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XIII

Cayrú saß noch immer vor der Hütte und schleuderte kleine weiße Steine nach dem Mond, der den Wasserrosen immer näher zuschaukelte, die erste umarmte, die zweite hin und her wiegte und in der dritten schließlich ganz untertauchte. Und jetzt leuchtete die gelbe Rose und nicht mehr der Mond. Neugierig sprangen die Fische hoch und flogen ein Stück über das Wasser hin. Der Ochsenfrosch blähte sich auf und quarrte ärgerlich über den bei ihm nicht angemeldeten Besuch. Er wollte in seinem Revier den Gevatter Mond heute gar nicht haben, er erwartete die Regenfrau. Von ihrer langen Schleppe sollte das Wasser silberhell aufspritzen, bis zu den Büscheln des Rohres.

Als Cayrú den Mond in der Wasserrose verschwinden sah, gab er es auf, noch weiterhin die flachen Kiesel auf dem Blumenspiegel tanzen zu lassen. Aus der Rohrhütte dünstete es nach Öl. Auf dem Feuer stand der flache Steintopf, und die Mutter buk runde Kuchen aus Maismehl und den jungen Trieben der Schilfzwiebel.

Den ersten Kuchen, den Mayahua fertig hatte, brachte sie Cayrú. Sie dachte: Vielleicht werden ihm die Kuchen, die Llamicha einrührt und bäckt, lieblicher schmecken. Alte Hände machen den Mehlteig zäh, junge lockern ihn auf.

Cayrú biß in den heißen Kuchen hinein und verspürte nicht, daß sie zäh waren. Sie schmeckten ihm so, wie sie ihm schon immer geschmeckt hatten. Das Öl lief ihm aus den Mundwinkeln das Kinn hinunter. Er hob den Handrücken und machte das Kinn wieder trocken.

Mayahua brachte ihm den zweiten Kuchen und sagte: »Sieh, du kannst schon so schnell und kräftig essen wie ein Mann.«

»Ja … bald werde ich auch ein Mann sein!«

»Oh … du bist doch jetzt schon ein Mann, mein Sohn!«

»Aber noch nicht solch einer, wie es der Vater meiner Muñeca ist. Er kann das Kanu auf der Schulter forttragen, ich noch nicht.«

»Du denkst immer noch an das weiße Mädchen, das keine Muscheln im Haar hat und nicht an die Sonne glaubt?«

»Muñeca hat ein Räderwerk aus Zeit um den Arm. Sie braucht die Schattenuhr der Sonne nicht.«

»Mit dem Räderwerk läuft die Zeit zu schnell, mein Sohn. Die weißen Leute wuchern mit der Zeit. Ihre Zeit ist ein böser Geist. Wir aber müssen bei der Sonne bleiben. Die Sonne ist die Gottheit. Durch die Gottheit geschieht Werden und Vergehen.«

»Ich habe wieder mit dem weißen Mädchen gesprochen. Ihr Haar ist aus Sonnenstrahlen geflochten. Die Sonne ist ihre Mutter.«

»Das weiße Mädchen, mein Sohn, wohnt in einem großen Haus. Viele Türen und Kammern hat solch ein Haus. Du wirst dich verirren in dem großen Haus.«

Mit einem heißen Maiskuchen in der Hand setzte sich die Mutter zu ihm. Sie biß ab und steckte ihm einen Brocken um den anderen in den Mund, so wie sie ihn gefüttert hatte, als er noch schwach auf den Beinen war und wie ein Tier auf allen vieren herumkroch.

Und nach einer Pause begann sie wieder: »Wenn es eine Frau sein muß, mein Sohn, dann denk nicht mehr an das weiße Mädchen! Ich wüßte eine Frau für dich.«

»Ich werde Krebse für das weiße Mädchen fangen.«

»Die Krebse, die ich den weißen Leuten ins Haus gebracht habe, waren immer die schönsten und größten. Und doch sagten die Leute: meine Krebse seien klein und voll Würmer. Sie wollen keine Krebse mehr von mir.«

»Ich werde Krebse fischen, die keine Würmer haben.«

»Wenn du Krebse fangen willst, mußt du es für Llamicha tun und sie ihr ins Haus tragen. Jeden Abend mußt du ihr ein Körbchen voll auf die Schwelle stellen. Sie wartet darauf, daß du ihr die Krebse bringst.«

»Ist Llamicha eine Frau?«

»Eine Frau für dich, mein Sohn!«

»Hat Llamicha auch solche Haut wie das weiße Mädchen? Solche Augen und solches Haar?«

»Du bist ein Omo, du bist ein Indio, und Llamicha ist eine India. Es muß in der Familie bleiben, was indianisch ist. So wie dein Vater und ich in der Familie geblieben sind.«

»Es braucht für mich noch keine Frau zu sein.«

»Gewiß, es braucht auch noch nicht gleich heute zu sein, daß du dir eine Frau nimmst, mein Sohn! Komm schlafen. Aus dem Wasser steigen schon die Fische hoch und ziehen ihre Netze. Es könnte sein, daß sie dich einfangen; dann wird eine Raya deine Frau. Und die Raya sind kalt, und ihr Blut ist schlecht. Komm!«

Er ging mit ihr in die Hütte. Sie stellte einen frischen Weidenzweig in die Türöffnung und streute Asche in die noch glimmenden Holzkohlen auf dem Herd.

Cayrú lag in der Hängematte und sah, daß schwarze, mit langen Zotteln bewachsene Schattenhände nach ihm griffen. Er drehte sich nach der anderen Seite herum und träumte mit offenen Augen. Er sah ein Kanu, das über die große milchige Straße der Sterne dahinfuhr. Es saßen zwei Menschen in dem langsam dahinstreichenden Boot. Er sah die Gesichter, die so dicht beieinander waren wie ein Gesicht. Er erkannte sie aber nicht.

Diese Traumerscheinung beschäftigte seine Gedanken noch den ganzen Tag, als er wieder unter der Mangrove stand und den Baumstamm aushöhlte. Er wünschte sich, daß Anne-Marie vorüberkäme. Vielleicht hätte er sie nach den beiden Gesichtern gefragt, die eins waren.

Anne-Marie kam aber nicht an diesem Tag. Eine Wolke, dunkelgrün wie der Kugelbauch der Warzenkaktee, stand über der ganzen Breite des Stromes, und die Sonne lag auf dünnen Ranken aus Gold zwischen Wolke und Wasser.


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