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XVIII

Auf dem harten Gras des Gartens saßen die Hochzeitsgäste in einem weiten Kreis zwischen dem Wurzelgewirr der Bäume in Familiengruppen beieinander. Vorn bildete die schmutzige Lehmwand der Choza mit den vier Bäumen, die die Hütte flankierten, eine Kulisse, vor der pantomimisch sich die Figuren von Cayrú, seiner Mutter und der Frau des Hauses und ihrer Schwester bewegten, um Speise und Trank herzurichten für den Augenblick, wenn der Hochzeitszug die Krümmung des Hohlweges erreicht haben würde.

Abgeschlossen wurde die Szenerie von einem riesenhaften Ombú, der genau auf der Grenze des Grundstückes stand. Der Zaun hätte den Baum eigentlich halbieren müssen; er schlug aber einen scharfen Bogen um den verknoteten Stamm und bezog ihn in das Besitztum Huacuas ein. Hinter der gewaltigen Laubmasse des Baumes türmten sich die fernen Wipfel des Urwaldes hoch, starr und steinern wie das Massiv der Kordillere. Der Himmel darüber war von einem blanken, fast metallisch schimmernden Grau. Die Lagune spiegelte dieses Grau und lag da, umsäumt von den Stoppeln des abgemähten Rohres, wie die gebrühte und zum Trocknen aufgespannte Haut eines Wasserschweines.

Nur die Westseite des Horizontes, der Himmel über den Plantagen der Kolonisten, begann schon mit der Umfärbung und machte aus dem violetten Grau ein leuchtendes Flaschengrün, getupft von Malve und Rostrot. Und keine halbe Stunde mehr wird vergangen sein, dann sind auch diese noch verhaltenen Farben überholt von einem blutroten Scharlach und einem mit Gold geäderten Violett. Dann ist jenes betäubende Licht da, das nur dieser von heißen Dünsten geschwängerte tropische Himmel gebären kann, zwischen Sonnenuntergang und dem raschen Einbruch der Nacht.

Diesem tagtäglich sich wiederholenden, für sie aber immer noch mythischen Wunder zitterten die Indios jetzt entgegen und drehten sich Zigarren aus dem erdschwarzen Tabak, der in Wirklichkeit ja nichts anderes ist als das urtümliche Aroma dieses Erdfleckens.

Der Tabak war schon da, ehe Pizarro das Gold der Inkas raubte und noch ehe die Jesuiten versuchten, einzelne Stämme der Indios seßhaft zu machen, in einem christlich-kommunen, indianischen Staat, den Missiones.

Auf diesen frühesten, dem Urwald abgewonnenen Plantagen kultivierten die Indios das narkotisierende Kraut in speziellen Sorten für Europa.

Der Tabak gilt seit urdenklichen Zeiten den Indios als eine Droge, mittels der man aus dem Blut die bösen Nachtgeister vertreiben kann in der Stunde, wenn der Tag abstirbt und aus dem braunen Schattengewirre der Schluchten die Fledermäuse hochsteigen und die Sterne anzünden.

Es ist auch die Atmosphäre, die dem indianischen Märchenerzähler die Phantasie beflügelt und seine Zuhörer bannt, als bewege sich ihr Leben erst jetzt in der eigentlichen, ihrem Wesen urtümlichen Welt.

Die Verwandtschaft Huacuas hatte den berühmtesten Geschichtenerzähler aus der Gegend an den Ufern des Pilcomayo mitgebracht, den Kaziken Taca-Banyuna. Er war der einzige unter den Hochzeitsgästen, der in der uralten Tracht seines Stammes erschienen war. Um die Stirn herum trug er eine Binde aus einem zitronengelb gefärbten Bast, besetzt mit den roten Schopffedern der heute in dieser Landschaft fast ausgestorbenen Schilfeule. Vom Hals auf die Brust herunter fiel ihm eine Kette, kunstvoll gearbeitet aus den Fingerknochen der kleinen, wie Säuglinge schreienden Nachtaffen. An der Kette hing als Anhängsel eine Zanza, ein auf Orangengröße präparierter Menschenkopf, mit dem natürlichen Haar und Augen aus roten Muscheln.

Niemand forderte den Kaziken auf, mit dem Geschichtenerzählen zu beginnen. In dem Augenblick jedoch, als die roten und goldenen Farben des Himmels in ein warmes Samtbraun übergingen und im Blut der Menschen die Ahnung des aufgehenden Mondes fieberte, erhob er sich, ging bis zur Mitte des Kreises, steckte seinen Stab in die Erde und wartete einen Augenblick ab, die Geschichte Wort werden zu lassen.

Unzählige Male schon hatte die Verwandtschaft gerade diese Geschichte aus dem Munde des Erzählers gehört. Immer aber schmeckten die Menschen sie als eine neue, als eine ihre Gefühle erschütternde Offenbarung.

Niemand von den Gästen nahm einen Anstoß daran, daß der Jüngling Cayrú sich an den Kaziken bis in Atemnähe heranschob.

Der Kazike hob ein paar Sekunden lang den schon nach innen versunkenen Blick seiner wie halb erloschene Kohlen glimmenden Augen in das Gesicht des Knaben hinein und verspürte, welche Spannungen das Blut dieses jungen Menschen bewegten. Der warm zu ihm aufschlagende Atem berührte ihn. Und als er die schmalen Lippen hin und her schob, um das erste Wort der Geschichte zu formen, flog es ihn an, mit dem Erzählen es so zu halten, als sei der Knabe sein einziger Zuhörer und die Fabel für ihn allein erdacht. Für ihn, der jetzt den Kopf bis in die Höhlung der Knie heruntersenkte und mit seiner Stirn beinahe das lange Kraut streifte, wie manchmal ein verlorener Strahl des Mondes die Spur der Tautropfen zu den Wurzeln sucht.

Cayrú nahm die Worte des Geschichtenerzählers in sich auf wie den warmen Geruch aus einem Vogelnest, wie das überquellende Blut aus der reifen, süßen Frucht einer Kakteenfeige.


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