Anonym
Der Heliand
Anonym

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Das Abendmahl

                                                                Da kam das Licht zurück
Am Morgen den Menschen.   Den mächtigen Christ
Grüßten die Freunde   und fragten, wo sie das Mahl
Ihm am Weihtag   anrichten sollten,
Daß er halten möchte   die heiligen Zeiten,
Er und sein Ingesind.   Da sandt er voraus
Die Jünger nach Jerusalem:   »Wenn ihr gegangen kommt
In die hohe Burg,   wo euch entgegenbraust
Der Menschen Menge,   so seht ihr einen Mann
In den Händen tragen   mit helllauterm Wasser
Ein Füllgefäß:   dem folget immer,
Zu welcher Wohnung   er auch weiter schreite,
Und dem Herrn darin,   der das Haus besitzt,
Sollt ihr dann sagen,   ich hab' euch gesandt,
Mein Mahl zu bestellen.   Dann zeigt er euch ein stattlich Haus,
Einen hohen Söller,   der ganz behangen ist
Mit schönem Schmuck.   Da schaffet mir
Meine Wirtschaft dann,   denn gewiß werd ich kommen
Selbst mit dem Ingesind.«

                                              Da eilten ungesäumt
Gen Jerusalem   die Jünger Christs,
Die Fahrt zu vollbringen.   Da fanden sie
Sein Wort bewährt:   es war kein Fehl daran.
Sie bereiteten das Gastmahl,   und der Gottessohn,
Der heilige Herr,   kam zu dem Hause,
Wo sie die Landesweise   zu leisten gedachten,
Gottes Gebot zu vollbringen,   wie bei den Juden
Gesetz und Sitte war   seit der Väter Zeit.

Da ging am Abend   der allwaltende Christ,
Im Saal zu sitzen.   Die Gesellen rief er,
Die zwölfe, zu sich,   ihm die zuverlässigsten
Im treuen Mute   von allen Männern
In Worten und Weisen.   Auch wußte wohl
Ihres Herzens Gedanken   der Heilige Christ,
Da er sie beim Gastmahl grüßte.   »Ich begehrte sehr,
Hier zusammen   mit euch zu sitzen,
Des Gastmahls zu genießen,   der Juden Pascha
Mit euch Teuern zu teilen.   Nun tu ich euch kund
Des Waltenden Willen,   daß ich in dieser Welt
Nicht mehr mit Menschen   ein Mahl teilen mag,
Mit Lebenden fürder,   bevor erfüllt wird
Das himmlische Reich.   Mir ist vor Handen nun
Schmerz und Schreckensqual:   ich soll nun für diese Welt
Dulden, für dieses Volk.«   Wie da zu den Degen sprach
Der heilige Herr,   da ward ihm sein Herz betrübt,
Die Seele verdüstert.   Zu den Gesellen sprach
Der gute, zu den Jüngern:   »Ich hab euch Gottes Reich
Verheißen, des Himmels Licht:   ihr verhießt mir dagegen
Geleit und Huld.   Nun verharrt ihr nicht dabei,
Wankt von euern Worten.   Wahrlich, ich sage euch,
Unter euch zwölfen   bricht mir einer die Treue,
Will mich verkaufen   den Kindern der Juden,
Für Silber verhandeln,   sich Schatz zu erhaschen,
Gemünzten Mammon,   und seinen Meister verraten,
Den holden Herrn;   was ihm doch zum Harme,
Zum Wehe werden soll.   Wenn er das Weitre sieht,
Das Ende ahnt   all seiner Arbeit,
Dann weiß er in Wahrheit,   ihm war ein ander Ding
Besser bei weitem:   daß er nie geboren wär
In dieses Lebens Licht,   da er zu Lohn empfängt
Übles Elend   für argen Verrat.«

Da begann der eine   nach dem andern zu schauen,
Sich sorgenvoll umzusehn   mit schwerem Mute.
Es härmt' ihr Herz,   da sie den Herren hörten
So trauernd sprechen.   Die Getreuen sorgten,
Welchen der zwölfe   er bezichtigen werde
Der Schädigung schuldig,   daß er den Schatz sich habe
Von dem Volk bedungen.   Verdenken mochten sie
Solcher Falschheit   der Freunde keinen:
Dem Meingedanken   entsagte männiglich.
Doch befiel sie Furcht,   daß sie zu fragen nicht getrauten,
Bis endlich winkte   der ehrwürdige Jünger,
Simon Petrus   (er selber wagt' es nicht)
Johannes dem guten,   der dem Gotteskinde
In jenen Tagen   der Getreuen liebster war,
Der meistgeminnte;   dem mächtigen Christ
Durft er am Busen ruhen,   an der Brust ihm liegen,
Mit dem Haupte lehnen,   da er manch heilig Geheimnis,
Tiefe Gedanken vernahm.   Der begann zu dem teuern
Fürsten und fragte:   »Wer wäre, Herr, der Falsche,
Der dich verkaufen wollte,   der Könige mächtigsten,
Unter der Feinde Volk?   Das erführen wir gern,
Willst du's uns wissen lassen.«   Da hielt sein Wort bereit
Der Heilige Christ:   »Seht her, wem ich hier
Meiner Mundkost reiche,   der hat Meingedanken
In der Brust verborgen,   der wird mich den erbitterten
Feinden überliefern,   daß ich mein Leben so,
Mein Alter ende.«   Und alsobald nahm er
Der Mundkost vor den Männern   und gab sie dem meintätigen
Judas in die Hand,   und gegen ihn gerichtet
Vor seinen Gesellen,   hieß er ihn ungesäumt
Von seinem Volke fahren:   »Vollführe, was du vorhast,
Tu, was du tun willst,   trügerisch birgst du nun
Die Gesinnung nicht mehr.   Die Entscheidung ist vor der Hand,
Meine Zeiten nahen.«   Wie da der Zweideutige
Die Mundkost empfing   und sie zum Munde führte,
Da entging ihm die Gotteskraft,   Gramgeister fuhren
In seinen Leichnam,   leidige Wichte,
Satanas selber   umschnürte scharf
Sein hartes Herz,   seit ihn des Herren Hilfe
Verließ in diesem Lichte.   So wird den Leuten weh,
Die unter des Himmels Höhn   den Herren wechseln.
Da raffte sich rasch auf,   des Verrats begierig,
Judas und ging,   grimmen Sinn hegend,
Der Degen dem Dienstherrn,   und düstre Nacht
Umfing den Verfemten.

                                          Der Fürst der Lebendigen
Verblieb beim Gastmahl   und seine Jünger.
Da weihte der Waltende   Wein und Brot,
Heiligt' es, der Himmelskönig.   Mit den Händen brach er es,
Gab es den Jüngern   und dankte Gott,
Dem Ewigen,   der alles erschuf,
Welt und Wonne,   und sprach diese Worte:
»Glaubet lichthell,   dies ist mein Leib
Und dies mein Blut:   ich geb euch beide
Zu essen und zu trinken.   Auf Erden soll ich sie
Hingeben und vergießen   und euch zu Gottes Reich
Mit meinem Leib erlösen   in das ewige Leben,
In das Licht des Himmels.   Euer Herz verlange stets,
Gleich mir zu begehn,   was ich bei diesem Mahl beging.
Meldet das der Menge,   es ist ein mächtig Ding:
Euern Herrn sollt ihr hiemit   verherrlichend ehren.
Behaltet es im Herzen   als mein heilig Bild,
Daß es der Erde Kinder   euch künftig nachtun
Und bewahren in der Welt,   und es wissen alle
Über diesem Mittelkreis,   daß es mir zur Minne geschieht,
Dem Herrn zur Huldigung.«

                                                  »Beherzigt stets,
Wie ich euch hier gebiete,   daß ihr eure Brüderschaft
Fest wahrt hinfort.   Habt frommen Sinn,
Minnt euch im Gemüte,   daß der Menschen Kinder
Über der Erde   es all erkennen,
Daß ihr gänzlich seid   meine Jünger, Christs.
Auch muß ich euch melden,   daß der mächtige Feind
Mit heißgrimmem Haß   euer Herz versuchen wird.
Satanas selber   kommt, eure Seelen
Mit Ränken zu berücken.   Drum richtet zu Gott
Eures Herzens Gedanken:   ich helf euch, wenn ihr betet,
Daß euch der Meintätige   das Gemüt nicht gefährde,
Schütz euch vor dem Feinde.   Er fliß sich auch, mich zu betrügen,
Obwohl sein Wille   ihm nicht gewährt ward;
Sein Gelüst gelang ihm nicht.«

                                                      »Nicht länger verhehl ich euch,
Was euch nun schleunig   soll für Sorge entstehen.
Ihr werdet mir versagen,   ihr meine Gesellen,
Eure Degenschaft,   eh die düstre Nacht noch
Von den Leuten läßt   und neues Licht kommt
Am Morgen den Menschen.«

                                                    Da ward der Mut den getreuen
Degen verdüstert,   Schmerz bedrängte
Herb ihr Herz,   um ihres Herren Wort
Sorgten sie schwer.   Simon Petrus sprach,
Der Degen zu dem Dienstherrn,   in dreisten Worten
Aus Huld zu dem Herrn:   »Wenn die Helden dich all,
Die Leute dich verlassen,   doch will ich lebenslang
In allen Drangsalen   mit dir dulden.
Wenn es Gott mir gönnt,   bin ich gerne bereit,
Daß ich dir zu helfen   standhaft beharre.
Wenn dich im Kerker   auch mit Ketten enge
Die Leute belegen,   ich lasse mich nicht schrecken,
In den Banden bei dir   will ich verbleiben,
Mit dir Liebem liegen.   Wenn sie vom Leben dich
Mit des Schwertes Schlägen   zu scheiden gedenken,
Mein Fürst, mein guter,   ich gebe mein Leben
Für dich im Waffenspiel.   Ich würdige nicht
Zu weichen vor irgendwas,   dieweil mir währt
Herz und Handkraft.«

                                        Da entgegnete sein Herr:
»Wohl bewähnst du dich   weiser Treue
Und kühner Tat.   Du hast kampflichen Sinn
Und guten Willen.   Doch wird dir, wisse, geschehn,
Daß du so weichmütig wirst,   obwohl du es jetzt nicht wähnst,
Daß du deinen Dienstherrn   diese Nacht dreimal verleugnest
Vor dem Hahnenschrei,   als sei ich dein Herr nicht;
So verschmähst du meinen Schutz.«

                                                                Da versetzte Petrus:
»Wenn es in der Welt auch je   so werden sollte,
Daß ich mit dir zumal   verderben müßte,
Schönen Tod erleiden,   so käme der Tag doch nie,
Daß ich dich verleugnete,   lieber Herr,
Dein Jünger, vor den Juden.«   Da sprachen die Jünger all,
Daß sie da vor dem Dingmahl   mit ihm dulden wollten.

Da gebot ihnen der Waltende   mit milden Worten,
Der hehre Himmelskönig:   »Hegt mir nicht Bangen,
Betrübt euch nicht,   in Gedanken vertieft,
Härmt das Herz nicht   um euers Herren Wort,
Fürchtet nicht zu viel.   Unsern Vater will ich,
Ihn selber suchen:   dann send ich euch
Vom Himmelreiche   den Heiligen Geist,
Der euch tröstend soll   in Betrübnissen frommen,
Der Gedanken euch mahnen,   die ich manchmal euch hier
In meinen Worten wies.   Er gießt euch Weisheit in die Brust
Lustsame Lehre,   daß ihr gerne leistet
Die Worte und Werke,   die ich euch in dieser Welt gebot.«


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