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XIX.

Es war nicht mehr das ruhige, selbstzufriedene, von naiver, ungekünstelter Wißbegierde und mädchenhaftem Ehrgeiz geleitete Arbeiten wie früher. Etwas Fieberisches, Ungesundes, Forciertes lag in der Hast und in der durch die Uhr geregelten pedantischen Gewissenhaftigkeit, mit der Susanne jetzt bei den Büchern saß. Das Arbeiten war ihr nicht mehr Selbstzweck, sondern es war wie ein Narkotikum, das sie gebrauchte, um sich zu betäuben.

Auch in den von Anna Möller begründeten und geleiteten Verein für Frauenrecht trat sie wieder ein, und auch hier beteiligte sie sich mit Eifer und Hingabe. Keine Zusammenkunft, keine Beratung ließ sie aus und an den Debatten, bei denen sie früher nur Zuhörerin gewesen, beteiligte sie sich jetzt mit einer Lebhaftigkeit und zugleich von einem so radikalen Standpunkt aus, daß es ihr schon wiederholt das freudige Lob der Vorsitzenden eingetragen hatte.

Eines Abends begab sie sich wieder einmal mit ihrer Schwester zu einer öffentlichen Versammlung, die der Verein »Frauenrecht« einberufen hatte, um seinen Bestrebungen möglichst viele Anhänger zu gewinnen. Auf der Treppe kam ihnen eine einfach gekleidete etwa vierzigjährige Frau entgegen, die hastig, wie jemand, der nicht viel Zeit übrig hatte, trotz ihrer ziemlichen Wohlbeleibtheit die Stufen hinaufeilte.

Ella Neudeck redete die freundlich Grüßende an.

»Sie sollten uns nicht so ganz und gar im Stich lassen, Frau Bahlke.«

Die Frau lächelte.

»Ich muß ja wohl, Fräulein Neudeck. Sie wissen ja warum ... Ja, das ist nun vorbei!«

»Aber Sie könnten doch mal eine Ausnahme machen. Ein oder zwei Abendstunden werden Sie doch mal erübrigen können. Zum Beispiel heute haben wir ein Thema vor, das auch Sie interessieren dürfte.«

Die Frau hatte schon den einen Fuß auf die nächste Stufe gesetzt; man sah ihr an, daß sie in der Eile war. Trotzdem fragte sie höflich:

»Was ist es denn, Fräulein Neudeck?«

»Wir sprechen heute über die Frage: Was schulden wir den Kindern.«

Frau Bahlke lachte und schüttelte lebhaft mit dem Kopfe.

»Das ist gut für theoretische Mütter. Sie wissen ja, ich habe sechs Kinder. Da habe ich keine Zeit zum Disputieren, da lehrt einem schon die Praxis, was man den Kindern schuldig ist.«

Sie nickte noch einmal freundlich und setzte ihren Weg eilig fort. Auch die beiden Schwestern gingen weiter, die ältere rot vor Ärger über die indirekte, humoristische Abwehr. Auch Susanne hatte die Begegnung und das Wort der Fremden zum Nachdenken angeregt. »Ich habe sechs Kinder, da habe ich keine Zeit zum Disputieren ...«

»Wer war denn das?« fragte sie nach einer Weile.

»Eine Frau Bahlke«, versetzte das Fräulein Doktor, geringschätzig die Lippen aufwerfend. »Sie hat mit ihrem Mann und ihren Kindern vor einigen Monaten die Wohnung über uns bezogen. Früher, vor meiner Zeit, soll sie in unserer Bewegung sehr rührig gewesen sein. Aber seit acht Jahren ist sie nicht viel aus dem Kinderzimmer herausgekommen. Man kann wohl sagen: eine Familiensklavin, eine Märtyrerin des Mutterberufes.«

Die Mienen der Frauenrechtlerin drückten deutlich das Gefühl ihrer sittlichen Überlegenheit aus, das von einer Regung des Mitleids gemildert schien. Susanne aber schüttelte still für sich den Kopf, während die Erscheinung der korpulenten Frau vor ihr geistiges Auge trat. Das blühende, gesunde Aussehen, das vergnügte Gesicht und das lebhafte, freundliche Wesen deutete nicht gerade auf ein Märtyrerleben hin.

Ein paar Tage später führte der Zufall Susanne zum zweitenmal mit der Hausgenossin vom oberen Stockwerk zusammen. Susanne kam eben von einem Spaziergang zurück, da bot sich ihr im Hausflur am Fuß der Treppe ein merkwürdiges Bild dar. Frau Bahlke stand inmitten einer Kinderschar, denen sie vor dem Hinaufsteigen Verhaltungsmaßregeln erteilte.

»Du, Karl, gehst voran!« sagte sie zu einem etwa zehnjährigen Knaben. »Und du, Martha, nimmst Fritz und Lieschen an der Hand! Hübsch vorsichtig, daß ihr nicht die Treppen runterkugelt!«

Ein etwa zwölfjähriges Mädchen ergriff die Händchen von zwei kleineren Kindern im ungefähren Alter zwischen drei und fünf Jahren und begann langsam, bedächtig, Stufe für Stufe mit ihnen hinaufzusteigen.

»Na komm' her, Pauline l«

Die sorgsame Hausmutter reichte ihre freie linke Hand einem neben ihr stehenden kleinen vielleicht sechsjährigen Mädchen, während sie in ihrem rechten Arm ein ganz kleines, kaum einjähriges Kindchen trug. Susanne hielt unwillkürlich ihre Schritte an und grüßte. Frau Bahlke dankte freundlich, die Hausgenossin sofort erkennend.

»Die Schwester von dem Fräulein Doktor im ersten Stock, nicht wahr?« sagte sie mit ihrem breiten, behäbigen Lächeln.

»Frau Kamberg«, stellte sich Susanne vor. Die andere nickte.

»Weiß! Im Hause spricht sich ja so was gleich herum. Sind verheiratet und bei Ihrer Schwester zu Besuch.«

Sie streifte die ihr Gegenüberstehende mit einem interessierten, mitleidigen Blick, unter dem Susanne unwillkürlich errötete und verlegen den Kopf senkte.

»Ja, ja«, fuhr Frau Bahlke rasch fort, offenbar um der Jüngeren über ihre Befangenheit hinwegzuhelfen. »Man hat seine Plage mit der kleinen Gesellschaft.«

Dabei lächelte sie so vergnügt, wie um sich selber Lügen zu strafen. Indes fing sie an, pustend, etwas schwerfällig mit ihrer Last die Treppe emporzuklimmen. Da sie aber keine ihrer Hände frei hatte und ihr Kleid nicht heben konnte, stolperte sie. Mit instinktiver Gebärde legte Susanne rasch den Arm um sie.

»Danke! Danke schön! Nun hätt's beinahe 'n Malheur gegeben«, sagte Frau Bahlke.

Susanne aber streckte ihre beiden Arme aus und beugte sich zu dem an der Mutterbrust ruhenden kleinsten Kinde hinab.

»Darf ich Ihnen die Kleine nicht ein bißchen abnehmen?«

»Es ist ein Junge – unser kleiner Max«, belehrte die Mutter. Und nach kurzem Besinnen: »Wissen Sie was, geben Sie lieber der da Ihre Hand!« Sie deutete auf das neben ihr schreitende Mädchen und fügte offenherzig hinzu: »Das ist wohl für alle Teile sicherer.«

Susanne ließ sich nicht nehmen, die Mutter mit ihrer Kinderschar bis zum zweiten Stockwerk hinauszubegleiten. Vor der Flurtür verabschiedete sie sich.

Frau Bahlke, inmitten ihrer Kinderschar, reichte ihr die Hand und bedankte sich herzlich. Da rief der kleine dreijährige Fritz, dessen neugierige blaue Kinderaugen unverwandt an der sympathischen, hübschen Erscheinung der jungen Frau verweilten: »Kommst du nicht mit, Tante?«

Und die viereinhalbjährige Pauline klatschte in ihre Hände.

»Ja, Tante, ich zeige dir auch meine Puppe. Wenn du die auf den Bauch drückst, dann schreit sie und so'n schönes Rosakleid hat sie an – ei weih!«

Frau Bahlke aber nickte zustimmend.

»Man kann doch immer noch von den Kindern lernen. Ich hätte Sie gleich auffordern sollen, ein bißchen einzutreten, da Sie doch schon vor unsrer Tür sind.«

In Susanne wallte ein warmes Gefühl auf. Der Anblick der blonden, rosigen Kinderschar, die jetzt insgesamt ihre Augen verlangend, bittend auf sie richtete, die frischen, hellen Kinderstimmen mit ihrem naiven Geplapper hatten etwas Herzerfrischendes, Lockendes.

»Wenn ich nicht störe«, sagte sie bescheiden.

»I bewahre«, rief Frau Bahlke in ihrer einfachen, herzlichen Weise. »Im Gegenteil!«

Sie schloß die Flurtür auf und ließ die Kinder zuerst eintreten, dann folgte sie mit Susanne. Die ganze Schar ging in das Wohnzimmer. Der kleine Max erhob seine Stimme.

»Bist hungrig«, sagte Frau Bahlke und reichte den Schreier der ältesten Schwester. »Sollst gleich dein Pappchen haben.«

Während sie in die Küche ging, holten die Kinder ihr Spielzeug: Lieschen ihre Puppe, Fritz ein kleines Pferdchen und die sechsjährige Pauline schleppte eine Puppenküche herbei mit Miniaturgeschirr, das sie der »Tante« mit großer Wichtigkeit und Umständlichkeit zeigte.

Schon nach zehn Minuten kam Frau Bahlke zurück, nahm den Jüngsten auf ihren Schoß und fütterte ihn mit einem Milchbrei. Indessen trug sie der Ältesten auf, für die beiden jüngeren Geschwister Fritz und Lieschen Milch zu wärmen und Brot zu schneiden. Darauf erhob sie sich, um das Jüngste in das nebenanliegende Schlafzimmer zu tragen und nickte der Besucherin ihr zu folgen. Als sie den rundlichen kleinen Max entkleidet hatte, hob sie ihn mit mütterlichem Stolz in die Höhe.

»Ist er nicht süß?«

In der Tat, es war eine Lust mitanzusehen, wie der dralle, kleine Kerl mit den dicken Beinchen strampelte und dabei vor Vergnügen quietschte.

Frau Bahlke legte den Kleinen in sein Bettchen und nickte ihm lächelnd zu, bis er nach wenigen Minuten die müden kleinen Äuglein schloß.

»Glauben Sie nun,« wandte sie sich an Susanne, die alledem mit steigendem Interesse, in wachsender Bewunderung und stiller Rührung zusah, »glauben Sie nun, daß mir keine Zeit bleibt, in Frauenversammlungen zu gehen? Meinen Sie nicht auch, daß ich hier Dringenderes und Nützlicheres zu tun habe?«

Susanne bedachte sich nicht einen Augenblick, sondern nickte zustimmend, voll Überzeugung.

»Und doch,« fuhr die andere mit einem Lächeln feiner Selbstironie fort, »doch war ich einmal eine ebenso enragierte Frauenrechtlerin wie Ihre Schwester und kam mir furchtbar wichtig vor, wenn ich mit im Rat saß und eine neue Zeit mit herbeiführen und die Welt umkrempeln half – wenn auch nur theoretisch und in der Einbildung.«

»Aber wie war denn das möglich?« trat es der interessiert Zuhörenden unwillkürlich auf die Lippen, während sie ihre Augen mit einem fast ungläubigen Ausdruck auf die behäbige Gestalt richtete und sich das echt mütterliche Wesen der neben ihr Sitzenden vergegenwärtigte.

»Das will ich Ihnen sagen«, begann Frau Bahlke und wieder schwebte ein ironisches Lächeln um ihre vollen Lippen. »Das erklärt sich ganz einfach und natürlich, wie alles im Leben. Ich war achtundzwanzig Jahre alt, als ich in die Bewegung eintrat. Ich war Kindergärtnerin, freilich das richtige Herz für die Kleinen hatte ich damals noch nicht, wenn ich auch meine Pflichten äußerlich fleißig und gewissenhaft erfüllte. Also mit meinen achtundzwanzig Jahren war ich freudlos, einsam und verbittert, denn die Hoffnung, einen Mann zu kriegen, hatte ich aufgegeben. Ja, ich war auf dem besten Wege, eine so recht verknöcherte – mager und dürr war ich damals, wie'n Haubenstock – eine so recht verknöcherte, boshafte alte Jungfer zu werden und auf die Männer hatte ich einen besonderen Haß geworfen. Natürlich, sie waren ja alle achtlos an mir vorübergegangen. Mußte ich ihnen da nicht gram sein? Da – ich war schon im dreiunddreißigsten – lernte ich meinen Mann kennen. Er war Witwer – der Karl und die Martha sind meine Stiefkinder, aber ich habe sie ebenso lieb, wie meine eignen. Ich merkte es bald, daß ich ihm gefiel und mir – mir imponierte sein echt männliches, energisches und selbstsicheres Wesen ganz ungemein. Sie müssen wissen, er hatte um seiner Überzeugung willen seinen schönen, geliebten Lehrerberuf aufgegeben, weil er sich von seinem Rektor nicht drücken und nicht vergewaltigen lassen wollte. Na, Sie können sich wohl denken, daß ich mein Bestes tat und alles aufbot, mich von meiner anziehendsten Seite zu zeigen. Merkwürdig, wie rasch ich allen meinen Männerhaß vergaß. Und als er mich dann nahm, mein lieber guter Karl, dann wurde ich erst ein glücklicher Mensch. Sie hätten nur sehen sollen, wie ich aufblühte. Ordentlich wie eine zweite Jugend kam es über mich. Na ja, das ist gerade wie mit den Blumen und der Sonne. Im Schatten verkümmert alles – selbstverständlich!«

In Susanne rangen widerspruchsvolle Gefühle miteinander. Die offenherzigen Mitteilungen, die natürlichen, einfachen Argumente der Frau, die ja mit ihrer von Gesundheit und Glück strotzenden Erscheinung ein untrüglicher lebender Beweis für die Richtigkeit derselben war, machte einen starken Eindruck auf sie und doch regten sich Zweifel und Fragen in ihr. Ja, sie kannte es ja auch, das Glück der ersten Liebe, die Honigmonate der Ehe, aber auch den bitteren Bodensatz hatte sie kennen gelernt, die große Ernüchterung. Wie kam es, daß die glückstrahlende, schlichte Frau an ihrer Seite von den Konflikten und Enttäuschungen des späteren Ehelebens nichts zu wissen schien?

»Ich will Ihnen mal etwas sagen, meine liebe Frau Kamberg,« entriß sie die Stimme der neben ihr Sitzenden ihren Grübeleien, »wenn jedes Mädchen bis zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre einen Mann bekäme, hätte die Welt nie und nimmer eine Frauenbewegung gesehen.«

In der jungen Frau aber erhob sich jetzt ein lebhafter Widerspruch.

»Aber«, rief sie mit brennenden Wangen und funkelnden Augen, »die Frauenbewegung will doch nicht nur den unversorgten Mädchen Beschäftigung und Erwerb beschaffen, es handelt sich doch vor allem darum, der Frau, auch der verheirateten, mehr Freiheit, eine größere Selbständigkeit, einen höheren individuellen Wert und mehr Anerkennung und Achtung seitens des Mannes zu verschaffen.«

Doch die rundliche, zufriedene Frau schüttelte nur lächelnd mit dem Kopf.

»Ach du mein Gott!« erwiderte sie gelassen und nahm die Hände der neben ihr Sitzenden in die ihren. »Mehr Freiheit, mehr Selbständigkeit! Wer ist denn frei und unabhängig, meine liebe Frau Kamberg? Die Männer sind es am allerwenigsten, niemand ist es. Rücksichten hat jeder zu nehmen, nicht nur die Frau. Und unsittlich ist es nach meiner Auffassung, wenn ein Mädchen, das sich zur Heirat entschließt, nicht den ernsten, ehrlichen Willen hat, sich denjenigen Beschränkungen, die die Ehe naturgemäß, besonders von der Frau, fordert, zu unterziehen – mit Freuden zu unterziehen, nicht etwa mißlaunig, mit Unlust. Denn dann würden sie sich ja selbst die Stellung einer Dienerin und nicht die einer selbstlosen, treuen Kameradin zuweisen.«

Susanne senkte unwillkürlich ihre Blicke; die Worte trafen sie fast wie eine persönliche Anklage. Sie bemühte sich mit aller Kraft, das Gefühl des Unbehagens, der Verlegenheit von sich abzuschütteln. Aber sie hatte für das, was in ihr wogte, noch keinen Ausdruck gefunden, als sich die Tür öffnete und der kleine Fritz und sein Schwesterchen Lieschen hineinstapften.

»Muttchen, müde, so müde!« rief der Knabe weinerlich, während das kleine Mädchen zu Susanne lief, sich an sie schmiegte und mit bittenden Augen zu ihr aufsah, so daß die junge Frau nicht anders konnte, als die Kleine auf ihren Schoß zu ziehen.

»Also vorwärts in die Baba! 's ist Zeit für euch!« sagte Frau Bahlke und begann sogleich den Knaben zu entkleiden. Auch Susanne ging mit Eifer daran, dem kleinen Lieschen die Haken des Kleides zu lösen und die Bänder der Unterröcke aufzuknüpfen. Freilich, so behende und fix wie Frau Bahlke ging es ihr nicht von der Hand, denn es war ja das erstemal in ihrem Leben, daß sie ein Kind zu Bett brachte. Aber die Kleine half selbst und schnürte geschickt ihre Schuhe auf und zog sich selbst die Strümpfe herab. Als sie bereits im Hemdchen war, schlang sie, auf Susannes Schoß stehend, die Arme um ihren Hals und schmiegte die zarte Kinderwange an ihr Gesicht.

»Ich habe dich lieb, Tante«, flüsterte sie ihr dabei schmeichlerisch ins Ohr.

In Susanne quoll eine neue, wohlige Empfindung empor. Noch nie hatte sie aus einem Kindermund so zärtliche Worte gehört und es war eine ganz instinktiv unbewußte Regung, daß sie die Kleine an sich drückte und herzlich auf Wangen und Mund küßte. Dann trug sie den Hemdenmatz in sein Bettchen, das in derselben Stube stand.

Frau Bahlke, die den kleinen Fritz schon längst gebettet hatte, stand mitten im Zimmer und sah ihr mit freundlich strahlenden Augen zu.

»Ich glaube,« sagte sie, sich der jungen Frau nähernd, »Sie werden einmal eine ausgezeichnete Mutter abgeben.«

Und als Susanne heftig errötete und sich vor Verwirrung und innerlicher Bewegung nicht zu lassen wußte, legte sie ihren einen Arm um die Taille der jungen Frau und strich ihr mit der anderen Hand beschwichtigend, ermunternd über die glühenden Wangen.

»Ja,« sagte sie dabei ernst, in warmem Ton, »solch ein liebes, frisches Kindchen ist ein wahrer Segen für eine Frau und ich kann mir gar nicht denken, daß eine Ehe unglücklich werden kann, wo gesunde, liebe Kinder vorhanden sind.«

Und während sie die Jüngere langsam zur Tür des Nebenzimmers zog, fuhr sie lächelnd, gedankenvoll fort: »Sehen Sie, nun muß ich doch zurücknehmen, was ich vorhin gegen die Frauenbewegung sagte. Sie war doch sehr notwendig und hat sehr Gutes gewirkt, indem sie den jungen Mädchen neue Berufe erschloß und sie selbständig machte, so daß sie nicht mehr wie früher nötig haben, der Versorgung wegen zu heiraten. Und ich glaube, ich könnte mich selbst noch einmal für die Frauenbewegung begeistern und mich in ihr betätigen, wenn sie sich das weitere Ziel setzte, die Mädchen zu einer höheren, sittlicheren Auffassung der Ehe zu erziehen und die rechte Lust und Liebe zur Ehe in den jungen Mädchen zu erwecken. Aber das gerade Gegenteil tun sie ja. Sie legen den Grund zur Selbstüberschätzung und zur Nichtachtung und Geringschätzung des Mannes in sie und machen sie unfähig und unlustig zur Ehe.«

Sie betraten wieder das Wohnzimmer. Die Kinder eilten ihnen entgegen und jedes hatte ein Anliegen an die Mutter.

»Du, Muttchen,« rief der zehnjährige Karl, der neben seiner Schwester am Tische gesessen hatte, mit Schularbeiten beschäftigt – »ich kriege die Aufgabe nicht raus: Frau N. kauft einen Zuckerhut im Gewicht von 7 1/2 Kilogramm; sie bezahlt für das Kilogramm 75 Pfennig, während sie im Einzelkauf 80 Pfennig gibt. Wieviel hat sie bei diesem Einkauf gespart?«

Und Martha bat: »Ach Muttchen, hilf mir doch ein bißchen bei meinem Aufsatz, ja: ,›Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt‹. Ist doch furchtbar schwer, nicht, Muttchen?«

Während sich Frau Bahlke zu dem Jungen setzte, konnte Susanne, die sich eigentlich verabschieden wollte, nicht gut anders, als der Zwölfjährigen ein wenig beizustehen. Sie waren alle in emsiger Tätigkeit, als draußen die Korridortür ging und Männerschritte laut wurden. Sogleich richtete sich die korpulente Frau Bahlke mit jugendlicher Lebhaftigkeit in die Höhe und ein Freudenschein lief über ihr vollwangiges Gesicht.

»Vater!«

Und auch die Kinder sprangen mit demselben Rufe auf: »Vater!« und eilten dem Eintretenden entgegen.

Es war ein etwa fünfzigjähriger, mittelgroßer und auch ein wenig zur Korpulenz neigender Mann in auffallend guter, dunkler Kleidung. Überhaupt sein Äußeres war sehr sorgfältig gepflegt, wie bei einem Menschen, der aus besonderen Gründen darauf Wert legt, einen vorteilhaften, anständigen Eindruck zu machen. Seinen Zügen war ein Ausdruck von Energie und Entschiedenheit aufgeprägt, die aber, sobald er sich zu Frau und Kindern wandte, innere Wärme und Gutmütigkeit durchschimmern ließ.

Er küßte seine Frau und begrüßte auch seine Kinder mit freundlichem Nicken und mit sanft über den Kopf streichender Gebärde. Als er die Besucherin erblickte, blieb er erstaunt stehen.

Susanne erkannte ihn auf den ersten Blick. Sie war ihm zuweilen auf der Treppe oder im Hausflur begegnet und er war ihr durch den höflichen, achtungsvollen Gruß, den er nie versäumte, angenehm aufgefallen.

Auch er schien sich, während ihn seine Frau, seine Schulter mit einem Arm umschlingend, näher zog, um ihn Susanne vorzustellen, ihrer zu entsinnen. Mit freundlichem Lächeln bot er ihr die Hand.

»Ich glaube, wir kennen uns schon – wenn auch nur par distance

Als die Begrüßung erledigt war, faßte Frau Bahlke ihren Mann von hinten am Arm und Rockkragen und zog ihm sanft den guten Rock herab.

»Nicht doch!« wollte er mit einem Blick auf die Besuchen« wehren.

Aber die Hausfrau beruhigte ihn.

»Frau Kamberg entschuldigt schon. Sie weiß ja, daß man es einem Mann bequem und behaglich machen muß, wenn er müde und abgehetzt nach Hause kommt.«

Sie half ihm in den bequemen Hausrock, den die kleine Martha schon herbeigebracht hatte, und drückte ihn auf einen der um den Tisch stehenden Stühle nieder. Darauf winkte sie den beiden älteren Kindern, die sich sogleich daran machten, dem Vater die Halbstiefel aufzuschnüren, während sie selbst die gefütterten Hausschuhe herbeiholte. Dabei strahlte ihr Gesicht in einem fort von Freundlichkeit und Zärtlichkeit und in allen ihren Bewegungen und Handreichungen drückte sich Herzenswärme und der liebevollste, hingehendste Eifer aus. Jetzt sah sie ihrem Mann forschend, mit einem mitleidigen Blick ins Gesicht.

»Hast dich wohl wieder weidlich plagen und ärgern müssen?«

Er lachte.

»Daran fehlt's ja nie. Aber einen Abschluß habe ich heute wenigstens zustande gebracht.«

Während er sich schmunzelnd und zufrieden die Hände rieb, wandte sich Frau Bahlke an ihre Besucherin.

»Mein Mann hat nämlich einen sehr schweren, anstrengenden Beruf. Er ist Agent und vermittelt den Verkauf und Ankauf von Geschäften und Grundstücken. Da muß er denn den ganzen Tag vom frühen Morgen oft bis zum späten Abend herumrennen, von einem Ende der Stadt zum andern, treppauf, treppab. Dabei oft wochenlang kein Verdienst. Und den sonstigen Ärger! Es gibt ja so viele Menschen, die mit Lug und Trug operieren. Da hat's denn natürlich ein anständiger Mann schwer. Ach ja!«

Schon war sie wieder davon, nach dem Pfeifenständer hin, der in einer Ecke stand, um eine lange Pfeife herabzunehmen, deren Kopf sie rasch mit geübten Händen stopfte.

»Da, Väterchen!«

»Mit gütiger Erlaubnis!« sagte er höflich, zu Susanne gewendet, während die eifrige Hausfrau einen Fidibus entzündete und an den bis zum Rande geschichteten Tabak hielt.

Fünf Minuten später verabschiedete sich die junge Frau. Sie wunderte sich nicht wenig, als sie unten in ihrer Wohnung feststellte, daß sie eine volle Stunde in der Bahlkeschen Familie verweilt hatte. Ihre Schwester erwartete sie schon mit Ungeduld, denn sie hatte vor, am Abend an einer Ausschußsitzung des Vereins »Frauenrecht« teilzunehmen.

»Wo bleibst du denn so lange?« fragte Ella.

Susanne berichtete voll Eifer, in ihren Mienen noch den Abglanz des heiteren, wohligen Gefühls, den die Beobachtung des schlichten Familienglückes in ihr hervorgerufen hatte.

Fräulein Dr. Ella schüttelte mit dem Kopf.

»Ich begreife dich nicht. Was findest du denn an dieser furchtbar nüchternen, hausbackenen Frau?«

»Hausbacken?« Susanne blickte sinnend in die Flamme des Gasglühlichts, das über dem Tisch brannte.

»Nun ja«, fuhr die Ältere fort. »Ich kann mir nichts Gräßlicheres denken, als so ganz in dem öden, niedrigen Kleinkram des Lebens aufzugehen, sozusagen nichts zu sein als Haus- und Familientier. Muß ein denkender Mensch dabei nicht geradezu stumpfsinnig werden?«

»Stumpfsinnig?« Die junge Frau lächelte still vor sich hin. Nein, einen stumpfsinnigen Eindruck hatte ihr die gesunde, frische, fröhliche Frau Bahlke ganz und gar nicht gemacht ...


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