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XX.

Die Ausschußmitglieder des Vereins hatten sich vollzählig versammelt und aller Mienen war eine große Spannung anzumerken und die Wichtigkeit, die man der Beratung beilegte. Es handelte sich um große Dinge. Ein Konkurrenzverein hatte sich vor kurzem aufgetan: der Verein »Frauenschutz«, der dem älteren Verein gefährlich zu werden drohte, und es galt die aufstrebende Konkurrenz zu vernichten, noch ehe die Fahnenflucht, die schon mehrere Mitglieder des Muttervereins erfaßt hatte, weiter um sich griff.

Es waren zwölf Damen anwesend, von Ausgang der Zwanzig an bis in jene höheren Altersregionen, deren nähere Bezeichnung auch heute noch die meisten Frauen trotz Aufklärung und Frauenbewegung gern vermeiden. Außer Susanne waren nur noch zwei verheiratete Damen darunter. Die Toiletten aller Damen waren dunkel, einfach, das Reformkleid dominierte; die Haare waren schlicht gescheitelt. Die Modetorheiten nicht mitzumachen, wahr Ehrensache unter den Führerinnen der Frauenbewegung.

Fräulein Dr. Anna Möller, die Vorsitzende, eröffnete die Beratung. In ihrer scharfen, schonungslosen Weise sprach sie über die Gründe des Verrats, die das ehemalige Vorstandsmitglied des Vereins »Frauenrecht« veranlaßt hätte auszuscheiden und einen Konkurrenzverein aufzutun. Nur Eifersucht und Gehässigkeit seien die Motive dieser nichtswürdigen Handlung gewesen, die einen Verrat an der ganzen Frauensache darstelle. Unbefriedigter Ehrgeiz habe die ehemalige Kameradin, die vergebens nach dem Amt der Vorsitzenden oder mindestens ihrer Stellvertreterin gestrebt, zur Verräterin gemacht.

Nach Anna Möller nahm eine der verheirateten Frauen, eine ältere Dame mit wohlwollenden, freundlichen Gesichtszügen das Wort. Ehe man sich zu Maßregeln entschlösse, die vielleicht ebenfalls als Ausfluß persönlicher Empfindlichkeit und Gehässigkeit angesehen werden könnten, möchte man versuchen, eine Versöhnung herbeizuführen. Vielleicht lasse sich der junge Verein bereden, sich an den älteren anzuschließen oder mit ihm ein Kartell abzuschließen, um wenigstens Hand in Hand mit ihm zu arbeiten, wenn sich eine Verschmelzung nicht herbeiführen lasse. Die Behauptung der Vorrednerin, daß nur persönliche Gründe die untreu gewordene Schwester zu ihrer Neugründung veranlaßt habe, sei doch vielleicht nicht ganz zutreffend. Vielmehr sei die Annahme, daß auch sachliche Ursachen vorhanden gewesen, nicht ganz von der Hand zu weisen. Schon wiederholt sei unter den Mitgliedern die Klage laut geworden, daß der Verein allzu radikal und einseitig vorgehe. Damit stoße man Zögernde, Bedächtige, toleranter Veranlagte vor den Kopf. Anschauungen und Vorurteile, die jahrtausendlang herrschend gewesen, ließen sich nicht von heute auf morgen in ihr Gegenteil umwandeln. Darum langsameres Vorgehen, gemäßigteres Streben und vor allem nicht Haß und Kampf gegen die gleichstrebenden Schwestern, die vielleicht nur in einigen unwichtigen Punkten abwichen!

Nach dieser Rednerin, der nur von einer einzigen Gleichgesinnten Beifall gezollt wurde, erhob sich zunächst die Vorsitzende wieder. Mit der ihr eigenen Heftigkeit verteidigte sie sich gegen den Vorwurf persönlicher Gehässigkeit. Für sie sei nur immer die hohe, hehre, gerechte Sache der Frauenemanzipation maßgebend. Aber mit Verrätern paktiere man nicht und mit Halbheiten, mit Milde und Sanftmut reformiere man nicht die Welt. Nicht Honig müsse man in die Seelen der großen Rasse der indolenten Frauen träufeln, sondern einen Feuerbrand müsse man in sie werfen, und gegen den Spott, Hohn und den Haß der Männer könne man nur mit den schärfsten Waffen und mit rücksichtsloser Entschlossenheit etwas ausrichten.

In gleichem Sinn sprachen sich auch die meisten übrigen Ausschußmitglieder aus und die nur noch schüchtern sich hervorwagenden Einwände der milder Gearteten wurden durch die spitzen Zungen der andern entrüstet abgefertigt.

Susanne beteiligte sich nicht an der Diskussion. Die von Gehässigkeit und Malice durchtränkten Reden rauschten an ihrem Ohr vorbei, ohne bis zu ihrer Seele zu dringen, die in die Erinnerung untertauchte und in angenehmeren, anmutenderen Empfindungen Zuflucht suchte. Das liebliche Bild des anheimelnden, traulichen Familienglücks, dessen Zeuge sie vor wenigen Stunden gewesen, beschäftigte ihre Phantasie und sie malte sich aus, wie das einmütige Ehepaar mit den beiden älteren Kindern in trauter, friedlicher Gemeinschaft am Familientisch saß, bestrebt, einander Liebes und Gutes zu erzeigen, wetteifernd in Freundlichkeit, Güte und Liebe gegeneinander. Und das Herz schlug ihr hoch und höher und ein stilles, unbestimmtes, träumerisches Sehnen weitete ihr die Brust, je mehr sie sich in die weitere Ausgestaltung des reizvollen, erhebenden Phantasiegebildes versenkte.

Der schrille Ton der Vorsitzenden rief sie in die Wirklichkeit zurück.

»Ich ersuche nun um Vorschläge,« sprach die Vorsitzende, »wie wir den uns feindlichen neuen Verein je eher, je besser vernichten und in welcher Weise wir am wirkungsvollsten für uns Propaganda machen können.«

Susanne hörte staunend zu, und die bittere, widrige Stimmung von vorher kehrte in verstärktem Maße zurück. Die einen schlugen vor, ein Flugblatt zu veröffentlichen, durch das die Handlungsweise der Abtrünnigen und ihre Motive lächerlich gemacht und an den Pranger gestellt würden, andere rieten zu noch stärkeren, noch schonungsloseren Mitteln. Sie wollten der Verhaßten, die den Konkurrenzverein gegründet, die Wurzeln ihrer bürgerlichen Existenz abgraben und ihr so den Aufenthalt in der Stadt unmöglich machen ...

Während Susanne ihre Blicke auf den erhitzten Gesichtern der Rednerinnen verweilen ließ, machte sie eine Wahrnehmung, die ihr bisher entgangen war.

Fast allen war ein breiter, schmallippiger Mund und ein kräftig entwickeltes, starkes, grob geformtes Kinn eigen, dazu die von Zorn und Wut verzerrten Mienen – es war kein erhebender Anblick. Zarte weibliche Reize, liebliche Anmut schienen sich mit draufgängerischer Energie und starkgeistigen Leben beim Weibe nicht zu einen.

Endlich nahm Susannes Schwester das Wort.

»Die kleinen und kleinlichen Mittel«, sagte Ella Neudeck, »sollten wir, als unsrer nicht würdig, verschmähen. Nicht durch Intrigen und Gehässigkeiten gegen unsre Gegnerinnen, sondern durch positive Leistungen sollten wir agitieren und wirken. Wenn wir die Aufmerksamkeit und das Interesse unsrer für moderne Ideen empfänglichen Schwestern auf uns lenken und ihre Sympathie uns gewinnen wollen, dann müssen wir etwas Großes wollen und vollbringen. Und so bringe ich einen Gegenstand von grundlegender Bedeutung zur Debatte, den ich schon wiederholt mit unsrer verehrten Vorsitzenden besprochen habe. Ich schlage vor, die Forderung des Stimmrechts auch für Frauen mit aller Energie, mit allem Eifer zu propagieren. Wir beginnen damit, einen Verband für Frauenwahlrecht zunächst bei uns zu gründen und öffentliche Versammlungen in unsrer Stadt abzuhalten, in denen wir unsre Forderung erheben und motivieren. Weiter wollen wir überallhin in alle großen Städte Deutschlands Agitatorinnen und Rednerinnen entsenden, um für die Sache des Frauenstimmrechts zu werben. Ein Netz von Vereinen muß über alle Gaue Deutschlands gezogen werden, die sich dann zu einem großen einigen Bunde zusammenschließen, und das Ziel muß sein, eine Petition auszuarbeiten, die wir mit Tausenden, Zehntausenden, ja hunderttausend Unterschriften dem Deutschen Reichstag einreichen wollen. Das Beispiel der unermüdlichen, heldenmütigen Suffragettes in England muß uns anfeuern und wir dürfen nicht eher ruhen, als bis wir das Ideal erreicht haben, das jeder denkenden, selbstbewußten modernen Frau voranleuchtet: die Erwerbung der politischen Rechte auch für uns Frauen.«

Unbeschreiblichen Jubel erregten die Worte der Rednerin. Alle Anwesenden sprangen auf, umringten und beglückwünschten Ella Neudeck mit enthusiastischen Worten und stürmischen Händedrücken. Ja, eine der jüngeren und temperamentvolleren Damen, die ihren weiblichen Gefühlsschwang noch nicht zu meistern gelernt, umarmte und küßte die Überraschte, sich ärgerlich Wehrende, eine Kundgebung, die von der Vorsitzenden mit einer bissigen Bemerkung als »läppisch« und »backfischmäßig« gebrandmarkt wurde.

Und nun ging man mit heiligem Eifer, mit stolzem Hochgefühl daran, das Thema nach allen Seiten zu ventilieren. In jeder der wichtigen Mienen, in jedem der tönenden Sätze, in jeder feierlichen Geste drückte sich das Bewußtsein aus, die Augen der ganzen Kulturwelt auf sich gerichtet zu wissen. Von dem Verein, dessen Ausschußmitglied man war, ging die Morgenröte einer neuen besseren Zeit für die deutsche Frauenwelt aus. Als Mitschöpferin einer neuen Zeitepoche, als Trägerin einer der bedeutungsvollsten, gewaltigsten Kulturfortschritte fühlte man sich.

Lebhaft gingen die Wogen der Debatte. Vorschläge kamen und verschwanden. Endlich einigte man sich, vorläufig folgende Leitsätze aufzustellen: »Es gibt keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Alle Möglichkeiten, die für den ersteren vorhanden sind, sollen auch für die letztere existieren, ebensowenig kennen wir eine männliche und eine weibliche Bildung, männliche und weibliche Berufe. Wir erkennen in der Natur nur gleichberechtigte Menschen, im Staat nur gleichberechtigte Bürger an. Die Zeiten sind vorbei, in der ein Teil der Menschen im Ernst glauben durfte, über den anderen Teil Herr sein zu können. Der Weg, den wir gehen, ist der der natürlichen Entwicklung. Unsre Bewegung steht an der Spitze der weltbewegenden Fragen. Alle übrigen Fragen: die soziale, die des allgemeinen Weltfriedens und so weiter werden nicht zum Austrag gebracht werden, bis die Frauenfrage gelöst ist. Das Ceterum cenxo aber, das wir den Gesetzgebern so lange in die Ohren schreien müssen, bis sie uns hören: ist die Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für alle großjährigen Menschen ohne Unterschied des Geschlechts, denn wir können unsre Forderungen, unsre volle gesetzliche Gleichstellung nur mit Nachdruck vertreten und durchsetzen, wenn wir wahlberechtigte Bürger sind und unsern Einzug in das Parlament gehalten haben. Die Zeit aber ist erfüllt, das Frauenstimmrecht muß und wird kommen ...«

Als die beiden Schwestern sich in der Mitternachtsstunde auf den Heimweg machten, glühte Dr. Ella noch vor Erregung und Bewegung und sprach in einem fort. Susanne aber antwortete nur einsilbig, den widerspruchsvollen Eindrücken des Abends hingegeben.

Als sie sich ihrem Hause näherten, erhob sie den Blick zu den Fenstern des zweiten Stockwerks. Die Wohnung der Familie Bahlke lag in tiefem Dunkel. Wohl schon seit Stunden ruhten sie in ruhigem, friedlichem Schlummer. Sie hielten es ja nicht für ihre Aufgabe, sich mit weltbewegenden Problemen zu erhitzen und abzumühen.

Und in dem Wirrwarr der verschiedenartigen Empfindungen und Gedanken, die die Erlebnisse des Nachmittags und des Abends in der jungen Frau hervorgerufen hatten, rang sich ein klares Gefühl an die Oberfläche: das Gefühl einer warmen Sympathie, einer ehrlichen Hochachtung vor dem Mann, der unter schwierigsten Umständen tapfer, mühselig die Existenzmittel für seine große Familie erwarb und für die Frau, die ihren Lebensgefährten mit aufopferungsvoller Sorge und Liebe umgab, die der Welt gesunde Kinder schenkte und sie zu tüchtigen, starken, frohen Menschen erzog.


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