud'
Ob seinem Krüglein, daß er's traf,
Ergiebt er sich dem milden Schlaf.

Da horch, da horch! Der erste Traum
Umfieng den armen Siedler kaum,
So plumpt es dumpf und kracht und rauscht,
Daß aufgeschreckt er bebend lauscht,
Und rasch vom Lager springt empor,
Und wieder lauscht mit leisem Ohr,
Bis, ach! am Boden früh genug
Er tappend hascht den leeren Krug.

Ja, da zergieng des Mann's Geduld,
Und dacht' er nicht: »Es ist die Schuld
Des alten Nagels an der Wand,
Daß mir das Krüglein nicht bestand;«
Er hätt' es gleich zerschlagen gar,
So bös und all im Zorne war.

Indeß ertobt das Wetter scharf,
Daß Trutbert nicht zum Bache darf;
Die Nacht ist schwül, sein Dürsten heiß
Und Aerger mehrt den reichen Schweiß;
Denn grimmig trieb's ihn hin und her,
Zu wissen, was dem Krüglein wär'.

Als drauf der Morgen endlich graut,
Und Trutbert sich es wohl beschaut,
So findet er's ganz unverletzt,
Doch auch den Nagel nicht entsetzt.
Da schüttelt er den Kopf, und denkt:
»Wohl wird's dem Ding noch eingetränkt!
Und müßt ich mit dem Leben d'ran,
Laßt sehen, ob ich's zwingen kann!« –

Vergessen ist die Klausnerpflicht,
Er liest den Morgensegen nicht.
Gebet und frommer Psalm sind stumm,
Der Keug, nur geht im Kopf ihm um,
Und einen Fuß ersinnt er jetzt:
»Ein Fuß, mit Kunst daran gesetzt,
Was hülfe besser als ein Fuß,
Daß mauerfest er stehen muß?
Auf! Töpfererde schaffe dir!
Trutbertus, auf, in's Waldrevier!«

Er sagt's, er schreitet fort, er späht,
Und eh' der Tag noch halb vergeht,
So trifft er glücklich, was er sucht,
Tief unten in verborgner Schlucht,
Und wohlbeladen alsobald
Zur Klause kehrt er aus dem Wald.

Da fängt er flink zu kneten an,
Und streicht und modelt, was er kann.
Putzt, formet, bessert, bis zuletzt
Den Fuß er fertig vor sich setzt.
Drauf wird das Krüglein hergeschafft,
Und auf den Fuß gepreßt mit Kraft;
Da bleibt's, o Wunder und o Heil!
Grad' aufgerichtet als ein Pfeil.

Sanct Trutbert läuft in froher Hast,
Und füllt sich neu den spröden Gast,
Setzt wieder derb ihn auf den Fuß
Und meint, wie schön er halten muß. –
Doch weh, o weh – das Krüglein hinkt,
Und wackelt hin und her und sinkt;
Und gießt das klare Wasser dar,
Und bricht das Fußgestell sich gar.

Trutbertus jetzt in Zornes Gluth
Flammt auf, und packt den Krug voll Wuth,
Und schmeißt ihn hin mit Allgewalt,
Daß Klaus' und Hain vom Bruche hallt',
Und rings der Wiederschlag im Flug
Die Scherben an die Wände trug.

Doch eh' Trutbertus sich besann,
Was er in wildem Sturm begann,
Derweil er noch vor Eifer glüht;
Und höhnisch auf die Stücke sieht,
Da horch! da horch! von oben klingt
Ein Wort, das ihm zu Herzen dringt:
»O Trutbert, frommgehaltner Mann,
Was hat das Krüglein dir gethan?
Du dachtest: Ganz hab' ich besiegt,
Was nicht mit Gottes Wort sich fügt;
Denn Hoffart, Geiz nach Gut und Geld,
Jedwede Lust der eiteln Welt
War abgethan aus deinem Sinn!
Da reißt zur Sünde dich jetzt hin,
O schwacher Mann! o schwacher Mann!
Ein Krüglein, das nicht stehen kann.«

*

Die Kindtaufe.

Ein armer Köhler, tief im Wald,
Soll Kindestaufe halten bald.
Ach, in der theuern, strengen Zeit,
Da Mangel drückte weit und breit,
Ward ihm ein Knäblein – unbegehrt –
Von seinem muntern Weib bescheert.

Er geht vom abgelegnen Haus
Nach frommen Pathen kümmernd aus;
Denn wollen sie bewirthet sein
Und sich des Tag's der Taufe freu'n.
Wie schafft er Speis' und Trank so viel,
Geschirre, Diener, Saitenspiel?
Kaum hatt' in seiner herben Noth
Er täglich sein bedürftig Brot!
Doch einsam arm zu sein, trug er; –
Vor Gästen arm sein wurmt ihm sehr.

Gar sorglich, mit gesenktem Blick,
Vom Dorfe nach dem Wald zurück,
Als nun die Pathen zugesagt,
Kehrt heim er, zaudert, seufzt und klagt,
Weiß keinen Rath, und windet sich
Aus Bettelstolz recht jämmerlich.

Schon brach die Dämm'rung dunkler ein,
Zumal im Forst; des Mondes Schein,
Von schwarzen Wolken dicht umwebt;
War längst dem bangen Blick entschwebt;
Da steht dem Köhler unverseh'n.
Wo scharf in's Kreuz die Pfade geh'n,
Ein stattlich großer Herr im Weg,
Der schlendert lässig hin und träg,
Als freut' er sich der finstern Nacht,
Und hielte mit dem Käuzen Wacht.

Dem Köhler graut der schwarze Mann,
Denn pechschwarz war er angethan,
Und auf dem Hute wankt' ein Strauß
Von Hahnenfedern seltsam kraus,
Das eine Bein schien menschlich nicht,
Und fuchsenspitz sein Angesicht,
Auch bot der Herr in grellem Ton
Den guten Abend – wie zum Hohn;
Doch fragt' er sanfter alsobald:
»Was stöhnst du hier so spät im Wald?
Ist denn kein Flecklein Erde leer
Von Klag' und Jammer und Beschwer?!
Pfui, Meisterstück von Gotteswelt,
Auf der die Narrheit Großes hält!«

Jetzt fährt dem Köhler schauerlich
Durch das verzagte Herz ein Stich;
Er kennt den Vogel stracks am Sang,
Mit zentnerschwerem Athemszwang;
Da lüpft sein Hochmuth bald den Kopf,
Und flüstert: Ei, nun gilt's, du Tropf! –
Sodann, nicht allzu scheu, gesteht
Er, wie so hart es ihm ergeht,
Und wie der Aermste gern doch mag,
Daß festlich sei des Taufens Tag.

»Ja wohl, mit Recht!« sprach Satanas. –
Kein andrer Herr ist's. – »Weißt du was?
Thut Armuth oft ein Dienstlein mir,
So dien' ich gern auch wieder ihr.
Recht um ein Nichts sei dir bescheert,
Was jenen Tag dein Herz begehrt!
Ich thät's umsonst; doch weiß ich schon.
Man denkt, ich stehl' ihn doch den Lohn,
Wenn nicht – wär's auch nur kleinen Dank –
Ich mir bedinge frei und frank.«

Und was denn willst du haben? Sprich!
So fragt der Köhler freventlich.

»Viel Gäste kommen dir in's Haus«,
Versetzt der Schwarze. »Lärmt der Schmaus,
So bist du Jedem o wie werth!
Und was den Tag dir widerfährt,
Sie nehmen Alle herzlich Theil,
Um keine Grafschaft wärst du feil.
Nun Lieber! gönne mir den Spaß,
Ich denk', es ist nicht Menschenhaß,
Gieb mir dein Wort! kömmt's irgend dann
Dich dreimal laut zu niesen an,
Und keiner aus der großen Zahl,
Die ringsum lagern bei dem Mahl,
Sagt dir ein Helfgott! – sollst du mein,
Doch ganz und gar mein eigen sein!«

Der Köhler lacht. »So wohlfeil doch
Half Satan«, meint er, »Keinem noch.
Ein leeres Wörtlein – braucht's nicht mehr –
Gibt Männiglich mit Freuden her.
An Werkeltagen nies' ich nie,
So schreien zehnmal Helfgott sie;
Wie geht's vollends am Feste nicht! –
So sei es, Satan!« ruft der Wicht.

Bald tritt die Freudenfeier ein,
Und Gäste mit ihr ganze Reih'n,
Geladen, ungeladen auch,
Erpicht auf's Schmausen, nach Gebrauch,
Und als die Taufe war gescheh'n,
Sah man ein Volk zu Tische geh'n,
Das schwer dem Köhler Angst gemacht,
Hätt' ihn der Satan nicht bedacht!

Der aber war zur Morgenzeit
Daher getrabt voll Lustigkeit,
Gar sauber ausstaffirt als Wirth,
Sechs Rößlein mit ihm wohlgeschirrt.
Und hintenan mit Wein und Wild
Drei Wagen, aller Fülle Bild,
Neun Musikanten drauf zu Roß,
Und Köch', und ein Bedienten-Troß.

Jetzt wird geschlemmet und gezecht,
Gejauchzt, gesungen, wie ihm Recht,
Das Wirthlein mit behendem Lauf
Sprang hin und her, trug tapfer auf,
Goß leere Becher sprudelnd voll,
Und trieb es wie kein Gast so toll,
Daß Lachen, Schwänke, Spaß und Scherz
Ringsum ergellten allerwärts.

Inmitten solchen Jubels nies't,
So laut, daß fast es ihn verdrießt,
Der Köhler, und kein Helfgott tönt,
Da just Trommet' und Pauke dröhnt. –
Er stutzt ein Weilchen, doch er denkt:
»Der Zufall hat es so gelenkt.«

Bald aber kömmt den armen Mann
Zum zweitenmal sein Niesen an;
Und grad ein Vivat um und um
Macht wieder jedes Helfgott stumm.

Da bebt das Herz recht inniglich
Dem Unglückssohn; er wünschet sich
Weit ab von diesem Zechgelag,
So weit kein Sturmwind tragen mag,
Und harrt in banger Seelenpein,
Ob wied'rum muß genießet sein.

Die Frist wird lang; schon glaubt er fast,
Den ganzen Abend werd ihm Rast;
Als in dem Augenblicke gleich,
Von eines halbberauschten Streich.
Ein Tisch zusammenbricht und kracht,
Und Alles aufschreit, wiehert, lacht,
Daß auch kein einzig Ohr vernahm,
Als jetzt das dritte Niesen kam.

Doch leider Eines freilich hört;
Von Lärm und Schreien unbethört; –
Und flug's im Nu darauf schon nah'n
Der Satan und sein Schwarm, zu fah'n
Was jetzt der Hölle fähig ist,
Laut ächzt der Köhler: »Heil'ger Christ!« –
Und richtet, was er nie gethan,
Den Blick des Flehens himmelan.

O Trost, o Wunder, groß und rein!
Da tönet aus dem Wiegelein,
Wo ganz versäumt das Knäbchen lag,
Ein »Helfgott helf!« so laut es mag.
Und Satan knirscht, sein Hause tobt;
Der Köhler jauchzt: »Herr, sei gelobt!«
Die Brut der Hölle schnaubet fort:
Und mit bescheidnem, frommem Wort
Erzählt der Köhler sein Geschick,
Daß Jeder Heil ihm wünscht und Glück.
Er aber ging demüthiglich
Von Stund an reuevoll zu sich,
Und abgesagt dem bösen Feind,
Blieb er der stillen Armuth Freund,
Da Höllenangst ihn streng gelehrt,
Wie leicht die Lust von Gott sich kehrt.
Hinfort bis an den späten Tod
Sucht' er den Herrn in jeder Noth,
Den Herrn, der voll Barmherzigkeit
Erhört und rettet und verzeiht.

*

Der Wunderzwerg oder die belohnte Gastfreiheit.

»Heiliger Gott, wie das braust und strömt und rauschet im Thale,
Sturm und Regen und Blitz und Donner und Tosen der Bäche
Wild durcheinander, – und Nacht, stock dunkele Nacht schon am Himmel! –
So hat's nimmer gewüthet bei Menschengedenken. – Was sagst du,
Mutter, was sagst du? – Sie schweigt; sie betet ein frommes Gebetlein,
Recht so! – Wahr' uns der Herr! – Entsetzlich tobet die Windsbraut.«
Solcherlei sprach für sich, und halb für das Mütterchen, laut auf,
Daß im Gewitter doch nur ein menschlicher Schall ihn erquicke,
Thomas, alt und betagt, vor Jahren ein tüchtiger Schafhirt,
Aber nun längst mit Anne, der trefflich erfahrenen Hausfrau,
Still in der Hütte des Vaters, am Rande des heimischen Dörfleins,
Wohlgeborgen, vergnügt mit Wenigem, aber von Herzen
Jedem zu rathen bereit und treu nach Vermögen zu dienen.
Seufzend erhob anjetzt auch, leise noch Amen und Amen
Bang an das heiße Gebet hinfügend, Anne sich langsam,
Und zum Fensterchen wankt mit bedächtigem Fuße sie vorwärts
Ueber den ästigen Boden des übelgedieleten Stübchens;
Und schon bückt sie sich vor nach der lautersten Scheibe von dreißig
Staubigen, runden, gespaltnen, in Blei nothdürftig gefaßten. –
Doch kein Schimmer von Licht will draußen dem Auge sich zeigen,
Ob mit dem Finger auch lang, mit dem naßen, das Mütterchen kreuzweis
Ueber die Scheibe dahin und eifriger immer dahinfährt.
»Pechschwarz Himmel und Luft! Wo will's mit dem Wetter hinaus noch,
Thomas? – Danken wir Gott, daß Faß und Dach er bescheret,
Denn vor so greulichem Sturme da schirmt kein laubichter Baum mehr.
Und kein wölbender Fels, der Wind jagt Regen die Quere,
Daß er sich allwärts hin mit Gewalt eindränget; – da rinnt's ja
Selbst vom nassen Gesimse durch Fugen mir her auf den Banktrog!«
Sprach's und schreckte zurück vom Fenster mit gellendem Ausruf,
Hurtig die Hände geworfen zum ganz verblendeten Auge;
Denn bleich zuckte der Strahl mit verderblichem Lichte vom Himmel,
Und – als spaltet' ein Berg sich – erkrachte der gräßliche Donner
Dreifach laut, im Thal abprallend von Felsen zu Felsen.

»Aber barmherziger Gott!« – rief Anne, vom Schreck sich erfassend, –
»Gieng nicht draußen im Glanz des hellaufleuchtenden Blitzes,
Grad' in der Gasse, vorüber dem Fensterchen hier, ein Gezwerge! –
Kümmerlich schleicht am Stab' es gebeugt durch schlammige Bäche,
Die sich, beladen mit Grien, ergießen in unserem Dörflein.
Thomas, graute mir nicht vor solch unheimlichem Volke,
Ruft' ich den Armen herein, denn die Nacht und das Wetter verderbt ihn.«
Also die Mutter, und horch! da klopft's am Fensterchen draußen
Sanft und bescheidentlich an, dreimal, mit geduldigem Säumniß.
Thomas, auf von der Bank, ergreifet in Eile den Schieber
Rechts am Fenster, und zieht den geläufigen rasch an die Seite,
Gleich hinrufend mit Gruß zum Troste dem nächtlichen Wandrer:
»Ei, wie so spät noch, Freund! auf dem garstigen Wege; der Sturmwind
Treibt in das Mark ja hinein, durch Haut und Knochen, das Wasser.
Hurtig hieher! dorthinten ist unverschlossen das Pförtlein!
Hurtig hieher, wo Schirm, wo Licht und Speise bereit sind!«

Ruft's und eilet behend, und ergreifet das wirthliche Lämpchen
Viel zu hastig, daß rasch vier Tropfen des Oeles vom Rucke
Hin sich über den Rand ausspritzend ergießen, und leider
Dunkel den Ahorntisch, den sauber gebohnten, beflecken.
Da mit Seufzen genaht, und besorglich übergebücket
Schaute den Schaden sich an kopfschüttelnd die reinliche Mutter.
Doch bald schwindet das Licht, denn fort durch die Thüre heraus nun
Schreitet zur rußigen Küche der Greis, das wankende Flämmlein
Klug mit wölbender Hand vor jeglichem Zuge bewahrend.
Und schon öffnet er weit die knarrende Pforte des Häuschens,
Grad' wie der Wandrer matt an der Ecke bedächtlich herumbeugt.
Jetzo, mit festerem Fuß, lenkt eilig er unter das Dach ein.
Schaudernd all vor Frost, und unzählige Tropfen des Regens
Ab von dem härnen Gewand auf das Estrich schüttelnd im Fortgeh'n.
»Gott sei herzlich gedankt!« rief jetzt das gefristete Zwerglein,
»Herzlich gedankt, daß mir in der Noth mitleidige Seelen
Treu er geweckt, da verzagend ich dacht' in dem scheußlichen Wetter
Gar zu verschmachten; dieweil, so viel ich von Hütte zu Hütte
Hier in dem Dorf' auch pochte mit Flehn um schirmendes Obdach,
Nichts ich doch irgend erholt' als Schimpf und spöttischen Abschlag.«
Solches erzählte der Zwerg, und hinter dem leuchtenden Greise
Schlüpft in das Stäbchen er schon, wo die Mutter neugierigen Blickes
Harrt des Gastes, und jetzt erschrocken das bucklichte Männlein
Sieht herwanken und müd' an der Thüre schon sitzen zum Ausruh'n.

Schiel war von Auge der Zweg, und struppig erhob sich das Haar ihm,
Roth zog rings um den Mund ein halb nur gewachsenes Bärtlein,
Welk war der Arme Gehäng, doch knotig und mächtig die Hände,
Dünn das verbogene Bein, und breit und gewaltig der Fuß doch.

Aber gar emsig erhob, des Schrecks vergessend, und klüglich –
Was sich zu regen begann, – ein Gelächter, bezwingend im Herzen, ...
Rasch und geschäftig erhob vom Stuhl sich die wackere Mutter,
Quer hintrippelnd zum Schrank an der Ecke des Tisches vorüber,
Daß sie bewirthe den Gast, wie's ziemt der verständigen Hausfrau.
Hurtig nun schafft sie herbei, was Kasten und Lade verbergen;
Duftendes Brod sammt Milch, und Käs und geröthete Kirschlein,
Würzig am Morgen vom Baume mit eigenen Händen gepflücket.
Mehr nicht bietet der Schrank, und mehr kein Kasten im Hause;
Doch auf glänzendem Tisch, wo gebreitet ein blumiges Tischtuch,
Lang für Besuche gespart, sich hinzieht, lachet das Mahl schon
Grade wie doppelt so fett, und lockt in ländlicher Einfalt,
Mehr den zufriedenen Gast, als Leckergerichte; so reizt auch
Fleißig ermahnend der Wirth und die gute geschwätzige Wirthin.
Doch nicht ferner geheu'r ist beiden im innersten Herzen,
Wie sie das Zwerglein seh'n, mit Pusten und nöthlichem Keuchen
Tropfen von Milch einschlürfen, und Brosamen nur von dem Käse
Schwer zerkauen, und drauf ein luftig gerathenes Schnittchen
Brodes mit peinlicher Qual zermalmen, als wär' es ein Holzspan. –
»Bin's nicht eben gewohnt«, rief lautauflachend das Zwerglein,
»Bin's fürwahr nicht gewohnt, mit so derber Kost mich zu laben!
Unsereins ist klein und schmächtig, und wenig bedarf es,
Solcherlei winziges Volk mit aller Genüge zu nähren.
Aber so dank' ich doch von Herzen dem redlichen Vater,
Danke dem Mütterchen auch, die gar so freundlich dem Pilger
Obdach gönnten im Sturm, und Speis' und erquickende Labung.
Lohn' es euch Gott! und wahrlich der Lohn ist eben so fern nicht! –«
Sprach's, und guckte hinaus am Fenster, und packte zusammen,
Griff zum Stab und begann zur Thür die gemächlichen Schritte. – –
»Ei, so bewahre der Herr!« – rief Anne, »da wollt in die Nacht Ihr
Trotzig hinaus, und kaum hat Sturm und Regen gerastet! –
Niemands Freund ist die Nacht! – So nehmt doch lieber ein Bettlein
Hier, und genießet der Ruhe; dann zieh't Ihr des Morgens im Frieden!«

Aber mit lächelndem Mund, kopfschüttelnd, mahnte das Zwerglein:
»Mütterchen! wohl versteht Ihr von derlei Sorge nur wenig,
Wie sie mich fort in die Nacht nun treibt in geschäftiger Eile,
Droben am Joche der Fluh giebt's heute zu schaffen und walten;
Traun und ich denke für euch! – So harret des Morgens geduldig,
Ob ich das gastliche Mahl nach Pflicht auch wieder vergelte!«

Stutzig empor vom Stuhl fuhr Mütterchen auf, und es staunte
Thomas hinter dem Zwerg, und mit offenem Munde noch starrt er,
Als schon draußen der Gast, mit klopfendem Finger am Fenster
Abschied kündet zuletzt dem friedlichen Paare der Alten.

Sanft entschlummerten da sie beid', als faßte sie Zauber; –
Uebergelehnt den Kopf auf's Lager der stützenden Arme,
Ruh'n sie gemächlich am Tisch, es löscht die verlassene Lampe;
Still nur athmen sie hin, und draußen beginnt es zu tagen.

Doch nicht taget es hold mit lieblichem Schimmer des Morgens;
Bluthroth hinter Gewölk, wie verzehrendes, schreckliches Feuer
Glühet die Sonne, der Hain verstummt, vom süßen Gesange,
Wirbelnde Winde mit Macht durchheulen die Klüfte des Thales,
Prasselnder Regen erfüllt in unendlichen Güssen den Luftkreis,
Schwült zieht giftiger Qualm einher, und es hallet von ferne
Rollender Donner, und dumpf ertönt's im tiefsten Gebirge. –

Jetzt, mit entsetzlichem Knall, reißt' über dem schlafenden Dörflein
Droben am Joche der Fluh sich los ein gewaltiges Felshorn,
Stürzt auf Schutt und Gerüll' und bricht in den düsteren Wald ein,
Bahnt sich abscheuliche Bahn, und vernichtet unzähliges Leben.
Krachend und brüllend beginnt bergab ein verderbender Erdfall,
Ströme von Wasser und Grand, und Stämme vieljähriger Fichten,
Lasten uralten Gesteins, und zertrümmerte Balken von Hütten,
Treiben in wildem Gemeng thalwärts an das ruhige Dörflein.

Auf nun wachen geschreckt mit Entsetzen die sicheren Schläfer,
Nun, da die grause Gewalt des Bergfalls jedem genaht ist,
Und unerbittlicher Tod, unmeidbar, Jeden umdunkelt,
Jeden, – und keiner es faßt, wie der Schlummer so lang ihn gebunden. –

Bebend im Stübchen empor fuhr jetzt auch Thomas und Anne,
Kaum noch mächtig im Schreck, vor die wankende Hütte zu fliehen,
Und nun starr, und bleich, und fest an den Boden gewurzelt,
Als die verheerende Kraft von oben sie zagend erblicken.

Aber ein Wunder, wie nie kein rettendes Menschen beglückte,
Bietet dem Auge sich jetzt, und schirmt die Getreuen, die Guten.

Mitten im rollenden Strom, im graus herdröhnenden Bergsturz,
Rollt ein gewichtiger Fels, voreilend dem schweren Geschiebe,
Lustig und hüpfend daher, und oben, als säß' er zu Rosse,
Sitzet der häßliche Zwerg, der, früh von dem Dorfe geschieden,
Ungastfreundliches Volk zu vernichten im Sturme zurückkömmt.
Siehe mit mächtigem Stamm der entwurzelten Fichte besorgt er,
Gleich als steurt' er zur See, des Felsens gewaltigen Fortschwung,
Und so dringet er vor und grad auf die Hütte der Alten,
Die da zu Nacht ihn gelabt; doch plötzlich im rasenden Anflug
Stocket der Fels, ein Damm, ein Wehr dem gastlichen Hüttlein,
Daß das Gewoge der Wasser und all das empörte Gestein sich
Rechtshin theilet und links, und die Hütte geschont und die Hüttner
Still da ruh'n im Sturm, als wehte das Säuseln des Lenzes.

Aber Verwüstung tobt in dem Dörflein jetzo mit Ingrimm:
Niedergerissen ist Haus und Scheun' und jegliches Obdach,
Nieder die Gärten gesammt, und nieder die Zierde der Bäume;
Tod im Strudel dahin schwimmt Hirt und Heerde von dannen,
Und der Lebendigen kein's entflieht dem verheerenden Erdschwall.

Thränenden Auges erblickt das gerettete Paar die Zerstörung,
Und es jammert sie wohl der harten unfreundlichen Nachbarn,
Doch rührt tief sie zumal das Wunder des eigenen Looses;
Und mit gefalteten Händen ergießen sie freudig die Fülle
Glühenden Dank's gen Himmel, denn nicht so schonender Rettung
Glaubt der bescheidene Sinn sich würdig in kindlicher Demuth,
Darum geloben sie heiß, was Kummer und Freude nur eingiebt,
Künftige Tage hinab sich werth zu beweisen des Segens,
Still, gottselig, getreu in redlich anhaltender Arbeit.

Aber vom Felsen daher sah tröstenden Blickes das Zwerglein
Auf die Gerührten, und ließ abrinnen das wilde Gewässer,
Hin und wieder mit Kraft forthebend gewaltige Blöcke,
Stein' und Stämme des Waldes, – so viel da verschüttet das Erdreich, –
Trefflich zu räumen bemüht und rings um die Hütte zu fegen. –

Größer und größer indeß schwillt an das winzige Männlein,
Wunderlich, fremd von Gestalt, – und ein Riese zuletzt in die Luft hin
Fließt es verdunstet davon, und läßt dem erschrockenen Paare
Fruchtbar gewässertes Land mit der alten geretteten Hütte,
Lohn gastfreundlichem Sinne, der spät in unwirthlichem Dunkel
Trauend empfangen in's Stübchen den fernherkommenden Pilger,
Herz ihm erquickend und Mund mit freundlicher Rede, mit Labung,
Sonder Gespött' und Hohn ob des Gastes erbärmlichem Auftritt.

*

Der Krystallgräber.

»Dreimal, lauter und klar, nun träumt ich ein Gleiches; – wohlan denn«, –
Sprach zum erstaunenden Weibe mit Nachdruck Günther, – »wohlan denn!
Träume sind Fäume nicht stets; ich will's versuchen das Letzte:
Faß dir Muth nur, Verena! die Geiß ... und ich muß sie verkaufen!«

»Gott im Himmel! o nein! nein!« schluchzte die bangende Hausfrau.
Aber umsonst. Mit dem Hasten des nicht zu bezähmenden Ausbruchs
Halb verzweifleter Noth, und zum Kühnsten entschlossener Hoffnung,
Stürmt aus der Hütte hinab in's Dörflein Günther gewaltig,
Dort aufrufend den Fleischer, den landdurchstreifenden Großknecht,
Welcher die Nacht verweilt in der Schenke, daß früh er vollziehe
Mancherlei Kauf um Schaf' und um Ziegen, um Kälbchen der Alptrifft.

Aber nicht zauderte Heinz, der gerufene Großknecht. Emsig
War er den Hirten zur Hand, die selbst ihn suchten; denn oftmals
Kauft' er am trefflichsten so, weil Noth die Verkäufer gedrungen.
Und nun folgt' er auch rasch zum Armuthshäuschen, wo Günther
Hin, vorschreitend, ihn führte, die Ziege zu holen sofort schon.
Doch nicht freudig hinauf des Pfades da wandelte jener,
Fühlend, bang, wie das Weib, – und mit Recht – um das letzte Besitzthum
Kampf wohl werde versuchen, dieweil unbiegsam er jetzo, –
Wagend das Aeußerste, – nicht aufgeben mehr dürfe den Vorsatz.

Günther, ein Alphirt sonst, doch nimmer ein segenbeglückter,
Weil stets kühneres Treiben, die Gemsjagd, oder des Wildheu's
Grauser Gewinn ihn zu bald fortlockt' aus friedlichem Hüttlein,
Günther, im rauhen Gebürge sich oft des edeln Kristalles
Manch ein zierliches Stück auffindend, brachte betriebsam
Stets den Fremdlingen sie, die mit Bergmannshammer am Felsen
Klopfend er traf im Reviere des hochanklimmenden Steinbocks,
Oder wo gierig sonst sie nach Stufen und Drusen sich umsah'n,
Also beschlich ihm Lust zu reicherem Goldeserwerbe
Jetzt das schwellende Herz, und auf Eins, auf Eines nur sinnt er:
Wie sich den edeln Kristall zu gewichtsvoll prangenden Stücken
Irgend er einst ausgrabe, wo tief im Mark des Gesteines
Blatt sich um Blatt ansetzt die Fülle der Strahlpiramiden.

Da, mit glücklicher Spähe, nach Langem, im Grimfel-Gebirgsstock,
Dicht bei'm Gletscher der Aar', in des Zinken's verwildertem Felshang,
Findet zuletzt er, – ha, wie klopfen die Pulse! – das Zeichen
Dunkelverborgnen Krystalles, das quarzig weiße Krystallband,
Welches zu Tage hier stund, als des schwärzeren Gneußes Geäder,
Rund vorspringend, und nah reichtropfenden Rissen der Bergfluh.

Stracks, in der regeren Brust nichts Anderes forthin erwägend,
Sucht die Gesellen er auf, die, keck felssprengend, ihm dienten
Dort den begrabenen Schatz an das Licht zu schaffen mit Arbeit;
Und leicht wirbt er sein Völkchen im Hasler-Geländ, wo beweglich
Jeder das Seltene hascht, und des Täglichen bald sich ersättigt.
Stürmend an's Werk! – das ist Allen voraus gleich Wunsch und Begierde,
Nun wird begonnen, da schier mit Frost sich der Winter entgegen,
Schier entgegen des Schnees dichtfallendes Flockengestürm sich
Jeglicher Arbeit setzt; – und auch bald erliegen die Sprenger.
Nicht indessen entsank dem gierigen Herzen des Jünglings
Irgend der Muth, und gedoppelt an Zahl im Lenze darauf schon
Bringt die Gehülfen zu Berge sein hochaufflammender Eifer,
Alle belohnend, wie nicht ein Bedächtiger lohnt, wo Gewinn sich
Fern, im Zweifel noch, zeigt. – Und der flüchtige Sommer entrollte
Fruchtlos wieder. – Das Weib des kühnverschwendenden Mannes
Warnte voll Ernstes: »O laß, laß, Günther, das tolle Beginnen!
Fleiß an nützlichem Werk, an erprobtem, ist mehr als Krystall dir;
Ach, wie schmälert sich uns tagtäglich die sichere Habe,
Während unsichre du suchst, wo Bergkobolde dich narren!« –

Solches umsonst, auch thränend, die bieder sich mühende Gattin.
Aber mit Frühlings neu herleuchtendem Glanz, o! da strahlte
Mächtig auch Hoffnung erfrischt in die Seele dem weidlichen Günther,
Daß er sein Letztes vergab, zum Lohn an die Gräber, zum Antrieb,
Dießmal kecker denn nie nach dem Horte des klaren Krystalles
Einzusprengen den Schacht, nun rechts, nun links in dem Quarzband,
Raubes gewärtig, der stets, wie zum Foppen, doch tiefer hineinwich.
Sieh! und der Winter begann auch jetzt, indeß sich vergebens
Jeglichen Gut's, ach ganz! der verzweifelnde Günther beraubte.
Dürftig stand er zuletzt, wie nie, von den eig'nen Gehülfen
Schmählich verhöhnt; doch mehr ob des leidenden Weibes Betrübniß
Tief im Herzen gequält, und ob Noth, die nicht schonte der Kindlein.
Forthin traut' er sich nimmer, zu steuern dem Mangel, wofern nicht
Solcherlei Schatz ihm ward des ersehnten Krystalles im Bergschacht.
Oft, trübsinnig allein, durchschlich er entlegene Gründe,
Jetzt, da der Lenz entboten: zu Berg! zum Stollen! an's Tagwerk!
Also verlief sich der Mai, und kein rettendes Mittel ersann er;
Denn nicht borgte da leichtlich ein reicherer Hirt ihm, ein Nachbar,
Weil sie verlachten vorlängst nach Gebühr den Grübler im Steinberg,
Ihn, der thörichten Muthes Besitzthum hastig verschleudre,
Wo die Gescheutesten doch verschmäht nach Bescherung zu forschen.

Aber da Bangen und Angst und Verzweiflungs-Zagen am Höchsten,
Sieh! ein besondres Gesicht erhob sich reizend im Traum da
Günther, dem Sohne der Qual, dem kaum noch Schlafes Bedachten.
Dreimal folgte das Bild sich in drei raschfolgenden Nächten:
Dreimal stund, voll Schweißes ob rührig geförderter Arbeit,
Tief er dort in dem Schacht, und entmeiselte Quarz vom Geäder,
Von der versprechenden Blüthe des nahgeahnten Krystalles. –
Rechts erst, wied'rum links, und mit Gier zur Rechten dann nochmals
Schürft' er, wechselnd vergeblich; noch eifriger drauf, – und vergeblich –
Doch allstets, in der hintersten Nacht des entschloss'nen Gewölbes,
Flimmt' ein erfreuendes Licht, wie von Hellgrün irgend ein Stern flimmt;
Nie sich trübt' es, und schien mit beweglicher Flamme zu winken;
Flimmt, und erlosch nicht dort, bis vom Traume der Schläfer entbunden,
Auffuhr, weh'! und die Noth des geleerten Stäbchens erschaute.

Zweimal achtet' er nicht des entglommenen Wundergefunkels;
Heute doch, – weil zu strahlend der Stern am hellsten hervorbrach, –
Hob sich vom Lager mit Macht der zu Hoffnung freudig Erstarkte,
Rastlos eilend sofort, – und stracks mit dem Fleischer zurück schon
Bis an das Häuschen gekehrt, wo die Kindlein munter ihm spielten,
Und wo die Mutter auch saß auf der Bank in schlimmer Erwartung. –

»Flugs hervor nun die Ziege! Da kauft mir um Baares der Freund sie.
Träume sind Fäume nicht stets, und ich will's versuchen das Letzte!« –

Seufzend hört den Entschluß, hört barschere Worte des Mannes,
Als nicht irgend zuvor, die getreue Verena; noch flehet,
Flehet sie, weint, und vermag im Schluchzen nicht fürder zu bitten,
Winkt dem Liebling noch, Margretchen, dem rosigen Mägdlein,
Sieht, wie vergebens auch es an den Vater mit Kosen sich anschmiegt,
Sieht, wie das Knäblein freundlich zum Abschied herzet ihr Hausthier,
Welches die Kinder genährt seit Monden, und immer ergiebig, –
Sieht's, und vergeht vor Kummer, und sinkt tief schweigend zur Bank hin;
Während die zitternde Hand des wild entschlossenen Mannes
Kampf in dem innersten Muth an den Tag legt, da sie zur Losung
Weigerlich fast sich erhebt, als gölt' es den Sold um Verbrechen.

Jammer! nun ist's vorbei, der gewaltige Fleischer geht niedwärts,
Führend am Strick mit Zerren die widerspenstige Milchgeiß.
Und vom Preise schon nimmt, von dem kärglichen, Günther die Hälfte,
Scheu sie sofort darwerfend der Mutter in's faltige Vortuch:
»Hause nach Kräften mit dem! und ich brauche zum Graben den Rest mir.«
Sprach's, und enteilt dem Weh, das, nah' zum Entsetzen, hereindroht,
Da mit der Ziege die Milch, die so süß erquickende Labung,
Sie, die letzte, nun schwand, und Mangel unbändiger drängte.

Günther in Flucht zieht schnell des beschwerlichen Pfades bergaufwärts,
Dort in's moosichte Hüttchen zu Jost einkehrend, dem alten,
Welcher getreulich stets bei dem arbeitseligen Werke
Half, durch das Felsengestein am Zinken zu treiben den Bergschacht,
Wo dem Krystalle sie nach voll Starrsinns wühlten zum Abgrund.
Und sie vereinen sich bald, sie beschicken geheim den Bedarf sich,
Hirtenspeise, Geräth zum Licht im Dunkel der Grube,
Klopfel und Eisen, und gar auf nächtliche Rast die Bedeckung;
Daß nicht irgend des Schlummers in weicherem Wollen-Gelieger
Sehnend erwachtes Verlangen sie fort – dem Stollen entlocke.
Doch, was mächtig voraus dem Sprenger der Felsen ja noth ist,
Wagen sie nicht zu beschicken, die Saat zerstörenden Donners;
Bang, daß etwa doch rings im Gebirg ein zu Neidischer lausche.

Jetzo, verborgneren Steig am Bergjoch wählend, im Mondschein
Klimmen sie heimlich hinan, und erreichen, und kreuzen den Gletscher,
Flugs sich drüber auch schon zum Schachte vorsichtig erhebend.
Da nun zünden sie Kerzlein an, und beschauen die Wände
Sammt dem Boden, durch den hinmurmelt' ein seichtes Geriesel,
Quellend aus Felses-Ritzen zuhinterst im Grunde des Stollens.
Wohl war hoch da nunmehr des Gewölbes oberste Schweifung,
Wohl auch starrten getrennt weitab die behauenen Seiten;
Doch auf der Sohle des Ganges nach solch unsäglichem Abmüh'n
Lagen nur Stücklein erst von Krystallen, gering und zerbrochen,
Wie verschmähend zuvor selbst Günther, zusammt den Gesellen
Hin zur Erde sie warf, viel besseren Hortes begehrend.
Da mit dem lauernden Blicke durchspäht voll Ahnens den Raum sich
Günther und staunt: o wie ganz hat Alles der Traum ihm verkündet!
Alles so ganz und so klar! und es fehlt nur hinten das Sternlein,
Wo sich der Schacht abschließt, und die Gräber, zu Graben verzagend,
Inne gehalten, um rechts, und um links in's Tief're zu sprengen.

»Jost! ich vertraue mit Gott!« – ruft Günther, – »laß uns beginnen
Dort im finstersten Schlunde! Da, mein' ich, leuchtet mein Glücksstern. –
Nicht um mich zwar mein' ich es, nein! um Weib und um Kindlein,
Die, zu verwegen, ich tief hinstürzt' in Jammer und Armuth.«

Also betrieben's die Zwei, an versäumterer Stelle gewerbsam
Jetzt mit dem Meisel, und jetzt mit des Bickels mächtigem Schlage
Vorzudringen im Stein, und hielten sich klüglich verborgen,
Nicht ausräumend den Schutt, vielmehr in der vorderen Höhlung
Schlau ihn zu häufen bedacht. – Auch selber im Schweigen der Nachtzeit
Wagten nicht mehr sie hinaus von dem Schacht in freies Gebiet sich
Dort am Felsabhang, und auf hartangrenzendem Eisfeld.
Kümmerlich aßen genug sie des Tags; – kaum schliefen allnächtlich
Wenige Stunden sie hin, unablässig schaffend dann fürder,
Fürder das Werk: – und so vollendeten drei sie der Wochen,
Nicht vom Fremden geseh'n, vom Jäger nicht, oder dem Hirten,
Welche des Weges gar oft durch Zufall schritten vorüber.

Und wie die vierte begann der schwer abmühenden Wochen,
Klang's mit einmal hohl, klang hohl, wo der Bickel hineinschlug,
Klang dem Herzen der Gräber wie Laut paradiesischen Sanges.
Reichlicher sickerte jetzt aus der Tiefe das Wäßerchen; einwärts
Hinten in hallende Weite, nicht vor zum Fuße dem Sprenger,
Rollt' ein Stück des Gesteins, das der Meisel kräftig durchdrungen;
Einwärts fiel das Gebröckel zuletzt, was irgend sich losriß,
Unter den Eisen, die rasch mit beschleunigtem Drange schon wühlten.

Bald, wie der Kummer zuvor, umschnürte da frohes Erwarten
Günther dem Armen die Brust; – mit Schwüngen uralter Gewaltskraft,
Aehnlich den Streichen, die dort von Hellparten zu Sempach ergangen,
Schlug er den Bickel hinein in's Felsengeschieb, zersprengend
Was noch hemmte den Blick, und den Fuß noch hemmte, zum Keller
Edlen Krystalls hindurch – ganz durchzubrechen mit Siegslust.

Als er die Scheidwand nun bis zum Klaffen gesprengt, daß die Hand er
Leicht mit der Lampe, – zu späh'n, – und das Haupt vorstreckt' in die Höhlung,
Wunder! ach, wie beglückt, wie Staunens trunken, wie sprachlos
Starrt' er hinein! – Unmöglich! das ahnte dem Kühnsten ja nimmer.
Tausendfältig erglänzt aus zahllos hinter einander
Zahllos ragenden Säulen und Spitzen des reinen Krystalles
Licht; – und das arme, bescheidne, das sanft ausstrahlende Lämpchen
Wird ein Stern, selbstleuchtend, der Welten von Sternen beflimmert,
Und, wie die Hand sich rührt, frisch andre hundert zu Tag ruft,
Farbig gespiegelt, gebrochen, dem Himmelsbogen vergleichbar.

Nimmer war solcherlei Pracht vor Sterblicher Augen entglommen:
Centnerlasten, und klar, wie des Demants herrlich Gebilde!
Selten ja traf im Gebürg – auch emsig mit Spüren, – ein Gräber
Fußhoch, ledig von Nebel und Schnee, des Gewichtes, was lüpfend
Auch noch ein Kind aufhebt, – gar selten nur traf im Gebürg so
Drusen Krystalles ein Mann, hoch glücklich ob solchen sich preisend.
Jetzt, – unermeßlicher Schatz, wie Königen wohl er geziemte,
Günther dem Hirten beschert! – noch kann er's nicht sich erfassen.
Thränen entthau'n der Wimper: »O wärst du hier oben, Verena!«

Schüchtern und leise zurück das Haupt dann aus der Krystallkluft
Zieht der Erstaunte; sofort hinein auch wieder es reckend,
Weil's undenkbar ihm scheint, daß der Hort nicht trügend davon schwand.
Aber er bleibt. – Und zu Jost, dem wackersten Alten, gewendet:
»Lieber Geselle!« beginnt aus herzlichem Triebe da Günther,
»Ach, dieß Eine noch thu, wie du viel des Guten gethan mir!
Steige hinab, – und mein Weib und die Kindlein tröste dort nieden;
Sage, was Gott uns gönnt; vorüber sei Darben, sei Kummer!
Sprich, mein leitender Stern, aus des Traumes bedeutsamen Nächten
Habe gestrahlt zum Heil, und ich wolle gedenken hinwiedrum
Deß, der Hülfe bedarf; o gedenken nach Kraft, wie der Vater
Droben nun mein ja denkt, und mich rettet aus Angst der Verzweiflung! –
Spute dich, Treuer! Dein Lohn – vollwichtig – ist dir bereit hier.«
Solches antreibend mit Sturm dort Günther, noch tief in dem Schachte;
Denn er bewahrt sich 's bang das bescheidne, gediegene Kleinod,
Stets mißtrauend so holdem, so nimmer erhörtem Geschicke,
Wie ja nicht Mären sogar aus der Vorwelt irgend es rühmten.

Jost enteilt. – Da versank, anbetend, still in Bewundrung
Göttlicher Gaben und Wege der Ueberbegabte: »Du Herr, führst
Wundersamlich! O, sei zur Stunde des Glückes mein Helfer,
Daß ich's brauche mit Rath, auf immer den Meinen gedeihlich.
Frevelnd folgt' ich der Sorgen unbändigem Drang, und der Thatgier;
Aber die Gnade hat sanft aus Gewirr, aus Noth mich erlöset.«

*


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