Anonym
Der Heliand
Anonym

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Nach Emmaus

                                                                Da stand voll Schwermut
Der Frauen eine   zum andern Male
Am Grab, sich grämend   mit jammerndem Herzen,
Maria Magdalena.   Ihr war das Gemüt
Voll schmerzlicher Sorgen,   wo sie suchen sollte
Den hilfreichen Herrn.   Sie wußte dem Harm,
Dem Weinen nicht zu wehren   noch wohin sich wenden:
Da verstört' ihr Gemüt.   Da sah sie den mächtigen
Christ dastehen,   obwohl sie ihn
Nicht erkennen konnte,   bis er sich kundgab und sagte,
Er wär es selber:   »Warum weinst du so,
Härmst dich mit heißen Tränen?« Sie sprach: »Um meinen Herrn.
Ich weiß nicht, wo er blieb:   magst du mir ihn weisen,
Herr, wenn ich dich fragen darf,   ob du ihn aus dem Felsen nahmst?
So weis' ihn mir wieder:   das wäre mir der Wünsche größter,
Wenn ich ihn sehen sollte.«   Nicht ahnt' ihr, daß der Sohn des Herrn
Sie so gütlich grüßte:   der Gärtner schien er ihr,
Der Hofwart seines Herrn,   bis der Herr sie mit Namen
Nannte, der Nothelfer bester.   Da ging sie näher hin,
Das werte Weib,   und erkannte den Waltenden.
Da vermochte sie vor Minne   nicht mehr, ihn zu meiden,
Wollte mit den Händen   nach dem Herren greifen,
Dem Fürsten der Völker;   aber das Friedenskind Gottes
Wehrt' ihr mit den Worten:   »Wage mich nicht
Mit Händen zu berühren.   Ich stieg noch nicht zum himmlischen Vater.
Eile nun ungesäumt,   den elfen zu melden,
Meinen Brüdern,   daß ich unser beider Vater,
Euern und meinen,   den allwaltenden,
Suchen wolle,   den wahrfesten Gott.«
Die Frau war erfreut,   da sie von ihm melden durfte,
Daß sie ihn gesund gesehen.   Sie schickte sich an
Alsbald zu der Botschaft,   brachte den Männern
Das willkommene Wort,   daß sie den waltenden Christ
Gesund gesehen,   und sagte, was ihr Auftrag war,
Mit zuverläßgen Zeichen.   Doch zweifelten sie noch
An des Weibes Worten,   daß die Wonnebotschaft
Gottes Sohn ihnen sende,   und saßen trauernd,
Die Helden, und harmvoll.

                                                Der Heilige Christ
Offenbarte sich nun   zum andern Male,
Seit er vom Tod erstand,   der teure Herr,
Frauen zu ihrer Freude:   er fand sie auf dem Wege
Und grüßte sie erkennbar.   Sie bogen die Knie
Und fielen ihm zu Füßen.   Er sprach: »Ihr sollt Furcht
In der Brust nicht bergen,   sondern meinen Brüdern
Meldet mein Erscheinen,   damit sie mich
In Galiläa suchen;   da will ich ihnen begegnen.« –

Da gingen von Jerusalem   auch der Jünger zween
Desselben Tages   schon in der Morgenfrühe,
In ihren Geschäften   nach Emmaus hin,
Der Feste, zu fahren.   Da fingen sie mancherlei
Worte zu wechseln an,   als des Weges gingen
Die Helden, von ihrem Herrn.   Da kam der Heilige
Gegangen, der Gottessohn.   Die Jünger mochten ihn nicht
Erkennen, den Kräftigen,   und er gab sich nicht kund.
Doch fuhr er mit ihnen   und fragte, wovon sie sprächen:
»Wie tut ihr so traurig?   Ist euch das Herz betrübt,
Die Seele voll Sorgen?«   Da versetzten sogleich
Die Männer verwundert:   »Wie magst du so fragen?
Bist du nicht von Jerusalem,   aus dem Judenvolke . . .

Lücke in der Handschrift

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