Anonym
Der Heliand
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Judas Ischariot

                                                      Auch sagt' er den Jüngern da
Mit wahren Worten:   »Ihr wisset wohl alle,
Daß nach zweien Nächten   nun die Zeit kommen,
Der Juden Ostern,   da sie ihrem Gotte dienen
Wollen im Weihtum.   Nun ist es unwendbar,
Da wird des Menschen Sohn   an der Menge Häupter,
Der Kräftige, verkauft   und ans Kreuz geschlagen,
Todesqual zu dulden.«

                                          Nun waren da der Degen viel,
Argsinniger, versammelt,   der Süderleute,
Der Juden Gilde,   ihrem Gott zu dienen.
Die Schriftgelehrten   sah man alle kommen
In die weite Versammlung,   die zu den Weisesten
Unter der Menge   der Männer zählten,
Ein kampflich Geschlecht.   Da war auch Kaiphas gekommen,
Der Bischof der Juden.   Sie rieten wider Gottes Gebornen,
Wie sie ihn erschlügen,   den Sündelosen:
»Legen wir nicht Hand an ihn   an dem heiligen Tage
Unter der Menschenmenge,   daß die Scharen der Männer
Nicht in Aufruhr geraten;   denn Rotten würden ihn
Streitbar umstehen.   In der Stille müssen wir
Ihn fangen und richten,   daß das Volk der Juden
An den heiligen Tagen   nicht im Aufruhr tobe.«
Da ging Judas hin,   der Jünger Christs,
Einer der zwölfe,   wo der Adel saß
In der Juden Gilde:   »Guten Rat weiß ich euch«,
Sprach er, »zu zeigen:   was wollt ihr mir zahlen
An Geld zu Lohne?   So liefr ich euch den Mann
Ohn alles Aufsehn.«   Da war der Argen Herz,
Der Leute, in Lusten:   »Wenn du das leisten willst,
Dein Wort bewähren,   so wähle nach Wunsch,
Fordre nach Gefallen   von diesem Volke
Geld und Gut.«   Da verhieß ihm die Gilde
Nach seiner Bestimmung   der Silbermünzen
Dreißig an der Zahl.   Zu den Degen sprach er da
Aus herbem Herzen,   dafür gäb er seinen Herrn.
So ging er fort   in feindlichem Sinn,
Treulos betrachtend,   welcher Tag gelegen sei,
Daß er ihn überwiese   der wütigen Schar
Des Volks seiner Feinde.

                                            Das Friedenskind Gottes,
Der Waltende, wußte nun wohl,   daß er diese Welt
Aufgeben sollte   und das Gottesreich suchen,
Zu seines Vaters Erbe fahren.


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