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XXIII

Schwer ist die Arbeit mit der Unkrauthacke im Baumwollfeld. Die Menschen, die dieses Ackergerät schwingen müssen für einen Lohn, der in Nickelstücken ausgezahlt wird und, wenn der Beutel im Verlauf von vier Wochen voll ist, trotzdem nicht schwer wiegt an Kaufkraft … diese armen Feldarbeiter glauben dabei auch noch, daß sie sich zu den bevorzugten Menschen der Republik Paraguay rechnen dürfen.

Sie sagen sich: Wir stehen nur zehn Stunden am Tag unter dem heftigen Druck eines Antreibers. Wir schinden uns auf dem Feld die Knochen wund. Nach Sonnenuntergang aber sind wir frei. Nach Sonnenuntergang gehört jede Bewegung des Körpers und jede Minute der Zeit uns. Nach Sonnenuntergang dürfen wir uns recken, dürfen wir uns strecken und Schritte machen, wohin wir wollen. Wir können uns in das stachlige, staubige Gras vor der Tür der Hütte legen. Und möchten wir noch ein paar Blätter Tabak haben, dann drehen wir uns eine Zigarre und lassen sie uns schmecken.

Sie lassen sich die Zigarre schmecken. Und wenn sie den Rauch vor sich her blasen und vielleicht an nichts anderes denken als an diese Stunde Feierabend im Gras, vielleicht auch noch an die Chicha, die man Sonntagmittag nach der Heiligen Messe bei Almacenero trinken wird, und wenn diese Ruhe ganz besonders gut schmeckt, dann malen sie sich schließlich aus, wie es in diesem Jahr auf der Funcion wohl aussehen wird und ob der Mann mit den blauen Hemden für 5 Pesos das Stück wieder da sein wird. Unbedingt muß man sich in diesem Jahr ein blaues Hemd für 5 Pesos kaufen, vielleicht auch noch Angelhaken und eine Säge.

Wenn sie das alles gut bedacht haben, sich die zweite Zigarre drehen und den Rauch vor sich her blasen, dann huschen schon die Schatten der Eulen über die Erde, und von den Distelstauden löst sich ein feiner Nebel und tropft auf die knochenbleichen Geröllstücke. Die Kinder jagen noch nach einem wilden Meerschweinchen im Busch herum; oder sie liegen im Kraut der Lagune, wo die Flamingos einbeinig dem erloschenen Abendrot nachsinnen.

Die Kinder bemühen sich, dieses Stehen auf einem Bein den weißen Königsreihern und den Flamingos nachzuahmen. Sie purzeln in das Schilf, einer über den anderen, und üben sich, Vater und Mutter zu spielen, so wie sie es Nacht für Nacht hören und, wenn der Mond durch das offene Türloch kriecht und den Raum eine kleine Weile taghell macht, auch deutlich sehen. Sie haben gewiß nicht mit einem halben Ohr hingehört und nicht mit verschlafenen Augen nur halb zugesehen. Die Übungen, die sie den Alten nachahmen, sind schon beinahe eine handgreifliche Wirklichkeit. Und wenn diese Wirklichkeit ganz einfach da ist, wie der aufgebrochene Fruchtzapfen an einem Ast, dann bleibt auch der Segen nicht aus. Es hat noch niemals jemand von der Verwandtschaft oder den Nachbarn einen Anstoß daran genommen, wenn das Mädchen, das sich verheiratet, dem Mann ein Kind mitbringt, dessen Vaterschaft nicht einmal der Wind bezeugen kann, der Wind, der das hohe Rohr der Lagune bewegte und die heißen Stirnen der spielenden Kinder kühlte.

Und der Mann oder die Frau, die auf den Feldern der Kolonisten sich bücken müssen und den langsamen Schritt der Stunden verfluchen, die haben jetzt vielleicht, wenn die Kinder mit einem dicken Hunger nach Hause kommen, das infame Brennen den Rücken hinunter und die Stiche in den Kniekehlen vergessen.

Sie denken, wenn sie sich auf die Matte setzen und aus der Kalebasse den Maisbrei löffeln, an den Schwager oder an den Bruder, die es auf der Estanzia immer noch als Peon aushalten. Und wenn die Verwandtschaft nicht daran denkt …

Die Peons auf einer Estanzia haben wahrhaftig kein Zuckerlecken. Von den fünfzig Centavos Tagelohn müssen sie sich vierzig abschinden lassen für die Wolldecke, um sich nachts darin einzuwickeln, für die Wagendeichsel, die ohne ihre Schuld zerbrochen ist, für das Hemd, das der Dornstrauch auf der Savanne zerrissen hat, für die Altardecke, die am Fronleichnamstag der Kirche geschenkt werden soll von der gesamten Peonada, für den Guarapa, den man nach zwölf Stunden harter Arbeit nicht entbehren möchte, für den Ochsen, der Würmer in den Hörnern hat und deshalb den Veterinär in Anspruch nehmen muß, für das gelbe Seidentuch, das man der Frau zum Namenstag schenken möchte, und für alle die vielen Kleinigkeiten, die das Leben als Peon auf einer Estanzia so mit sich bringt. Alle diese Dinge, die privat benötigten und die strafweise dem Peon aufgezwungenen, gehen durch die Vorschußbücher der Administration. Der Administrator unterhält ein Almacen. Aus diesem kunterbunten Warenlager bezieht der Peon seines Lebens Bedürfnisse auf Kredit. Und der Vorschuß ist mit den Jahren oft so hoch aufgelaufen, daß das Dasein eines arbeitenden Menschen nicht ausreicht, ihn jemals zu tilgen.

Nicht deshalb hat die Schuldsumme mit der Zeit solch eine Höhe erreicht, weil der Peon etwa mehr verbraucht, als er verdient, sondern weil ihm das, was er verbraucht, obwohl er es doppelt und dreifach verdient hat, vierfach und fünffach wieder durch die Spesen der Vorschüsse abgenommen wird. Jeder Vorschuß wird in doppelter Höhe verbucht. Und die Verbuchung kostet wieder extra. Nur so erklärt es sich, daß oft die Kinder eines verstorbenen und verschuldeten Peons die verbuchten und noch nicht restlos getilgten Vorschüsse übernehmen und ihre eigene Tagelöhnerwirtschaft gleich mit Schulden anfangen müssen.

Solange die Schulden im Buch der Administration aufgezeichnet stehen, sind der Peon und seine Verwandtschaft zur Tilgung verpflichtet. Er kann den Arbeitsplatz nicht wechseln, es sei denn, er würde dem Estanciero bares Geld auf den Tisch legen. Durch seiner Hände Arbeit wird er nie dazu kommen, über bares Geld zu verfügen. Er ist und bleibt der Leibeigene des Estancieros. Und das ist der soziale Drehpunkt der Peonada auf einer Estanzia, auf einem jener Riesengüter von zwanzig- bis fünfzigtausend Hektar Land, die den berühmten Familien mit den fünf und sechs Namen gehören, den Ochsenbaronen, die meist direkte Nachkommen der Konquistadoren sind, jener Mithelfer oder Nachfolger Pizarros.

Wer dennoch von dieser Leibeigenschaft loskommt, der hat es dem sonderbarsten aller Zufälle zuzuschreiben. Der hat entweder eine Großmutter in Kalifornien beerbt, oder der Besitzer der Estanzia hat in Paris oder Monte Carlo den letzten Ochsen verjuxt und muß jetzt den Hammer über den Besitztitel an der Estanzia entscheiden lassen. Der Zuschlag des Hammers trifft meist den Staat, der die landeigenen Peone laufenläßt und baskische oder litauische Kolonisten als Käufer der parzellierten Landstriche herbeiholt, barzahlende Kolonisten, die in diese ferne Fremde hinauswanderten, um gleich Pizarro das pure Gold von der Erde aufzulesen. Pizarro aber und seine unmittelbaren Nachfolger haben mit dem Gold so gründlich aufgeräumt, daß nicht einmal ein Schatten davon zurückgeblieben ist.

Aus dem gediegenen Gold ist mit der Zeit das wuchernde geworden, das »grüne« und das »weiße«, die Baumwolle und die Yerba. Wer sich fleißig nach diesem wuchernden Gold auf den Feldern bückt, Haare und Zähne läßt, das Fieber durchgeschmeckt hat und die Grüne Ruhr, Trachom und Läuse … der kann in zwanzig Jahren vielleicht ein Bauer sein, dem an jeder Schwiele und an jeder Sorgenfalte ein paar hundert Pesos Gewinn für die Kinder hängengeblieben sind.

Bleibt die Estanzia aber im Besitz der Familie und bezieht sie von den Schwiegersöhnen noch einen neuen Namen zu der schon vorhandenen langen Reihe, dann denkt diese junge Generation der Familie nach genau derselben Richtung hin, wohin die Großväter und Väter als Estancieros sich vorwärts bewegt hatten.

Sie denken in Pesos. Die Pesos liefert ihnen die Administration. Und die Administration läßt die Pesos von den Leuten einbringen, die die Länderei beackern, die Ochsenherden betreuen, die Schafe hüten und scheren, die Obstplantagen kultivieren, das Zuckerrohr schneiden und die Alfalfa mähen.

Der Peon ist Inventar, verbucht wie der Ochse, die Mulas, die Brutmaschinen, die Zuckerrohrpressen, die Baumwollentkernung, der Pflug und der Karren, der mit der Zeit aus zehn, zwölf verschiedenen Hölzern gemacht worden ist. Die Deichsel ist Zeder und ein Jahr alt. Die Radspeichen sind Mahagoni und Palisander und drei, vier und fünf Jahre alt. Der Draht, der die einzelnen Teile zusammenhält, stammt vom Zaun des Nachbarn. Die Seitenbretter sind aus dem Holz des Ahorns, der Yacarandá, der Espe und des Timbó geschnitten und zwischen ein und sieben Jahren alt. Und das Schmieröl stammt aus einem Kanister, der aus einem Eisenbahnwagen in das Maisfeld flog.

Aus so viel Flicken wie jener Karren, auf den die Baumwolle, der Weizen, Mais, Ochsenfelle und Schafwolle verfrachtet werden, setzt sich auch der Kittel des Mannes zusammen, der die Ochsen einschirrt. Aus so viel Verpflichtungen, wie Einzelteile am Ochsenkarren vorhanden sind, setzt sich sein Leben auf der Estanzia zusammen. Und wenn er seiner Verpflichtung nicht nachkommt: die Reitpeitsche ist aus dem Rückenleder eines Yacaree geflochten, mit einer Kugel aus Blei versehen, und der Administrator hat Muskeln aus Eisen.

Die Polizei … das Gesetz … die Zivilisation … das Wappen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der heiligen Fahne der freiesten aller Republiken …!

»Nein, es hat nie eine Sklaverei in unserem Staat gegeben!« schreiben die Historiker in ihren Büchern über den kulturellen Aufstieg des Landes und die hohe Zivilisation der Rasse.

Die Republik hat einen Präsidenten. Von dem sagen die Leute im ganzen Land, daß er stehle. Er trägt eine breite seidene Schärpe um den Bauch und hat die Verpflichtung, in den sechs Jahren seiner Amtszeit die Verwandtschaft steinreich zu machen. Stört ihn bei dieser Arbeit eine Revolution, gemacht von einem anderen Verwandtschaftskonzern: Paris erreicht man heute mit dem Flugzeug in kurzer Zeit. Und wenn die Bank die Schecks honoriert, dann läßt es sich mit dem Geld in Paris viel netter und ruhiger leben als in Asuncion oder Buenos Aires.

Die Republik hat eine Deputiertenkammer, und dort regiert eine weiße und eine rote Partei. Die weiße Partei besteht aus lauter Advokaten. Und Advokaten sind auch die Mitglieder der roten Partei. Das »Rot« freilich bezieht sich nicht auf Moskau. Moskau ist verboten in diesem Staat der Freien. Die Advokaten führen nebenbei auch Prozesse. Die Prozesse dauern meist fünf Jahre. Gewonnen werden die Prozesse allemal von den Advokaten. Die Verlierer lassen ihre Söhne, falls soviel Geld noch vorhanden ist, schnell Advokaten werden, damit sich das Rad bald nach der anderen Seite herumdreht und das Geld der Familie zurückbringt.

Die Republik hat Zeitungen, die einen ungeheueren Lärm machen mit den Balkenüberschriften, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein. Bebildert vier Seiten lang, wenn das Töchterchen eines Estancieros von einem schwachsinnigen Indianerburschen belästigt wird.

Die Zeitungen erzählen spaltenlange Romane vom sozialen Tiefstand der Industriearbeiter in Europa und von streikenden jüdischen Heimarbeiterinnen der Strickwarenkonfektion in Buenos Aires, von den landfremden Comunistas, die diesen Streik inszeniert und finanziert haben sollen. Die Zeitungen liegen auf dem Bauch vor Entzücken, wenn Carlos Gardel einen neuen Tango komponiert und ihn im Radio kreiert hat. Die Zeitungen lassen die Freudentrompeten schmettern, wenn die Nationalmannschaft von Brasilien oder Uruguay im Fußball mit vier zu drei geschlagen wurde.

Geschlagen wurden die »nachbarlichen Freunde« allerdings von den Fouls. Die wagt kein Schiedsrichter zu sehen oder gar zu bestrafen. Kein Bildreporter hat die barbarischen Roheiten photographiert. Die Zeitungen wissen auch davon nichts zu berichten, wenn der Peon Carlos Omega oder der Viehpfleger Juan Ozes an den Baum gebunden und so lange geprügelt wurde, bis die eisernen Muskeln des Prügelmeisters den Arm nicht mehr bewegen konnten und der Verprügelte keins seiner abgelederten Gliedmaßen.

In diesem Land … was gilt da ein Peon schon groß, dieser Schuldenmacher und Säufer?!

Es gelten die Pesos! Wenn die Lili Pons zum Beispiel das dreigestrichene F trillert, darf sie 1500 Pesos dafür einstreichen. Bei 1500 Pesos Tagesgage fängt in dieser freien Republik der Mensch überhaupt erst an. Und er ist so lange frei, als er diese 1500 Pesos sichtbar kassiert und ein entsprechendes Aufheben davon zu machen versteht.

Der Unkrauthacker im Baumwollfeld rechnet sich diese Freiheit einer so hoch geachteten Person allerdings auch zu, ohne daß sich sein verwittertes Gesicht 30 × 30 cm in den Revistas spiegeln darf. Er kann aber die Hacke hinschmeißen, wenn das Brennen im Rücken nicht mehr auszuhalten ist, nur bringt er dann keine Nickelstücke mehr mit nach Hause. Er muß sich an Pflanzenkost vergnügen und den Bauch einschrumpfen lassen. Ihm, der Frau und den Kindern schrumpft der Bauch. Er erträgt den Hunger jedoch mit einer stoischen Gelassenheit drei, vier Wochen, sechs Wochen, drei Monate. Dann ist ein anderes Baumwollfeld wieder da und die Freiheit, daß man sich dieses Feld auswählen darf unter den vielen, die nach der Bearbeitung schreien.


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