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Abraham Emanuel Fröhlich

Die Fabel.

»Ich durchwandelte die Gassen,
Ihre Weisheit zu erfassen;
Aber bald hab' ich's gelassen.
Was mir etwa noch, im Toben
Ueberschrieen und umstoben,
Alte Stein und Bilder loben,
Davon tönt's im weiten Kreise
Laut und leise, klarer Weise,
Tausendfach in Einem Preise.
Sonnen, Monde, Wolken, Lüfte,
Frühlingshügel, Todesgrüfte,
Wald und Strom und Blum und Düfte
Und der Thiere bunte Schaaren:
Alles hör' ich offenbaren,
Und Uraltes neu erwahren,
Und was noch so golden gleißet,
In den Gassen »Göttlich!« heißet,
Alles mächtig mit sich reißet:
Derlei Vieles hör' ich richten
Und verspotten und zernichten
Ernst und leicht in Thiergeschichten.
Was ich also mir erschauet,
Meinem Freunde sei's vertrauet,
Der sich' mit mir auferbauet:
Einsam durch die Au'n zu gehen:
Ihre Bilder zu verstehen,
Und sich selber drin zu sehen.«

*

Lebensworte.

Zu dem vollen Rosenbaume
Sprach der nahe Leichenstein:
»Ist es recht in meinem Raume
Groß zu thun, und zu verhüllen
Meiner Sprüche goldnen Schein
Die allein mit Trost erfüllen?«

»Auch aus Grüften,« sagt die Blüthe,
»Ruft mich Gottes Macht und Güte,
Sein Gedächtniß hier zu stiften.
Neben euch, ihr heil'gen Schriften,
Ich auch blühe tröstend fort,
Ein lebendig Gotteswort.«

*

Wiederfinden

»O du lieblicher Geselle,«
Sprachen Blumen zu der Welle,
»Eile doch nicht von der Stelle.«
Aber jene sagt dawider:
»Ich muß in die Lande nieder,
Weithin auf des Stromes Pfaden,
Mich im Meere jung zu baden.
Aber dann will ich vom Blauen
Wieder auf euch niederthauen.«

*

Die Nützlichen.

»Unkraut seid ihr;« sprachen Aehren
Zu der Korn- und Feuerblume;
»Und ihr dürfet euch, vermessen,
Selbst von unserm Boden nähren?«

»Wir sind freilich nicht zum Essen,
Wenn das einzig hilft zu Ruhme,«
Sagten diese Wohlgemuthen;
»Aber wir erblühn hieneben,
Euer Einerlei, ihr Guten,
Mannigfarbig zu beleben.«

*

Kunst und Gunst

Zur Ulme steht die Rebe:
»Reich mir die Hand, und hebe
Mich auf zu Luft und Licht.
Was ich empor auch strebe:
Gedörn, so mich umflicht,
Läßt mich gedeihen nicht.
Du bist so groß und mächtig;
Ich mache dich noch prächtig!
Ich will dein Haus umschlingen
Rundum mit einem Kranz,
Hinein dir Düfte bringen
Und goldner Früchte Glanz.«

Die Ulme war gewogen,
Hat sie empor gezogen.
Und prangt vor andern weit.

Darnach als Sturm und Zeit
Den Baum daniederbogen,
Ward ihm die Reb' ein Stab,
Der lang noch Haltung gab.

*

Zucht.

»Nicht laß ich mich zäumen,«
Schäumt wüthend das Pferd;
»Ich werde mich bäumen,
Mich wälzen zur Erd;
Und wenn sie mich schlagen,
Zerreiß ich den Wagen,
Und stürze feldein
Durch Klüst und Gestein;
Denn besser zu sterben,
Als knechtisch verderben.«

»Gern ließ ich mich zügeln,«
Entgegnet der Springer,
»Und Schläge und Stich
Verschoneten mich.
So ward ich ein Ringer,
Und lernte beflügeln
Mich selber zum Ziel.
Viel besser gefiel
Mir, Zucht zu erwerben,
Denn zuchtlos verderben.«

*

Verflachung

Kaum der Fluß beginnt den Lauf,
Fängt die Wüstenei ihn auf,
Doch er bleibt, gedenk der Flühn,
Gletscherblau und alpengrün.
Und die Wüste, neidentbrannt
Ueber solch ein frisch Erblühn,
Hätt' ihn gern zum Sumpf gebannt,
Wälzt ihm Sand und Felsgestein
Hemmend in den Weg hinein.

Doch der Jüngling, wie er stritt,
Und durchbrach die Felsenschwell,
Geht noch stolzer seinen Schritt,
Und sein Pfad ist wiesenhell.

Jetzt versucht die Wüstenei
Ihn auf Weisen anderlei;
Oeffnet ihm bequeme Bahn,
Lockt ihn schmeichlerisch heran;
Und dem Jüngling scheint, bethört,
Besser, was, so flach und grad,
Nicht ermüdet und nicht stört.
Er verläßt den tiefen Pfad,
Macht sich breit im ebnen Land,
Wird getrübet und verschwand
Bald im weiten, öden Sand.

*

Versorgung.

Eingesperrt beim alten Pferd,
Das im Radlauf wohlgelehrt,
Stampft ein Kriegsroß vor Verlangen,
In dem Siegeszug zu prangen.

»Sei nicht thöricht!« sagt der Gaul,
»Hast's ja ruhig hier, und lug,
Hängt das Heu dir nicht in's Maul?
Giebt's nicht Hafer übergnug?
Einzig hier wohnt wahres Glück;
Glaub es mir und meinen Jahren;
Täglich hab ich das erfahren.«

Und das Roß spricht stolz zurück:
»Was hast du denn für Erfahrung?
Nichts denn Kreislauf, Schlaf und Nahrung!«

*

Vettern.

Reseda sprach zu Reben:
»Wir sind in Allem gleich!
Des Blustes Farbenleben
Ist beiden nicht gegeben,
Die wir so düstereich.«
»Doch wird man zwischen beiden,«
Erwiederten die Reben,
»Noch immer unterscheiden.
Bald sterben deine Düfte;
Wir blühn erst recht im Wein
Mit Gold- und Purpur-Schein,
Und hauchen Rosenlüfte.«

*

Ellengröße.

Die Pappel spricht zum Bäumchen:
»Was machst du dich so breit
Mit den geringen Pfläumchen?«

Es sagt: »Ich bin erfreut,
Daß ich nicht bloß ein Holz,
Nicht eine leere Stange!«

»Was!« ruft die Pappel stolz,
»Ich bin zwar eine Stange,
Doch eine lange, lange!«

*

Die Leute.

Zu dem Winde sprach die Welle:
»Unbeständiger Geselle,
Alle Stunden hat dein Sinn
Sich gewendet anders hin.«

Und der Wind sagt ihr dawider:
»Dich hingegen muß man loben,
Sinnbild der Beständigkeit;
Will ich abwärts, gehst du nieder;
Kehr ich um in kurzer Zeit,
Ziehst du wieder mit nach oben.
Bin ich zornig, zankst du weiter;
Schweig ich, wirst du still und heiter.«

*

Streichelhände.

»Besser würden mir gefallen
Hirschgeweih und Adlerkrallen,
Die so majestätisch sind,«
Sagt ein eitles Tigerkind.

»Nein, mit dem was uns beschieden,«
Sprach die Mutter, »sei zufrieden!
Beutereicher sind die schlauen
Sammetpfoten mit den Klauen.«

*

Diplomatik.

»Warum sind uns Doppelzungen?«
Wundert eins der Schlangenjungen,

Und die Mama sagt ihm: »Lug,
Eine wär uns nicht genug;
Denn wir sind unendlich klug!«

*

Versöhnungsgefahr.

Bei den Guten hat schon lange
Keinen Glauben mehr die Schlange.
Aber sie möcht wieder kommen
In den Umgang mit den Frommen.

Und sie putzt sich: Perlen schimmern,
Gold und Edelsteine flimmern;
Und sie kömmt mit leisem Tritte
In der Turteltauben Mitte.

»Bleibt,« ruft sie, »ich bring euch Freude!
Seht, ich bin im Sonntagskleide!
Wer könnt darin Böses wollen?«

»Mit des Worts, des Goldes Scheine
Birgst du,« sagt der Tauben eine,
»Nicht der Augen furchtbar Rollen,
Nicht die Lippen giftgeschwollen.
Doppelt kenntlich, doppelt feindlich
Ist die Bosheit, thut sie freundlich.«

*

Herablassung.

»Junker Storch, ich kann's nicht deuten,«
Sagt ihm eine von den Tauben,
»Daß Sie Dinge sich erlauben,
Die selbst an gemeinen Leuten,
Wir für unanständig halten.

Ihren Adel zwar, den alten,
Den bezweifeln nur die Thoren;
Denn Sie sind ja hochgeboren,
Auch ein Weit- und Vielgereister,
Ein nach jedem Land Gespeister,
Und Sie haben wohl viel hundert
Schön-Aussichten anbewundert!
Klar ist's an den hohen Sitten,
Wie die Leute Sie behandeln,
An den würdevollen Schlitten,
Wie Sie unter ihnen wandeln.

Aber das Sie Sich vergessen,
Bienen und Gewürm zu essen,
Das verdient doch wahrlich Tadel!«
»Laß sie,« sagt er, »dieses Schwätzen.
Just darin besteht der Adel:
Ueber solches sich wegzusetzen.«

*

Die Bürger.

Bienen von dem Höchsten schwätzen,
Das an ihnen sei zu schätzen.
Eine meint: den ersten Preis
Soll man geben ihrem Fleiß;
Nein, der Kunst, glaubt eine Zweite,
So den Bau und Seim bereite.
Einer Dritten ist das Wahre,
Daß man das Erworbne spare.
Andre sagen: schöner sei
Ihres Wohlthuns Lust hiebei.
»Alles dieß,« heißt es dagegen,
»Ist nur unsrer Eintracht Segen.«
»Und das Höchste ist der Muth,«
Preisen Andre, »selbst sein Blut
In dem Kampfe hinzugeben.«

»Und das Allerhöchste ist,«
Ruft die Mutter in den Zwist,
»Jeder Tugend treu zu leben!«

*

Der Große.

Siegreich stand die Sonne wieder
Und den Feind hielt sie darnieder;
Doch der Nebel wand sich auf,
Und er schreit mit Zornesfunkeln:
»Jetzo will ich dich verdunkeln,
Und mit schweren Hagelwettern
Deine Saaten niederschmettern!«

Und die Sonne sagt darauf:
»Muthig denn, erkämpf die Schande,
Und verheere meine Lande,
Mich bewegst du keinen Schritt;
Dich vernichtest du damit;
Und ich will mit neuen Lenzen
Ewig diese Erde kränzen!«

*

Freiheits-Presse.

Die vom Katzen-Hause rühmen,
Ihres Leuen Herrlichkeit,
Der gedämpft der ungethümen
Schäferhunde Widerstreit.
»Aber,« sagte drauf der Leu,
»Besser hat es doch der Hai:
Stets in Nacht kann der regieren
Und bei lauter stummen Thieren.«

*

Rechts-Handel.

Zwei reiche Matten zankten lang.
Ob zweier Bäume Ueberhang;
Denn jede möchte Sonnenschein
Und ihres Bäumes Frücht' allein,
Und jede spricht uralten Brauch
Und Zeugniß selbst der Markung an,
Kraft welcher sie der andern auch
Den Ueberhang verwehren kann.
Und gäb es nicht gescheidre Leut,
Sie zankten sich darob noch heut.

Zwei Bäche aber, grundgelahrt
In aller krummen Markung Art,
Die rauschten her, gerufen, schnell
Und untersuchten tief die Stell
Und gruben alten Marken nach,
Daß selbst der Baum darüber brach,
Und gruben tief ins Land hinein,
Erlesend auch die kleinsten Stein;
Die Matten aber schwanden gar,
Denn drob vergingen viele Jahr.
Der Spruch hieß endlich: »Theilet euch,
In Recht und Kosten sind sie gleich!«

Die Bäche aber hatten sacht
Das Land in's Trockne sich gebracht.

*

Liebensmäntler.

Ein Lamm ward weggebracht
In einer dunklen Nacht;
Und nur der Diebe Spur
Entdeckt man auf der Flur.

Da ward zum Augenschein
Von seiner Dorfgemein
Der Fuchs dorthin geschickt.
Doch in der Spur erblickt
Er seines Vetters Fuß,
Der ihm auch hehlen muß!
Drum mit gewandtem Schwanz
Verwedelt er sie ganz.

*

Volksvertreter.

Anerkennung eigner Rechte
Gaben einst die Wohlgebornen
Auch den Schafen, den geschornen.
Und es wählten die Erhörten,
Daß er kräftig sie verfechte,
Einen von den Hochgeöhrten.

Dieser, an den Hof gekommen,
Wurde freundlich aufgenommen,
Und die Hunde, die Minister,
Haben höflich ihn berochen,
Selbst der Leu hat mit Geflister
Etwas zu dem Mann gesprochen.

Und er fand ein herrlich Leben,
Denn es ward ihm Korn gegeben.
Drum er denn auch »J-a« sagte
Zu dem Allem, was man tagte.

*

Gottesgelahrtheit.

Zur Sonne sprach das Schattenzeit:
«Zeig ich das Zeitmaß deiner Rund
Dir nicht mit Zuverlässigkeit?«
»Hm,« sagt die Sonne, »manche Stund
Thust du mir immer noch nicht kund!
Doch gut ist's, daß den Herrn der Welt
Dein Zeiger nun in Ordnung hält;
Denn viele Jahre hat er mich
Den Weg geführet ohne dich!«

*

Der Kanzelaff.

Unter den schönen Künsten allen
Hatte einem gewanderten Affen
Jenes Predigen wohlgefallen:
Wie nach dem Einen sich alle kehren
Und ihn mit Schweigen tief verehren.
Aehnlichen Standesruhm anzuschaffen,
Hat er mit brünstigem Eifer drum
Abgeäugelt das Kanzelthum.

Nunmehr gedacht er umzukehren,
Schwestern und Brüder zu belehren,
Und mit dunkelm Blick und Gewand
Langet er an im Vaterland.

Hier besteigt er nach kurzer Rast
Seine Kanzel auf einem Ast,
Und auf die große Verwandtschaft hinunter
Schaut er gar salbungsvoll und munter.
Drauf beginnt er in hohlen Tönen
Gleichsam Gedanken auszustöhnen,
Blickte zum Himmel und zur Erden
Wechselte rechts und links Geberden.
Und die Gemeinde zeugte laut,
Daß er sie herrlich auferbaut.

Aber ein Freigeist unter den Affen
Stets gerüstet zu geistlicher Fehde,
Sprach: »Ihr preiset ja leeren Dunst;
Euer Pfarrer gleicht manchem Pfaffen,
Denn es mangelt zur Redekunst
Nichts ihm außer die Kunst der Rede!«

*

Wörterkur.

»Aber Wörter sind's doch nicht
Was du singest,« also spricht
Zu der Nachtigall der Staar,
Dem die Zung gelöset war,
Der auch mit den Wörtern bald
Will bekehren seinen Wald.

»'S ist drum«, sagt sie, »sonderbar,
Daß so viel zum Herzen dringt,
Was man nicht in Worte bringt.«

*

Seher.

»Halt ein mit Liederklange!
Stöhnt aus dem Schlaf die Maus
Zur Amsel, die mit Sange
Begrüßt ihr Sommerhaus,
Der Winter kann nicht weichen,
Deß sind noch viele Zeichen:
Wind, Wolken, Eis und Schnee,
So weit ich ringsum seh.«

»Und zog er nicht von hinnen,«
Spricht froh die Sängerin,
»Der Lenz ist in mir innen
Erwacht mit frohem Sinn.
Doch kömmt er! Es erspähen
Propheten fernes Licht,
Die Siebenschläfer sehen
Es in der Nähe nicht.«

*

Zions-Nachtwächter.

Der Adler sprach von seiner Wonne:
Hinein zu schauen in die Sonne,
Den heißen Staub aus niedern Pfaden
In Alpenlüften abzubaden.
Der Uhu, welcher dieses hört,
Fühlt hart im Glauben sich gestört,
Und predigt seiner Eul gemein:

»Der Adler muß ein Ketzer sein,
Er würde sonst in unsern Weisen
Der Wälder heil'ges Dunkel preisen,
Des Frommen Wohnung bei der Gruft!«

»Ja,« sagt der Aar, »das heißt beweisen!
Ich laß dir deinen Uhuglauben,
Den meinen kannst du mir nicht rauben!«
Und flog empor zur Himmelsluft.

*

Die Maledictiner.

Die Sonne glüht in solchen Hitzen,
Daß selbst die Herren in dem Teich
Beinahe auf dem Trocknen sitzen.
Schon ist der Kellermeister bleich
Und ausgedürrt die Zecherschaft;
Nun sammeln sie die letzte Kraft,
Und ringen mit der Beterkunst
Um eines sanften Regens Gunst.

Jetzt überlaut, dann etwas leiser,
Die Jungen hell, die Alten heiser,
Bald Einer, drauf die Menge ganz
Choralen sie den Fröschekranz.
Und sieh! der Regen stürzt sich wieder
Stromsweise von den Bergen nieder,
Und Reben, Wald und Felsen wild
Wälzt er hinab in's Korngefild.
Doch wallt die Fluth dem Teich entgegen,
Es schwimmt in seines Betend Segen
Und bläht sich auf der fromme Orden,
Wie er noch stets erhört sei worden.

*

Frömmler.

Irrwische hielten ihr nächtliches Stündchen
Auf der Haide, und ohne ein Sündchen
Tanzten sie betend wohl auf und ab,
Priesen auch, daß in so finstern Zeiten,
Demuth allein die Erleuchtung hab',
Nichtigen Pfad die Welt zu leiten.

Aber die Sterne sangen herab:
»Wer, verwirrt in erdunkelten Thalen,
Aufschaut zu den himmlischen Strahlen,
Die da brennen in ewiger Ruh,
Diesen führen wir aus den Qualen
Einem erfrischenden Morgen zu!
Aber in Nacht bleibt Jeder versunken,
Welcher gefolgt, wo jene gewunken!«

*

Sonntägliches.

»Gehn wir ab den offnen Wegen!«
Warnete ein junges Reh.
Und das alte sagt dagegen:
»Heut wär's sicher auch im Klee;
Hör' das Läuten ringsum – komm;
Sonntags thun auch Hunde fromm.«

*

Läuterung.

Vom Himmel quoll in reinem Strahl
Der Strom des Lebens in das Thal,
Des Himmels Glanz und Herrlichkeiten
Durch alle Lande zu verbreiten.

Doch wilde Bäch' und trübe Quellen
Als Wegeweiser sich gesellen,
Anrathend Jeder seine Art:
Der schleichend und der rasch die Fahrt,
Der braun, der schwarz den Rock zur Reise;
Und Jeder dringt mit seiner Weise,
Ein Strom sich wähnend, in die Gleise.

Der Strom darob ward immer trüber,
Und stockte sumpfig, schwoll dann über;
Es spiegelte sein Todesgrau
Nicht Erdengrün, nicht Himmelblau.
Doch wie er weiter hingeflossen,
Thut wunderbare Kraft er kund:
Was unrein sich ihm angeschlossen,
Was nicht vom Himmel sich ergossen,
Versinkt von selbst zum tiefen Grund.
Stets himmelvoller nun er wallt,
Und seiner Ruhe Allgewalt
Verklärt der trübsten Flüsse Wuth
Zu stiller, heller Segensfluth.

*

Strenge Barmherzigkeit.

Das Thal schreit auf zum Föhn:
»Was wirft dein wild Gestöhn
Lawinen ab den Höhn,
Die Bäche zu empören,
Die Matten zu zerstören!
Kannst du denn nicht gelind
Den Winterschnee zerthauen?«

»Nein!« ruft der Frühlingswind,
»Tief liegen noch die grauen
Schneewolken in dem Land;
Groß ist der Widerstand,
Mit dem die Norde kämpfen.
Wollt ich sie gütlich dämpfen,
Und sollte nur gemach,
Tropfweise nach und nach
Der Schnee geschmolzen werden,
Würd's Maien nicht aus Erden.
Des Kampfgetümmels Spuren
Deck ich mit grünen Fluren!«

*

Verkehrung.

Die Wolke zerschlug das Aehrengefild,
Den Vogel der Luft und des Waldes Gewild.
Da blickte die Blume verwundet hinan,
Und klagte: »Was haben wir Uebels gethan?«

»Nichts,« sagte die Wolke mit thränendem Blick;
»Ich wollt' euch ja werden ein gutes Geschick;
Ich wollt euch erquicken mit frischem Thau,
Dich Aehrengefild, dich Blume der Au;
Da hat mir des tückischen Frostes Gewalt
Im Sturme die Tropfen zu Schlosse geballt!«

*

Die Ströme des Heils.

Zu des heil'gen Stromes Rande
Kam ein Fluß aus anderm Lande,
Mit ihm seine Bahn zu ziehen,
Doch der Strom, er heißt ihn fliehen.
»Denn du würdest mich entweihen,«
Ruft er, »du bist ja gemein.
Ich, auf Libanon entstanden,
Lebte nur in heilgen Landen;
Wunder sind an mir geschehn;
Jetzo noch kann man's ersehn
An dem überreichen Segen,
Der ergrünet meinen Wegen.«

Und der fremde Fluß entgegnet:
»Mich hat auch der Herr gesegnet!
Aus dem Himmelsquell entsprungen
Hab ich mich vom Berg erschwungen;
Korn und Wein und Kränz und Lieder
Trug ich in die Thale nieder,
Stets hat meiner Lande Pracht
Freudeheller mich gemacht.
Und ich könnte dich entehren?
Deinen Glanz will ich vermehren!«

Und mit seinen hohen Wogen
Hat er schon ihn fortgezogen.
Und sie strömen nun in Ruh
Einem Meer und Himmel zu.

*

Weltordnung.

»Schwing mich auf zu deiner Wonne!«
Ruft die Erde zu der Sonne,
»Daß ich mit den Sternen allen
Ewig frühlingshell mag wallen,
Zittern siehst du mich in Stürmen,
Siehst die trümmervollen Küsten,
Fluren hier versengt zu Wüsten,
Fluthen dort erstarrt zu Thürmen;
Und du hörest rings ein Stöhnen
Meine Freuden übertönen!«

Und die Sonne mild entgegnet:
»Dennoch bist auch du gesegnet:
Großes hast du schon errungen,
Elemente, wild verschlungen,
Aus dem Chaos losgeschieden.
Wohl erkämpfst du dir noch Frieden,
Doch der Himmel bleibt hier oben;
Denn es müssen die danieden
Ewig sehnen sich nach oben!«

*

Heimat.

»Nieder in die Palmenhaine
Wollen senken wir den Flug,«
Ruft der Sängerinnen eine
Aus dem langen Pilgerzug;
»Dort in Garten laßt uns wohnen,
An Gestaden voller Pracht,
Wo in hohen Baumeskronen
Frucht und Blüthe duftend lacht.«

»Ferne noch,« sagt eine andre
»Liegt der einsam kleine Ort;
Dahin zieht's, wohin ich wandre,
Mich mit ganzer Seele fort.
Wenn schon Gärten dort nicht prangen,
Fluß und See nicht strahlt und schallt,
Nur, von Büschen eng umfangen,
Durch die Wies' ein Bächlein wallt,
Meine Vaterhütt' ist dorten;
Liebend rufen mir zurück
Bäum' und Steine aller Orten
In dem neuen altes Glück.
Nur der Heimat ist gegeben
Dieses Doppel-Freudenleben.«

*

Niedres Loos.

Zu der niedern Trauerweide,
Grünend an dem klaren Bach,
Sagt die Pappel: »Wachs mir nach
Zu der Höhe stolzer Freude!«

Und die Weide sprach dawider:
»Pappel, neige dich hernieder
Zu des Baches frischen Wellen,
Wo mir solche Freuden quellen,
Die du droben nicht genossen!
Schau, wie hier die Blumen sprossen,
Und die Steine sich erhellen!«

*

Hüttenreichthum.

Goldgeschmücke Vögel wohnen
In der Palmen Schatten-Kronen;
Ueberfluß erfüllt ihr Haus,
Blüth' und Frucht Jahr ein und aus.
Und sie haben nichts zu thun,
Als vom Essen auszuruhn,
Als zu putzen sich, zu spiegeln
Und in Aesten sich zu wiegeln.
Also schau'n hinab sie stumm,
Köpfchen wiegend voll Verachten
Auf die Hütten rings herum,
Wo die Lerchen übernachten.
Doch aus schwarzem Grund hervor
Schwingen die mit frohen Psalmen
Weithin über alle Palmen
Sich zum blauen Himmelsthor.

*

Lebenswärme.

Zum Blümchen spricht die Sängerin:
»Wie kann dir blühn so froher Sinn
Hier nächst am Gletscher oben,
Wo die Lauinen toben,
Und aus den Grabeshöhlen stät
Der Todesodem dich umweht?
Ich einmal, fern von Auen,
Könnt' nicht zum Lied erthauen!«

»Ich schaue,« sagt das Blümchen drauf,
»Zum Himmel Tag und Nacht hinauf,
Der wunderbar hieoben
Mich an sein Licht gehoben.
Das ist's, was lebenswarm mich hält
In dieser kalten, kalten Welt!«

*

Die Unterirdischen.

Stiere pflügten und die Pferde,
Daß die dornbewachsne Haide
Ihnen werde gute Waide.
Sieh, da stürzen aus der Erde
Hornuße mit Hummeln dar,
Und es summt und brummt die Schaar:
»Nicht des Hauses wollt ihr schonen,
Wo allein noch Freie wohnen?
Davon sollt ihr plötzlich lassen!«

Und in einem Hui so saßen
Sie den Pflügern auf dem Rücken,
Gift'ge Lanzen einzudrücken.
Nichts verfing die Kraft des Zornes,
Nichts der Stoß des starken Hornes,
Nichts der Hufe wüthig Schlagen,
Und die Pflüger unterlagen.
Aber jene singen wieder
Tief im dunkeln Siegeslieder.

*

Glauben.

Mit dem Vogel sind geflogen
Seine Kinder über Meer.
Droben ward der Himmel trüber;
Drunten brausten Sturmeswogen;
Und die Kinder klagten sehr:
»Ach, wie kommen wir hinüber?
Nirgend will ein Land uns winken,
Und die müden Schwingen sinken.«

Aber ihre Mutter sagt:
»Kinder, bleibet unverzagt!
Fühlt ihr nicht im Tiefsten innen
Unaufhaltsam einen Zug,
Neuen Frühling zu gewinnen?
Auf in Jenem ist kein Trug,
Der die Sehnsucht hat gegeben.
Er wird uns hinüberheben
Und euch trösten balde, balde
In dem jung belaubten Walde!«

*

Himmelblau.

Himmelblau durch Baumesblüthe,
Bild vom herrlichsten Gemüthe;

Wie sich Tiefe sel'ger Herzen
Offenbaret auch in Scherzen,

Und die lustigen Gedanken
Gern auf ernstem Grunde schwanken.

*

An der Kirchenthür.

Gelehnet an der Kirchenthür
Schau ich zum hohen Chor herfür.
Dort glimmt der Altarkerzen Schein
Matt in den lichten Tag hinein.
Der Bilder Pracht erstarb im Qualm,
Ein leer Getöne ward der Psalm,
Der einst vom ganzen Volk erscholl,
Wo's her noch strömte freudenvoll! –
Ich kehr mich um und schau empor
Aus dem gewölbten Kirchenthor.

Da säuseln in den Morgenwinden
Die frisch belaubten, stolzen Linden;
Durch die verjüngten, greisen Bäume
Erglänzen Wolke, blaue Räume,
Zu denen sich die Zweige heben,
In deren Licht die Blätter beben.
Der Bienen Pilgerschaaren trinken
An Kelchen, die so duftig winken;
Und alle Vögel, alle Bienen
Lobsingen ihm, dem froh sie dienen.

*

Frühlingswanderungen.

Wo ich geh', an jedem Ort
Ruft: »Willkommen!« Freundeswort;
Vögel, Blumen, Quell und Fluß
Bieten mannigfachen Gruß;
Jede Lust mit mir zu theilen,
Heißt mich Alles bei sich weilen:
Mit dem Strom soll ich enteilen,
Zu dem Berge soll ich steigen;
Jeder will das Land mir zeigen.
Moos und Blumen an dem Quell
Und das Buchendach so hell,
Jedes rühmet sich vor allen.

Allen darum zu gefallen,
Will ich dieser Tage wandern
Stets von einem Freund zum andern.

*

Eins zum Andern.

1.

Der Bach, der in der Wiese wiegt,
Die Wiese, dich sich an ihn schmiegt,
Was glänzet mehr und linder?
Eines freuet sich am andern hoch
Eins wird durch's andre schöner noch,
Ein Pärchen hübscher Kinder.
Sie haben an einander Lust
Das linde Blatt, das linde Blust,
Die Grüne und die Bläue:
Und wann ein Herz am andern schlägt,
Von Frühlingswonnen hoch bewegt,
Das ist des Frühlings Weihe.

2.

Wieder ist die Blume wach
Und beschauet sich im Bach;
Wieder wölbt der Bach die Halle,
Vögeln tönet mannigfach
Ihre Lust im Wiederschalle.

*

Abendsitz.

Alle Bäume vor dem Walde
Haben Kurzweil an der Halde:
Welch ein Flüstern, Winken, Nicken,
Augenspiel und Blicke schicken! –
Köpfe neigen hin und wieder,
Hände gehen auf und nieder,
Sich in Anmuth zu erzeigen,
Jetzt ein Schweigen, dann im Reigen
Ein gemeinsam Unterhalten.
Auch die Spiele mit den Falten:
Jetzt zusammen sie zu fassen,
Dann sie wieder fallen lassen;
Oder auch im Steigen, Neigen
Sammtne Unterkleider zeigen.
Alle friedlich, alle niedlich,
Nur im Putze unterschiedlich;
Also haben an der Halde
Kurzweil Bäume vor dem Walde.

*

Herbstlied.

Nun haben Sommergluthen
Vertobt Gewitterzorn;
Hoch brausten trübe Fluthen,
Jetzt gleitet sanft ihr Born.
Die Au ist grüner wieder
Der Himmel mild und rein,
Auf bunte Wälder nieder
Strömt goldner Sonnenschein.

Die Blum auch fühlt Behagen
In dieser warmen Luft
Sie will's noch einmal wagen,
Erstehn in Farb und Duft;
In Lenz-Erinnerungen
Erglüht ein Röschen fein,
Und bat sich aufgeschwungen
Ein Sommervögelein.

Und zogen auch zur Ferne
Die Sänger all' vom Thal,
Ersonn' ich mich doch gerne
In diesem Abendstrahl,
Und ob die Blätter fallen
Und fallen aus dem Baum,
Sie machen allenthalben
Den neuen Keimen Raum.

*

Der Wein.

Aus Thränen war der zarte Knab' entsprossen,
Doch hat er bald sein schlafend Aug' erschlossen,
Mit Blumen sich bekränzt das junge Haupt,
Auf Bergeshöh'n, in Hütten kühl belaubt,
Im Maienthau, im Feuerbad der Sonnen
Sich Ueberfluß an Freud' und Kraft gewonnen.

Da haben sie den Reichen eingefangen,
Den edlen Jüngling mit den Purpurwangen,
In Fesseln ihn gelegt, in Kerkernacht,
Dort hat er lang mit angestrengter Macht
Nach frühgewohnter Freiheitslust gerungen
Von Bitterkeit und Brausewuth durchdrungen.

Als er sich nicht erwehren mocht' der Schlingen,
Trat er zurück, sich selber zu bezwingen,
Und auch in Banden frei und froh zu sein.
Vom trüben Aufruhr ward er still und rein.
Ward des Gemüthes reicher Gaben inne,
Ein edler Mann von tiefem klarem Sinne.

Und was er so, gepreßt in enger Hülle,
Gewonnen hat an schöner Geistesfülle,
Giebt er den edlen Freunden gastlich hin;
Noch spiegelt sich der Kindheit Traum darin,
Die kühne Flamme thatenfroher Jugend,
Die Zuversicht der schwer geprüften Tugend.

*

Unsere Berge.

Unsre Berge lugen übers ganze Land
Aus dem Rhonethale zu des Rheines Rand,
Und in allen Gauen ruft ihr Freudenfeu'r:
Schweizermannen, haltet eure Heimat theu'r!

Ueber manchem Lande ragt ein goldner Thron,
Wo mit Wetterleuchten funkelt Schwert und Kron'.
Wo des Wetters Stimme schreckt den Unterthan!
Stumm und mit Erbangen blickt das Land hinan.

Aber zu der Alpen friedevollem Grün,
Zu der Freiheitburgen himmelhohen Flühn
Schauen alle Hütten Strom und See entlang,
Schallen alle Hügel Schweizer-Festgesang:

»Wie die Berge wurzeln unterm Meeresgrund,
Steh' in Herzenstiefen Lieb' und Treu zum Bund!
Wie sie überblicken segnend alle Gau'n,
Laßt uns allesammen zu den Brüdern schau'n!

Rein ob Nacht und Nebel steht die Firn in Gluth:
Wach bleib' und erleuchtet ehrenfester Muth!
Stürmen Heereswolken in das Felsenland,
Muß ihr Heer sich brechen an der harten Wand.

O ihr Höhen Gottes rufet überall:
Er, der aufgeworfen der Gebirge Wall,
Machte Alpenauen zu der Freiheit Hort,
Heißt sie grünen, leuchten ringshin fort und fort!«

*

Ein Tempel. Ein Gott.

Von Einem Tempel sind wir All' umschlossen,
O Christenbrüder, Schweizerbundsgenossen,
Zu Einem Himmel steigen alle Hallen
Und Kronen seiner Thürm' in Goldesgluthen;
Zu Einem Himmel auf in Flammen wallen
Von Hochaltären Opferwolken Fluthen:
Und alle Seelen, Einen Gott zu loben,
Begegnen sich in Einem Blick nach oben.

Von Eines Odem strömen Orgelklänge
In Herrlichkeiten durch des Tempels Gänge,
Von Einer Allmacht jauchzen Sturmeswinde,
Davor die Säulen und Gewölbe beben,
Von Einer Liebe tönen sie gelinde,
Wann Frühlingslüste durch die Thore schweben,
Und alle Seelen, Einen Gott zu preisen,
Sind Ein Gesang in tausendfachen Weisen.

Des ew'gen Lichtes Lebensstrahlen breiten
Sich über Alle in des Hauses Weiten;
Und Einer Sonne Offenbarung kündet
Des Einen Rechtes sel'ge Friedensworte;
Und Einer Sonne Allerbarmung zündet
Mit Sternenglanz zu dem ersehnten Orte.
Und alle Seelen, Einem Gott entstammet
Sind glaubensvoll in Bruderlieb' entflammet.

*

Das Bundeszeichen.

Auf dem Berg und im Gefild
Steht das heil'ge Kreuz geweiht,
Unsers Christenglaubens Bild.
Aufgepflanzt in frommer Zeit
Wo der Christenglaube echt,
Ist das Kreuz zu höchst gestellt,
Weil ein brüderlich Geschlecht
Jesum für den Herrscher hält.

Und es steht im Schlachtenfeld,
Weil im Glauben an den Christ
Freiheit rettend dort der Held
In den Tod gegangen ist;
Und es weht im Kriegspanier
Sternenhell im blut'gen Roth;
Denn für Christus kämpfen wir.
Wann uns ruft des Landes Roth.

Ja, wir bieten uns die Hand
Bei der Hoffnung hier und dort:
Stehen soll das Kreuz im Land.
Unsrer Freiheit höchster Hort,
Steh'n so lang und unentwegt.
Wie's in Rütlisee's Grund
Bergetief bleibt eingelegt
In das Herz dem Alpenrund.

*

Heldenlob.

Heldennamen schönsten Klanges
Laßt uns reih'n zu einem Lied
In den Grundton des Gesanges,
Den die Freiheit uns beschied!
Heldennamen sind's, die preisen
Hoch des Menschen Herrlichkeit,
Sind die ewig neuen Weisen.
Drinn erblüht die alte Zeit!

Ritter, Bau'r und Hirt erschlossen
Ew'gem Recht den Alpenkreis;
Steigt vorauf, ihr Eidgenossen,
Jüngling du und Mann und Greis!
Schreit' vorauf zu denen Dreien
Mit der Armbrust, Wilhelm Tell!
Ihre Sehne klingt den Freien
In die Lieder harfenhell.

Der zum ersten Kampf entflammte
Sieggetrost ein Simeon,
Heil, o Reding! dir entstammte
Noch bei uns ein echter Sohn!
Euch, Maneß und Erlach, loben
Eu'rer freien Städte Pracht;
O, wie ist die Spreu zerstoben
In den Stürmen eu'rer Schlacht!

Winkelried, wie du gefallen,
Wer bestand so je im Blut?
Buhlen in den Stößen allen
Stark wie Rautis Fels und Fluth;
Bubenberg, der feste Retter,
Wenn auch Wall und Mauer bricht,
Hallwyl dringend durch die Wetter
Mit der Sonne Siegeslicht.

Solche Namen glüh'n geschrieben
An der Alpenthore Schwell'
Rings, wo Heere schlafen blieben,
Von der Birs zum Rheinesquell.
Dort, wo schönen Sommers Segen
Rotachs Volk vom Säntis bracht',
Dort, wo Mann für Mann erlegen,
Siegend in der Sühnungsschlacht.

Die gepflegt den theuern Samen,
Ausgestreut in Streites Müh',
Leben all' in deinem Namen,
Frommer Klausner von der Flüh.
Euer Lob wird hell ertönen
Noch der allerfernsten Zeit,
Aufzuwecken in den Söhnen
Alte Kraft und Einigkeit.

*

Der Schweizerknabe.

Mein Vater ist gegangen
Mit an des Landes Mark';
Sie woll'n den Feind empfangen:
Mein Vater auch ist stark.

Die Mutter weint beim Scheiden
Und auch das klein're Kind;
Mir schlug das Herz in Freuden,
Die Fahne flog im Wind.

Für unsern Vater beten
Wir jetzo spät und früh:
Gott mög' ihn uns erretten
In Krieges Noth und Müh'.

So schaut auch zu den Sternen
Der Vater um Mitternacht;
So wissen wir in Fernen
Uns beide wohlbewacht.

Gott ließ sie nicht verderben,
Als Tell vom Knaben schied;
Und sollt' mein Vater sterben,
Er geht zum Winkelried.

*

Die zweiundzwanzig Musikanten,
gesungen an der schweizerischen Musikgesellschaft zu Bern 1827.

Es sitzen zweiundzwanzig Brüder
In ihrem wunderschönen Saal,
Und singen lauter frohe Lieder
Von Glück und Frieden allzumal.
Der Saal ist wie gemacht zum Singen
So hochgewölbt und kühl und weit,
Sein stolzer Bau, sein Widerklingen
Macht alle Herzen sangbereit.

Die Weisen, die darin ertönen,
Sie stammen her aus alter Zeit
Von jenen Dreien, die den Söhnen
Den Helden-Liedersaal geweiht.
Die führten gut den Fidelbogen.
Die hatten einen scharfen Strich.
Und Saiten, die sie aufgezogen.
Erschwangen rein und mächtig sich.

O spielt zusammen, wie die Alten,
In Einem Takt und Herzens-Schlag,
Daß sich des Chores Pracht entfalten
Und unsern Saal erfüllen mag.
Es sing' ein Jeder seine Weise.
Nur schling' er sie zum Liederkranz;
Dann werden Stimmen laut und leise
Sich tragen zu dem höchsten Glanz.

Die Einen singen reich und prächtig,
Wie Geigen hoch und vielgestalt,
Die Andern tief und wohlbedächtig
Des Basses feste Grundgewalt.
Hier tönen einfach Horngesänge
Und freundlich dort die Flöten drein.
Trompeten kühn, Posaunen strenge.
Zu Hirtenfreuden die Schalmei'n.

Wie viel der Meister Brüder waren
Seit alter Zeit in diesem Saal,
Die andern erst nach vielen Jahren
Gekommen unter ihre Zahl:
In deutschen oder wälschen Zungen,
Katholisch oder reformirt,
In Doppelfugen wird gelungen
Von Alt und Jungen musizirt.

Das Solo hebt den Chor im Glanze,
Begleitend heben wir's hervor;
Doch wer sich einzig hält für's Ganze,
Den übertönen wir im Chor.
Die Meister horchen scharf und winken,
Daß Niemand weich' aus Takt und Zeit,
Daß Keiner in dem Tone sinken
Und säumen kann im Liederstreit.

So jubeln zweiundzwanzig Brüder
Das schönste Lied: des Friedens Ruhm.
Im Saale rauscht es auf und nieder,
Er wird zum hohen Heiligthum.
Entweihet nie durch Mißgetöne
Den Tempel, nie durch eiteln Klang!
Das Eintrachtslied, o Schweizersöhne,
Ist selber Feinden Zaubersang.

*

Alphornklänge.

Hörnerklang
Schallt herab vom Felsenhang!
Ob auch schliefen
Alle Tiefen:
Auf dem hoh'n,
Freien Thron
Wacht der munt're Alpensohn.

Hörnerklang
Von der Quell' den Strom entlang!
Seine Weisen
Wollen preisen
Rein und wahr
Tief und klar
Sitteneinfalt immmerdar.

Hörnerklang,
Seelenvoller Zaubersang!
Der verkündet
Und entzündet
Allerwärts
Jedes Herz
Mit der Heimat Lust und Schmerz.

Hörnerklang,
Der herab durch Wolken drang:
Leih' die Schwingen,
Uns zu bringen
Von der Gruft
Durch die Kluft
In des Himmels Bergesluft.

*

Frauenlob.

Wie schöne Blumen wallen
Im Grün der Alpenau'n,
Die schönsten unter allen,
Sind doch die holden Frau'n,
Die sich wie Blumen kleiden
In eigner Anmuth Glanz,
Und wie die Blum' bescheiden
Auch unter'm! Frühlingskranz.

Wie sich in unsern Gauen
Mit Hoheit Huld vermählt,
Das ist auch Schweizerfrauen
Zum reichsten Schmuck erwählt.
Die hellen Augen künden
Ein rein und tief Gemüth,
Wie in des Alpsees Gründen
Das Himmelsblau erblüht.

Wie still die Quell', ihr Segen
Ernähret Feld und Blum':
So wahrt der Frauen Pflegen
Des Landes Heiligthum.
Ja Glauben, Eintracht, Sitte,
Und was erhält ein Haus,
Geht in der Kinder Mitte
Vom Mutterherzen aus.

So weben das Gemüthe
Sie fest in unsern Bund,
Erzieh'n der Freiheit Blüthe
Aus allertiefstem Grund.
Ein Frauenwort, weissagend,
Hat unsern Bund erfacht;
Die Hirtin unverzagend
Schritt mit dem Hirt zur Schlacht.

Das sind die Schweizerfrauen,
Um deren Lob man wirbt,
In deren Gottvertrauen
Für die man lebt und stirbt.
Das ist der Schönheit Krone,
O Tochter, rein erblüht,
Daß, auf dich stolz, dem Sohne
Das Herz nach Ehren glüht.

*

Aufgeräumt.

Aufgeräumt, das ist ein Wesen,
Dem muß werden Alles gut;
Willst du dir was auserlesen,
Wähle dir das heit're Blut;
Wähle, was wie Sonnenschimmer
Nach dem langen Wochentag
Lacht im aufgeräumten Zimmer,
Und ein Sonntag bleiben mag.

Weicht die Ruhe auch zu Zeiten,
Wenn die Welle überschäumt.
Wind und Wald und Wolken streiten:
Bald ist's wieder aufgeräumt.
Und die Grüne und die Bläue
Nach dem Sturm und Wetterschlag
Wie verklärt sie sich auf's Neue,
Und wie pranget Nacht und Tag.

Schau umher denn und nach Oben,
Erd' und Himmel sind geschmückt;
Ausgeräumt und nicht verschoben,
Liebe Seele, was dich drückt,
Daß nicht Stund' um Stund' entschwinde
Dir getrübet und versäumt;
Und dein letztes Stündlein finde
Auch, dein Herze aufgeräumt!

*

Freundschaft.

Wir schliefen, und es trugen
Vom unbekannten Meer
An dieses Insel-Ufer
Uns holde Winde her.
Vor den erwachten Augen
Stand da dieß Wunderland,
Das uns mit Zauberbanden
Der Lebenslust umwand.

Wir möchten ewig weilen
Auf dieser schönen Erd';
Doch steht zu neuen Fahrten
Der Kahn bereits gekehlt;
Und wenn wir angesiedelt
Auch noch so glücklich sind;
Der Schiffer ruft zum Scheiden
Sieht günstig er den Wind.

Er steuert jenen Lichtern
Der fernen Küste zu
Dort ist das Land der Sel'gen
Und müder Pilgrim' Ruh';
Doch auch von sel'gen Küsten
Sehnt sich zum Herz das Herz;
Wir möchten Kunde haben
Und selbst wol erdenwärts.

Da wir uns denn gefunden,
Auf dieser Wahlfahrtsstätt,
Wo man nur Stunden weilet
Und dann auf ewig geht:
So wollen wir recht innig
Uns mit einander freu'n,
Und miteinander tragen
Das Leid in wahren Treu'n.

Wenn dann auch unser Schiffchen
Von deiner Insel schied,
Ertönet noch am Strande,
Betrübter Freunde Lied:
»O du, du herzlich Guter.
Schon mußtest von uns gehn!
Was hülf' dieß Leid ertragen
Thät's nicht das Wiedersehn?«

*

Der Tanz.

Auf, in Reih'n und Ringen
Luftig uns zu schwingen;
Also tanzt die ganze Welt:
Sonnen, Sternenheere,
Wolken, Ström' und Meere.
Lebensfroh sich zugesellt.

Leicht, wie Herzen schlagen,
Wollen wir uns tragen,
Denn so tanzen überall
Blumen mit den Quellen,
Zweig' und Saatenwellen,
Aufgeregt von Liederschall.

Auf und ab sich winden,
Trennen und sich finden,
Ist der Tanz des Weltgeschicks;
Lenz und Sommer eilen,
Jugend kann nicht weilen:
Freuet euch des Augenblicks'.

*

Die Schiffahrt.

Muth! Geliebte, herein, zwar sind es nur schwankende Bretter;
Aber der Sterbliche fährt stets im unsicheren Kahn.
Brettern trauen wir nicht, dem trauen wir, der uns begleitet,
Der wie die Liebe verliehn, also der Liebe den Muth,
Hat dein Herz, graubärtiger Schiffer, je Liebe gefühlet,
Lenkest du sorglicher wol jetzo die Wellen hinab.
Führet erprobete Kraft, Erfahrung und Sorgfalt das Ruder,
Besser könnten die Fahrt wahrlich bestellen wir nicht.
Nun in den Tackt gewieget erschallen die seligen Lieder;
Widerscheine des Stroms: doppelte Liebe und Lust.
Welle, du führest zu schnell vorüber den schönen Gestaden;
Schiffer, o zögere doch, kannst du, die selige Fahrt.
Rings von den Auen verzaubert bemerken nicht Alle die Schnelle,
Aber zu spät, wenn der Fluß d'runten Einöden bespühlt.
Fassen, bewahren wir tief die vorüberschwindenden Reize;
Und die Erinnerung dann tröst' uns Einöden hinab!
Fahre nur kühner, entweich' nicht jeder anbrausenden Welle;
Schutz ja suchend umschließt Bräutchen bei jeglicher mich.
Regen streifet vorbei, wir spannen den seidenen Schirm auf;
Wohnt sich's, Geliebte, nicht süß unter demselbigen Dach?
Also geschirmet vergißt man den schlagenden Regen und Frostwind;
Und der verborgne Kuß küßt sich noch einmal so süß.
Nur im Vorüberfluge verfinsterten Wolken den Himmel,
Herrlicher wiederum bricht Röthe des Abends hervor.
Schau dort, liebliche Kinder, sie fleh'n um gefällige Mitnahm':
»Schiffer, lande doch an, haben wir Raums ja genug.«
»Seltsam vereinet sich heut, ihr Leutchen, der Ernst mit dem Scherze;
Gleiche dem heutigen Scherz, was ihr im Ernste beginnt!«

*

Tiuschiu zuht gât vor in allen.

W. v. d. Vogelweide

Schönheit ist nicht ausgestorben,
Davon, deutsche Frau'n, bring ich Bescheid,
Schönheit, wie sie Lob erworben
Einst durch Walther von der Vogelweid.
Immer will ich segnen
Jenes Glückes Stund',
Da der Schönheit Wunder mir so nahe stund;
Möcht' ich ihr noch oft begegnen!

Auf schritt ich das Schiff und nieder;
Frauen saßen da in langen Reihn,
Oder gingen hin und wieder
Preisend Reiselust und Sonnenschein.
Zierliche Gestalten
Fremd Gelaß und Land.
Von dem Strand der Seine und der Themse Strand
Sah man Reiz und Würd' entfalten.

Alles hübsch und ohne Tadel,
Daß umsonst ein Streiten sich erhob;
Ob der Anmuth, ob dem Adel
Zu ertheilen sei das erste Lob.
Aber ja geschwinde
Schloß ich ab die Wahl,
Als ich eingetreten dich erblickt im Saal,
Deutsche Frau mit deinem Kinde.

Ganz die Reinheit, Tiefe, Milde,
Wie sie nur aus frommem Herzen strahlt,
Gleich in Van Eyks heil'gem Bilde
Der Evangelist Marien malt.
Wie der Augen Schöne.
Stirne Wang' und Mund
Thaten einen Himmel des Gemüthes kund
Auch der Stimme seelenvolle Töne.

Und nicht konnt' ich satt mich schauen,
Immer herrlicher erschien sie mir,
Ich vergaß der Berg' und Auen,
Denn es galt ein Wort von ihr.
Im Vorüberwallen
Sah ich Schönstes so
Euer Wort, Herr Walther, wiederhol' ich froh:
Deutsche Schönheit geht vor allen!

*

Auf der Ebernburg.

1.

Wo schon drei Jahrhundert lang
Lied und Becher nicht mehr klang,
Steht aus Trümmern moos-ergraut
Jetzt ein schmuckes Haus gebaut.

Und ich war der erste Gast,
Der das Kelchglas dort erfaßt.
Ich erhob es und ich trank
Hutten und Sickingen Dank.

Und im heitern Saale war
Um mich her die edle Schaar:
Berlichingen, Aquila,
Hausschein, Kromburg waren da.

»Sei's ein gutes Zeichen mir,
Das ich bin der Erste hier,
Sprach ich, der, von euch belebt,
Eurem Ruhm den Kelch erhebt.

Segnet mich und weiht mich ein,
Stärkt mich wie der edle Wein,
Daß das Lied, das ich erhob,
Mir geling' zu eurem Lob!«

2.

Im tiefen Brunnen fand
Sich auch der Mauerstein,
Auf dem geschrieben stand:
»Hier wart' ich fest und stet,
Weis' ab, wer mir zu nahe geht!«

Der Stein fügt' alsofort
Dem neuen Haus sich ein;
Jetzt grüßt des Helden Wort:
»Hier wart' ich fest und stet,
Weis' ab, wer mir zu nahe geht!«

Und vor dir steht der Held,
Der, war er auch allein,
Ausrief in Rath und Feld:
»Hier wart' ich fest und stet,
Weis' ab, wer mir zu nahe geht!«

Und Halt gab er; es stand
Auch Hutten

mit ihm ein,
Rief, wo er Wahrheit fand:
»Hier wart' ich fest und stet,
Weis' ab, wer mir zu nahe geht.«

Fort wuchs ihr Werk und lebt,
Und Deutschland stimm' mit ein,
Vereint, wie sie's erstrebt:
»Hier wart' ich fest und stet,
Weis' ab, wer mir zu nahe geht!«

*

Zu Worms.

Ich saß zu Worms am Rheine: der Himmel stand in Gluth,
Mit goldnen Wogen rauschte vorbei des Stromes Fluth;
Der Segel stolze Menge zog abwärts und heran;
Und ernstes Abendläuten der alten Münster hob sich an:

Des Heldenliedes Stimmen aus ferner, grauer Zeit,
Geläut der hohen Feste und tiefes Grabgeläut,
Da mit den Königinnen das Volk zur Hochzeit drang,
Da über dem Erschlagnen Criemhild am Sarg die Hände rang.

Sie ziehen All' hinüber, mit Hagen Giselher;
Die Eine Schuld des Grimmen verschlingt das ganze Heer.
Wer kann den Strom aufhalten? – Und dessen Tod zum Hohn
Dem Schicksalsspruch soll werden, – der Priester kommt allein davon. –

Und wieder stehet drüben ein Priester an dem Strand;
Der Eine Gottesstreiter erweckt das ganze Land.
Wer kann den Strom aufhalten? Der Mönch sieht hin und spricht:
»Und wär' die Welt voll Teufel, hindurch! und anders kann ich nicht!«

Troß Bann und Acht hob wieder er den versenkten Hort;
Wie Gold des Himmels leuchtet er durch die Lande fort,
Und leuchtet dem auch, welcher den Wiederbringer haßt;
Die Edelsteine leuchten, hier so und anders dort gefaßt.

Eh' wird man Euch versenken, eh' Ihr den Hort versenkt!
Wer kann den Strom aufhalten? Die Welt ist gottgelenkt.
Freiheit stammt nur aus Glauben; er Deutschlands Einigkeit;
O heil'ge Münsterglocken, auch aus der Zukunft tönt ihr weit!

*

Die drei Riesen von Iseltwald.

Der Kaiser ruft dem Oberland,
Zu helfen seinem Heere,
Das Oberland ist gleich zur Hand
Und schickt die beßte Wehre.

Der Kaiser reitet durch das Heer;
»Wo steh'n der Sennen Schaaren?« –
»Herr, ihrer sind hieher nicht wehr
Als dort die Drei gefahren,

Die Drei dort, welche aus dem Heer
Wie Wettertannen ragen,
Im Bärenfell, doch ohne Wehr,
Geschoß noch Schwert zu tragen!« –

»Wo sind die Schaaren blieben mir,
Der Alpen beßte Kräfte?« –
»Die Schaaren, Kaiser, die sind wir,
Wir sind des Landes Kräfte!« –

»Wo ist denn euer Schwert und Schild,
Der Bogen und die Stange?« –
»Die wachsen, Herr, uns ringsum wild
Und frisch zu jedem Gange.« –

Und wie beginnen soll der Strauß,
Sieht man zum Wald sie eilen;
Sie wurzeln junge Buchen aus
Und machen sie zu Keulen.

Und mit den Keulen eilen sie
Voran dem Kaiserheere,
Dem Roß zerschmetternd Brust und Knie,
Dem Ritter Haupt und Wehre.

Den Lanzenwald, den Eisenwall,
Sie stürzen Alles nieder,
Und dringen tiefer, Schlag und Fall,
An's Banner durch die Glieder.

Ihr eigen Heer in Staunen läßt
Es sie ihr Werk vollenden,
Da seh'n sie bald des Feindes Rest
Zu jäher Flucht sich wenden.

Auf ihres Kampfes Trümmern preist
Der Kaiser hoch die Sieger;
»Ja wahrlich, Mannen, ihr beweist
Euch als ein Land voll Krieger!

Was biet' ich euch für diesen Tag
An Geld und Gut und Ehren?
Das Ritterlehn, den Ritterschlag,
Sagt, was soll ich gewähren?«

Sie halten Rath und sagen bald:
»Herr, will es sich gebühren,
Laßt unser Dörflein Iseltwald
Des Reiches Adler führen.

Und gehn zur heißen Sommerstund'
Am Brienzer-See wir nieden,
Daß Jedem dann aus Reichesgrund
Drei Rüben sei'n beschieden,

Die ausziehn darf er dann und wann
Und Niemand dafür fragen,
Und in der Hand die Eine dann
Und zwei im Gürtel tragen.«

Der Kaiser sagt mit Lachen zu
Und staunt noch mehr der Helden;
Und sie geh'n heim in ihrer Ruh',
Ihr großes Glück zu melden.

*

Die Unterwaldner Schlüssel.

Der heil'ge Vater leidet schwer,
Vom Feind fast umgerungen;
Da ist der Unterwaldner Heer
Ihm siegreich beigesprungen.

»Was bietet euch die Kirche an,
Die frei ihr habt gestritten?«
»Die Schlüssel in der Purpurfahn,«
Ist's gleich, was sie erbitten.

Gleich heut der heil'ge Vater dar
Das Banner ihren Händen,
Und gleich sieht er die frohe Schaar
Der Heimat zu sich wenden.

Doch schwer zu Herzen fällt's ihm gleich:
Weß noch kein Fürst sich freute,
Die Schlüssel ja vom Himmelreich
Hat so verschenkt er heute.

Schnell schickt er Boten auf die Reis',
Und ihnen ist befohlen,
Die Fahn um jeden Tausch und Preis
Ihm wieder heimzuholen.

Doch wie sie eilen Tag und Nacht,
Noch mehr eilt Unterwalden;
Schon weht hinab des Banners Pracht
Am Gotthard Steg und Stalden.

Der Papst verwindet den Verdruß;
Wohl weiß er's noch zu kehren.
Und zeigt: »Es ist ein höh'rer Schluß;
Des Bessern uns zu lehren.

Die Schlüssel, die nun in der Schweiz,
Sie standen bisher grade,
Jetzt woll'n wir legen sie ins Kreuz,
Das Zeichen aller Gnade.

Und daß daran man auch erkennt:
Der riegelt und entriegelt.
Sie seien beide ungetrennt,
Was immer wir besiegelt.

Und daß auch fürder Niemand mag
Es deutlich unterscheiden,
Wer so den andern heb' und trag'
Von unsern Schlüsseln beiden.«

Doch das irrt Unterwalden nie
An ihrer Schlüssel Segen:
Der heil'ge Vater weihte sie,
Nichts kann sein Wort entwegen.

Und ihrer Schlüssel Doppelbart
Schließt ihnen ab das Schlechte,
Und öffnet ihnen und verwahrt
Untrüglich stets das Rechte.

Er sprengt der Vögte Thurm und Haus,
Draus sie der Kaiser höhnte,
Und schloß dann Albrechts Friedrich aus
Obschon der Papst ihn krönte.

Der Papst, der deß mit Bann sie straft.
Schließt ihrer Kirchen Chore,
Sie aber in der Schlüssel Kraft
Thun wieder auf die Thore.

Und sagen ihren Priestern rund.
Derweil die Glocken klingen:
»Flieh'n müßt ihr dieses Thales Grund,
Wollt ihr für uns nicht singen!«

Der heil'ge Vater sprach! »Nun ist's
Zwar unrecht aber klüglich!«
Doch Unterwalden, das ermißt's
Nach seinen Schlüsseln füglich.

Der Klugheit Schlüssel sind zu Rom,
Muß alle Welt bekennen,
Die Schlüssel zu des Rechten Dom,
Die haben Bau'r und Sennen.

Der Schlüssel Echtheit und Gewalt
Wie zeigte sie sich dorten,
Als Winkellied aus Unterwald
Aufschloß dem Sieg die Pforten.

Der Schlüssel Echtheit und Gewalt
Wie zeigten sie sich dorten,
Als Niklaus Flüh aus Unterwald
Zuschloß der Zwietracht Pforten.

Drum selbst die Frau'n mit Todesmuth
Zum Landesbanner standen,
Als in die Friedensau'n die Wuth
Einbrach der Mörderbanden,

Auf sie gehetzt von jenem Rath,
Deß Schmach so überschwenglich,
Als Unterwaldens Heldenthat
Und Ehren unvergänglich.

*

Das goldene Zeitalter.

Als der Bach in goldnen Zeiten
Noch von Milch und Honig floß,
Damals waren, könnt ihr denken,
Bienen auch und Kühe groß.
Ja die Bienen machten Waben
Wie die Scheunenthore breit,
Ihre Bienenkörbe waren
Felsenhöhlen hoch und weit;
Und die Kühe groß wie Hügel,
Reich an Vorrath waren die,
Und in Thal- und Felsen-Kessel
Mußte da man melken sie.

Und zu Schiffe mußte fahren,
Auf die hohe Milch der Knab';
Wer die Sahne wollte haben,
Schöpfte sie mit Wannen ab.
Darnach floß die Milch zu Thale,
Schleußen wurden aufgethan;
Thurmhoch war'n die Butterfässer,
Milch trieb große Räder d'ran;
Wundervolle Butterballen,
Kaum geh'n sie zum Thor hinein,
Käse wurde da gesotten
Kleiner nicht als Mühlenstein'.

Riesen waren da die Sennen,
Alle schön wie Milch und Blut;
Doch der schönste gieng verloren: –
Lang in Milch und Honigfluth
Aufgesucht, ward er gefunden
In des Butterfasses Grund,
Wo entglitscht er war mit Sahne,
Als er auf dem Rande stund.
Und sie haben ihn begraben
In der Honighöhle Kluft;
Dort lag er noch lange Jahre
Balsamirt in süßem Duft.

*

Der Schlangenbanner.

Ein Pfeifer geht durch Berg und Thal
Und läßt sich gut bewirthen:
»Die Schlangen bann' ich überall«,
Verkündet er den Hirten,
»Die beißenden
Und reißenden,
In allen Farben gleißenden,
Mit meiner Pfeife Schall!

Die Hirten steh'n im weiten Kreis;
Der Mann beginnt zu blasen,
Und auf die helle, schnelle Weis'
Thut auf sich Stein und Rasen;
Die schwänzelnden
Sich kränzelnden
Und auf und nieder tänzelnden
Sind da auf sein Geheiß.

Und greller immer pfeift der Mann,
Je mehr der Augen blitzen,
Und immer wimmelt mehr heran
Aus Höhlen und aus Ritzen;
Die mächtigen
Und prächtigen,
Die schmächtigen und trächtigen
Sind all' ihm unterthan.

Und tausend Köpfe recken sich
Und züngeln ihm zum Gruße,
Und tausend Köpfe strecken sich
Und lecken ihm am Fuße.
Das steigende
Und neigende,
Sich grün und blau erzeigende
Gewoge kam und wich.

Fast beten an die Hirten schon
Den Zauberer im Tanze,
Da nahet Eine in der Kron'
Und aller Farben Glanze,
Die gähnende
Raub sehnende
Sich unabsehbar dehnende
Schießt Blicke: Zorn und Hohn.

Die Pfeif entfällt dem Mann; zur Stell'
Ist seine Macht entschwunden;
Noch schreit er auf, da haben schnell
Ihn Tausende umwunden;
Die zischenden
Und gischenden,
Blut, Gift und Geifer mischenden,
Sie wogen Well' auf Well'.

Vom Berge flieh'n die Hirten all'.
Und, was sie auch ersannen,
Verlassen bleibet Weid' und Stall;
Nichts kann die Schlangen bannen!
Verzehrende,
Verheerende,
Sich ohne Zahl vermehrende
Erfüllen jetzt das Thal.

*

Agnes von Burgund.

Rudolf von Habsburg hält
Auf seiner Pfalz in Speier
Der zweiten Hochzeit Feier.
Er hat sich ausgewählt,
Zur Kaiserin zu krönen,
Die schönste aller Schönen,

Die Agnes von Burgund,
Die Rose thaubegossen.
Die eben sich erschlossen.
Von Auge, Miene, Mund,
Von Wuchs und Formen-Reine
Im wonnevollsten Scheine,

Des Kaisers Angesicht
Macht alle Gäste freier;
Der Fürstbischof von Speier,
Er kann sich halten nicht,
Zu allen Festgenüssen
Noch Agnes Mund zu küssen.

Der Kaiser aber sagt:
»Die Agnes sollt ihr lassen,
Das Agnus Dei fassen,
Das auf der Brust ihr tragt;
Denn Jeglichem das Seine,
So lehrt ihr die Gemeine.«

*

Der alte Schütze.

»Wie toset und wie krachet
Es unten an dem Rhein!
Ihr Büblein könnt ja laden;
Wir woll'n daheim nicht sein!
Heut' spür' ich nicht das Alter,
Mein Arm und Aug' ist gut;
Mein Fuß wird mich noch tragen
Zu unsrer Vorderhut.

Wann kam ich je vom Schießen
Und hatte nicht das Best'?
Und könnte heut' versäumen
Das höchste Schützenfest,
Da sich das Spiel der Jahre
Im Ernst erproben muß?
Nein, heute soll gelingen
Mir noch der Meisterschuß!« –

Der Alte schießt vom Hügel
Und stürzet Schuß um Schuß
Von Brückenschiffen einen
Der Feinde in den Fluß.
Die beiden Enkel laden.
Vom Kugelsang umspielt,
Und jauchzen ob den Todten.
Als hätten sie gezielt.

Die Schützen an dem Ufer,
Schau'n zu der Tann' empor.
Und seh'n die weißen Locken
Und seh'n das sich're Rohr.
»Es sitzt der Tod dort oben.
Er kam uns ins Gehäg,
Und schießt die besten Gaben
Uns alle vorne weg.«

Und drüben rennt ingrimmig
Der Hauptmann auf und ab.
Umsonst sind ihm die Reih'n
Gefall'n ins nasse Grab.
Er selber stürzt getroffen
Zu ihnen in den Fluß;
Der Alte auf dem Hügel
That seinen Meisterschuß,

Und lehnet sich ermattet
In Blumen und in Gras;
Vergebens hol'n die Knaben
Ihm noch ein stärkend Glas.
Er stirbt; von Schützenmaien
Bekränzet weiß und roth,
So finden ihn die Sieger
Und preisen seinen Tod.

*

Das gerettete Haus.

Es schneit und schneit bei lauem Wind;
Das ist der Aelpler schlimmstes Wetter;
Der Schnee, der sich gehäuft so lind,
Bricht Fels und Wald dann mit Geschmetter.
Schon überschneit's die Hütt' am Hang,
Schon tost von oben her es bang;
»Wie weilt der Vater doch so lang!«
So fragen ängstlicher die Kleinen
Um ihre Mutter her und weinen.

Und näher donnert Fall auf Fall,
Die Balken von der Schneelast krachen,
Die Frau umschließt die Kleinen all':
»Hilf, Hilf, Barmherziger den Schwachen!«
Da löscht der Sturm ihr Lichtlein aus.
Da sprengt der Sturm ihr kleines Haus,
Der Ball hüllt sie in seinen Graus; –
Sie fühlen all' ihr schrecklich Ende
Im Sturz hinab die Felsenwände.

Und Wälder bricht des Sturzes Wind,
Doch wo auch Stein und Stamm zerkrachen,
hält wohl umhüllt der Schnee sie lind,
Und der Barmherz'ge hilft den Schwachen.
Die Mutter fühlet sich erwacht
Und auch der Kinder Herz erfacht,
Und hat sie aus des Grabes Nacht
Zur nahen Hütte bald gerettet
Und in das warme Heu gebetet.

Noch irrt am pfadelosen Hang
Der Vater diese bangen Stunden;
O wie er dann die Hände rang,
Da er die Hütte sah verschwunden!
Er klimmt hinab durch all den Graus,
Sieht Trümmer noch von seinem Haus,
Und steigt auch wie vom Grab heraus:
Entgegen aus der Seinen Munde
Jauchzt ihm der Rettung Wunderkunde.

*

Der Wildheuer

Der Heuer will zur wilden Au';
»Schütz' Gott dich!« sagt die junge Frau.
Und er, bevor sie noch erglüh'n.
Klimmt schon hinan die höchsten Flüh'n,
Da wo die steilsten Halden neigen,
Die Zieglein selber nicht mehr steigen.
Und wo das Gras dem, der es mäht, –
Und wo es jetzt in Fülle steht.

Er jauchzt ob diesem Ueberschwang:
»Der nährt mein Haus den Winter lang!«
Er mäht und mähet sonder Rast;
Noch heute will des Heues Last
Er abwärts über Felsen schwingen
Und in der Höhle unterbringen,
Und sagen noch dem Weibchen heut:
Wie Gott von Sorgen sie befreit.

Er mäht und mähet immerfort;
Und was derweilen ist gedorrt,
Wirft er hinunter Last um Last, –
Vor Hitze doch vergeht er fast.
Kein Brünnlein rieselt aus den Steinen;
Den Rest des Brods ließ er den Seinen.
Er ruft: »O Gott erbarme dich
Der Meinen und erhalte mich!«

Und plötzlich in der finstern Schlucht,
Wo noch ein Wässerlein er sucht.
Glänzt Sternenlicht, – endlos hinein
Sieht er zum Berg; der helle Schein
Kommt näher stets; – es ist ein Männchen,
Das trägt vor sich ein goldnes Kännchen,
Und ist ein Weibchen, auf der Hand
Glänzt ihm der Silberschüssel Rand.

Her weht von ihnen Maien-Duft
Und tief erfrischend kühle Luft;
Sie selbst so wohlgethan und fein, –
Nichts könnte anmuthvoller sein:
Die Augen leuchten lauter Güte,
Die Wangen zarter Jugend Blüthe,
Und Wuchs und Ebenmaß und Gang
Ist herzerfreuender Gesang.

Goldblumig ihr geschürzt Gewand,
Demanten ihrer Locken Band.
So Wunderbares vor sich stehn
Hat nie der Heuer noch gesehn,
Und holt sich nun mit klaren, süßen
Und seelenvollsten Tönen grüßen:
»Sieh, unser Meister schickt uns her:
Nicht sollst du schmachten länger mehr,«

Das Männchen reicht von Golde klar
Das Kännchen ihm voll Weines dar.
Und kaum der Heuer an es setzt.
Fühlt er gestärkt sich und geletzt.
Nichts hat derlei er noch empfunden,
Und hört: »So laß dir's weiter munden.«
Und ob er nun auch trinkt noch mehr.
Nicht wird das kleine Kännchen leer.

Jetzt tritt das Fräulein auch heran
Und beut vom Silberschüßlein an
Des warmen Kuchens Duft und Saft,
Gefüllt mit Lieblichkeit und Kraft,
Nichts hat derlei er noch empfunden.
Sie sagt: »So laß dir's weiter munden.«
Und ob er nun auch ißt noch mehr,
Nicht wird die kleine Schüssel leer.

Er sagt: »Jetzt habet großen Dank:
Nie stärkte so mich Speis' und Trank
Des Heues Meister werd' ich lang
Nunmehr vor Sonnenuntergang.«
Und an sein Tagwerk geht er wieder;
Sie aber singen ihm noch Lieder:
So hörte er ein Singen nie;
Und seine Arbeit fördern sie.

Und wie er dann hinunter schwingt
Das letzte Heu, – sieh da verklingt
Das Singen auch; er schaut hinan,
Sie sind entschwebt; es ist gethan. –
Er aber weiß: wer nicht verschwiegen.
Den fliehn sie. – Und hinaufgestiegen
Fand er sie wieder manches Jahr;
Und ward ein Fest ihm die Gefahr.

*

Erdenglück.

»Gleite sanft mit ihr, du helle
Flusseswelle,
Mach' ihr Muth zur neuen Lebens-Bahn!
Ihrer harr'n die Hochzeitgäste,
Und zum Feste
Steht das neue Haus weit aufgethan.

Mir in Arm führt sie geschwinde,
Gute Winde!
Ach wie bebt mein Herz so froh und bang.
Daß ich endlich ihr zur Seite
Sicher schreite
Nach dem langen, einsam irren Gang!
Heit're Maienhimmels-Bläue,
O befreie

Sie von Angst und gieb ihr deine Ruh';
Aus dem neuen Heimatlande
Weh' vom Strande,
Wohlgeruch, ihr meine Grüße zu!

Luge, Fährmann, wohl dem Schiffe
Bei dem Riffe
Und im Strudel an der Felsenwand!
Voller'n Lohn will ich dir geben.
Denn mein Leben
Ist nun anvertrauet deiner Hand.

Tauch, o Kahn, aus blauer Ferne
Gleich dem Sterne!
Flögst du doch wie diese Vögel her,
Die gescheut vorüberjagen! –
Was sie klagen,
O wenn's eine Vorbedeutung wär.

Was sich auch die Blicke spannen.
Ach von dannen
Kommt mein Schiff noch immer nicht heran!
Doch, o Gott! vorüberschwanken
Hut und Planken
Und um jene Eck' ein leerer Kahn!«

Und er sieht den Kahn zerschlagen.
Und von Klagen
Wird auch gleich das ganze Ufer laut.
Leichen kommen hergezogen
Und die Wogen
Legen ihm zu Fuß entseelt die Braut.

Und die Woge spielt vorüber.
Und nicht trüber

Spiegeln drin sich Himmel, Wolk' und Blust,
Gleich als halten den, der weinet,
Sie vereinet
Heute mit der Braut zur schönsten Lust.

*

Der Wittwe Scherflein in der Glocke

Zum Glockenguß sind die Metalle
Bereit im rechten Glast und Fluß;
Und rings die Kirchgenossen alle
Erwarten dichtgedrängt den Guß.
Die größte Glocke soll es geben
Und der Gemeinde Ruhm erheben
Im ganzen Land; und nichts auch ward
An Geld und Fleiß und Kunst gespart.

Der Meister sagt: » Sie wird gelingen;
Und werft ihr Silber noch herein.
Wird ihr gewaltiges Erklingen
So heller noch und reiner sein.«
Und da will sich noch Jeder zeigen:
Die blanken Silberlinge steigen
Im weiten Becken hoch und schwer,
Und eine Wittwe drängt noch her.

Und sagt, da zu den Thalern allen
Sie ihren Silbergroschen schob:
» Der wird auch ihn mit lassen hallen,
Der dort so hoch das Scherflein hob.« –
»Was, solch ein Bettel sollte mehren
Den Klang! das hieß die Kunst entehren;«
So wirft der Gießer hin mit Zorn
Den Groschen in den tiefen Born.

»Im Armen wird Gott selbst gehöhnet«,
Klagt nun die Wittwe; – »und so lang
Nicht mit der Armut Scherflein tönet,
Bringt ihr die Glocke nicht zum Klang!«
Der Meister lacht, als ob sie spasse,
Und wirft das Silber in die Masse
Und ruft: »Jetzt blinkt der rechte Schein:
Jetzt läßt den Strom zur Form hinein!«

Und sieh', die Glocke ist gelungen.
Das Volk erhebt ein Lustgeschrei.
Allein wie stark sie wird geschwungen.
Verbleibt sie klanglos, dumpf wie Blei.
Doch merkt der Gießer kein Versehen,
Und möcht vor Zorn und Scham vergehen.
Daß er zerschlagen solchen Guß,
Und wiederum beginnen muß.

Und wie das Feuer wieder wallet,
Kommt auch das Weib und spricht: »So lang
Nicht mit der Armut Scherflein schallet.
Bringt ihr die Glocke nicht zum Klang,«
Der Gießer sagt: »Sie muß erklingen;
Kein Aberglaube soll mich zwingen!« –
Die Glocke steigt auch schön an's Licht; –
Allein sie klinget wieder nicht.

Der Gießer flucht, – Mit eignen Händen
Beginnt er neu, und schloß sich ein,
Um alle Bosheit abzuwenden,
Die etwa Störung mischte d'rein;
Und läßt zum Guße Niemand kommen. –
Und wie die Feuer hoch erglommen,
Gieng eben noch die Wittwe dort
Vorbei und wiederholt ihr Wort:

»Im Armen wird Gott selbst gehöhnet;
Und, glaubt es Meister, allsolang
Nicht mit der Armut Scherflein tönet,
Bringt ihr die Glocke nicht zum Klang!«
Und Er, sich kühlend in der Pforte,
Bricht aus: »Trotz deinem Zauberworte,
Verdammtes Weib, wird hell Geläut
Dir meinen Sieg verkünden heut.

Doch dieß Geläut will nicht ertönen.
So schön auch jetzt die Form gelang;
Er hört, wie ihn die Leute höhnen,
Und bleibt verborgen wochenlang.
Doch wie sich Wuth und Unmuth senken.
Beginnt er endlich nachzudenken:
Es könnte dennoch Wahrheit sein,
Der Armut Scherflein muß hinein.

Das aber birgt im tiefsten Schlünde
Der Ziehbrunn' und wer holt's heraus?–
Doch er beginnt, und bis zum Grunde
Schöpft er zuletzt die Wasser aus;
Und muß sich selbst hinunter wagen;
Und suchet lang und zum Verzagen,
Und sieht es endlich, und darob
Ruft aus er: »Gott sei Dank und Lob!«

Die neue Glocke wird geschwungen,
Und tönt vor allen ringsherum;
Des Scherfleins Kraft ist durchgedrungen
Und ist nun auch des Meisters Ruhm.
Die Wittwe sagt: »Nun ist's gesöhnet;
So weithin Eure Glocke tönet,
Ihr schöner Klang fortan belehrt:
Im Armen wird Gott selbst geehrt!«

*

Der gute Geselle.

»Fährmann!« ruft's in dunkler Nacht,
»Hol' hinüber!« ruft's mit Macht.
Aber Sturm und Regen sausen
Und des Rheines Wellen brausen
Hoch vom Schnee, den nun der Föhn
Schmelzt auf nahen Alpenhöhn.

»Fährmann, Fährmann!« ruft es fort;
Aber Niemand wacht am Ort.
Und des Sturmes Schlag und Stöße,
Regensturz und Stromesgröße
Ueberschrei'n den Ruf. Und »Fähr,
Fährmann!« ruft es mehr und mehr.

Und in eines Müden Traum
Dringt der Ruf. Im höchsten Raum
Eines Gibeldachs am Ufer
Schläft vorüber grad dem Rufer
Jung und stark ein Gerberknecht,
Und er weiß nicht, hört' er recht.

Und er lauscht, und deutlich her
Ruft's im Sturme nach dem Fähr.
Und er hört es her nicht springen.
Nicht des Schiffes Kette klingen.
Aber unermüdlich schreit
Her es noch geraume Zeit.

»Da ist zuzuhören schlecht!«
Also denkt der müde Knecht,
Springt hinunter, wie ihm Regen
Sturm und Wogen auch entgegen;
Und er stemmt die Kräfte an
Und hindurch zwingt er den Kahn.

Und ein Lichtlein in der Hand
Stehet eine Maid am Strand
Wunderschön, sie staunt und weinet:
»Wer Ihr seid, von Gott erscheinet
Ihr, es war nicht Eure Pflicht;
Und der Fährmann seid Ihr nicht.

Meiner Mutter, krank zum Tod,
Hol' ich Hülf' in höchster Noth.«
Und wie Sturm auch dröhn und Wellen,
Sie vertrauet dem Gesellen,
Fasset seine Hand und schwingt
In den Kahn sich; – und er ringt

Wieder zu dem andern Strand,
Und da beut sie ihm die Hand:
»Gott vergelt' Euch Eure Güte!
Ruft er einst, sein Engel hüte,
Euch dann, wie Ihr mich durch Nacht,
Strom und Sturm hinüberbracht!«

Er antwortet: »Schöner Lohn
Ist ein solch Begegnen schon;
Auch erfüllt sich allerwegen
Frommer Herzen Wunsch und Segen.
Gott geleit' Euch!« Sie enteilt.
Und so er auch unverweilt.

Und er träumt: des Stroms Gewalt
Droht ihm, und entgegenwallt
Sie ihm, reicht die Hand und hebet
Ihn hinüber und entschwebet.
Er erwacht; noch trennt sich nicht
Wirklichkeit und Traumgesicht.

Dieser Knecht mein Vater war,
Hülfbereit so immerdar;
All sein Leben so ein Ringen
Und ein Sturm- und Strom-Durchdringen.
Achtzig Jahr geworden, dacht'
Oft er noch an jene Nacht.

Und wie alle Kraft ihm schwand.
Sprach er oft: »Ich spür' die Hand
Die mich will hinüber heben.
Und er konnte sanft entschweben,
Sanft und selig als der Mann,
Der nur Hülf' und Friede sann.

*

Wieg und Sarg.

In der Dämm'rung wird die erste Wiege
Deiner Hoffnung, junge Frau, gebracht.
Und schon bist, daß warm und lind es liege,
Unter Freud' und Bangen du bedacht.
Unbewußt ist's dem ersehnten Kinde;
Unbewußt wird einst in dunkler Nacht,
Daß sich wieder Staub zu Staube finde.
In die Wohnung ihm der Sarg gebracht.
Wieg und Sarg! wie nah oft steh'n die beiden!
Betend denkt die Mutter auch daran,
Mit dem Angekomm'nen gleich zu scheiden
Und als Wieg und Sarg ihn zu umfahn.
Wieg und Sarg! wie nah stehn diese Gränzen
Unsers Lebens und wie heilig ernst,
Wenn wir noch so lieblich sie bekränzen!
Wo denn, wenn du hier nicht glauben lernst?
Hier an diesen ewig dunkeln Marken
Tritt das Wissen Aller gleich in Nacht,
Und die Geistesschwachen wie die Starken
Huldigen der unbekannten Macht.
Immer weisen uns die starren Schranken
In uns selber, in der Geistes Welt;
Wieg und Grabes-Binden sind des Schwanken
Gängelband, daß er in Staub nicht fällt.
Wieg und Sarg wie nah! und zwischen beiden
Dieses Lebens eine Spanne kaum!
Unser Blüh'n und Welken, Thun und Leiden
Schwebt dahin ein bang- und froher Traum.
Wieg und Sarg! und zwischen beiden innen
Welche Aussaat in die fernste Zeit,
Wählend spurlos Tausende zerrinnen!
Und im engen Raum welch' eitler Streit!
Wieg und Sarg! und in den dunkeln Wänden
Welch' ein Sonnenglanz auf schmalem Steg!
Aber wo hinaus wird dieser enden?
Höllenpein auch lagert auf dem Weg,

Doch getrost! seit in die ärmste Wiege
Jener wunderbare Stern gelacht,
Seit der Wahrheit und dem Recht zum Siege
Aller Schrecken Gruft dort ist zerkracht:
Wird von jener Engel Glanz umflossen
Nun die Wiege und der Leichenschrein;
Von der Liebe Arm bin ich umschlossen.
Sie legt mich in Wieg und Sarg hinein.
Hebt mich aus dem Sarg wie aus der Wiege,
Macht zur Wiege wieder meinen Sarg,
Und je mehr ich mich an sie nur schmiege.
Bangt mir nicht vor dem, was sie verbarg.
Sei die Erde selbst denn eine Wiege.
Schwebend unter Sturm und Sonnenschein,
Ob das Meer auch über Höhen stiege.
Und sie wieder würd' ein Grabesstein:
Wir vertrauen der allmächt'gen Liebe,
Die da aus der Erde Wieg und Gruft,
Ob denn Wieg und Sarg und Leib zerstiebe.
Auf den Pfad uns führt von Licht und Luft.
Und wir schau'n zur Wieg in diesem Frieden,
Ewig Leben ist darin erwacht
Und das Seligste, was uns beschieden,
Ist ein Kind, das uns entgegenlacht.
Friedevoll auch in die Grabestiefen
Schauen wir und steh'n: O daß gelind
Wir zum neuen Morgen einst entschliefen.
Wie in seiner Mutter Arm das Kind.

*

Elegien an der Wiege.

1.

Ja, dein kleines Herzchen spür' ich schlagen,
Pochen deines Erdelebens Uhr.
Wann hat wieder dann es ausgeschlagen?
Auch Jahrzehende sind Stunden nur.
Daß dein Herz nie mög' in Leiden zittern,
Dieses wünsch' ich, liebes Kind, dir nicht.
Reifen müssen auch in Ungewittern
Edle Früchte, bis der Herbst sie bricht,
Bis sie selber fühlen neues Leben,
Das in ihrem Kerne ist erwacht,
Ihre Hülle gern der Erde geben,
Um zu aufersteh'n in neuer Pracht.
Und hienieden hat kein Herz geschlagen,
Das nur Freuden sonder Leid genoß,
Und es wurden unter harten Plagen
Je die edelsten Naturen groß.
Selber, der die Menschheit neu verklärte,
Den vom Himmel grüßte Lobgesang,
Hatte, auch so kurz sein Dasein währte,
Doch den längsten, dornenvollsten Gang.
Aber daß für ihn dein Herz mög' schlagen,
Das sei deines Lebens bestes Theil,
Dann magst bittre Schmerzen du ertragen,
Dann erblüht aus Leid dir Freud' und Heil.
Alles, das wahrhaft wir göttlich heißen,
Was im Heldenleben uns erscheint,
Und noch mehr, als Heldendichter preisen,
War in ihm, dem Menschensohn vereint.
Wer Ihn ehrt und liebt mit heil'gem Muthe,
Der umfaßt in ihm die beste Welt,
Und für alles Wahre, Schöne, Gute
Ist sein Sinn empfänglich und erhellt.
Bleib' nur ihm, mein liebes Kind, ergeben,
Dann erzitterst du vor Menschen nicht,
Wirst dich nicht um eitle Gunst bestreben,
Nicht begierig macht dich Goldes Licht.
Hast du nur in unruhvollen Tagen
Vor dir selber Ruh', Gewissensruh',
Schauest du dann, ohne zu verzagen,
Auch den wildesten der Stürme zu.
Seelenruhe soll dein Pulsschlag werden,
Wie du jetzo schläfst so süß und weich;
Sie ist doch das größte Glück auf Erden,
Sie ist Odem aus dem Himmelreich,
Möge sie dein letzter Pulsschlag werden!

2.

Bei der Lampe trautem Dämmerscheine
Sind erwacht in selig stiller Ruh,
Da die Mutter und der schöne Kleine,
Und sie lächeln sich einander zu.
Eines fühlt im Andern nur sein Leben,
Eines ist dem Andern innig nah;
Alles nehmen, oder Alles geben:
Sag' was ist die größ're Wonne da?
Sie ist ihm der Engel, der bewachet,
Er ist ihr ein guter Engel auch,
Und die sich Anlächelnden umfachet
Seelenwonnevoll ein Himmelshauch.
Hier ist lauter Lieb' und Gegenliebe,
Nichts für sich bloß suchet Beider Herz;
Also schauen in des Schöpfers Triebe
Stern in Stern und Sonnen erdenwärts.
Gottes ew'ge Vater-Mutterliebe
Kehrt sich so dem Menschenkinde zu;
O daß hingewandt mein Herz ihr bliebe!
Nur in Gottes Liebe waltet Himmelsruh.

3.

»Abba, Abba«, stammelst du mit Lachen;
Abba ist der Kindlein erstes Wort;
Es, das erste Wort in allen Sprachen
Und der Sprachen allerreichster Hort.
Süßes Wort, wie dringest du zum Herzen,
Machst zur schweren Pflicht uns froh bereit,
Und mit neuer Lust hebst du aus Schmerzen
Einer liebelosen, kranken Zeit!

»Abba, Abba«, wer könnte widerstehen?
Weg von ernster Arbeit ruft es mich.
Und ich muß zu dir, mein Kindlein, gehen,
Daß ich um dein »Abba« küsse dich.
Störst du mich in der Gedanken Gange,
Giebt dein Wort Gedanken auch, und hellt
Herrlich auf im Allzusammenhange
Des Allvaters kindervolle Welt.
Abba war das Wort des Eingebornen
Und sein ganzes Evangelium,
Und das einzig Heil der sonst Verlornen,
Gleichwie Sohnes Treu sind Heil und Ruhm.
Abba war der Geist der heil'gen Reden
Und der neuen Feuerzungen dort,
Dieses Wort eröffnet wieder Eden,
Ob dem Chaos ist's das Schöpfungswort.
Lern' in seiner Tief es, Kind, verstehen,
Dann wird dir die Nacht des Tages klar.
Abba rufe beim Hinübergehen,
Wie's das letzte Wort des Meisters war.

4.

Du verstehst uns und kannst doch nicht reden.
Kaum ein Dutzend Wörtchen stammelst du;
Ist dein Geist so thätig, schon jedweden
Ausdruck sich zu deuten sonder Ruh?
Oder fühlst du nur und gehst den Tönen,
Sicher von dem Trieb geleitet, nach?
Ist dir, wie Gesang den Waldessöhnen,
Angeboren dieser Töne Sprach'?
Vieles auch umtönt uns aller Orten,
Das vernehmlich uns zum Herzen dringt.
Und wir können nicht darauf antworten
In den Lauten, wie es zu uns klingt.
Liebes Kind, was Tag und Nacht uns sagen,
Und der Blumen und der Steine Chor,
Mögest du darnach mit Liebe fragen
Und mit offnem Herzen, Aug' und Ohr.
Liebes Kind, was aus des Herzens Gründen
Ohne Worte warnet oder rührt,
Was dir stille Blick' und Winke künden:
Sei von dieser Sprache stets geführt!
Wolle nie mit klugem Wort bestreiten.
Was dein Herz gebeut dir ohne Wort;
Wie dich jetzo noch Gefühle leiten,
Laß dein Herz dich leiten immerfort.

5.

Mußt dich halten noch auf allen Seiten,
Schreitest wankend an der Bank und Wand,
Wagst nicht durch das Stübchen hinzuschreiten
Ohne Führung, ohne Gängelband.
Rührend Bild von jedem Menschenkinde!
Das, wie stark es auch sich fühlen mag,
Einer Leitung darf bald streng, bald linde,
Daß es sich durch dieses Leben wag.
Eine weite Welt erscheint den Kleinen
Jetzt sein kleines, enges Stübchen noch;
Ach und wem von uns will nicht erscheinen
Haus und Amt unendlich weit und hoch?
Und wir schreiten immer an den Wänden,
Der am buntgestickten, goldnen Band,
Der an Gönner-, der an Freundes Händen,
Der am Wahn mit oder ohne Schand.

Und das enge, kurze Erdenleben
Ach wie scheint es uns unendlich weit?
Und wer schreitet sicher denn und eben
Eignen Schritts hindurch zur Ewigkeit?
Die es thun, sie schreiten nicht, sie stürzen
Hin im Taumel sich von Weh und Lust,
Ihre Bahn verwirren und verkürzen
Sie sich, ihrer selber nicht bewußt,
Wie das Kindlein stürzt, das zu der andern
Bank begehret und sie nicht erlangt.

Einer Leitung braucht, wer da will wandern!
Wies dem Kinde ohne Führer bangt,
Also bangt uns, fühl'n wir uns verlassen,
(Und nie ist es sonder eigne Schuld)
Und was sollen wieder wir umfassen
Als die Muttertreu und Vaterhuld?
Er auch, der zu diesen uns will wenden,
Hat die Bahn an Vaters Hand vollbracht,
Laut rief er nach seines Vaters Händen
In des Ueberschrittes dunkler Nacht.

Kindlein, wie der Mutter- du verlangest
Und der Vater-Hand noch dieser Frist,
O daß du an ihm nur immer hangest,
Der dir mehr als Vater, Mutter ist.
Liebes Kindlein, sei du nie vermessen,
Eignen Schritts zu gehn im Uebermuth;
Nur wer Gottes nimmer ist vergessen,
Der geht eignen Schrittes fest und gut.

6.

Schwül schon machet dir die Lockenkrone,
Der so linde, leichte, lichte Kranz,
Und die Zierde fleht umsonst: Verschone!
Ob dem Köpfchen blickt der Scheere Glanz.
Wie ein Schäfchen mußt du's eben dulden;
Aber wie thut jeder Schnitt mir weh,
Der dir raubt die Blumen reich und gulden,
Wie vom Bäumchen fällt der Blüthenschnee!

Schäfchen, 's ist die erste Opfergabe,
Die du bringen mußt dem Erdenloos,
Und wie manchmal bis zu deinem Grabe
Sinkt der schönste Kranz dir in den Schoos!
Schäfchen, ach wie oft, was hold dich schmücket,
Und was dir und andern Lust gewährt,
Wird zur Last alsbald, die dich bedrücket
Und vom Schicksal wieder abbegehrt.
Aufbewahren wollen wir die Blüthen;
Keine schmücken mehr so reich dein Haupt.
Wann dir auch die feurigsten verglühten
Und des Lebens Sturm den Baum entlaubt,
Lege deine letzten Silberflocken
Einst dein Kind zu diesem Gold der Locken!

*

Elegien am Sarg.

1.

Die ihr erstes Kind geboren hat,
Liegt so bleich jetzt da und sterbensmatt
Und vermag das Kind in ihrem Schmerz
Nicht zu drücken an ihr sehnend Herz,
Ach und wie ihr Aug nun aufwärts blickt,
Da man sich zur heil'gen Taufe schickt!
Jetzo wünscht das Kind sie noch zum Mund
Und mit Thränen tauft sie's ihm zum Bund,
Der die Liebe bleibet für und für,
Wenn ein schneidend Schwert uns auch durchführ.
Ach und wie inbrünstig sie nun fleht,
Da der stille Zug zur Kirche geht.
Leise winkt und lispelt sie darauf:
»Machet weit mir noch die Fenster auf!«
Und sie horchet nun dem Kirchgeläut
Das den heil'gen Gruß dem Kinde beut,
Und herüber schallt die Orgel hell,
Und nun weiß sie, wird der heil'ge Quell
Und der Segen ihrem Kind zu Theil,
Und sie betet für sein ewig Heil.
Und wie nun entschwebt der Feierton,
Ist auch ihre Seele schon entfloh'n,
Und sie steht und fleht vor Gottes Thron,
Und derselbe Klang hat eingeweiht
Kind und Mutter zur Unsterblichkeit.

2

Ach die schöne Hüll ist starr und todt.
Nicht mehr regen kann sich Fuß noch Hand,
Und den Lippen auch erblich das Roth,
Und gebunden ist der Zunge Band,
Und das müde Haupt zurückgeneigt.
Und gebrochen schon der Augen Licht,
Und der Pulsschlag auch des Herzens schweigt.
Und das letzte Athmen spürt sich nicht.
Dennoch, dennoch regt die Lippe sich,
Thränen-Abschiedsküsse zu empfahn,
Und der Glanz, der schon dem Aug entwich,
Kehrt zurück, verkläret blickt's mich an.
Und noch einmal flammet auf das Licht,
Eh des Staubes Hüll es sich entwand.
O du Zeichen, das so deutlich spricht.
Und der Fortdau'r heilig Unterpfand!
Ist der Leib auch todt, doch lebt der Geist
Und ist innig seiner selbst bewußt,
Und bevor es ihn von hinnen reißt
Und er sich entschwingt der engen Brust,
Thut er tröstlich kund: unsterblich sei
Der Gedanke, Glauben, Lieb und Treu.

3

Um den Vater her in Schmerz und Klag
Sitzt die Kinderschaar am Sonntagsmorgen;
Ach sie sagen nicht mehr Guten Tag
Ihr, die bisher in den treusten Sorgen
Tag und Nacht des Hauses Seele war.
Starr ob starrem Herzen ruhn die Hände,
Die nie müde wurden Jahr um Jahr.
O wie fühlen sie sich jetzt elende
Kind und Vater, und sie weinen still,
Trost sich suchend in dem Buch vom Leben,
Und Ergebung, wie's die Allmacht will.
Sieh, da hören sie den Psalm erheben
Und den Orgelklang im Gotteshaus,
Und in Jammer und in Schluchzen brechen
Alle jetzo mit einander aus.
Aber bald hört man den Vater sprechen;
»Unsre theure, theure Mutter singt
Droben nun auch mit den Himmelsschaaren
Von den lieben Seelen all umringt,
Die ihr längst vorangegangen waren.
Von der Tochter wieder und dem Sohn,
Die der Tod ihr nicht mehr wird entreißen.-
Sie empfängt der Lieb und Treue Lohn,
Der aus Gottes Mund uns ist verheißen!«

Nie mit Freuden und mit Schmerzen drang
In die Herzen so der Kirchensang,
Wie er jetzt ins Haus der Trauer klang,

4

In die Kammer, wo die schönen Kleinen
Lieblich schlummern um die Eltern her,
Tritt der Totesengel und den einen
Und den anderen berühret er,
Und sie folgen lächelnd seinem Winke;
Aber daß der Eltern armes Herz
In dem Sturm der Prüfung nicht versinke.
Deutet er voll Mitleid himmelwärts:
»Ist auch schrecklich grausam mein Erscheinen,
Dennoch hat die Liebe mich gesandt;
Nicht verloren sind euch eure Kleinen,
Kinder sind den Engeln ja verwandt.
Nicht verloren, Mutter, ist dein Leiden,
Nächtlich Wachen, Liebe, Sorg und Müh,
Nicht verloren sind Hoffnungen und Freuden,
So die Blumen euch gegeben früh.
Daß daran ihr nimmermehr verzaget.
Kurze Trennung mit Ergebung traget,
Trost euch jenes Wortes Glaubensstern;
Laßt die Kinder kommen zu dem Herrn,«

5.

Ihrem Kind, das schon zur Jungfrau blühet,
Flicht die Mutter den Geburtstag-Kranz;
Jene Zeit ist's, da die Rose glühet,
Und die Welt erfüllt der grüne Glanz.
O was hoffnungsreiche Blumen winden
Sich in solchem Kranz; die Seele wähnt,
Mit den Blumenketten fest zu binden,
Was sie Theures hat und sich ersehnt,
Doch wie leicht läßt sich dies Band zerpflücken!
Ach der Kranz, den da die Mutter wand,
Ihrer Tochter lieblich Haupt zu schmücken,
Ward zum Todtenkranz in ihrer Hand.
Die Gespielen schlingen unter Klagen
Um die Bahre schon das Blumgewind,
Und vermögen thränend nur zu sagen:
»O du gutes, liebes, schönes Kind.«
Und erschüttert sind die Jüngling alle,
Da sie treten zu dem Sarg hinan;
Weinend tragen sie ihn aus der Halle,
Weinend ziehn sie hin die bittre Bahn,
Sie die Blühnden mit der schönsten Blüthe,
Die der Frost am Maientag gepflückt,
Achtend nicht der Geistesfüll und Güte
Und des Kreises nicht, den sie beglückt.

Aber nein, nicht Frostesmacht zerknickte
Unsre Blume; ihres Engels Hand,
Den die ew'ge Liebe selber schickte,
Holte heim sie in das bessre Land.
Drüben sollte feiern sie ihr Werden,
Das sie hier begonnen hold und rein,
Frei sein von den irdischen Beschwerden
Und im allerseligsten Verein.
Drüben lebt sie jetzo neugeboren,
Jung und schön und innigst sich bewußt,
Und nicht Eine Kraft ging ihr verloren
Und unendlich fühlt sie Lebenslust.
Schon wird ew'ge Lieb ihr dort ersetzen
Seelen, die sie hier für kurz verließ.
Wird uns öd an ihren Blumenplätzen; –
Schönre Blumen hat das Paradies.
Bleibt verstummet hier auch ihre Leier,
Kundig ist geworden früh ihr Sinn,
Zu verstehn das Lied zu Gottes Feier;
Schöner lernt sie dort lobpreisen ihn.

Schmerzt uns denn auch lange noch dein Scheiden.
Preisen dennoch wir der Vorsicht Rath,
Die Verschont dich mit der Erde Leiden,
Aus der Jugend dich genommen hat
Zu sich auf der ew'gen Jugend Auen,
Wo die reinen Herzen Gott anschauen.
Dies sei unser Trost denn und Vertrauen!

*

Aus den Trostliedern.

Unter Lilien.

Jetzt an jedem Orte
Blühen Gottes Worte

Wie im Sternenkranz
In der Lilien Glanz,
Wo im Grün sie stehen,
Ihre Düfte wehen,
Predigt ihre Pracht:
»Traut der Lieb' und Macht,
Die uns rief aus Staub und Nacht

Ja durch ihn erstanden
Wir in Frühlingslanden,
Und des Herren Wort
Blühn wir fort und fort;
Königliches Prangen
Uns, die schnell vergangen.
Und euch schenkt er mehr,
Eine Wiederkehr;
Oder was wär' ihm zu schwer?

Wir sind Lebenssprüche,
Lebens-Wohlgerüche.« –
Ob der dunklen Gruft
Künden Glanz und Duft:
»Ihn, der uns erhoben.
Sollt ihr preisen droben!
Schwachheit wird gesä't.
Und die Kraft ersteht.
Und der Leib, der nicht vergeht.

Wir sind Lebensboten
Um das Haus der Todten,
Wie im Hoffnungsgrün
Grüsten Stern' entblühn,
Unsre Sterne weisen
Zu den Sternenkreisen:
Also ziehn empor
Aus des Grabes Thor
Seelen in der Engel Chor.«

Die Rose in der Sterbenden Hand.

Du fühltest nahe dich dem Grabe,
Du warst so blaß und schwach – und doch
Erfreute dich das Röslein hoch.
Des Herbstes letzte Blumengabe.

In schwacher Hand die zarte Rose,
Was dachtest du, mein liebes Kind?
Ach, daß allhier dieselben sind
Der Blume und des Menschen Loose.

Das dachtest du: »Wir sind Genossen,
Wir beide, Röschen, sind gepflückt;
Und kehrt die Sonn', die uns beglückt,
Ist unser Auge schon geschlossen.

Und die noch eine Weile prangen,
Auch ihre Stunden sind gezählt;
Und fort und fort erblüht die Welt
Und kennet nicht mehr, die vergangen.

Du hast geblüht nur Einen Morgen,
Vor Mittag bin auch ich geknickt;
Doch hab' ich ew'ges Licht erblickt,
Zahllose Freuden, wenig Sorgen.

Mit Dank nur kann zurück ich schauen
In meines Jugendgartens Glanz,
Wo Lied um Lied und Kranz um Kranz
Stets dufteten zum heitern Blauen.

Und vor mir seh' ich Edens Palmen,
Des Paradieses Blumenkron',
Und durch mein Grabgeläute schon
Hör' ich des neuen Zions Psalmen.

Umsonst nicht, Röschen, wardst geboten
Du meiner schwachen, kalten Hand:
Auch du bist mir ein Unterpfand,
Daß Gott nicht ist ein Gott der Todten.

Hat dir er solchen Schmuck gegeben,
Gequollen aus dem Dornenstrauch,
Wie sollte nicht sein Wunder auch
Den neuen Leib der Seele weben.

Du bist ja auch der Liebe Blume,
Und Gott thut sich als Liebe kund;
Dich weihete der neue Bund,
Dein Sinnbild glänzt im Heiligthume,

Das reinste Blut in deinem Scheine,
Das höchste Lieb' für uns vergoß,
Daraus der Quell des Lebens floß,
Vom Tod zu heilen die Gemeine.

Ja Er ist da, er will erheben
Aus diesem Leib des Todes mich;
Du hörest mich, ich höre dich:
»»Ich lebe, und auch ihr sollt leben!««

Und streuen sie die letzte Gabe
Um mich, der Rosen Spezerei'n,
Soll ich bei dir, mein Heiland, sein.
Aus dieses Leibes leerem Grabe!«

Der letzte Blick.

Du fühltest nahe dir dein Ende,
Und faltetest zur Brust die Hände,
Und sahst uns an zum letzten Male
Mit deines Auges hellstem Strahle;
O dieser Glanz erlischt mir nicht,
Auch dann nicht, wann meine Auge bricht.

Der Liebsten Züge und Gestalten
Für ewig alle festzuhalten,
Sahst du uns an zum letzten Male
Mit deines Auges hellstem Strahle;
O dieser Glanz erlischt mir nicht,
Auch dann nicht, wann mein Auge bricht.

Was Wort und Ton doch nicht beschrieben,
Dein unaussprechlich treues Lieben
Sprichst du uns aus zum letzten Male
Mit deines Auges hellstem Strahle:
O dieser Glanz erlischt mir nicht,
Auch dann nicht, wann mein Auge bricht.

Daß du gefaßt und Gott ergeben
Ihm folgtest aus der Jugend Leben
Und folgst in himmlisch schöne Thale,
Sagst du mit hellstem Augenstrahle!
O dieser Glanz erlischt mir nicht,
Auch dann nicht, wann mein Auge bricht.

Dein Aug', von Thränen nicht gefeuchtet.
Vom Leben hat's im Tod geleuchtet,
Von Gottes Kraft im Todesschwachen,
Im Tod vom seligen Erwachen;
Und dieser Glanz erlischt mir nicht,
Auch dann nicht, wann mein Auge bricht.

Ihr Augen seid nicht ausgeronnen,
Der treuen Seele helle Sonnen,
Ihr leuchtet mit der Seele wieder;
O schauet segnend auf mich nieder
Und grüßet mich mit sel'gem Licht,
Ihr Augen, wann mein Auge bricht!

Das Denkmal.

Wär' ich reich, ein Grabmal dir zu bauen,
Müßt' es eine Betkapelle sein
Und mit Chor und Thurm und Giebel schauen
Aus dem dufterfüllten Lindenhain.

Und im Chore müßte sich erheben
Der Altar, das Kreuz im Sternenkranz,
Und vorüber ob der Pforte schweben
Eine Bühne mit der Orgel Glanz.

Durch das Fenster auf der Mittagseite
Müßte Licht einströmen sanft und mild
In die Halle an der andern Breite
Auf dein silberweißes Marmorbild.

Dorten lägest du auf weichem Pfühle,
Und vom glänzenden Gewand umhüllt,
Lägst im Traum und seligsten Gefühle
Von gesunden Schlafes Kraft erfüllt,

Und – wenn über dich durchs Fenster schweben
Rosenlichter – gleich als wolltest du
Guten Tag uns sagen und erheben
Lächelnd dich aus deiner süßen Ruh'.

Gerne würd' im Hain und Kirchlein weilen,
Wer die Einsamkeit und Andacht liebt;
Deine Ruhe würde Ruh' ertheilen,
Die getrost den Staub dem Staube giebt.

Und zu der Kapelle würde wallen
Gern der jungen Sängerinnen Chor,
Zu der sanften Orgel würd' erschallen
Oft der Vesper und der Vigilien Chor. –

Doch dein Denkmal steht in unsern Herzen
Freundlich wie du selber, und du lebst
Stündlich mit uns, ledig aller Schmerzen,
Wie nun unter Seligen du schwebst.

Selber singst du ewige Vigilien,
So gewiß, als Gott ist dort und hier.
Deinem Staub durch ihn entblühn die Lilier
Selbst er schmückt dein Grab mit ihrer Zier.

Beisammen.

Wann wieder Blumen blühten
Und Fluß und Firnen glühten.
Ging oft ich aus mit dir;
Wir schauten in die Flammen,
Und sagten Nichts zusammen.
Und still und selig waren wir.

Nie mehr, wann Blumen blühen.
Und Fluß und Firnen glühen,
Gehst wieder du mit mir.
Doch aus des Himmels Flammen
Sagst du: »Wir sind beisammen,
Mein bester Freund, ich bin bei dir!«

Hin- und Herüber.

Ufer blühn sich neu entgegen,
Firnen und die Abendröthen;
Antwort aus der Ufer Hägen
Geben sich der Amseln Flöten,
Blumen schau'n zu Wellen nieder,
Wellen zu den Blumen wieder.
Ich – ich grüße übers Grab,
Und du denkst wohl auch herab.

Blumen ab deinem Grabe.

1.

Theure Blumen deiner Gruft,
Lippen rein und reich an Duft,
Grüße bringen sie von dir,
Küsse nehmen sie von mir.

Jene Küsse, die dein Mund
Zärtlich bot in letzter Stund',
Da er sich auf ewig schloß
Und der letzte Hauch entfloß.

Und der Duft und Blick der Blum'
Ist ein Küssen wiederum;
Ach wie geht's zu Herzen mir!
Ja ein Grüßen ist's von dir!

2.

In die offne schwarze Gruft
Schaut des offnen Himmels Blau,
Ob der stillen Todtenau
Singen Lerchen in der Luft.

Ob der stillen Gräbernacht
Schallt der Sonntag in der Rund',
Blumen aus dem finstern Grund
Predigen von Lieb' und Macht.

Und sie sagen: o vertrau!
Und wie heiß die Thräne fließt, –
In den Thau der Thränen gießt
Kühlend sich der Himmelsthau.

Lebendiger Fels

Das kalte, starre Felsgestein,
Auf wallt es neu im Sonnenschein,
Empor aus seinen Schatten blühn
Der Buchen Kronen goldengrün,
Aus seinen Halden dringt hervor
Der Gräser und der Blumen Flor,
Der Drosseln und der Amseln Chor,
Und alle Zweige sind erschwungen,
Und alle Flügel, alle Zungen
Dem, der mit Lust den Fels durchdrungen.

Wenn ich erblühe, sagt der Stein,
Wie sollte denn gestorben sein.
Was mehr denn Vögelsang und Blust
Ist seines Schöpfers froh bewußt?
Ich grüne dem, der ruft herbei,
Wie aus dem Winter jeden Mai,
Dem, was da nicht ist, daß es sei.
Der Licht rief, und es ward geboren,
Und aus gesprengten Felsenthoren
Dem, der zum Heil der Welt erkoren.

Der Morgenstern.

Dein denkend bin ich wieder
Lang vor dem Tag erwacht;
Die Sterne scheinen nieder
In unsre Winternacht.
Ich sage guten Morgen
Hinauf dir, liebes Kind,
In deinen ew'gen Morgen,
Wo Nacht und Frost und Tod nicht sind.

Uns hier muß Nacht umfangen,
Soll aufgehn uns der Stern,
Soll in der Seele prangen
Der Morgenstern des Herrn.
Wenn der uns nicht erhellte.
Was hülfe Sternenlicht
In Todes Nacht und Kälte
Und wann auch unser Auge bricht?

*

Im März.

Ueber das Schneefeld bin
Singet die Amsel schön:
»Morgen erwacht der Föhn,
Dessen frohlockt mein Sinn.«

Ueber die Gräber her
Tönet der Märzgesang:
»Selig, wie dort es klang,
Klingt es dir nimmermehr.«

»Dennoch wird Alles jung,«
Singt's in beschneiter Flur,
»Hoffe und hoffe nur
Lebenserneuerung!«

*


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