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XXI.

Der Zorn und die Empörung, die Eugen Kamberg in den ersten Tagen nach der plötzlichen Abreise seiner Frau erfüllt, wich sehr bald einem beklemmenden Gefühl bohrender Unlust, tiefer Niedergeschlagenheit. Er verlängerte seine Bureauzeit, soviel er nur irgend konnte, ohne aufzufallen und unerwünschte Bemerkungen herauszufordern. Während der Arbeit machte sich die Mißstimmung, das Bewußtsein seiner Verlassenheit nicht so fühlbar, sobald er aber den Gang nach Hause antrat, kam die seelische Depression mit aller Wacht über ihn. Seine Schritte zögerten und verlangsamten sich, je mehr er sich seiner Wohnung näherte, und wie eine darniederdrückende Last senkte es sich auf ihn, wenn er den Korridor betrat. Eine unheimliche Stille lagerte in allen Zimmern, eine Atmosphäre der Öde, der Schwermut, die keine freudige Regung, keine fröhliche Empfindung, keinen lebhafteren Gedanken aufkommen ließ.

Die respektvoll blöden Mienen der Magd begrüßten ihn, ihre plumpen Finger servierten ihm das Essen und ihre bäurisch-grobe Sprache tönte in sein Ohr. Kein Wunder, daß er sich beeilte, seine Mahlzeit abzukürzen und daß er die Speisen ohne Genuß, nur um den ersten Hunger zu befriedigen, hinunterwürgte. Und dann warf er sich auf die Chaiselongue, um dumpf vor sich hinzubrüten und um immer wieder über die aufstachelnde, nervenzerrüttende, anscheinend unlösbare Frage zu grübeln: Wie war es nur gekommen? Wie hatte es nur geschehen können? Wer war schuld, daß sie nun getrennt voneinander lebten: Susanne oder er? ... Mit kleinen Meinungsverschiedenheiten hatte es begonnen, bis es schließlich zu dem großen Konflikt gekommen war, der sie aus dem Hause getrieben hatte. Ihr Trotz, ihr Eigensinn, ihre Weigerung, sich seiner Autorität zu fügen, war die Ursache aller dieser Mißhelligkeiten zwischen ihnen gewesen. Am letzten Ende freilich war ihre Erziehung schuld. Aufgewachsen unter den emanzipierten Weibern hatten sich allerlei überspannte Ideen bei ihr festgesetzt, die sich in der Wirklichkeit nicht realisieren ließen.

Intelligent wie sie war, hätte sie das schließlich selbst einsehen müssen, anstatt ihm trotzig, rechthaberisch die Stirn zu bieten und es zum Äußersten zu treiben. Ihn traf jedenfalls – das konnte er sich zu seiner Beruhigung sagen – nicht die Schuld, denn hätte er, der Ältere, Erfahrenere, an Wissen Überlegenere ihr nachgeben sollen? Und hatte er ihr nicht noch jetzt in seinem versöhnlich gehaltenen Brief die Möglichkeit zur Rückkehr geboten? Aber auch diesmal hatte sie, anstatt inzwischen ihr Unrecht einzusehen, seine Hand schroff zurückgestoßen. Und so blieb ihm nichts übrig, als sich in das, wie es schien, Unabänderliche zu fügen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie nicht wiederkehren würde, daß sie ihm verloren war. Töricht war er, daß er sich mit unfruchtbaren Grübeleien herumschlug und sich das Herz schwer machte. Als verständiger, energischer Mann mußte er die Dinge nehmen, wie sie waren und sich das Leben auch unter den veränderten Umständen so behaglich als möglich einzurichten suchen.

Und so fing er an, sein Leben wieder so zu gestalten, wie er es als Junggeselle geführt hatte. Er gab die häuslichen Mahlzeiten auf, speiste wieder an der »juristischen« Tafelrunde, die von mehreren unverheirateten Richtern, Rechtsanwälten und Assessoren gebildet wurde, und besuchte auch an den Abenden den alten Stammtisch. Freilich seine Stimmung hob sich nicht im geringsten. Im Gegenteil, er mußte die Beobachtung machen, daß er sich unter den Junggesellen nicht mehr am rechten Platz fühlte. Die ewigen Fachsimpeleien kamen ihm öde und trocken vor, noch mehr widerten ihn die Witze an, die einer oder der andere der Herren gelegentlich zum besten gab. Am widerwärtigsten aber berührte es ihn jedesmal, wenn Landrichter Wolter sein Steckenpferd ritt und über den physiologischen Schwachsinn der Frauen spöttelte. Jedes seiner höhnenden Worte traf ihn wie eine persönliche Beleidigung. Er wußte ja, wie oberflächlich, ungerecht und unwürdig es war, die Frauen in Bausch und Bogen als minderwertige Geschöpfe, gewissermaßen als Menschen niederer Gattung hinzustellen, die in geistiger, seelischer und sittlicher Hinsicht tief unter dem Manne ständen. Heiß stieg es in ihm auf und er mußte sich Zwang auflegen, um dem zynischen Spötter nicht heftig zu widersprechen und ad absurdum zu führen. Aber gerade die Rücksicht auf seine heikle Lage als verlassener Gatte hinderte ihn, für die Frauen einzutreten und vielleicht persönlich gefärbte Bosheiten des Zynikers herauszufordern.

Daß man nicht mehr an eine bloße harmlose Besuchsreise seiner Frau glaubte, sondern Susannes plötzlicher Abreise eine Deutung gab, die der Wahrheit sehr nahe kam, konnte ihm nicht entgehen und auch dieses Bewußtsein trug dazu bei, ihm den Besuch des Stammtisches und überhaupt gesellschaftlichen Verkehrs zu verleiden. So fing er wieder an, sich von der Berührung mit Menschen, soviel er irgend konnte, zurückzuziehen und sich wieder in der Einsamkeit seiner Wohnung seinen aufwühlenden Empfindungen und Gedanken hinzugeben.

In diesem Zustand, zwischen Zorn, Erbitterung und Schmerz hin und her schwankend, traf ihn ein Brief von Frau Willberg, der Mutter der Kommissionsrätin Hillgers.

Die alte Dame bat ihn um seinen Besuch, da sie gern in einer Rechtsangelegenheit seinen fachmännischen Rat hören möchte. Bevor sie sich entschließe, die Sache einem Rechtsanwalt zu übertragen, hätte sie gern die Ansicht eines in keiner Weise interessierten, uneigennützigen und juristisch gebildeten Herrn erfahren und deshalb rechne sie, in der Annahme, daß er für sie und ihre Tochter noch nicht alles freundschaftliche Interesse verloren habe, auf die Erfüllung ihrer Bitte.

 

Eugen Kamberg hatte sogleich den Eindruck, daß die erbetene Konsultation nur ein Vorwand und daß der ganze Brief nur auf Veranlassung seiner ehemaligen Freundin geschrieben war, die es an der Zeit zu halten schien, sich in Erinnerung zu bringen.

 

Ob er ging oder ob er unter irgendeiner höflichen Ausflucht abschrieb? Seine Phantasie zauberte ihm das Bild seiner koketten Freundin vor die Seele: ihre prächtige, imposante Erscheinung mit den vollen Formen, den feurigen Augen und dem lebhaften, bestrickenden Mienenspiel. Auch im übrigen war sie eine anziehende Persönlichkeit. Sie spielte ausgezeichnet Klavier, sang mit guter Stimme und noch besserem Vortrag und wußte durch ihr sprudelndes Temperament auch den sprödesten Weiberfeind hinzureißen. Geistige Interessen hatte sie freilich nicht, aber sie verstand sehr amüsant zu plaudern, um so mehr, als sie vor keinem Gesprächsstoff zurückschreckte. Ihre Gefallsucht trieb sie, sich stets von ihrer liebenswürdigsten Seite zu zeigen und nichts zu verschmähen, was dazu dienen konnte, sich angenehm zu erweisen und Sympathie zu erwecken. Ja, sie war eine anschmiegsame Natur, deren weiblicher Instinkt dahin ging, die Schwäche eines Mannes zu erspähen und sich ihm möglichst anzupassen. Eugen Kamberg überlegte nicht lange. Wie viele vergnügte Stunden hatte er nicht mit ihr verlebt! Eine Abwechslung, leichte Unterhaltung tat ihm bei seinem jetzigen Gemütszustande nötiger als je. Geradezu wie eine heilende, oder mindestens lindernde Arzenei würde Frau Hillgers Gesellschaft auf ihn wirken. Warum sich also die wohltuende Zerstreuung versagen? Susannes wegen? Sie kümmerte sich ja nicht um ihn. Tor, daß er noch immer an sie dachte, anstatt sich ein für allemal damit abzufinden, daß sie das Band zwischen sich und ihm für immer zerrissen hatte!

So schrieb er denn ein paar Zeilen an Frau Willberg, um sich für einen der nächsten Abende anzumelden. Mit außergewöhnlicher Sorgfalt widmete er sich seiner Toilette, und den Scheitel im Haar zog er wohl dreimal, bis er endlich nach Wunsch gelungen war. Auf dem frischen Bügelhemd paradierte eine hellfarbene, fast kokett ausschauende Krawatte und ins Knopfloch steckte er eine stolze Orchidee. Mit zufriedenen Blicken betrachtete er sein Spiegelbild und lächelnd strich er die Spitzen seines Schnurrbarts etwas zurück, damit die aus seiner Studentenzeit herrührende blutrote Schmarre auf der linken Gesichtsseite nicht ganz verdeckt wurde.

»Das gibt Ihnen etwas so Keckes, Ritterliches!« hatte Frau Hillgers einmal zu ihm gesagt. Und sie hatte die Stelle mit ihren wohlgepflegten weißen Fingern berührt und nicht nur mit ihren Fingern. Es durchschauerte ihn heiß bei der Erinnerung.

Auch ein Paar hellfarbene Handschuhe wählte er. Zuletzt fiel ihm noch etwas ein. Er suchte einen fast vergessenen Flakon hervor und goß gegen seine Gewohnheit ein paar Tropfen des stark duftenden Parfüms in die hohle Hand, um seinen Gehrock damit zu besprengen.

Ein vergnügtes Liedchen trällernd machte er sich endlich auf den Weg. In dem Salon, in den ihn das Dienstmädchen führte, empfing ihn Frau Hillgers. Mit ihrem bezauberndsten Lächeln begrüßte sie ihn.

»Ich danke Ihnen im Namen Mamas herzlich für Ihren Besuch – und in meinem eigenen«, fügte sie halblaut mit einem bestrickenden Augenaufschlag hinzu.

Dabei reichte sie ihm die Hand, die er galant an seine Lippen zog. Das Rot der Befangenheit stieg ihm dabei ins Gesicht.

»Ihre Frau Mutter – ?« fragte er, um seine Bewegung zu verbergen.

Sie zeigte eine gekünstelt besorgte Miene.

»O, Mama geht es gar nicht gut. Sie leidet in neuer Zeit viel an Schwächezuständen. Auch vorhin fühlte sie sich plötzlich so matt, daß sie sich niederlegen mußte. Hoffentlich erholt sie sich rasch, so daß sie Ihnen noch persönlich danken kann.«

Eugen Kamberg murmelte ein paar Worte des Bedauerns. »Und die geschäftliche Angelegenheit, von der Ihre Frau Mutter schrieb?« fragte er sodann.

Sie lächelte und sah ihn beinahe vorwurfsvoll an.

»Aber haben Sie es damit denn so eilig?« Ich weiß gar nicht mal recht, um was es sich eigentlich handelt. Das kann Ihnen Mama später selber erklären. Wir wollen uns doch die Freude unseres ersten Wiedersehens damit nicht verderben.

Eine zwiespältige Empfindung durchschauerte ihn. Daß die von Frau Willberg erbetene Konsultation nur ein Vorwand gewesen, hatte er ja geahnt, aber die Ungeniertheit, mit der die ihm Gegenübersitzende das nicht einmal zu verbergen für nötig hielt, berührte ihn doch etwas peinlich. Daneben stürmten die Erinnerungen auf ihn ein, die von dem wohlbekannten behaglichen Raum und von der Nähe der verführerischen Frau und selbst von dem Parfüm, das ihren Kleidern entströmte, hervorgerufen wurden.

»Wissen Sie, daß Sie mir gar nicht gefallen, lieber Freund«, hörte er sie sagen.

Er blickte erstaunt auf. Sie gab ihrem Sesselchen einen Ruck, so daß sie ihm ein Stückchen näher kam.

»Wirklich«, fuhr sie eifrig fort. »Sie sehen so ernst, so freudlos aus. Wenn ich noch daran denke, wie lebhaft, wie fröhlich sie früher sein konnten!«

Sie legte ihre Hand leicht, mit einer graziösen, vertraulichen Gebärde auf seinen Arm und neigte sich zu ihm hinüber. Ihre Augen blickten ihn triumphierend, ermunternd an. Heiße Glut durchströmte ihn, und das alte wohlige, übermütige, lebensfrohe Gefühl, das ihre Gegenwart immer in ihm entzündet hatte, wallte in ihm auf.

»Das Ehejahr scheint Ihnen gar nicht gut bekommen zu sein, armer Freund.«

Es lag etwas Spöttisches in dem Ton und zugleich ein Ausdruck der Genugtuung. In ihm aber war im Nu ausgelöscht, was noch soeben lichterloh gebrannt. Steif, kerzengerade, saß er in seinem Sessel und seine Mienen wurden zusehends kühl.

Sie bemerkte sogleich, daß sie einen faux pas begangen und bemühte sich nun, den Fehler wieder gutzumachen. Ihre Nasenflügel blähten sich und sie zog hörbar die Luft ein.

»Sie bevorzugen noch immer Veilchen«, sagte sie. »Erinnern Sie sich, daß ich dieses Parfüm an Ihnen immer so sehr liebte?«

Er zuckte mit den Schultern und murmelte ein paar unverständliche Worte. Sie aber ließ sich nicht abschrecken, sondern beugte sich ganz zu ihm hinüber. Ihre beiden Hände erhoben sich zu seinem Rockaufschlag.

»Ah, eine Orchidee – meine Lieblingsblume!«

Ihre Stimme klang schmelzend, tremolierend und ein gefühlvoller, zündender Blick traf ihn. »Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie auch daran gedacht haben.«

Er schämte sich vor sich selbst und er mußte sich Zwang antun, um ihr nicht unhöflich zu wehren, während sie jetzt die Blume aus seinem Knopfloch zu nesteln sich anschickte. Ihr Oberkörper ruhte fast an seiner Brust. Seine Augenbrauen zogen sich finster zusammen, seine Blicke irrten unstet, ruhelos umher. In nächster Nähe vor ihm schimmerte der breite, tief herabgehende Spachteleinsatz. Es dauerte lange, bis es ihr gelungen war, die Blume zu lösen. Jetzt steckte sie die Erbeutete mit einem koketten, verschämt sein sollenden Lächeln an ihre Taille, sich in ihrem Sessel zurücklehnend und behaglich ein Bein über das andere schlagend.

Unter dem Saum ihres hellfarbenen, fest um die Glieder gespannten Kleides zeigte sich ein Streifen eines eleganten, duftigen, weißen Spitzenjupon und darunter wippte das kleine, in weitausgeschnittenem Lackschuh, mit rosafarbenem Strumpf bekleidete Füßchen auf und ab.

Doch je sichtbarer ihre Bemühungen wurden, sein Gefallen zu erregen, desto unempfänglicher und kälter zeigte er sich. Er durchschaute sie wohl; ihre Absicht enthüllte sich ihm mehr und mehr; er sah ja, wie sie sich auch in der Wahl ihrer Toilette gerüstet hatte, ihn zu überrumpeln, einen schnellen Sieg zu erringen und ihn zu sich zurückzuzwingen.

Verflogen war die unternehmungslustige, zerstreuungslüsterne Stimmung, die ihn hergeleitet hatte; eine beschämende Ernüchterung bemächtigte sich seiner, und während sie alle Künste ihrer skrupellosen Koketterie spielen ließ, regten sich Scham und Widerwille in ihm. Ihr girrendes Lächeln, ihr gefühlvoller Augenaufschlag, ihre berechnet verführerische Pose kam ihm schamlos und frech vor und anstatt Bewunderung und Leidenschaft erweckte sie Verachtung und Ekel in ihm.

»Also Ihre Frau Mutter fühlt sich nicht wohl?« kam er auf den Ausgangspunkt ihres Gesprächs zurück, ihre letzte Bemerkung ganz ignorierend. »Da möchte ich doch lieber nicht stören –«

Er erhob sich; auch sie schnellte überrascht und erschrocken empor.

»Aber lieber Freund! Sie werden doch nicht schon wieder gehen? Ich sagte Ihnen ja schon, daß es nichts Schlimmes ist und daß ich hoffe, auch Mama wird noch zum Vorschein kommen. Nein, so rasch lasse ich Sie nicht. Sie müssen doch erst einmal mit mir anstoßen.«

Er setzte sich wieder. Wozu auch fliehen, wie ein Knabe? Er wußte sich ja gefeit gegen ihre strahlende, üppige Schönheit, gegen ihre Verführungskünste. In dem Augenblick, da sie so taktlos von seiner Ehe gesprochen, war eine Vision vor ihm aufgezuckt. Ihm war, als sähe er Susannes blaue Kinderaugen, die mit einem verwunderten, traurigen Blick auf ihm ruhten.

»Susanne!« flüsterte er still, zärtlich in sich hinein.

Frau Hillgers eilte leichtfüßig zum Büfett, auf dem schon eine Flasche Wein und Gläser bereitstanden. Eugen Kamberg konnte sich eines ironischen Lächelns nicht erwehren, als sie jetzt mit der Flasche und zwei Gläsern zu ihm zurückkehrte.

»Marsala!«

Er wußte, sie liebte die feurigen, berauschenden Südweine. Eine Wandlung vollzog sich plötzlich in ihm. Die widrige, lähmende Stimmung von vorher zurückdrängend, sprang er auf, nahm ihr galant die Flasche ab und füllte die Gläser. Lustig ließ er sein Glas an das ihre klingen.

»Auf eine neue, ungetrübte, treue Freundschaft!« sagte sie.

Er nickte und trank. Auch sie tat einen kräftigen Zug, der das Glas fast bis zur Hälfte leerte. Ihre Augen leuchteten unter der Wirkung des starken, stimulierenden Getränkes noch intensiver, eroberungslustiger.

Eugen Kamberg begann zu plaudern; er sprach von dem Berliner Leben und fragte in scherzendem Ton nach ihren Erlebnissen in der interessanten Reichshauptstadt. Sie ging zuerst mit Lebhaftigkeit auf das Thema ein, sich kokett spreizend und in selbstgefälligen Andeutungen blähend. Aber freilich, als sie wahrnehmen mußte, daß sich in allem, was er sagte, ein feiner Spott, eine leichte Malice verhüllte, daß er sie überlegen ironisierte, erlahmte ihr Eifer, kühlte sich ihre Glut ab und bemächtigten sich ihrer Unsicherheit und Zweifel. Jeden Versuch, den sie trotzdem noch unternahm, gefühlvoll zu werden, wehrte er mit kühlem Sarkasmus ab. Endlich gab sie den Kampf auf. Sie wurde einsilbig, legte sich, wie ermüdet, in ihren Sessel zurück und markierte ein unwiderstehliches Gähnen.

Er erhob sich sofort, um sich zu verabschieden. Sie machte noch einen schwachen Versuch, ihre Enttäuschung zu maskieren.

»Ich werde doch einmal nach Mama sehen« – Aber er unterbrach sie:

»Nein, nein, ich will sie nicht derangieren. Ein andermal! Ihre Frau Mutter schreibt mir vielleicht, wenn sie sich wieder wohler fühlt.«

Sie nickte nur apathisch, ja, sie hatte, geärgert, erbittert, gedemütigt wie sie war, nicht mehr soviel Selbstbeherrschung, sich zu einer freundlichen Miene, zu einer höflichen Einladung aufzuraffen.

Draußen lächelte er selbstzufrieden vor sich hin. Er hatte gesiegt. Freilich, schwer war es ihm ja nicht geworden. Er wunderte sich über sich selbst. Noch vor anderthalb Jahren war er entzückt gewesen von dem Charme und der Liebenswürdigkeit der schönen »Frau Circe«, wie sie in seinem Bekanntenkreise hieß. Sie hatte hinreißend, berauschend wie ein feuriger Trank auf ihn gewirkt, jetzt kam sie ihm schal und lächerlich vor. Ihr lockendes Lächeln, ihr koketter Augenaufschlag, ihre sorgfältig zusammengestellte Toilette und all die anderen weiblichen Kunststückchen und Listen, mit denen sie ihn früher geködert und zu ihren Füßen gezwungen und die sie auch heute wieder – freilich vergebens – in Anwendung gebracht, erschienen ihm albern, läppisch und mehr als das: verächtlich und gemein. Sie ließen nur Verachtung und einen grenzenlosen Widerwillen in ihm zurück.

Als er zu Hause angelangt war, warf er sich auf den nächsten Stuhl in seinem stillen, dunklen Arbeitszimmer, stützte den Kopf auf und schloß seine Augen. Ein herrliches, liebliches Bild erschien vor ihm, erhebend, beseligend, begeisternd.

»Susanne!« rief er in die Dunkelheit hinein, schmerzlich, reuevoll, sehnsüchtig. »Susanne!«

Nie war ihm der eigenartige Zauber ihrer Persönlichkeit so überzeugend aufgegangen wie in diesem Augenblick. Wie ganz anders geartet war ihre Schönheit als die der Frauen, die bisher in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten! Die Schönheit der anderen war nur rein körperlich und hatte nur auf die Sinne gewirkt. Susannes Schönheit aber war viel feiner, zarter, differenzierter, es war eine Schönheit, welche die Seele durchscheinen ließ, es war eine Schönheit, in der Körperliches mit Geistigem, Seelischem zu einer wundervollen Harmonie zusammenschmolz. Blind, töricht, täppisch war er an dem Schönsten, Köstlichsten, das ihre Liebe ihm geboten, vorübergegangen. Brutal, verständnislos hatte er sie eigensüchtig, herrisch kneten wollen nach seinem Willen, nach dem Bilde, das sich sein Unverstand, sein Egoismus, seine kleinliche, materielle, rohe Auffassung der Liebe und Ehe von der Gattin geformt. Das Schicksal hatte ihn bevorzugt vor vielen, vielen Männern, indem es ihn eine so seltene, edle Frauennatur finden ließ, wie Susanne es war. Anstatt sich ihrer Eigenart, ihrer stolzen, keuschen, hochstrebenden Persönlichkeit zu erfreuen, hatte er sie hinabdrücken wollen zu einer der seelenlosen, willenlosen, schablonenhaften Menschenpuppen, die jedes eigenen, individuellen Reizes bar waren. Erst jetzt empfand und erkannte er, wieviel feiner und vertiefter ihr Seelenleben war als das seine, und daß er die Liebe in ihrer ganzen himmelantragenden Seligkeit überhaupt noch nicht kannte. In seinem blöden Herrengefühl, von der landläufigen Meinung verführt, daß er als Mann alles besser wissen und verstehen müsse als die Frau, hatte er verschmäht, von ihr zu lernen da, wo sie ihn lehren konnte. Er hatte nicht soviel Geduld, und Einsicht und nicht genug Seele besessen, und von ihr lieben zu lernen und nun sah er zu spät, daß er sich damit selbst um den wertvollsten Teil des Lebens betrogen hatte. Erst jetzt ahnte er, ein wie unvergleichlich hohes Himmelsgeschenk es sein mußte, sich die Liebe einer so fein gearteten, komplizierten Frauenseele, wie die Susannes, voll zu erschließen. Er aber hatte die feinsten Regungen in ihr nicht begriffen, sie plump verhöhnt, zurückgeschreckt und ihre Seele nicht zur Blüte und Reife kommen lassen. Und zugleich mit dieser Erkenntnis ging ihm die Überzeugung auf, daß er nach Susanne nie mehr lieben würde und konnte. Alle Frauen waren reizlos, trivial, unliebenswert neben ihr, der einzigen, die er von sich gestoßen und für immer verloren hatte.

»Susanne!« rief er und sprang stürmisch auf seine Füße und streckte die Arme sehnsuchtsvoll in das Dunkle: »Susanne!«


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