Anonym
Der Heliand
Anonym

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Pilatus und Herodes

                                                                  Da nahmen ihn die Wütigen
In seinen Banden,   den Gebornen Gottes,
Und führten ihn fort,   dahin, wo dem Volk
Das Dinghaus stand   und der Degen viel
Vor ihrem Herzog hielten.   Der war ihres Herrn
Richter, der in Rom   des Reiches gewaltete,
Vom Kaiser gekommen   unter die Kinder der Juden,
Im Reich zu richten   und Rat zu pflegen.
Pilatus hieß er,   von der Pontier Land
Dem Geschlechte nach stammend.   In Scharen waren
In dem Dinghause   die Degen versammelt,
Des Gerichtes wartend,   viel wahrlose Männer.
Da gaben den Gottessohn   die Judenleute
Dem feindlichen Volk:   er sei dem Tod verfallen,
Der Strafe schuldig   mit schneidiger Klinge,
Mit scharfen Schwertern.   Nicht wollte der Juden Schar
In das Dinghaus dringen:   draußen blieb es stehn,
Sprach von da mit den Degen;   sie scheuten das Gedränge
Des fremden Volkes,   ihres Festes wegen,
Daß sie hartes Urteil nicht hörten   am Tage des Herrn;
Sie wollten ihre heiligen   Zeiten halten,
Ihr Pascha feiern.   So empfang Pilatus
Aus der Wütigen Hand   des Waltenden Sohn,
Den sündelosen.

                              In Sorgen geriet nun
Judas' Gemüt,   da er hingegeben sah
Seinen Herrn dem Gericht.   Ihn gereute der Tat
Hinterher im Herzen,   daß er den Herrn verkauft,
Den sündelosen.   Da nahm er den Silberschatz,
Die dreißig Pfennige,   die er für den Herrn empfangen,
Und ging zu den Juden,   seiner grimmen Tat
Sich schuldig sagend:   das Silber woll er
Gerne wiedergeben.   »So greulich«, sprach er,
»Hab ich's erhandelt   mit meines Herren Blut;
Ich weiß, es frommt mir nicht.«   Doch das Volk der Juden
Nahm es mitnichten.   »Magst du nun nach der Hand
Wegen solcher Sünde   selber erachten,
Wie du gegen den Herrn   dich vergangen habest.
Sieh du selber zu:   Was schiebst du's auf uns?
Uns verweis' es nicht weiter.«   Da wandte sich hinweg
Judas und ging   zu dem Gotteshause
In schweren Sorgen:   Das Silber warf er
In das Weihtum dort;   zu behalten wagt' er's nicht.
Furcht befiel ihn,   die feindlichen Geister
Mahnten ihn mächtig:   des Mannes Herz
Ergriffen die grimmen.   Ihm war Gott erzürnt,
Daß er sich selber   ein Seil bereitete:
Er schloff in den Strick   und erhenkte sich so,
Der Würger erwürgte,   das Weh erwählend
Des harten Höllenzwangs,   des heißen und düstern,
Die tiefen Todestäler,   des teuern Herrn Verräter.

Der Geborne Gottes   mußte die Bande
Im Dinghause dulden,   bis dort das Volk,
Das üble, einig   ward unter sich,
Wie schweren Schmerz   sie ihm schaffen wollten.
Da erhub auf den Bänken   sich der Bote des Kaisers
Von Romaburg,   zu reden draußen
Mit der Juden Machthabern,   wo die Menge stand
Auf dem Hof in Haufen,   da sie ins Haus nicht wollten
Am Paschatage.   Pilatus begann
Frank zu fragen   über das Volk der Juden hin:
»Was tat dieser Mann,   den Tod zu verschulden,
Was verbrach er Böses,   daß ihr so aufgebracht seid,
Ihn haßt im Herzen?« –   »Viel Harmes hat er uns,
Viel Leides getan:   diese Leute gäben dir ihn nicht,
Wenn sie nicht wüßten,   wie es der Übeltäter
Mit Worten verwirkte.   Wohl hat er viele
Mit seinen Lehren verleitet   und die Leute geärgert,
Ihr Herz verwirrt,   als hätten wir dem Kaiser
Nicht Zins zu zahlen:   des bezichtigen wir ihn
Mit wahren Beweisen.   Er spricht auch ein großes Wort,
Verkündigt, daß er Christ sei,   König dieses Reiches,
Maßt so Großes sich an.«

                                              Da entgegnete ihnen
Der Bote des Kaisers:   »Wenn er so offenbar
Vor dieser Menge   Meinwerk verübte,
So laßt ihm eure Leute,   wenn er das Leben verwirkt hat,
Den Tod erteilen,   wenn er des Todes schuldig ist,
Wie eurer Vorfahren   Gesetz es vorschreibt.«
Sie sagten, sie möchten   der Menschen keinen
In der heiligen Zeit   hinrichten lassen
Mit Waffen, am Weihtag:   das sei wider ihre Gewohnheit.

Da wandte sich wieder   hinweg der Arge,
Der Degen des Kaisers,   der diesem Volk
Für die Römer richtete.   Er rief den Sohn des Herrn
Näher nun heran,   ihn nachdrücklich
Fragend und erforschend,   ob er über dies Volk
Sich Herrscher heiße.   Da hielt sein Wort bereit
Der Sohn des Herrn:   »Hast du das aus dir,
Oder haben dir andre   da außen gesagt
Von meinem Königtum?«   Da sprach des Kaisers Bote
Widerwillig,   da er mit dem waltenden Christ
Im Richtsaal redete:   »Nicht dieses Reiches bin ich,
Dieses jüdischen,   noch dir verwandt,
Diesem Volk befreundet.   Mir befahl dich die Menge,
Deine Landsleute haben dich,   die Juden, mir überliefert,
Meinen Händen verhaftet.   Was hast du Harms getan,
Daß du so bittere   Bande dulden sollst
Und qualvoll sterben?«   Da entgegnete Christ,
Der Heilande bester,   wie er gebunden stand
Im Richthaus vor ihm:   »Mein Reich ist nicht hier,
Nicht von dieser Welt:   wär es aber so,
Dann stünden so starken Muts   der Streitgier entgegen
Der gramen Juden   meine Jünger wohl;
Man gäbe mich nicht   den Judenleuten,
Den hassenden, in die Hände,   in harten Banden
Zu entsetzlicher Qual.   Ich kam in diese Welt,
Damit ich Zeugnis   von unzweifelhaften Dingen
Durch mein Kommen kündete:   das erkennen gar wohl,
Die aus der Wahrheit sind:   mein Wort verstehen sie,
Glauben meinen Lehren.«   Keine lastende Schuld
Konnt an dem Gotteskinde   des Kaisers Bote
Finden, kein Falsch,   daß er verfallen sollte
Dem Tode sein.   Da trat er wieder hinaus,
Mit den Juden zu sprechen,   und sagte der Menge,
Die horchend hörte,   er habe an dem Verhafteten
So viel des Frevels   nicht finden mögen
Vor seinen Leuten,   daß er das Leben verwirkt hätte,
Des Todes schuldig wäre.   Da standen tobend
Die Judenleute,   den Gottessohn
Schwer beschuldigend:   »Erst schuf er Verwirrung
In Galiläa;   über die Juden fuhr er
Dann stracks hierher,   die Herzen verstörend,
Der Männer Gemüt.   Drum muß er sterben:
Er verwirkte den Tod   mit der Waffen Schärfe,
Wenn je solche Taten   den Tod verschuldeten.«
So verklagten ihn   die Kinder der Juden
Mit hartem Herzen.

                                    Da hörte der Herzog,
Der arggesinnte,   zuerst nun sagen,
Welchem Geschlechte   Christ entstammt sei,
Der beste der Menschen.   Geboren war
Von Galiläa der gute,   dem bekannten Gau
Hehrer Männer.   Herodes besaß da
Kräftig das Königtum;   ihn hatte der Kaiser
Von Rom damit beraten,   daß er seine Rechte dort
Unter dem Volk vollführte   und Frieden schüfe,
Urteil erteilte.   Der war des Tages
Selbst in Jerusalem   mit seinem Gesinde,
Im Weihtum verweilend,   denn ihre Weise war's,
Daß sie die heiligen Zeiten   dort halten mußten,
Der Juden Pascha.   Da gebot Pilatus,
Daß den Verhafteten   die Helden nähmen
In seinen Banden,   den Gebornen Gottes,
Und hin vor Herodes   in seiner Hände Haft
Das Volk ihn führte,   aus dessen fürstlicher
Gewalt er war.   Die Weigande folgten
Dem Geheiß ihres Herrn:   den Heiligen Christ
Führten sie vor den Fürsten   des Volks gefesselt,
Den besten der Menschen,   der je geboren ward
An der Leute Licht.   In Leibesbanden ging er,
Bis sie ihn brachten dahin,   wo auf der Bank
Herodes, der König, saß,   von kräftiger Schar
Stolzer Degen umstanden,   die stets aus Neubegier
Den Christ mit eigenen   Augen zu sehn gewünscht.
Ein Zeichen, wähnten sie,   würd er ihnen zeigen
Hehr und mächtig,   wie er es manchmal getan
In seiner Göttlichkeit   den Judenleuten.
Da fragt' ihn der Volksherr   beflissentlich
Mit manchen Worten,   sein Gemüt damit
Vorwitzig zu erforschen,   was er zu Frommen raten
Möchte den Menschen.   Da stand der mächtige Christ,
Schwieg und duldete,   dachte dem schnöden
König und seinen Knechten   mit keinem Worte
Antwort zu gönnen.   Da ergrimmte das Volk,
Die Judenleute,   den Gottessohn
Verlügend und verleumdend,   bis der Leute König
Ihm gehässig ward im Herzen   und all sein Hofgesind.
Ihn mißachtete ihr Gemüt,   die Macht Gottes verkennend,
Des himmlischen Herrn,   denn ihr Herz war düster,
Von Bosheit geblendet.   Dem Gebornen Gottes
Wogen ihre Werke   und Worte wohl nicht schwer,
Denn in Demut   erduldet' er alles das,
Wie schnöde sie ihn schmähen   und schimpfen mochten.
Da ward ihm zum Hohne   ein weiß Gewand
Um die Glieder gelegt,   daß er den Leuten,
Den jungen, ein Spott sei.   Die Juden jubelten,
Daß sie so höhnisch   ihn behandelt sahn
Von dem schnöden Gesinde.

                                                  Da sandt ihn zurück
Herodes, der König,   woher er gekommen war,
Von losem Volk begleitet,   das ihm Lästerung sprach,
Frechen Frevel,   den Gefesselten
Mit Hohn überhäufend.   Sein Herz war heiter,
Daß er alles das   in Demut erduldete.
Erwidern wollt er   die üblen Worte nicht,
Hohn noch Harmrede.   In das Haus ward er heimgeführt.
In den Palast wieder,   wo Pilatus
An der Dingstätte saß.   Die Degen übergaben
Der Gebornen besten   alsbald seinen Mördern,
Den sündelosen,   der solch Los sich selbst erwählt.
Die Menschen möcht er   damit erlösen,
Der Not entnehmen.   Die Neidharte standen,
Die Juden, vor dem Saal.   Grimme Geister hatten
Die Haufen verhetzt:   sie hegten keine Scheu
Vor teuflischer Tat.   Da trat hinaus
Der Bote des Kaisers,   mit der Bande zu sprechen,
Der schwache Herzog:   »Ihr habt diesen Verhafteten
In den Saal mir gesandt   und dabei gesagt,
Eures Volkes gar viele   hab er verführt,
Mit seiner Lehre verleitet.   Mit diesen Leuten mag ich doch,
Diesem Volk, nicht finden,   daß er dem Tod verfallen sei,
Schuldig an dieser Schar.   Das sah man auch heute:
Herodes konnte,   der euer Gesetz doch kennt,
Eurer Leute Landrecht,   ihm das Leben nicht nehmen,
Keine Schuld an ihm finden,   daß er sterben sollte,
Das Leben lassen.   Vor diesen Leuten will ich
Ihn bedrohen und bedeuten   mit derben Worten,
Das Herz ihm zu läutern:   doch laß ich ihn des Lebens
Sich ferner erfreuen.«   Das Volk der Juden
Schrie aber stürmisch   mit starker Stimme
Und verlangte laut,   das Leben sollte lassen
Qualvoll der Christ,   ans Kreuz sollt er ihn schlagen
Mit furchtbarer Folter:   »Vielfach hat er mit Worten
Zu sterben verschuldet,   da er sagt, daß er der Herr sei,
Gottes Sohn gar!   Entgelten soll er
Die schandbaren Reden:   so schreibt das Gesetz vor,
Daß man solche Lästerung   mit dem Leben büße.«
Da erfaßte Furcht ihn,   der des Volks gewaltete,
Im Gemüte mächtig,   als die Männer ihm meldeten,
Sie hätten ihn selber   sagen gehört
Vor dem ganzen Volke,   daß er Gottes Sohn sei.
Da ging in das Haus   der Herzog zurück,
Zu seiner Dingstatt.   Mit derben Worten
Fuhr er den Gottsohn an   und befragt' ihn so:
»Welch ein Mensch bist du,   daß du dein Gemüt mir versteckst,
Dein Herz verhehlst?   Ich habe doch Macht,
Dein Leben zu längen.   Mir überließen die Leute,
Dieser Männer Menge,   mir die Entscheidung,
Mit Speeres Spitze   dich spießen zu lassen,
Dich ans Kreuz zu schlagen,   dir das Leben zu schenken,
Wie es mich selber   am süßesten dünkt,
Mit meinem Volk zu verfahren.«   Da sprach das Friedenskind Gottes:
»Wisse in Wahrheit,   daß du Gewalt über mich
Nicht haben möchtest,   wenn der heilige Gott
Dir nicht selbst sie verliehe.   Auch sündigen die noch mehr,
Die dir aus Falschheit   mich befohlen haben,
Mit Seilen beschwert.«   Da sann aufs neue
Der Schwachgesinnte,   ihm die Freiheit zu schenken,
Der Degen des Kaisers,   wie er gedurft hätte.
Doch wehrt' ihm den Willen   mit mancherlei Worten
Das Volk der Juden:   »Du bist kein Freund des Kaisers,
Deinem Herrn nicht hold,   wenn du ihn von hinnen lässest
Unbeschädigt scheiden.   Zu Sorgen noch mag es dir,
Zum Wehe werden,   da er solche Worte spricht,
So hoch sich erhebt,   behauptet, er habe
Königsnamen ohne   des Kaisers Verleihung.
Er verwirrt ihm sein Weltreich,   verachtet sein Wort,
Fällt von ihm ab.   Den Frevel mußt du,
Den Hochverrat rächen:   wenn dir an dem Herren liegt,
An deines Fürsten Freundschaft,   so führ ihn zum Tode.«

Als der Herzog hörte   der Juden Häuptlinge
Mit seinem Herrn ihm drohen,   da ging er zur Dingstatt,
Da selber zu sitzen;   versammelt war auch
Der Mannen Menge.   Er hieß den mächtigen Christ
Vor die Leute geleiten.   Die Juden verlangte,
Ob sie das heilige Kind   nun bald erhängen sähen,
Qualvoll am Kreuze.   Kein anderer König
Habe die Herrschaft hier   als der hehre Kaiser
Von Romaburg:   »dem gehört unser Reich.
Darum laß ihn nicht los,   der uns so viel zuleide sprach,
Sich durch Werke verwirkte:   erwürgt muß er werden
In entsetzlicher Qual.«   So sagte der Juden Volk
Manch mißlich Ding   wider den mächtigen Christ
Zu schwerer Beschuldigung.   Doch schweigend stand er
In Demut da,   gedachte nichts
Den Wütigen zu erwidern:   er wollte die Welt
Mit seinem Leiden erlösen.   Darum ließ er die Leidigen
Ihm wunderbar wehe tun,   wie es ihr Wille war.
Er wollt es nicht öffentlich   allen verkünden,
Den Judenleuten,   daß er Gott selber war,
Denn wüßten sie in Wahrheit,   daß er Gewalt habe
Über diesen Mittelkreis,   ihnen würde der Mut
In der Brust erblöden,   an den Gebornen Gottes
Legten sie die Hände nicht;   aber das Himmelreich bliebe dann,
Der Lichter lichtestes,   den Leuten verschlossen.
Drum mußt er das meiden,   daß die Menschen nicht wußten,
Was sie Schreckliches taten.


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