Anonym
Der Heliand
Anonym

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Die Versuchung in der Wüste

                                                            Selber ging darauf,
Als er getauft war,   der teure Gebieter
In eine Wüste,   des Waltenden Sohn.
Hier in der Öde blieb   der Herr der Männer
Eine lange Weile.   Der Leute war nicht mehr ihm,
Des Volks zu Gefährten:   so war sein Vorsatz.
Versuchen sollten ihn   starke Wichte,
Satanas selber,   der stets in Sünde lockt,
In Meintat die Menschen.   Sein Gemüt war ihm kund,
Sein widriger Wille,   wie er diese Welt
Zuerst beim Anbeginn,   die Erdenwohner
Zum Bösen verführte,   die beiden Gatten
Adam und Eva   durch Untreue
Verleitet' mit Lügen,   daß der Leute Kinder
Nach ihrer Hinfahrt   die Hölle suchten,
Die Geister der Menschen.   Das wollte der mächtige Gott,
Der waltende, wenden,   uns wiedergeben
Das hohe Himmelreich;   seinen heiligen Boten drum
Sandt er, seinen Sohn.   Das schuf dem Satanas
Viel Harm im Herzen:   er mißgönnte das Himmelreich
Dem Menschengeschlecht   und wollte den Mächtigen
Ganz so versuchen,   den Sohn des Herrn,
Wie er einst den Adam   in alten Tagen
Um seines Herren Schuld   hämisch betrogen
Und mit Sünde beschwert,   so wollt er nun selber den Sohn des Herrn,
Den heilenden Christ.   Doch hatte gar fest
Wider den Schänder   des Waltenden Sohn
Gehärtet das Herz.   Das Himmelreich wollt er
Den Leuten verleihen.   Da blieb der Landeswart
In der Wüste vierzig   Nächte fastend,
Der Herr der Menschen,   und enthielt sich des Mahls.
So lange wagten auch   die hämischen Wichte,
Der neidische Feind nicht,   ihm näher zu treten,
Mit Gruß zu begegnen:   er wähnte, Gott allein,
Ohne menschliches Wesen   wäre der Mächtige,
Der heilige Himmelswart.

                                              Als nun Hunger ihm kam,
Nach seiner Menschheit   ihn des Mahles gelüstete
Nach den vierzig Tagen,   da ging der Feind näher:
Der finstre Meuchler meinte nun,   Mensch allein
Wär er gewißlich,   und mit solchen Worten
Grüßt' ihn der Grimme:   »Wenn du Gottes Sohn bist,
Was heißest du nicht werden,   wie du Gewalt hast,
Der Gebornen bester,   Brot aus diesen Steinen?
Heile deinen Hunger!«   Da sprach der heilige Christ:
»Vom Brote mögen   die Menschen allein nicht,
Die Leute, leben!   Der Lehre Gottes willen
Weilen sie in dieser Welt,   die Werke zu vollbringen,
Die da laut erheischt   die heilige Zunge,
Die Stimme Gottes.   Darin besteht der Menschen Leben,
Aller der Leute,   die da leisten wollen,
Was des Waltenden   Wort gebietet.«

Noch versucht' ihn,   näher gehend,
Der Ungeheure   zum andern Male,
Auf seinen Fürsten fahndend.   Das Friedenskind ließ
Dem Widersacher den Willen   und gab ihm Gewalt,
Daß er seine Stärke   versuchen durfte.
So ließ er sich leiten   von dem Leuteschädiger,
Sich in Jerusalem   auf den Gottestempel setzen,
Außen auf die aller-   oberste Spitze
Des höchsten der Häuser.   Höhnisch sprach dann
Der Grimme mit großem   Prahlen: »Bist du Gottes Sohn,
So schreite zur Erde;   denn geschrieben steht,
In den Büchern verzeichnet,   geboten habe
Seinen Engeln all   der allmächtige Vater:
Dein warteten Wärter   auf jedem Wege,
Die dich auf Händen   hielten, daß nirgend
Du mit den Füßen   an Felsen stießest,
An harten Stein.«   Doch der heilige Christ sprach,
Der Geborenen bester:   »In den Büchern steht auch,
Du sollst zu hart   deinen Herren nicht,
Zu sehr versuchen,   denn schlecht wird dir's frommen.«

Zum dritten Male ließ er sich   den Verderber des Volks
Auf hohen Berg bringen,   wo der Verführer zum Bösen
Ihn all überschauen hieß   die Erdenlande,
Den Wohnern wonnig,   die Reiche der Welt,
Alle das Erbe,   das die Erde trägt,
Süßes Besitztum.   Der Versucher sprach da:
»Diese Güter alle   will ich dir geben,
Diese hohe Herrschaft,   wenn du hinkniest vor mir,
Fußfällig mich   zum Fürsten erwählst
Und zu mir betest.   So laß ich dich gebrauchen
Aller der Schätze,   die du hier schauen magst.«
Da wollte nicht länger   des Leidigen Worte
Hören der Heilige Christ;   er versagt' ihm die Huld,
Verscheuchte den Satanas   und sprach sofort,
Der Gebornen bester:   »Beten sollen wir
Zu dem allmächtgen Gott,   ihm allein
In Demut dienen   die Degen allzumal,
Die Helden um seine Huld:   dann ist Hilfe bereit
Den Menschen männiglich.«

                                                  Da ging der Meintätige,
Schwergemut schied er   von dannen, Satanas,
Der Feind, zu Flammentiefen;   doch ein großes Volk
Der Engel Gottes   von dem Allwaltenden droben
Kam zu dem Christ,   die da künftig sollten
Im Amte eifern,   ihm aufzuwarten,
Demütig dienend,   wie das Volk dient dem Gott,
Dem Herrn um seine Huld,   dem Himmelskönig.

Da weilt' im tiefen Walde   des Waltenden Sohn
Eine lange Zeit,   bis ihm lieber ward,
Seine große Kraft   kundzutun
Der Welt zum Wohl.   Er verließ des Waldes Hülle,
Der Einöde Raum   und suchte der Menschen Umgang,
Die Menge des Volks   und der Männer Treiben.
Er ging zum Jordan hin;   Johannes fand ihn da,
Den Friedenssohn Gottes,   seinen Fürsten,
Den heiligen Himmelskönig.   Zu den Helden sprach da,
Zu den Jüngern Johannes',   da er ihn gehen sah:
»Das ist das Lamm Gottes,   das erlösen soll
Diese weite Welt   von der Sünde Weh,
Von Meintat die Menschen,   der mächtige Herr,
Der Könige kräftigster.«


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