Anonym
Der Heliand
Anonym

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Johannes der Täufer

                        Nun war Johannes   von Jugend auf
In einer Wüste erwachsen;   da wohnte sonst niemand,
Da er allein dort   dem allwaltenden Gotte,
Der Degen, diente,   des Volks Gedränge meidend,
Der Menschen Gemeinschaft.   Da mahnt' ihn mächtig
In der wilden Wüste   das Wort vom Himmel,
Die hehre Stimme Gottes:   sie gebot dem Johannes,
Daß er Christi Kunst   und seine große Kraft
Über diesen Mittelkreis   vermelden sollte,
Und hieß ihn mit wahren   Worten künden,
Das Himmelreich wäre   den Heldensöhnen,
In dieser Landschaft   den Leuten genaht,
Das wonnesamste Gut.   Da war sein höchster Wunsch,
Von solchen Seligkeiten   sagen zu dürfen.
Er fuhr dahin,   wo der Jordan floß
Wonnig, das Wasser,   und weithin all den Tag
Tat er den Leuten   kund über der Landschaft,
Daß sie mit Fasten   ihrer Frevel viel
Und ihrer Sünden   büßen sollten,
Daß sie gereinigt würden,   denn das Reich Gottes nahe
Den Menschenkindern:   »Darum im Gemüte
Soll euch gereuen,   was ihr Sünden begingt,
Leides in diesem Licht.   Meinen Lehren hört,
Wendet euch nach meinen Worten.   Im Wasser bereit ich euch
Köstliche Taufe   – kann eure Taten auch,
All eure Sünden   ich nicht erlassen –,
Daß ihr doch rein gewaschen werdet   durch das Werk meiner Hände
Eures leidigen Lebens.   Denn an dies Licht kam der,
Mächtig zu den Menschen,   steht mitten unter euch,
Obwohl ihr ihn selber   nicht sehen wollt,
Der nun euch taufen soll   auf den Namen des Herrn,
Auf den Heiligen Geist.   Er ist Herr über alles:
Er mag alle Menschen   von Meingedanken,
Von Sünden scheiden   jeden, der so selig soll
Werden in dieser Welt,   daß er den Willen hat,
Alles zu leisten,   was den Leuten will
Gebieten Gottes Geborner.   Als sein Bote bin ich
In diese Welt gekommen,   ihm den Weg zu räumen,
Die Leute zu lehren,   wie sie ihren Glauben sollen
Halten mit lauterm Herzen,   daß sie zur Hölle nicht
Fahren, in das heiße Feuer.  Des werden sich freuen noch
Die Menschen manchen Tag!   Denn wer die Missetat läßt,
Des bösen Geistes Dienst,   der mag sich des Guten erwirken,
Des Himmelskönigs Huld,   hat er nur lautre Treue
Zu dem allmächtigen Gott.«

                                                  Gar manche waren da
Nach solchen Lehren   der Leute, die nun
Wahrlich wähnten,   daß er der waltende Christ
Selber sein müsse,   da er so zuversichtlich
Viel wahrer Worte sprach.   Da ward es weithin kund
Im Gelobten Land   den Leuten insgemein,
Dem Volk in seinen Festen.   Ihn zu fragen kamen
Von Jerusalem   der Judenleute
Boten aus ihrer Burg,   ob er Gottes Geborner sei,
Von dem hier lange schon   die Leute sagten,
Er würde wahrlich   in diese Welt kommen.
Da erwiderte darauf   Johannes das Wort
Den Boten alsbald:   »Ich bin nicht Gottes Sohn,
Der wahre, waltende Christ:   ich soll ihm den Weg nur räumen
Hienieden, meinem Herren.«   Die Helden fragten,
Die abgesendet,   den Auftrag meldeten
Als Boten aus der Burg:   »Bist du nicht Gottes Sohn,
So bist du Elias wohl,   der vor alter Zeit
Auf dieser Welt war,   denn wiederkommen soll er
Zu diesem Mittelkreis.   Welcher der Männer bist du?
Bist du der weisen   Wahrsager einer,
Die einst hier waren?   Was sollen wir der Welt von dir
Sicheres sagen?   Nie ward ein solcher noch,
In diese Mittelwelt   kam ein Mann noch nie
So ruhmreicher Taten.   Was taufest du hier
Unter diesem Volke,   wenn du der Vorsager
Einer nicht bist?«

                                Aber bereit schon hielt
Kluge Gegenrede   Johannes der gute:
»Der Vorbote bin ich   meines fürstlichen Gebieters,
Meines lieben Herren.   Dies Land soll ich reinigen,
Will er, und seine Bewohner.   Sein Wort verlieh mir
Die starke Stimme,   ob sie viele nicht verstehn
Wollen in dieser Wüste.   In keiner Weise gleich ich
Dem teuern Gebieter:   seine Taten sind so hehr,
Kundbar und mächtig,   es wird bald manchem klar
Werden in dieser Welt,   daß ich nicht würdig bin,
An seinen Schuhen,   sei ich selber sein Knecht,
So reichem Herren   nur die Riemen zu lösen:
So viel besser ist er.   Kein Bote mag ihm gleichen
Irgend auf Erden,   noch wird einer ihm gleich
Werden in dieser Welt.   Wendet den Willen zu ihm,
Ihr Leute, den Glauben.   Lange mögt ihr Freude
Dann im Herzen hegen,   wenn ihr, der Hölle Zwang
Lassend, der Leidigen Drang,   das Licht Gottes sucht,
Das Heimerbe oben,   das ewige Reich,
Die hohe Himmelsau.   Laßt eur Herz nicht zweifeln.«

So sprach der Jüngling   nach Gottes Lehren,
Daß die Männer es merkten.   Die Menge sammelte sich
Zu Bethania,   der Geborenen Israels.
Sie kamen zu Johannes,   ein königlich Gesinde,
Lauschten der Lehre   und wurden gläubig.
Er taufte sie täglich,   ihre Taten rügend
Nach dem Willen der Bösen,   und Gottes Wort preisend,
Seines hohen Herren.   »Das Himmelreich«, sprach er,
»Wird jedem gegeben,   der an Gott gedenkt
Und an den Heiland will   mit lauterm Herzen glauben,
Seine Lehre leisten.«


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