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XXXI

Die Kreaturen der Finsternis krochen in ihre tiefen Schlupfwinkel hinein, und mit dem phantastischen Zauber einer Mondnacht im Urwald war es aus. Feucht und kühl graute der Morgen herauf. Wie das unsäglich traurige Auge aus den schmalen Lidern eines Menschenhaies sah der Himmel aus, ehe er anfing, sich mit lebhafteren Farben zu schminken. Aus dem dunklen Grün und dem satten Violett wurden Scharlachrot und Orange, ein blasses Rosa dazwischen, dann Zinnober, Lachsrot und leuchtendes Gold.

Die Wipfelspitzen der Mangroven bluteten, die Laubmassen des Timbó rieben sich den Schlaf aus den Augen, in dicken Tropfen fiel er ins Kraut. Strahlen brachen sich Bahn, umarmten die Sträucher und nahmen Wohnung in einem Busch, der wie eine schamvolle Jungfrau purpurrot aufglühte.

Geruch war der Ausdruck der Freude, der ihm entströmte. Von diesem Geruch angezogen, als gälte er einzig und allein ihm, kam ein Kolibri angeschwirrt. Er schoß erst wie ein Blitz hin und her, blieb in der Luft stehen, umtanzte im Stehen einen vorspringenden Zweig, bis die Blüte sich weit genug geöffnet hatte, um nicht nur die dünne lange Nadel des Schnabels einzulassen, vielmehr auch den ganzen schwirrenden Federballen. Blume und Vogel hatten sich zu einem einzigen Wesen verwandelt, einem Schimmerwesen diamantgrün und rubinrot.

Die langen Arkaden der Bambusdickichte erschauerten in Licht und Luft. Durch eine schmale Schneise, vor wenigen Tagen erst geschlagen, wälzte sich ein Strom von breitblättrigem Kraut, das streckenweise von einem lilafarbenen Blütenschaum unterbrochen wurde, und dieses Lila wiederum von den silbernen Wolken handgroßer Tagfalter oder dem brandroten Geleucht der Admirale.

So kam der Morgen herauf, wie ihn die beiden Holzfäller nun schon seit vier Wochen kannten. Wenn der Kolibri schwirrte und das faustgroße Wollknäuel der Vogelspinne im Blattstumpf der herunterhängenden Leine eines Schmarotzers sich auseinanderrollte, die langen behaarten Beine zum Sprung spannte und die grauenhaft herausgequollenen Augen sich mit einem schweflig glühenden Metall überzogen, wenn auch die schwarze Schlupfwespe schon da war und auf den Augenblick spannte, daß die Spinne sich losließ, um den Vogel zu töten … wenn der Herr Specht plötzlich zu trommeln anfing und den beiden Mordkanaillen für eine Weile das Geschäft verdarb, wenn das Faultier sich reckte und die Affen wachrüttelte, das kurze unbändige Lachen und das Gekreisch, das nur wenige Minuten aussetzte und dann nicht mehr abriß … dann war es auch für die Axt soweit, sich bemerkbar zu machen, als gehöre ihr Tack … Tack … Tack … Tack zu den Grundstimmen der von einem außermenschlichen Wesen geschriebenen Sinfonie »Früher Morgen im tropischen Urwald«. In der Mitte des Gehölzes gähnte schon ein großes Loch. Auf dem Erdboden herum lagen die bereits gefällten Bäume, die meisten schon ohne Wipfel und Geäst, nur die glatten Stämme. Einzelne Baumriesen ragten noch empor aus dem unentwirrbaren Durcheinander von Strauchwerk und Schlinggewächs. Um sie bemühte sich jetzt der Mordwille der Holzaxt.

Turmhoch ragte der wie Lava braunborkige Stamm empor, der oben sich teilte und zwei Kronen tragen mußte. Wie Spielzeugfiguren, kläglich fast gegenüber diesem Waldriesen, erschienen die beiden Indios, deren Äxte in den Baum hineinfuhren. Es war eine Yacarandá, die mindestens ihre vierhundert Lebensjahre schon hinter sich hatte. Vierhundert Jahre hatte sie die Sonne, Mond und Sterne erfahren im Wechsel der Jahreszeiten. Und der, welcher ihr das Todesurteil gesprochen hatte, weil er ihrer nicht bedurfte, weil sie ihm im Wege stand, hatte noch keine vierzig Lebensjahre hinter sich gebracht.

Wie aus altem Kupfer gegossen, sahen die nackten Oberkörper der beiden Indios aus. Von zwei Seiten ließen die Männer ihre Mordwerkzeuge auf die Yacarandá los. Immer im Takt biß sich der Stahl in das Holz hinein und ließ die kleinen Splitter nach allen Seiten fliegen. Minutenlang, ohne auch nur eine Sekunde auszusetzen, blitzten die Schneiden und hämmerten ihr helles Tack … Tack …

Und in den Pausen fuhren die beiden Männer Yamacinto und Huacua mit einem weichen Stein über die Schneiden der Äxte, schoben das Kokabündelchen von der linken nach der rechten Backentasche herüber und gingen dem Baum wieder zu Leibe.

Nach vielen Stunden härtester Arbeit war der Stamm von allen Seiten so weit eingekerbt, daß er nur noch auf einem dünnen Stiel zu stehen schien. Durch die Blätter der beiden Wipfel zitterten die Todesschauer. Hin und wieder wurde ein dumpfes Rauschen daraus, obwohl kein Wind da war, denn die anderen Wipfel rührten sich nicht, unbewegt hingen die Blätter herunter.

Die Pausen, die die beiden Baumfäller machten, wurden jetzt immer häufiger und ihre Dauer immer länger und länger. Mit beschatteten Augen sahen die Männer nach oben, ob nicht schon eine kleine Neigung der beiden Wipfel nach der einen Seite hin erkennbar war. Noch war nichts zu bemerken. Nur das Rauschen war inzwischen dumpfer geworden, und einzelne Blätter regneten herab.

Noch drei Arbeitsgänge mit der Axt waren notwendig, um den Baum ins Schwanken zu bringen. Mit einem ohrenbetäubenden Donnergeräusch legte er sich auf die Seite.

Im Nu waren auch die beiden Männer nach der anderen Seite hin verschwunden. Stoßweise gingen ihre Atemzüge. Von der Stirn herunter und dem Oberkörper rann das Wasser und spülte die kleinen spitzen Holzsplitter weg. Mit einem letzten Donner, als habe sich der Erdboden aufgetan, warf der erschlagene Baum sich in das Kraut des Unterholzes und nahm zwei kleinere Bäume mit sich hinunter in den Tod. Er hatte ihnen die Axt erspart und den beiden Indios die Arbeit. Sie hatten allerdings mit dem Sturz der beiden anderen Bäume gerechnet, und ihre Berechnung hatte sich nicht als eine Fehlspekulation herausgestellt.

Aus einem der beiden jüngeren Bäume flüchtete das Geziefer in alle vier Winde. Alle diese Schmarotzer lebten von der Krankheit des Baumes, von den Säften, die sie ihm abzapften, ohne daß er noch die Kraft hatte, sich zu wehren. Weiße, fingerlange Würmer quetschten sich aus der Borke heraus, Käfer mit großen, vielfach gezähnten Zangen, die roten Wespen, deren Honig von den Indios als ein nie versagendes Mittel gegen das Reißen in den Gliedern angesehen wird, schwarze, schalenlose Schnecken, und zuletzt kamen die Tausendfüßler, Burschen von der Länge eines Männerarmes; sie suchten auf den endlosen Laufbändern ihrer unzähligen kurzen Beine das Weite. Vögel, Kröten und Echsen hatten eine gute und mühelose Ernte.

 

»Caramba! Hat der uns aber Arbeit gemacht«, sagte Yamacinto zu seinem Compañero Huacua, nachdem sie einen siebzig Meter hohen Muermo umgelegt hatten und fünf kleinere Bäume von ihm mit herunterziehen ließen.

»Bueno!« antwortete Huacua und spuckte das ausgequetschte Kokabündel in einem weiten Bogen in die Landschaft: »Noch drei Wochen, und wir haben unser erstes Viertel so weit heruntergeholzt, daß wir brennen können. Vorausgesetzt, daß uns das Wetter keinen bösen Streich spielt.«

»Natürlich, das liebe Wetter muß schon bleiben, wie es ist. Denn wenn uns der Regen auf den Pelz haut, blüht uns das Vergnügen, uns noch weitere vier Wochen auf diesem Stück hier abzuschinden, um das Astwerk und Unterholz zusammenzuschlagen, damit wir Platz kriegen zum Pflügen und Anpflanzen. Die Bäumchen hat der Patrón bald herbeigeholt, ist nur ein Weg von zwei Tagen bis zur Baumschule. Das hat mir der große Gauner Pedro verraten.«

»Das Wetter wird uns schon helfen, Brüderlein, darum keine Angst. In dieser und in der nächsten Woche fällt gewiß kein Regen. Und in der dritten Woche, wenn wir brennen werden … ich möchte den Regen sehen, der uns das antun will, das Feuer auszulöschen. Und wenn es wirklich regnen sollte, dann hat ihn kein anderer herbeigerufen als der Schwarze.«

»Man hat nichts mehr von unserem lieben Schwarzen gesehen?« fragte Yamacinto.

»Nichts mehr gehört und nichts mehr gesehen!«

»Vielleicht war es gar nicht einmal die Spur von unserem lieben Schwarzen, die du neulich gesehen haben willst und wodurch du mich und die Leute vom Dorf in eine große Aufregung gebracht hast.«

»Wer hat den Schwarzen gesehen und im Dorf herumgeschrien? Du sagst, ich hätte geschrien? Ich meine, du warst es«, schrie Huacua und zertrat ein Nest mit sieben noch nackthäutigen Spitzmäusen.

»Ich weiß genau, Brüderlein, daß du zuerst dich nach der Spur im Kraut gebückt und den Kot berochen hast«, erwiderte Yamacinto. »Und jetzt willst du behaupten, ich hätte den Schwarzen herbeigerufen?«

»Den Schwarzen hat kein anderer herbeigerufen als Cayrú, der Sohn unserer lieben Schwester Mayahua … So und nicht anders wird die seine Wahrheit sein«, sagte Huacua.

»Richtig, so ist es! Cayrú hat den Schwarzen herbeigerufen. Und es ist ein Glück, daß der Patrón noch nichts davon gehört hat.«

»Ich meine«, quetschte Huacua aus dem nach links hinübergezogenen Mund und rieb sich dabei die Nase, »der Patrón hat jetzt andere Sorgen, als auf das Geschwätz von Cayrú zu hören.« Er wollte noch etwas hinzusetzen, mußte aber erst das frische Kokabündel in die richtige Lage bringen.

»Was sind das für Sorgen?« fragte Yamacinto.

»Er hat Sorgen. Ich weiß es von Pablo. Man hat die Ernte schlecht verkauft. Man kann jetzt nicht das zweite Camion anschaffen. Vielleicht wird man uns auch nicht das Geld für das erste Viertel auszahlen. Und dann?«

»Du meinst, das hat dir Pablo gesagt?« fragte Yamacinto.

»Ich glaube, daß er es war, der es mir so gesagt hat.«

»Brüderlein … der Pablo ist ein Schwätzer. Er wird es von Pedro gehört haben, und der ist ein Lügner noch obendrein. Man will uns ärgern. Man gönnt uns nicht die Arbeit. Ich will meinen, es ist eine schlechte Sache überhaupt, daß wir hier dem weißen Mann den Wald roden und ihm eine piekfeine Pflanzung anlegen. Solange wir gutes Wetter haben und die Bäume nicht zu dicht stehen … na ja, dann mag es angehen, daß wir uns hier plagen, weil wir dabei vielleicht doch noch auf unsere Kosten kommen. Aber … wenn das Wetter sich ändert und wir nicht brennen können, dann wäre es vielleicht besser, wir hätten den Kontrakt in Tagelohn gemacht. Was meinst du dazu?«

»Ich bin nicht für Tagelohn!« antwortete Yamacinto. »Eine runde Summe ist immer besser und auch mehr wert. Und so habe ich auch jetzt keine Angst, daß wir die Dummen sein werden. Wir werden sicher noch klüger sein als der Patrón. Wenn die Rodung erst umgepflügt ist und die jungen Bäumchen stehen, zwölf Reihen, zwanzig Reihen … weißt du schon, was wir dann dazwischen pflanzen werden? Ich meine, ohne daß der Patrón uns das verbieten kann? Du weißt es nicht? Und du hast auch noch nie daran gedacht? Bueno! Du machst nicht zum erstenmal solche Arbeit und weißt gar nichts. Ein Glück, daß du diesmal mit mir gegangen bist. Paß auf: In den Zwischenräumen, die uns gehören, pflanzen wir schwarze Bohnen und Batatas. Wir werden sie pflanzen, und dann werden die Frauen und Kinder kommen und die weitere Arbeit machen. Bist du nun zufrieden mit meinem Plan? Oder ist er nicht gut?«

»Das ist nicht schlecht gedacht, Brüderlein!« sagte Huacua. »Man muß sich nur wundern, woran du alles denkst.«

»Man muß viel denken, um nicht dümmer zu werden. Das wird uns schon in der Legende von der ›Grünen Flöte‹ gesagt. Man muß die alten Zaubersprüche in Ehren halten, dann werden uns die Weißen auch nicht auffressen.

Hör weiter: Mit dem, was wir in den Zwischenräumen an schwarzen Bohnen und Batatas ernten werden, haben wir genug zum täglichen Brot. Wir werden nichts zu kaufen brauchen. Und das Geld, das uns dann der Patrón zu zahlen hat, ist ein Sondergewinn.«

»Und das werden wir so mit jedem Viertel machen, Brüderlein?« fragte Huacua.

»Mit jedem Viertel, natürlich, du Dummer!«

»Weißt du? Nun habe ich auch keine Angst mehr vor dem Wetter. Noch drei Wochen haben wir zu schlagen, und dann wird gebrannt. Wir werden am Abend, wenn es brennt, ein kleines Fest machen. Die Frauen müssen für eine gute Chicha sorgen. Es wird ja noch Zeit dafür sein«, sagte Huacua.

»Ich habe die Chicha für den Feuertag schon längst in der Erde zum Gären. Du Fauler denkst aber auch an gar nichts. Nun wirst du aber dafür sorgen, daß der Spieß nicht leer bleibt. Zwei Schafe müssen wir haben; denn es werden viel Leute zu der Feier kommen.«

»Du glaubst, man wird mir im Dorf die Schafe ohne Geld geben und so lange warten, bis der Patrón uns ausgezahlt hat?« fragte Huacua.

»Der Puñaco wird dir die Schafe ohne Geld geben. Am Sonntag werden wir beide hingehen und die Sache festmachen«, antwortete Yamacinto.

»Soll es so sein, wie du willst!« sagte Huacua und rieb sich wieder die Nase. Ein Bicho hatte sich in das dicke Fleisch hineingebohrt. Er war die Ursache des Juckens.

Das Reden hatte die beiden Leute so müde gemacht, daß sie eine Stunde früher als gewöhnlich Mittag hielten. Sie schulterten die Äxte und machten sich auf den Weg zur Hütte. Mayahua hatte ihnen am Morgen einen vier Kilo schweren Pacú besorgt. Den brieten sie jetzt am offenen Feuer, jeder hatte eine Hälfte des Fisches zwischen die Brathölzer geklemmt. Das Fett troff in kleinen Bächen von dem bald schwarz geschmorten Fleisch und tropfte mit lautem Gezisch in die Glut hinein.

Ohne Zubrot kauten sie an dem zarten, schneeweißen Fisch herum. Es blieb an den knorpligen Gräten auch nicht die Spur hängen. Nach dieser Bombenmahlzeit streckten sie alle viere von sich und schnarchten über eine Stunde. Die grünen und roten Fliegen versammelten sich in rauhen Mengen auf den von Fett blanken Mäulern und breiteten sich zuletzt auf dem ganzen Körper der beiden Männer aus. Nichts verspürten sie von dem Herumgekrabbel und Gesumme, ihre Haut war so unempfindlich wie die Borke der uralten Bäume.

»Da hat man nun gegessen und geschlafen, und doch ist wieder der Hunger da«, klagte Yamacinto, als er sich die Augen rieb, den Kopf hochhob und verwundert auf die Fliegenschwärme sah, die ihn wie eine Wolke umhüllten. Er sprang auf, nahm ein breites Blatt und schlug um sich. Das gleiche Manöver vollzog wenige Sekunden später Huacua. Sie sahen so sauber aus, als wären sie soeben aus dem Fluß heraufgestiegen. Das Geziefer hatte als Reinigungsapparat gründliche Arbeit getan.

Ehe sie die Äxte wieder schulterten, suchten sie den Busch nach einem Nachtisch ab. Nicht weit von der Hütte fanden sie zwar nicht das, was sie suchten, aber auch die Guajaven schmeckten köstlich, zumal sie überreif waren. Sieben, acht Stück von diesen birnengroßen Früchten packte sich jeder in den Bauch hinein. Und als sie schon auf dem Wege zum Holzschlag waren, entdeckte Yamacinto das, was er sich eigentlich für den Nachtisch ausgedacht hatte: süße, feuerrote Kakteenfeigen.

Wenn ein Weißer sich drei, vier von diesen, von Saft schier triefenden Früchten einverleibt hat, schüttelt es ihn vor jedem weiteren Stück. Anders berührt der Genuß die Indios. Mehr als ein Dutzend von den übersüßen Feigen ließen die beiden Männer den Schlund hinunterkullern. Die Folge davon war, daß sie unter dem Baum, den zu fällen sie sich vorgenommen hatten, noch eine Stunde Mittagsruhe zugeben mußten.

Heinrich Coßmann spazierte durch den Holzschlag. Noch ein paar Tage, und das erste Viertel ist reif zum Umpflügen, sagte er sich. Er wählte die Stämme aus, die ihm wert schienen, als Nutzholz abgefahren zu werden. Mehr als ein Dutzend waren es allerdings nicht. Viele von den riesigen Bäumen hatten den Wurm.

»Schade«, brummte Heinrich Coßmann vor sich hin, »am härtesten scheint mir hier doch noch die Yacarandá zu sein. Leider wächst sie viel zu langsam. Sonst könnte man sie kultivieren und nicht bloß ausrotten, so wie jetzt. Um wieviel schneller geht es doch daheim mit den Buchen!«

Yamacinto und Huacua hatten den Patrón schon vor einer ganzen Weile gesehen. Sie hieben jetzt mit ihren Äxten drauflos, als wollten sie heute noch mit dem letzten Rest fertig werden. Die Klingen blitzten durch die Luft und wirbelten mit ihrem Tack … Tack … Tack … Tack wie die Knochenschlegel eines indianischen Trommlers auf der großen Baumtrommel.

»Bin zufrieden mit eurer Arbeit«, sagte Heinrich Coßmann zu den Leuten. Und er mußte es zweimal sagen, ehe die Leute eine Pause machten und ihn verdutzt ansahen.

»Jawohl … ich bin sehr zufrieden. Und wenn ihr nun ebenso schnell mit dem Pflanzen zurechtkommt, werden wir euch ein paar Scheffel Mais extra spendieren. Damit ihr nicht in den Dörfern herumlauft und euren Leuten sagt: ›Die Weißen an der Krebsbucht sind Blutsauger! Niemand darf mehr hingehen und für die Weißen arbeiten!‹ Wie? Das ist bei euch doch so Mode. Also, haltet euch dazu!«

»Wir reden immer nur gut vom Patrón«, sagte Yamacinto. Und Huacua setzte hinzu: »Dafür wird uns auch der Patrón besuchen, wenn wir feiern werden.«

»Was, wo und wann wollt ihr feiern?« fragte Heinrich Coßmann.

»Wenn wir hier werden Feuer machen, Patrón, dann soll sein ein großes Fest. Man wird Chicha haben, und man wird Fleisch haben. Es werden viele Leute aus den Dörfern da sein, und man wird tanzen.«

»Hm … ja …«, brummte Coßmann und ging, mit den Augen den Boden absuchend, hin und her. »Ich bin abergläubisch, Leute. Ein Viertel gerodet, gebrannt und noch nicht gepflanzt … das reicht nicht hin, ein Freudenfest zu veranstalten. Versteht?«

»Aber das macht man hier überall so, Patrón!«

»Bei den Criollos vielleicht. Die ziehen alles, was sich feiern läßt, an den Haaren herbei. Wir halten es anders. Wir sind mehr für die Arbeit. Und wenn die Arbeit getan ist, kommt auch das Feiern nicht zu kurz.«

»Das macht uns sehr traurig, Patrón!« jammerte Yamacinto.

»Ich habe doch nicht gesagt, daß ihr überhaupt nicht feiern sollt. Nur so früh soll es nicht sein. Wenn zwei Viertel fertig sein werden und auf den zwei Viertel schon die Bäumchen stehen … dann machen wir eine nette Feier. Die Chicha dazu und das zum Braten notwendige Fleisch, das stiften wir. Die Musik und den Tanz macht ihr. Und wenn es schön ist, dann tanzen wir mit. Seid ihr einverstanden?«

»Oh … das ist sehr traurig, Patrón«, seufzte Huacua. »Man hat es doch schon im Dorf gesagt. Alle Leute wollen kommen. Und alle Leute werden jetzt sagen: ›Seht, was der Huacua und der Yamacinto doch für schreckliche Lügner sind!‹ Und wir können nicht antworten. Wir bleiben in der Schande.«

»Ihr sagt euren Leuten in den Dörfern das, was ich euch gesagt habe. Und dann seid ihr keine Lügner.«

Yamacinto und Huacua sahen einander an. Einer versuchte es bei dem anderen, das von den Augen abzulesen, was jeder von ihnen dachte. Dann sahen sie den Patrón an, der sich zu einem Stamm bückte und das Holz untersuchte.

»Nun …?« fragte der Patrón, als er sich wieder aufgerichtet hatte. »Seid ihr euch jetzt klargeworden?«

»Wir werden noch einmal schlafen darüber. Und wir wollen dazu noch fragen: Wird man uns geben fünf Scheffel Mais?«

»Drei, mein Freund. Drei Scheffel erstklassigen Mais.«

»Man wird uns den Mais geben, wenn wir hier das Viertel abgebrannt haben, Patrón?« fragte Yamacinto.

»Wenn ihr die Bäume gepflanzt habt, keinen Tag früher. Das ist versprochen, und das wird auch gehalten.«

»Zu hören ist es sehr traurig, Patrón«, sagte Yamacinto, der sich etwas mehr Mut nahm als sein Compañero und die Arme wie ein Gladiator verschränkte, »sehr traurig zu hören … aber man wird tun, was der Patrón für richtig hält. Und der Patrón wird auch die Zulage nicht vergessen, denn drei Scheffel Mais … das ist nicht viel, die Bäume im Wald sind mehr.«

»Mit euch zu verhandeln ist schwieriger als in der Stadt mit dem Advokaten. Und das ist wohl auch euer Unglück … ich meine: die Armut und daß ihr Krebse geworden seid … immer rückwärts, bis nichts mehr da sein wird von euch.«

Als der Patrón sich genügend weit entfernt hatte auf dem Weg nach dem Hof und nichts mehr hören konnte, sagte Huacua zu Yamacinto: »Wir wollten machen eine kleine Feier, und nun wird eine ganz große daraus … sind nicht dumm, diese Weißen, man muß hinhören, wenn sie etwas sagen.«

»Und die Arbeit dabei nicht vergessen!« sagte Yamacinto und fiel mit seiner Axt gewalttätig über den Stamm her.

 

Die Mittagssonne lastete über dem Wald. Senkrecht fielen die Strahlen herab, prallten wie der Glutatem aus dem riesigen Feuerloch eines Dampfkessels auf die mattgrünen Blätter, zerteilten sich zwischen Ast- und Rankenwerk, rieselten tiefer hinab, krallten sich an den Ranken des Unterholzes fest und bildeten Flimmerlachen aus geschmolzenem Gold und Kupfer.

Eine Totenstille, doppelt schauerlich in ihrer Unbewegtheit, breitete sich aus und lähmte den Gang der Wipfel, ließ die Büsche und selbst die Bambusschwaden erstarren. Nicht einmal der Wurm im Holz wagte sich zu rühren, obwohl er doch blind ist und nichts von der Sonne weiß, tief innen, in den dunklen Gängen, die er sich gebohrt hat.

Über der Rodung brütete die Glut am heftigsten. Das Flimmern war so stark, daß das menschliche Auge sich abwenden mußte. Starr und dürr reckte sich das Geäst der kreuz und quer übereinanderliegenden Bäume, die als Nutzholz nicht zu verwenden waren. Ein dicker Teppich aus tabakbraunen und fast schwarzen Blättern bedeckte den Boden und erstickte die Keime der Farnstauden.

Yamacinto und Huacua gingen an den Rändern der Rodung, in den breiten Gräben, die der Pflug aufgeworfen hatte, herum und häuften in Abständen von zehn, zwanzig Metern das dürre Laub, brannten es an und liefen weiter. Bald züngelten von allen Seiten die Flammen auf, wuchsen rasch zu Garben und trichterten in den Himmel empor. Der Wind kam den Leuten wie gerufen. Vielleicht auch hatten sie ihn herbeigerufen. Denn sie verrichteten ihre Arbeit mit solch einem feierlichen Ernst und mit einer so sonderbaren Gespanntheit in den Gesichtern, als zelebrierten sie einen Dienst am Opferstein des Götzen Aña. Wie von den Ketten losgelassene wilde Stiere fuhren die Flammen jetzt in das dürre Astwerk hinein, wirbelten haushoch empor, flatterten oben wie rote Fahnen des Aufruhrs und warfen einen Funkenregen herunter, dicker und dichter als der Hagelschlag aus einer Gewitterwolke.

Die ungeheuere Glut erzeugte einen Luftzug, der sich wie eine fressende Säure in die Gesichter der beiden Indios schnitt. Man sah jetzt nur die schützenden Hände vor den Augen und den verkniffenen Mündern.

Blauviolett stand eine mächtige Rauchwolke über dem Wald, meilenweit zu sehen, für jeden Kolonisten der weiten Umgebung ein Zeichen, daß Urwald gerodet wird und neue Pflanzungen im Entstehen begriffen sind.

Die Musik dieses rasend sich Bahn brechenden Brandes hatte Akzente, die nicht zu beschreiben sind. Würde man nach Vergleichen suchen, man fände sie nicht. Dieses Prasseln, Krachen, Zischen, Brummen, Donnern, Pfeifen, Trompeten, Wimmern und Zirpen gibt es nicht außerhalb solch einer brennenden Rodung.

Am Rande des tiefen Grabens standen Yamacinto und Huacua und freuten sich, daß ihnen das Werk so gut gelungen war. Sie hatten sich all die letzten Tage in dem Zweifel bewegt, ob die Trockenheit noch länger anhalten würde. Denn der Regen war längst fällig. Ihre allabendlichen Gebete zur untergehenden Sonne hatten, so glaubten sie jetzt fest, Erhörung gefunden. Der nicht heraufgezogene Regen hatte ihnen mindestens drei Wochen Arbeit erspart. Sie standen da wie Jäger, die die Trophäen einer ergiebig gewesenen Jagd betrachten, stolz und glücklich.

Gleichgültig sahen sie zu, wie zwei große schwarze Vögel hoch in der Luft kreisten, den Versuch machten, sich niederzulassen, und steil wieder hochstiegen. Siebenmal wiederholten sie das Spiel, bis sie schließlich von den Flammen erfaßt und gefressen wurden, so wie die fünf Jungen im Nest, die sie retten wollten.

Die Gewalt des Feuers ließ nach, was noch ragte und glühte, das stürzte bald in sich zusammen. Der Rauch verzog sich. Der wilden und glutheißen Musik folgte langgezogenes Klagen und Wimmern. Asche, weiß wie frischgefallener Schnee, bedeckte den Erdboden. Im Verlauf von drei Wochen, nach zwei heftigen Gewitterregen, war er schwarz und glänzte – bereit, die ersten fünfhundert jungen Orangenbäume aufzunehmen.


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