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XVI

»Du hast es dir zu lange überlegt, Schwester!« rief der Indio Yamacinto schon von weitem Mayahua zu.

Sie kam die Grenzfurche einer Maispflanzung herunter, während Yamacinto auf dem Feldweg stand und wartete. Er drehte sich aus einem schwarzen Tabakblatt eine Zigarre, rieb die Feuerhölzer, bis sie glimmten, und entzündete damit den Tabak. Zuerst schluckte er den Rauch hinunter und ließ ihn nach einer Weile durch die breiten Nasenlöcher wieder ab. Dann erst behielt er den Rauch im Mund, kaute ihn gut durch und ließ aus den Mundwinkeln kleine, krause Wolken heraus.

Schließlich war auch Mayahua auf dem Feldweg angelangt und stellte ihre Körbe, die mit Hirse und Mandioka gefüllt waren, auf dem dicken Polster einer fetten Unkrautstaude ab.

Yamacinto langte ihr die qualmende Zigarre hin, ließ sie ein paar Züge machen und kam wieder auf die Worte seines Zurufs zurück: »Jawohl, viel zu lange hast du dir das überlegt, Schwester. Sonntag wird die Hochzeit sein.«

»Weshalb auch soll Llamicha nicht heiraten, Schwager, wenn ein Mann dir die Kühe vor das Haus stellt?«

Sie versuchte zu lächeln, verspürte, daß ihr Gesicht aber so hart geworden war wie Leder in der Mittagssonne.

Yamacinto antwortete: »Nicht zwei Kühe, nicht eine Kuh, aber zwei Schweinchen und fünf Säcke Mais hat man mir gebracht.«

»Soviel wird Llamicha dem Mann wohl auch wert gewesen sein!«

»Du willst nicht wissen, Schwester, wer dieser Mann ist, dem Llamicha so gut gefallen hat? Warum denn nicht?«

»Man sagte mir, es sei des Huacua jüngster Sohn.«

»Du weißt es schon?«

»Ich werde für Sonntag dem Huacua vier Körbe Krebse ins Haus bringen. Und Fische möchte er auch haben.«

»Und zur Hochzeit hat er dich nicht eingeladen?«

»Ich werde im Haus sein und Fleisch rösten.«

»Du allein wirst kommen, Schwester? Nicht auch dein Sohn?«

»Cayrú … ja …«

»Man hat ihn nicht zur Hochzeit eingeladen? Gut, dann ist er jetzt durch mich eingeladen!«

»Wenn es dir Freude macht … bueno, Schwager, soll er kommen!«

»Ich meine: es soll ihm Freude machen. Und hat er nicht die eine geheiratet … weshalb soll er nicht die andere haben, wenn sie ihm gefällt?! Er mag sich Wayapuy zuerst einmal ansehen. Und wenn sie ihm zusagt, wird er mir nicht zwei Schweinchen, sondern drei vor die Tür stellen. Wayapuy ist schöner als Llamicha; um eine Handbreit ist ihr Haar länger.«

Ganz vertieft in seine Anpreisungen, hatte Yamacinto vergessen, von Mayahua die Zigarre zurückzuverlangen. Sie hatte den zottigen Stengel schon bis zur Hälfte aufgeraucht und die Spitze so weich gekaut, daß der Tabak ihr wie Gummi an den Lippen klebte. Es blieb noch ein ganzes Stück Tabak an den Lippen hängen, als sie Yamacinto den Stummel zurückgab. Er schob ihn in den linken Mundwinkel und rauchte weiter. Mayahua kaute an dem Blatt herum und schulterte sich wieder die Körbe auf.

Yamacinto hätte ihr gut einen Korb abnehmen können. Aber wenn er ein Säckchen Mais bei sich gehabt hätte: er würde ihr auch das noch aufgepackt haben; denn ein indianischer Mann trägt keine Lasten, sobald er die Feldarbeit für die weißen Leute hinter sich hat. Dann ist er ein freier Mann. Und nach dem uralten und immer noch gültigen Gesetz ist die Frau das Packtier, das sich die Schultern wund zu scheuern und die Füße blutig zu laufen hat. Yamacinto ließ Mayahua ruhig neben sich mit der Last hertraben. Und obwohl er sah, wie sie sich abquälte, rührte es ihn nicht. Es mußte so sein, und ruhig plauderte er weiter.

Er sagte: »Und wenn es dir weiter keine Mühe macht, Schwester, hättest du wohl ein Säckchen Hirse übrig? Man wird Kuchen backen und ihn auf der Hochzeit verteilen müssen.«

»Cayrú müßte ein neues Hemd für die Hochzeit haben. Ich sah auf dem Distelbusch hinter deinem Haus ein Stück Leinwand hängen. Die Sonne hat es schön weiß gebleicht. Wenn dieses Stück Leinwand dir ein Säckchen Hirse wert ist …«

»Zwei Säckchen, Schwester …, »zwei müssen es sein.«

»Ich habe nur ein Säckchen, Schwager!«

»Dann wirst du morgen zwei Säckchen haben.«

»Ein Säckchen Hirse und ein Säckchen Mandioka, Schwager! Mehr ist mir die Leinwand nicht wert. Vielleicht reicht sie gar nicht einmal für ein Hemd aus. Cayrú ist ein Mann geworden, Schwager.«

»Hast du Hirse und Mandioka bei dir, Schwester?«

»Bring die Leinwand, und wir tauschen!«

»Bueno, wir werden tauschen.«

»Bueno!«

»Du die Leinwand und ich Hirse und Mandioka.«

»So soll es sein.«

Gelb und mit würzigem Geruch blühte ein Calefate am Weg. Dort setzte sich Mayahua hin und wartete, als Yamacinto nach der Hütte hinübereilte, um die Leinwand zu holen.

Der Urwald hatte schon ein paar Vorposten im Feld aufgestellt, wildzerzauste Zedern und Eukalypten, die sich wie Korkenzieher aus der Erde hochdrehten mit einem harten, raschelnden Laub. Dahinter begannen die urlangen Arkaden der Waldbäume, zu beiden Seiten einer Pikade. Das in der Entfernung dunkler schimmernde Laub trug rostrot getupftes Gewölk, und der Wind brachte Kühle von den Wassern herüber. Im Buschkraut auf dem Feld wisperten und pfiffen die Hühnervölker. Nicht weit von Mayahua wühlte ein Gürteltier die Erde hoch, steckte den Kopf heraus, die beiden Grabschaufeln und glotzte die Frau an.

Die Schritte Yamacintos scheuchten das Tier wieder in die Höhle zurück. Der Indio hatte das Schwanzende aber noch bemerkt, sprang schnell hinzu und glaubte, den fetten Bissen schon in der Hand zu haben. Er hatte daneben gegriffen, in die scharfen Stacheln einer Agave hinein.

Mayahua zog ihm die Dornen heraus, und ein paar Blutstropfen punktierten das weiße Stück Leinen.

»Solch ein fetter Braten, wie er mir da entwischt ist, fehlt mir noch zum Hochzeitsschmaus. Hast du ihn mir nicht gegönnt, Schwester?«

»Ich habe nur bemerkt, daß du schon sehr alt geworden bist, Schwager! Mein Sohn hätte das Tier gefangen.«

»Laß deinen Sohn mir ein Gürteltier fangen; er braucht mir dann bloß noch ein Schweinchen vor die Tür zu stellen. Und es könnten am Sonntag zwei Hochzeiten sein.«

»Mein Sohn überlegt es sich noch, ob er nicht doch lieber ein weißes Mädchen heiratet.«

»Weißt du, Schwester, weshalb man deinen Mann verflucht hat?«

»Mein Mann ist längst ein Schatten geworden. Der Fluch hat keine Wirkung mehr.«

»Er hat aber eine Wirkung, Schwester. Und du weißt nicht, warum … Du weißt es wirklich nicht?«

»Wozu soll es gut sein, Gewesenes wieder wach zu machen?«

»Es ist wach und will sich wiederholen. Dein Mann wollte sich zuerst zu einem weißen Mädchen legen, ehe er dich aus der Hütte holte. Und weil er von dem weißen Mädchen nicht ablassen wollte, verfluchte ihn der Kazike.«

»Bist du ein Kazike unserer Leute, daß du meinen Sohn verfluchen willst?«

»Er wird ein Indio ohne Verfluchung bleiben, wenn er Wayapuy, meine Tochter, heiratet.«

»Vielleicht werde ich mit ihm sprechen.«

»Wenn du mit ihm sprichst, dann vergiß nicht, ihm zu sagen, daß er mir ein Gürteltier fängt. Und wenn es drei sind, braucht er mir keine Schweinchen mehr vor die Tür zu stellen.«

Nicht an die Gürteltiere, die Cayrú fangen sollte, aber an die Verfluchung ihres Mannes dachte Mayahua, als sie die Pikade durch den Urwald hinunterschritt und dann wieder in einen schmalen Seitenweg bog. Sie überlegte lange und konnte doch nicht die Wahrheit finden. Schließlich sagte sie bei sich: »Yamacinto hat mir eine Geschichte erzählt. Man sollte ihm nichts mehr glauben.«

Die Farnstauden, die Mayahua auseinanderbiegen mußte, um den Oberkörper hindurchzudrehen, staubten ihr die Augen voll mit einem quittengelben Samenstaub. Und die Unterseiten der Blätter der Guañera waren scharf wie ein Reibeisen und rissen ihr die Haut von den Händen. Sie wickelte das Stück Leinwand herum, und es verfärbte sich und bekam Flecken. Das Hemd, das sie für Cayrú nähen wird, damit er sauber auf die Hochzeit gehen kann, wird nun gewiß nicht mehr ganz neu aussehen.

Immer dichter wurde das Unterholz, und Mayahua überlegte, ob es nicht doch richtiger gewesen wäre, man hätte das Buschmesser mitgenommen. Dann aber hätte man Cayrú das Messer abnehmen müssen. Und das würde ihm nicht gefallen haben. Er braucht das Messer. Und er wird wohl auch bald mit dem Kanu fertig sein. Dann mag er gehen und Gürteltiere fangen für Wayapuy … oder für das Mädchen der weißen Leute.

Sie mühte sich durch das widerspenstige Kraut. Vom Laub aus den Wipfeln herunter drückte eine Wolke voller Schwüle und Vogelsang. In den Stauden auf der Erde wisperten die Grillen, als hätte der Fluß sich aufgemacht, den Wald zu überschwemmen. Die lautreiche Fülle dieser Erde schnitt ihr die Gedanken ab. Sie konnte auch kaum noch ein Bein vor das andere setzen. Wenn sie stolperte, schnellte das Kraut den Körper wieder zurück, als sei er ein aufgeblähtes Stück Gummi. Der Mond stand senkrecht über der Bucht, als sie endlich die Hütte erreichte.

Sie stieß mit dem Kopf gegen einen Pfosten, so war sie in Gedanken an ihren verunglückten Mann und an den Sohn dieses Mannes verstrickt. Ihr Haar war voller Kletten; sie hatte die halbe Nacht zu tun, die Stacheln, die sich in die Strähnen ihrer Haare hineingefilzt hatten, zu entfernen.


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